Beethoven (eBook)

Akkord der Welt. Biografie

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
352 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26675-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Beethoven - Matthias Henke
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Zum 250. Geburtstag: Matthias Henke zeichnet in seiner Biografie das Bild von Ludwig van Beethoven neu - frei von Idealisierung, in den Spannungen zwischen Bonn und Wien.
Heros, Revolutionär, nationales Idol: Ludwig van Beethoven musste in der Vergangenheit Wunschvorstellungen bedienen, die mit seiner Musik nichts zu tun haben. Matthias Henke legt die Biografie eines Menschen vor, der es niemandem leicht gemacht hat - erst recht nicht sich selbst. Seine Musik berührt uns bis heute. Es ist die Musik einer Zeit, in der sich die Welt veränderte, eine Musik, die sich aus den Formen der Klassik befreit und neue Möglichkeiten des Ausdrucks findet. Matthias Henke porträtiert Beethoven in diesen Spannungen, erklärt aber auch, wie seine Musik für politische Zwecke eingesetzt und zum Inbegriff 'Klassischer Musik' überhaupt wurde: eine Biografie auf der Höhe der Zeit.

Matthias Henke, Jahrgang 1953, übernahm nach akademischen Lehr- und Wanderjahren 2008 an der Universität Siegen eine Professur für Historische Musikwissenschaft, die er bis 2019 innehatte. Seither arbeitet er im Rahmen eines Projekts, das sich mit dem Komponisten Friedrich Cerha beschäftigt, als Forschungsprofessor an der Donau-Universität Krems. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem: Arnold Schönberg (dtv, 2001), Joseph Haydn (dtv, 2009), Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn (Katholisches Bibelwerk, 2017). Außerdem als Herausgeber: Arnold Schönberg: Die Prinzessin (Hanser Kinderbuch, 2006).

"Seine 400-Seiten Biografie widerspricht vielen gängigen Etikettierungen und Pauschalisierungen Beethovens. Es ist ein leises Buch gegen ein gröhnend-heroisierendes Beethoven-Klischee. ... Henke zeigt die bizarren Gegensätze zwischen dem gefeierten Künstler und seiner kläglichen Existenz." Reinhold Jaretzky, MDR Kultur, 18.01.20

Marcia funebre


Mochte er sich im Leben oft einsam gefühlt haben, eingemauert in seiner Taubheit, den Alltag als Bürde empfindend: Im Tod fand er einen treuen, wunderbaren Gefährten, der seine letzte Stätte mit ihm teilte. Lange Zeit ruhten sie nebeneinander, in postmortaler, nachbarschaftlicher Verbundenheit. Oberirdisch hatten sie zu einer solchen Nähe nicht gefunden, obwohl sie gemeinsam, doch jeder für sich, das Stigma des Außenseiters trugen, des Unangepassten, auch wenn die Begleitumstände ihres Sterbens gegensätzlicher kaum denkbar sind.

Nein, das Jahr 1826 stand für Beethoven nicht wirklich unter einem guten Stern. Im Sommer musste er den Suizidversuch des Neffen Karl verkraften. Wenige Monate später zerstritt er sich wie so oft mit Bruder Johann, den er auf dessen Landgut besucht hatte, in Gneixendorf bei Krems. Überhastet und wutentbrannt brach er auf.1 Er wartete nicht einmal die Reisekutsche ab, sondern hockte sich auf eine offene Milchkarre, um am 2. Dezember nach Wien zu gelangen – bei seiner stets angeschlagenen Gesundheit ein Himmelfahrtskommando. Prompt folgte eine Lungenentzündung. Professor Andreas Ignaz Wawruch, der behandelnde Arzt, berichtete, er habe den Patienten mit glühendem Gesicht angetroffen und kaum des Atmens fähig.2 Dennoch sei Beethoven dank entzündungshemmender Mittel und kraft seiner »Natur« binnen weniger Tage so weit hergestellt gewesen, dass er »aufstehen, herumgehen, lesen und schreiben konnte«.3 Hoffnung keimte auf. Indes trog sie, weil sich im Leib des Komponisten eine »Bauchwassersucht« entwickelt hatte.4 In der verschärften Krise zog Wawruch einen Kollegen hinzu: Professor Johann Seibert, der als Chirurg am Allgemeinen Krankenhaus wirkte.5 Nach kurzem Konsilium entschieden die beiden Kollegen, am 20. Dezember einen »Bauchstich« vorzunehmen, der Beethoven um »25 Pfund Flüssigkeit« erleichterte.6 Doch währte der Aufschwung wieder nur wenige Tage. Also nahm Seibert am 8. Januar 1827 eine zweite Punktion vor. Erneut entströmte dem Kranken jede Menge ›Wasser‹. Verzweifelt konsultierte Beethoven einen weiteren Arzt: Johann Malfatti von Monteregio, den er seit vielen Jahren kannte. Die »Hochgelahrten Herrn [also Wawruch und Seibert] sind beyde geschlagen«, beklagte er sich bei Anton Felix Schindler, seinem Adlatus, »nur durch Malfattis wissenschaft werde ich gerettet«.7 Der renommierte Mediziner, Leibarzt von Erzherzog Karl und dessen Gattin Maria Beatrix von Modena-Este, verordnete eine aus heutiger Sicht erschreckende Behandlung. Obwohl Wawruch bereits eine Leberschädigung bei Beethoven festgestellt hatte (»die Leber bot deutliche Spuren von harten Knoten, die Gelbsucht stieg«8), verordnete Malfatti dem Kranken »Punschgefrorenes«, das bekanntlich auf gebranntem Alkohol basiert, meist auf Arrak oder Rum. Zur Verwunderung Wawruchs schlug das ›Medikament‹ an. Es verschaffte dem Leidenden ein paar ruhige Nächte und geistig wach durchlebte Tage.9 Dann kehrte das Übel mit aller Macht zurück. Nolens volens entschloss man sich zu einer dritten Punktion. Am 2. Februar durchbohrte Seibert abermals die Bauchdecke seines Patienten. Die Kunde von dessen erbärmlichem Zustand verbreitete sich. Besorgt, teilweise rührend die Reaktionen, jetzt, aber auch schon zuvor …

Franz Wegeler, der Freund aus Kindheitstagen, schrieb Beethoven einen Mutmachbrief: Er werde genesen, und wenn er sich dann zu einer Kur in Karlsbad entschlösse, würde er, Wegeler, mit dem Schnellwagen schnurstracks herbeieilen.10 Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ernannte ihn am 7. März zu ihrem Ehrenmitglied.11 Baron Johann Baptist Pasqualati, Beethovens früherer Vermieter und immer noch sein Anwalt, versorgte ihn mit Kirschkompott sowie ärztlich genehmigtem Champagner.12 Der Komponist und Verleger Anton Diabelli schenkte ihm eine Lithografie von Haydns Geburtshaus.13 Und Anfang des Monats berichtete ihm der in London residierende Instrumentenbauer und Poet Johann Andreas Stumpff, dass die dortige Philharmonic Society ihm die stattliche Summe von »100 Pfund« anweisen werde, um ihn während der Krankheit zu unterstützen.14

Spätestens nach der vierten Punktion, der er sich am 27. Februar unterziehen musste,15 sah Beethoven das Ende kommen. »Kein Trost vermochte ihn mehr aufzurichten«, erinnerte sich Wawruch, »und als ich ihm mit der herannahenden belebenden Frühlingsluft Linderung verhieß, entgegnete er mir lächelnd: ›Mein Tagwerk ist vollbracht […]‹«.16 Die Schussfahrt begann.17 Mitte März konnte Beethoven die Besucher nur noch liegend empfangen. Schindler diktierte er die letzten Briefe. Auch schaffte er es noch, am 23. März sein Testament zu ändern, um Karls Mutter als Erbin auszuschließen. Doch führte ihm bereits der Tod die Feder. »Mein Neffffe Karle«, schrieb Beethoven, das Bewusstsein verlierend, »Soll alleiniger Erbe seyn, das Kapital meines Nachlalaßes soll jedoch Seinen natürlichen oder testamentarischen Erben zufallen.«18 Einen Tag später empfing er die Letzte Ölung. Wenig später sank er ins Koma.19

Am Nachmittag des 26. März betraten einige Vertraute das Sterbezimmer, dem Vernehmen nach die Haushälterin Sali, sein Bruder Johann samt Gattin Therese, sein Jugendfreund Stephan von Breuning und dessen 14-jähriger Sohn Gerhard, außerdem Schindler, sein umtriebiger Helfer – und Anselm Hüttenbrenner, der Grazer Komponist, der Beethovens letzte Stunden mit bewegenden, ein wenig überhöhten Worten schilderte. Etwa gegen drei viertel sechs habe der Sterbende noch einmal die Augen geöffnet, sodann seine rechte Hand zur Faust geballt und gen Himmel gereckt: »Als er die erhobene Hand wieder aufs Bett niedersinken ließ, schlossen sich seine Augen zur Hälfte. Meine rechte Hand lag unter seinem Haupte; meine linke ruhte auf seiner Brust. Kein Atemzug, kein Herzschlag mehr!«20 Einige Tage vor dem Exitus hatte Hüttenbrenner einen Freund zu Beethoven eingeladen, der nicht so recht in die Gesellschaft passte, aber auf seine Weise zur Sterbebegleitung beitrug: den Maler Josef Teltscher. Er fertigte zwei Bleistiftzeichnungen des Moribunden an, deren eine besonders berührt, weil sie trotz ihrer Schwarz-Weiß-Technik das Gesicht des Kranken seltsam glühen lässt.21

Beethoven auf dem Sterbebett, Zeichnung von Josef Teltscher, 1827

In die Wohnung des Verstorbenen kehrte keine Ruhe ein. Am Morgen des 27. März erschien der Maler Josef Danhauser, um die Totenmaske abzunehmen.22 Anschließend sezierte ein Pathologe den Leichnam – gemäß Beethovens im »Heiligenstädter Testament« (1802) geäußerten Wunsch, seine Taubheit zu ergründen (»damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde«23). Erwartungsgemäß entdeckte der Mediziner krankhafte Veränderungen. So beschrieb er die Hörnerven als »zusammengeschrumpft und marklos« oder die »Eustachische Ohrtrompete« als »sehr verdickt«.24 Dann kam es zur Aufbahrung, »nach damaliger Sitte«, erinnerte sich der Sänger Luigi Cramolini, »auf langen, über Stühle gelegten Brettern«.25 Wohl weil sein Schädel durch die Sektion verunstaltet war, bedeckte man den Leichnam mit einem Tuch. Groß aber war das Entsetzen, als Stephan und Gerhard von Breuning dasselbe anhoben. Sie erblickten einen ›gerupften‹ Beethoven, ein kahles Haupt, weil Besucher, Verehrer und Leichenfledderer sich seiner Haarlocken bemächtigt hatten.26

Die Geschäftigkeit in der Trauerwohnung war nicht zuletzt organisatorischen Notwendigkeiten geschuldet. Noch am Todestag hatten Schindler und Stephan von Breuning die Grabstelle auf dem Währinger Friedhof ausgewählt.27 Letzterer hatte auch den Partezettel abgefasst, der die Trauergäste über den Ablauf der Feier informierte. Demnach sollte das »Leichenbegängnis« am 29. März um 15 Uhr beginnen: »Man versammelt sich in der Wohnung des Verstorbenen im Schwarzspanierhause Nr. 200, am Glacis vor dem Schottenthore. Der Zug begiebt sich von da nach der Dreifaltigkeits-Kirche bei den P.P. Minoriten in der Alsergasse.«28 Spätestens am Morgen vor dem Begräbnis erkannten Beethovens Freunde, dass die Anteilnahme der Bevölkerung »aus allen Klassen und Ständen«29 äußerst rege war, weitaus stärker als angenommen. Also ließen sie den Verstorbenen im Innenhof des Sterbehauses aufbahren, um möglichst allen Trauernden die Gelegenheit zu geben, sich persönlich zu verabschieden. Endlich, um halb vier Uhr, als die Sargträger, meist Sänger des Hoftheaters, einen Choral anstimmten,30 setzte sich der Leichenzug in Bewegung. Ein Kruzifixträger übernahm die Führung und zeigte somit an, dass es sich um ein Begräbnis der höchsten Klasse handelte (von den drei möglichen, die Kaiser Joseph II. 1782 verfügt hatte).31

Nun nahm eine Prozession ihren Lauf, deren Dramaturgie die Handschrift von Theaterleuten verriet. Federführend dürfte Ignaz von Seyfried gewirkt haben, seines Zeichens Komponist, Rechtsgelehrter, Schriftsteller und nicht zuletzt Uraufführungsdirigent des Fidelio.32 Dem Kreuzträger folgte ein Ensemble, das aus vier Posaunisten und einem Männerchor bestand. Es intonierte Beethovens aus dem Jahr 1812 stammenden Equale, die Seyfried bearbeitet und mit Texten unterlegt hatte: »Ach!...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19.Jahrhundert • Bonn • Fidelio • Haydn • Klavier • Klaviersonate • Konzert • Mozart • Musik • #ohnefolie • ohnefolie • Oper • Streichquartett • Symphonie • Wien
ISBN-10 3-446-26675-5 / 3446266755
ISBN-13 978-3-446-26675-9 / 9783446266759
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