Die Welt nach Wagner (eBook)

Ein deutscher Künstler und sein Einfluss auf die Moderne

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
912 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00695-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Welt nach Wagner -  Alex Ross
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Ein Standardwerk über den großen Komponisten - von einem der angesehensten Musikkritiker der USA. Beginnend mit dem Tod Wagners erzählt Alex Ross, was für uns zur Gegenwart geworden ist: Wir leben und sehen die Welt seit Wagner mit seinen Augen, seine Themen und Szenen prägen auch heute noch unser gesellschaftliches Bühnenbild. Wagner ist für Ross ein deutsches Drama, das sich aus der Wirklichkeit, aber auch aus dem Wahn speist. Sein Buch ist eine eindrucksvolle Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, durchzogen von dem Erbe Richard Wagners - der widersprüchlich war, ungreifbar, vielleicht sogar unvollendet. Nur so ist auch seine Musik und sein Nachleben in Deutschland zu verstehen: Wir sind noch immer Wagner.

Alex Ross, geboren 1968, ist seit 1996 der Musikkritiker des New Yorker. Davor schrieb er vier Jahre lang für die New York Times. Ross wurde ein Arts and Letters Award der American Academy of Arts and Letters verliehen, der Belmont Prize, ein Guggenheim Fellowship und ein MacArthur Fellowship. Er war 2002 Fellow der American Academy in Berlin.

Alex Ross, geboren 1968, ist seit 1996 der Musikkritiker des New Yorker. Davor schrieb er vier Jahre lang für die New York Times. Ross wurde ein Arts and Letters Award der American Academy of Arts and Letters verliehen, der Belmont Prize, ein Guggenheim Fellowship und ein MacArthur Fellowship. Er war 2002 Fellow der American Academy in Berlin. Studium der Anglistik und Slawistik in München. Unterricht an der Ludwig-Maximilian- Universität in englischer Literaturwissenschaft, Organisation des Aufbaustudiengangs "Literarische Übersetzung aus dem Englischen". Studium der Anglistik, Germanistik und Musikwissenschaft in Tübingen, Zürich, London und München. Promotion zum Dr.phil. Lehre und Forschung in englischer Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft an den Universitäten München, London und Glasgow.

Der Ring und die Revolution


Der Aufstand in Dresden von 1849: Die Sopranistin Wilhelmine Schröder-Devrient am Fenster ermahnt die Menge.

Die Revolution von 1848 war die Keimzelle des Rings. Sie erschütterte die alte europäische Ordnung, konnte sie aber nicht zum Einsturz bringen. Im Februar führte ein dreitägiger Straßenprotest in Paris zur Abdankung des Königs Louis-Philippe und zur Proklamation der Zweiten Republik. Ähnliche Aufstände gab es in den deutschsprachigen Ländern: In Frankfurt versuchte man, ein Nationalparlament zu bilden. In London veröffentlichten Karl Marx und Friedrich Engels das Kommunistische Manifest. Überall auf dem Kontinent bildeten sich kommunistische, sozialistische und anarchistische Gruppierungen. In dem Aufruhr gewannen konterrevolutionäre Kräfte die Oberhand. Der Höhepunkt – Marx sprach von einer historischen Tragödie, die sich als Farce wiederholt – war die Auflösung der Zweiten Französischen Republik durch Napoleons Neffen Louis-Napoléon im Dezember 1851.

Wagner, damals Mitte dreißig, stürzte sich ins Getümmel. Ab 1843 war er königlich-sächsischer Hofkapellmeister in Dresden, sein Ruf basierte auf dem Erfolg der breit angelegten Oper Rienzi, die von einem Volksaufstand im Rom des 14. Jahrhunderts handelt. Während seiner Zeit in Dresden hatte Wagner zunehmend Sympathien für linksgerichtete Politik entwickelt. Im Juni 1848 schrieb er ein Revolutionsgedicht, das mit den Worten beginnt: «Aus Frankreich scholl der Freiheitsruf: / wir haben ihn nachgesprochen». In einer feurigen Rede vor dem Vaterlandsverein, einer demokratisch-nationalistischen Vereinigung, forderte er die Abschaffung der Aristokratie, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die Beseitigung von Zinswucher, eine aufgeklärte deutsche Kolonisierung der ganzen Welt und auch – auf welche Weise auch immer – die Selbstreformierung des sächsischen Königs zum «Erste[n] des Volkes», zum «Freieste[n] der Freien». Abgesehen von der deutschnationalen Tendenz ähnelten diese Vorschläge der Philosophie von Pierre-Joseph Proudhon, der sich eine Gesellschaft aus kommunalen Einheiten ohne staatliche Kontrolle auf der Grundlage der Tradition vorstellte.

Zur selben Zeit vertiefte sich Wagner in die alten germanischen Erzählungen vom Helden Siegfried, der den Drachen Fafnir tötet, den Goldschatz des Drachen erringt und mit einem Speer im Rücken stirbt. Die Hinwendung war eindeutig politisch motiviert: Das Gold steht für den kapitalistischen Feind, Siegfried für eine neue deutsche Nation. Allgemeiner ausgedrückt: Wagner vertiefte sich mehr und mehr in die Geschichte und Funktion von Mythen. 1848 begann er einen beeindruckend verworrenen Aufsatz über vergleichende Mythologie mit dem Titel «Die Wibelungen», in dem er sich mit der Wechselbeziehung zwischen heidnischen Legenden, christlicher Überlieferung, dem Nibelungenschatz, dem Heiligen Gral und historischen Persönlichkeiten wie Karl dem Großen und Friedrich Barbarossa befasste. Wagner war fasziniert davon, dass in verschiedener Aufmachung immer wieder dieselben Geschichten erzählt werden: Licht gegen Finsternis, Wärme gegen Kälte, der Held gegen den Drachen.

Die Art und Weise, wie Wagner mythische Stoffe in der Form der Oper verarbeitete, veranlasste den Anthropologen Claude Lévi-Strauss, ihn als «den unbestreitbaren Vater der strukturellen Analyse von Mythen» zu bezeichnen. Doch die Verlagerung alter Mythen in die Gegenwart hat beunruhigende Konsequenzen: Die gleichen dunklen, kalten, drachengleichen Gegner finden sich auch im zeitgenössischen Deutschland. Auf verhängnisvolle Weise vergleicht Wagner den Tod Siegfrieds mit der Kreuzigung Christi, Siegfried wurde ermordet, beklagt und gerächt – «wie wir noch heute an den Juden Christus rächen».

Im Herbst 1848 verfasste Wagner einen Prosatext mit dem Titel «Der Nibelungen-Mythus», in dem er einen Handlungsverlauf skizziert, der ungefähr dem der Götterdämmerung entspricht. Er bietet einen aufwändigen erzählerischen Hintergrund mit Göttern, Riesen, Zwergen, Helden und Walküren – im Wesentlichen den ganzen Ring auf einigen wenigen Seiten. Für die Handlung verwendet er Material aus verschiedenen nordischen und germanischen Quellen: die Lieder-Edda, die Prosa-Edda und die Vǫlsunga saga aus Island; die altnorwegische þiðreks saga; das mittelhochdeutsche Nibelungenlied und Jacob Grimms Deutsche Mythologie. Das Ganze ist ein inspiriertes Gemisch, das der ungebärdigen Phantasie Wagners ebenso viel verdankt wie den verwendeten Texten.

Der Ring selbst ist eine Neuschöpfung. Die alten Quellen nennen Schätze und magische Ringe, aber nur in Wagners Version wird das Gold zur Waffe absoluter Allmacht. Einzig Platons Ring des Gyges könnte eine Art Vorläufer sein, er macht den Träger unsichtbar und verleiht ihm so «die Macht eines Gottes». Platon vermutet, dass selbst ein Gerechter mit einem solchen Mittel vom rechten Weg abkommen könnte. Auch bei Wagner zwingt der Ring allen seinen Willen auf. Mit dem Tarnhelm, seinem magischen Begleiter, kann man unsichtbar werden, die Gestalt wechseln oder in einem Augenblick große Entfernungen zurücklegen. Es ist sicher kein Zufall, dass solche magische Kunde im späten 19. Jahrhundert zu neuem Leben erwachte, zu einer Zeit, in der sich Techniken der Massenmanipulation und Massenvernichtung ankündigten.

Im Gegensatz zum vollendeten Ring beginnt «Der Nibelungen-Mythus» nicht mit einer Vision von der Herrlichkeit der Natur, sondern mit einem düsteren Bild der leidenden Erde:

Dem Schooße der Nacht und des Todes entkeimte ein Geschlecht, welches in Nibelheim (Nebelheim), d.i. in unterirdischen düsteren Klüften und Höhlen wohnt: sie heißen Nibelungen; in unsteter, rastloser Regsamkeit durchwühlen sie (gleich Würmern im todten Körper) die Eingeweide der Erde (…) Des klaren edlen Rheingoldes bemächtigte sich Alberich, entführte es den Tiefen der Wässer und schmiedete daraus mit großer, listiger Kunst einen Ring, der ihm die oberste Gewalt über sein ganzes Geschlecht, die Nibelungen, verschaffte (…) So ausgerüstet strebte Alberich nach der Herrschaft über die Welt und Alles in ihr Enthaltene.»

Der Dualismus von Gut und Böse versagt, wenn Wagner die edlen Götter zu Komplizen der allgemeinen Korruption macht. «Doch der Friede, durch den sie zur Herrschaft gelangten, gründet sich nicht auf Versöhnung: er ist durch Gewalt und List vollbracht. Die Absicht ihrer höheren Weltordnung ist sittliches Bewußtsein: das Unrecht, das sie verfolgen, haftet aber an ihnen selber». In dieser frühen Fassung übersteht Wotan den Aufruhr, ähnlich dem reformierten Monarchen von Wagners Rede im Vaterlandsverein, und Alberich erlangt mit der restlichen Menschheit die Freiheit.

Wagner erweiterte die Erzählung in einem Prosaentwurf mit dem Titel Siegfrieds Tod. Danach legte er das Projekt zur Seite und stürzte sich mit großer Leidenschaft in die Politik. Im Mai 1849 erhoben sich Dresdner Revolutionäre im Protest gegen verfassungsfeindliche Handlungen des sächsischen Königs. Wagner schloss sich ihnen an: Er verbreitete Propaganda, half bei der Beschaffung von Waffen und sandte Signale vom Turm der Kreuzkirche. Oft war er an der Seite des künftigen Anarchisten Michail Bakunin, der seit langem Verbindungen zu radikalen Kreisen in Deutschland pflegte. Es wird berichtet, dass Wagner häufig Wutanfälle bekam, er schrie: «Krieg und immer Krieg». Am Tag, nachdem die Dresdner Oper in Brand gesteckt worden war, soll ein Straßenkämpfer gerufen haben: «Herr Kapellmeister, der Freude schöner Götterfunken hat gezündet» – eine Anspielung an den Götterfunken der «Ode an die Freude» in Beethovens Neunter Symphonie, die Wagner einige Wochen davor dirigiert hatte.

In der Folge wurden Bakunin und Wagners Freund August Röckel festgenommen und zum Tode verurteilt, die Urteile wurden allerdings später in Gefängnisstrafen umgewandelt. Wagner hätte vermutlich das gleiche Schicksal ereilt, wenn er nicht aus Deutschland geflohen wäre und in Zürich Zuflucht gefunden hätte. Mehrere Jahre lang komponierte er kaum noch, sondern verfasste Aufsätze, Manifeste und dramatische Texte. In Die Kunst und die Revolution wendet er sich gegen kommerzielle Interessen, er schreibt: «Unser Gott aber ist das Geld, unsere Religion der Gelderwerb». Gegen die arglistige Gemeinschaft der Kapitalisten müsse sich der Künstler dem revolutionären Widerstand anschließen. In Das Kunstwerk der Zukunft wird das griechische Theater der Antike zum Vorbild für die Verschmelzung der Künste – für das legendäre Gesamtkunstwerk. Und in der umfangreichen Abhandlung Oper und Drama stellt er die Prinzipien vor, die die Grundlage für den Ring bilden: eine klare, übersichtliche Form des Texts, wiederkehrende Motive zur Charakterisierung von Figuren, Konzepten und psychischen Zuständen; zudem sollte das Orchester zur Vermittlung von Vorahnungen oder Erinnerungen eingesetzt werden.

Wagners Ablehnung des Anderen als des elementaren, alberichgleichen Feinds kommt in «Das Judenthum in der Musik» zum Ausdruck, das er 1850 unter einem Pseudonym veröffentlichte. In diesem Aufsatz vertritt er die These, dass die Juden keine eigenständige Kultur hätten und dass führende jüdische Komponisten wie Felix Mendelssohn und Giacomo Meyerbeer unfruchtbare Nachahmer der Tradition und/oder Agenten kapitalistischer Gier seien. Erschreckend ist, wie er die Präsenz der Juden in der deutschen Gesellschaft mit einem von Würmern...

Erscheint lt. Verlag 17.11.2020
Übersetzer Gloria Buschor, Günter Kotzor
Zusatzinfo Zahlr. s/w Abb., 8 S. 4-farb. Tafeln
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Bayreuth • Cosima Wagner • Der Ring des Nibelungen • Festspiele • Hitler • Klassik • Komponist • Künstler • Musik • Musiker • Musikgeschichte • Musiktheorie • Musikwissenschaft • Nationalsozialismus • Oper • Richard Wagner • Winifred Wagner
ISBN-10 3-644-00695-4 / 3644006954
ISBN-13 978-3-644-00695-9 / 9783644006959
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