Die Dämonen (eBook)

Roman in drei Teilen
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2021 | 1. Auflage
944 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2815-4 (ISBN)

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Die Dämonen - Fjodor Dostojewski
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Intrigen und Irrsinn.

Die Generalswitwe Warwara Petrowna und der ehemalige Hauslehrer Stepan Trofimowitsch haben sich in einiger Entfernung von St. Petersburg zur Ruhe gesetzt. Unerwartet tauchen ihre inzwischen erwachsenen Söhne auf und kehren das Unterste zuoberst. Ein »revolutionäres Komitee« soll sämtliche Autoritäten stürzen. Dämonen gleich, überzieht es die Stadt mit einem Spinnennetz von Intrigen und aufrührerischen Ideen, bis alles außer Kontrolle gerät. Ein Roman über das Russland des 19. Jahrhunderts, in dem der bröckelnde Zarismus mit neuen zerstörerischen Kräften zusammenprallt.

»Dostojewski ist ein Ozean bei hohem Seegang, unzuverlässigen Winden und abrupt wechselnder Temperatur.« FAZ



Fjodor Dostojewski (1821-1881) wurde in Moskau als Sohn eines Militärarztes und einer Kaufmannstochter geboren. Er studierte an der Petersburger Ingenieurschule und widmete sich seit 1845 ganz dem Schreiben. 1849 wurde er als Mitglied eines frühsozialistischen Zirkels verhaftet und zum Tode verurteilt. Unmittelbar vor der Erschießung wandelte man das Urteil in vier Jahre Zwangsarbeit mit anschließendem Militärdienst als Gemeiner in Sibirien um. 1859 kehrte Dostojewski nach Petersburg zurück, wo er sich als Schriftsteller und verstärkt auch als Publizist neu positionierte.

Wichtigste Werke: 'Arme Leute' (1846), 'Der Doppelgänger' (1846), 'Erniedrigte und Beleidigte' (1861), 'Aufzeichnungen aus einem Totenhaus' (1862), 'Schuld und Sühne' (1866), 'Der Spieler' (1866), 'Der Idiot' (1869), 'Die Dämonen' (1873), 'Der Jüngling' (1875), 'Die Brüder Karamasow' (1880).

Zweites Kapitel
Prinz Heinrich • Eine Brautwerbung


1


Es existierte auf Erden noch jemand, an dem Warwara Petrowna ebenso hing wie an Stepan Trofimowitsch – ihr einziger Sohn Nikolai Wsewolodowitsch Stawrogin. Seinetwegen war Stepan Trofimowitsch ja als Erzieher ins Haus gekommen. Der Junge war damals acht Jahre alt, und sein Vater, der leichtfertige General Stawrogin, lebte zu jener Zeit bereits getrennt von seines Sohnes Mutter, so daß das Kind unter ihrer alleinigen Obhut aufwuchs. Man muß Stepan Trofimowitsch Gerechtigkeit widerfahren lassen: Er verstand es, die Zuneigung seines Zöglings zu gewinnen. Das ganze Geheimnis bestand freilich darin, daß er selber ein Kind war. Mich gab es damals noch nicht, einen wahren Freund aber hat er stets gebraucht. Daher zögerte er nicht, ein so kleines Wesen, sobald es nur ein wenig herangewachsen war, zu seinem Freunde zu machen. Alles fügte sich höchst natürlich, und zwischen den beiden gab es nicht die geringste Distanz. Immer wieder kam es vor, daß er seinen zehn- oder elfjährigen Freund in der Nacht weckte, nur um ihm unter Tränen sein verletztes Herz auszuschütten oder ihm ein häusliches Geheimnis zu entdecken, und er bemerkte nicht, daß dies absolut unverantwortlich war. Sie stürzten einander in die Arme und weinten. Der Junge wußte, daß seine Mutter ihn innig liebte, er selber indes empfand für sie kaum große Zuneigung. Sie sprach nur wenig mit ihm, schränkte seine Freiheit sehr selten ein, aber ständig spürte er gleichsam schmerzhaft ihren wachenden Blick. Dennoch, in allen Fragen des Unterrichts und der sittlichen Erziehung genoß Stepan Trofimowitsch ihr absolutes Vertrauen. Damals glaubte sie noch vorbehaltlos an ihn. Vermutlich hatte der Pädagoge den Nerven seines Zöglings etwas zuviel zugemutet. Als der Sechzehnjährige ins Lyzeum gebracht wurde, war er kränklich und blaß, auffallend still und grüblerisch. (Später zeichnete er sich durch außergewöhnliche Körperkraft aus.) Es muß auch angenommen werden, daß es nicht immer nur Hausklatsch war, weswegen die beiden Freunde zu nächtlicher Stunde weinten und einander in die Arme fielen. Stepan Trofimowitsch verstand es, an die verborgensten Saiten im Herzen seines Freundes zu rühren und ein erstes, noch unbestimmtes Empfinden jener ewigen, heiligen Sehnsucht in ihm auszulösen, die so manche auserwählte Seele, hat sie sie einmal gekostet und erlebt, nie wieder gegen billige Befriedigung eintauscht. (Es gibt auch Naturen, denen diese Sehnsucht teurer ist als extreme Befriedigung, selbst wenn es eine solche überhaupt gäbe.) Jedenfalls war es gut, daß Zögling und Erzieher, wenn auch spät, voneinander getrennt wurden.

Aus dem Lyzeum kam der junge Mann in den ersten zwei Jahren über die Ferien nach Hause. Als Warwara Petrowna und Stepan Trofimowitsch sich in Petersburg aufhielten, wohnte er gelegentlich den literarischen Abenden bei, die seine Frau Mama veranstaltete, hörte zu und beobachtete. Er selbst sprach wenig und zeigte sich unverändert still und scheu. Stepan Trofimowitsch brachte er die frühere zärtliche Zuneigung entgegen, aber schon mit gewisser Zurückhaltung; sichtlich vermied er es, mit ihm über erhabene Gegenstände und Erinnerungen an vergangene Zeiten zu sprechen. Nach Abschluß des Lyzeums trat er auf Wunsch seiner Mama in den Militärdienst und wurde bald in eines der angesehensten Gardekavallerieregimenter aufgenommen. Auf Besuch nach Hause, sich der Mama in Uniform zu präsentieren, kam er nicht, und er schrieb nur noch selten aus Petersburg. Geld schickte Warwara Petrowna ihm reichlich, obgleich die Einnahmen von ihren Gütern nach der Reform so rapide gesunken waren, daß ihr nicht einmal die Hälfte der früheren Erträge blieb. Durch langes Sparen hatte sie indes ein gewisses, nicht unbeträchtliches Kapital anhäufen können. Mit großem Interesse registrierte sie die Erfolge ihres Sohnes in der höchsten Petersburger Gesellschaft. Was ihr nicht geglückt war, glückte dem jungen Offizier dank seinem Reichtum und einer großen Zukunft. Er erneuerte Bekanntschaften, von denen sie nicht einmal hatte träumen können, und wurde überall mit großer Freude aufgenommen. Sehr bald freilich gelangten recht merkwürdige Gerüchte zu Warwara Petrowna: Der junge Mann begann plötzlich ein unsinnig ausschweifendes Leben. Nicht daß er gespielt oder übermäßig getrunken hätte; man erzählte sich nur von wilder Zügellosigkeit, von Menschen, die durch Pferde zu Tode getrampelt wurden, von rüdem Verhalten gegen eine Dame der guten Gesellschaft, mit der er liiert gewesen und die er dann öffentlich beleidigt hatte. Etwas gar zu unverhüllt Schmutziges sprach aus alledem. Man wußte darüber hinaus zu berichten, er sei ein Prahlhans und Raufbold, suche Händel und beleidige aus Freude am Beleidigen. Warwara Petrowna war beunruhigt und grämte sich. Stepan Trofimowitsch versicherte ihr, das seien lediglich die ersten ungebärdigen Ausbrüche einer zu reichen Natur, der Sturm werde sich legen und das alles ähnele der Jugend Prinz Heinrichs, der sich mit Falstaff, Poison und Mistreß Quickly ausgetobt habe, wie bei Shakespeare nachzulesen sei. Warwara Petrowna schrie ihm diesmal nicht ihr »Welch ein Unsinn!« ins Gesicht, wie sie dies in letzter Zeit sehr oft zu tun pflegte, sondern war im Gegenteil ganz Ohr, ließ sich die Sache ausführlich erläutern, griff selbst zu Shakespeare und las mit außerordentlichem Interesse seine unsterbliche Chronik. Allein die Chronik vermochte sie nicht zu beruhigen, und sie fand darin auch nicht allzuviel Ähnlichkeit. Mit fieberhafter Ungeduld harrte sie der Antworten auf einige Briefe. Die Antworten ließen nicht auf sich warten; bald traf die niederschmetternde Nachricht ein, Prinz Heinrich habe fast gleichzeitig zwei Duelle gehabt und sei an beiden allein schuld, den einen seiner Gegner habe er auf der Stelle getötet, den zweiten zum Krüppel gemacht und er sei ob solcher Bravourleistungen dem Gericht überliefert worden. Die Sache endete mit Degradierung zum Gemeinen, Aberkennung der Rechte und Verbannung in ein Infanterieregiment des Heeres, dies noch als besonderer Gnadenbeweis.

Im Jahre 1863 gelang es ihm, sich irgendwie hervorzutun, er bekam ein kleines Ordenskreuz und wurde zum Unteroffizier und überraschend bald danach auch zum Offizier befördert. In all dieser Zeit hatte Warwara Petrowna wohl an die hundert Bitt- und Flehbriefe in die Hauptstadt geschickt. In diesem Sonderfall fand sie sich zu gewissen Erniedrigungen bereit. Nach seiner Beförderung quittierte der junge Mann plötzlich den Dienst, kam wieder nicht nach Skworeschniki und schrieb seiner Mutter von nun an gar nicht mehr. Schließlich brachte man auf Umwegen in Erfahrung, er sei erneut in Petersburg, habe nunmehr jedoch keinerlei Zutritt zu seinen früheren Kreisen und scheine sich irgendwo versteckt zu halten. Man fand heraus, er lebte in merkwürdiger Gesellschaft, hatte sich mit irgendwelchem Abhub der Bevölkerung Petersburgs eingelassen, mit undefinierbaren zerlumpten Beamten, vornehm um Almosen bettelnden, entlassenen Militärs und mit Trunkenbolden, verkehrte in deren schmutzigen Familien, verbrachte Tag und Nacht in finsteren Elendsvierteln und Gott weiß was für Hintergassen, war heruntergekommen, lief in zerrissenen Kleidern herum, und dies schien ihm zu gefallen. Um Geld bat er die Mutter nicht; er besaß ein eigenes kleines Gut – das frühere Dorf General Stawrogins, das zwar wenig genug, aber immerhin etwas abwarf und das er, Gerüchten zufolge, an einen aus Sachsen gebürtigen Deutschen verpachtet hatte. Endlich ließ er sich von den flehenden Bitten seiner Mutter erweichen, zu ihr zu kommen, und so erschien Prinz Heinrich in unserer Stadt. Nun erhielt ich zum erstenmal Gelegenheit, ihn in Augenschein zu nehmen, denn bis dahin hatte ich ihn nie zu Gesicht bekommen.

Er war ein ausgesprochen schöner junger Mann, um die Fünfundzwanzig, und machte auf mich, zugegebenermaßen, Eindruck. Ich hatte einen schmuddeligen Vagabundentyp erwartet, ausgehöhlt vom Laster und nach Wodka riechend. Indes ich begegnete dem elegantesten Gentleman, den ich je Gelegenheit hatte zu treffen, ausnehmend gut gekleidet und mit einer Haltung, wie sie nur ein Kavalier besitzen konnte, der an feinsten Anstand gewöhnt war. Nicht nur ich war erstaunt: Es staunte die ganze Stadt, die selbstredend Herrn Stawrogins Biographie bereits aus dem Effeff kannte, und zwar mit Details, von denen man sich gar nicht vorstellen konnte, aus welcher Quelle sie stammten, und, das Erstaunlichste, die Hälfte davon erwies sich als zutreffend. Alle unsere Damen waren von dem Neuankömmling wie von Sinnen. Sie spalteten sich in zwei feindliche Lager: im einen wurde er vergöttert, im anderen mit geradezu bluträcherischem Haß verfolgt; aber von Sinnen waren diese wie jene. Die einen bestach vor allem, daß er möglicherweise ein verhängnisvolles Geheimnis im Herzen barg; die anderen empfanden ausgesprochenes Behagen bei dem Gedanken, daß er ein Mörder war. Ferner stellte sich heraus, daß er eine sehr ordentliche Bildung besaß, ja sogar gewisse Kenntnisse. Der Kenntnisse freilich brauchte es nicht viele, um uns zu verwundern; allein er konnte auch bei aktuellen und sehr interessanten Themen mitreden, und zwar, dies schien besonders schätzenswert, mit bemerkenswerter Besonnenheit. Das muß ich als auffallend erwähnen: Alle von uns fanden beinahe vom ersten Tage an, er sei ein außerordentlich besonnener Mensch. Er war nicht sehr gesprächig, elegant, ohne manieriert zu sein, auffallend bescheiden, gleichzeitig aber beherzt und selbstbewußt wie keiner unter uns. Unsere Modegecken betrachteten ihn neiderfüllt und fühlten sich von ihm völlig in den Schatten gestellt. Mich beeindruckte auch sein Antlitz: die Haare waren etwas zu schwarz, die...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2021
Nachwort Michael Wegner
Übersetzer Günter Dalitz
Sprache deutsch
Original-Titel Бесы
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Anarchismus • Dämonen • Dostojewski • Intrigen • Mord • Nihilismus • Roman • Russische Revolution • Russland • Umsturz
ISBN-10 3-8412-2815-1 / 3841228151
ISBN-13 978-3-8412-2815-4 / 9783841228154
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