Wo die Spuren aufhören -  Louise Penny

Wo die Spuren aufhören (eBook)

Der zehnte Fall für Gamache

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70262-7 (ISBN)
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Armand Gamache, ehemaliger Chief Inspector der Sûreté du Québec, hat sich in Three Pines zur Ruhe gesetzt. Die vergangenen Monate haben ihm viel abverlangt. Gemeinsam mit seiner Frau Reine-Marie sucht der einstige Leiter der Mordkommission in dem beschaulichen kanadischen Dörfchen Geborgenheit. Er genießt die Köstlichkeiten in Oliviers Bistro, verbringt unzählige Stunden in Myrnas Buchhandlung - und findet endlich eine Art inneren Frieden. Doch der droht jäh zu zerbrechen, als seine Freundin Clara Morrow ihn um Hilfe bittet: Ihr Mann Peter ist nicht wie vereinbart nach Hause zurückgekehrt. Genau ein Jahr wollte er fortbleiben. Ist ihm etwas zugestoßen? Gamache soll sich der Sache annehmen, und auch sein ehemaliger Stellvertreter Jean-Guy Beauvoir und die schrullige Dichterin Ruth Zardo erklären sich bereit, nach dem verschollenen Künstler zu suchen. Dessen Spur führt quer durch Europa und wieder zurück nach Kanada - und die ungleiche Ermittlertruppe hinaus aus dem idyllischen Three Pines und in den Norden Québecs, zur Mündung des großen Sankt-Lorenz-Stroms.

LOUISE PENNY, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst 18 Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Québec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt. Weitere Fälle mit Armand Gamache sind in Vorbereitung.

LOUISE PENNY, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst 18 Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Québec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt. Weitere Fälle mit Armand Gamache sind in Vorbereitung.

1


Als Clara Morrow sich ihm näherte, fragte sie sich, ob er wieder dieselbe kleine Geste machen würde, die er bisher jeden Morgen gemacht hatte.

Sie war so winzig, so belanglos. So leicht zu übersehen. Beim ersten Mal.

Aber warum machte Armand Gamache sie immer wieder?

Clara kam sich ein wenig kindisch vor, dass sie sich das überhaupt fragte. Wahrscheinlich hatte sie gar nichts zu bedeuten. Doch bei einem Mann, der nicht dazu neigte, Geheimnisse preiszugeben, wirkte diese Geste geradezu verstohlen. Eine harmlose Bewegung, die sich nach einem Schatten zu sehnen schien, in dem sie sich verstecken konnte.

Und doch war er hier, im vollen Licht des neuen Tages, und saß auf der Bank, die Gilles Sandon kürzlich gebaut und auf der Kuppe des Hügels aufgestellt hatte. Vor Gamache lagen die Berge, die sich mit dichten Wäldern bedeckt von Québec bis Vermont zogen. Der Fluss Bella Bella, im Sonnenschein ein silbernes Band, schlängelte sich zwischen ihnen hindurch.

Und unten im Tal, angesichts dieser grandiosen Landschaft leicht zu übersehen, lag das bescheidene kleine Dorf Three Pines.

Armand kam nicht hierher, um sich den Blicken der anderen zu entziehen, aber auch nicht, um die Aussicht zu genießen. Stattdessen saß der große Mann jeden Morgen über ein Buch gebeugt auf der hölzernen Bank. Und las.

Als sie näher kam, sah Clara Morrow, wie es Gamache wieder tat. Er setzte seine Lesebrille mit den halbmondförmigen Gläsern ab, klappte das Buch zu und schob es in seine Tasche. Es war mit einem Lesezeichen versehen, aber er bewegte es nie. Wie ein Stein blieb es, wo es war, und markierte eine Stelle ziemlich weit hinten. Eine Stelle, der er sich näherte, die er aber nie erreichte.

Armand klappte das Buch nicht geräuschvoll zu, eher ließ er es von seiner eigenen Schwere zufallen. Ohne die Seite zu markieren, stellte Clara fest. Kein alter Beleg, keine Zug- oder Busfahrkarte an der Stelle, wo er zu lesen aufgehört hatte. Es war, als spielte es keine Rolle. Jeden Morgen begann er von Neuem. Kam dem Lesezeichen immer näher, hörte aber jedes Mal auf, bevor er es erreichte.

Und jeden Morgen schob Armand Gamache das schmale Bändchen in die Tasche seines leichten Sommersakkos, bevor sie den Titel sehen konnte.

Dieses Buch und Armands Verhalten beschäftigten sie immer mehr.

Sie hatte ihn sogar schon danach gefragt, vor gut einer Woche, als sie sich zum ersten Mal zu ihm auf die neue Bank über dem alten Dorf gesetzt hatte.

»Gutes Buch?«

»Ja.«

Armand Gamache hatte dabei gelächelt und so seine kurz angebundene Antwort abgeschwächt. Fast.

Von einem Mann, der selten jemanden abwimmelte, war es wie ein leichter Stoß.

Nein, dachte Clara, als sie ihn jetzt im Profil betrachtete. Zurückgestoßen hatte er sie nicht. Er war nur selbst einen Schritt zurückgewichen. Vor ihr. Vor ihrer Frage. Er hatte das abgegriffene Buch eingesteckt und sich zurückgezogen.

Die Botschaft war klar. Und Clara verstand sie. Aber das hieß nicht, dass sie sie beherzigen musste.

 

Armand Gamache blickte über den sattgrünen Mittsommerwald und die Berge, die sich ins Unendliche erstreckten. Dann senkte sich sein Blick auf das Dorf im Tal hinab, das wie in einer urzeitlichen Hand zu ruhen schien. Ein Stigma in der Landschaft Québecs. Keine Wunde, sondern ein Wunder.

Mit seiner Frau Reine-Marie und ihrem Schäferhund Henri machte er jeden Morgen einen Spaziergang. Immer wieder warfen sie den Tennisball, bis sie ihn irgendwann selbst apportieren mussten, weil Henri sich von einem wirbelnden Blatt oder einer Fliege oder den Stimmen in seinem Kopf ablenken ließ. Der Hund rannte dann zunächst dem Ball hinterher, blieb aber plötzlich stehen, um ins Nichts zu starren und seine riesigen Satellitenschüsselohren in alle Richtungen zu drehen. Als wollte er sie auf eine nur für ihn zu hörende Botschaft ausrichten. Nicht angespannt, aber neugierig. Ganz ähnlich lauschten auch Menschen, wurde Gamache bewusst, wenn der Wind Fetzen eines besonders geschätzten Musikstücks an ihr Ohr trug. Oder eine vertraute Stimme aus weiter Ferne.

Den Kopf auf die Seite gelegt, einen leicht bescheuerten Ausdruck im Gesicht, spitzte Henri dann die Ohren, während Armand und Reine-Marie apportierten.

Mit der Welt war alles in Ordnung, dachte Gamache, als er still im frühen Augustsonnenschein saß.

Endlich.

Bis auf Clara, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, ihm jeden Morgen auf der Bank Gesellschaft zu leisten.

Glaubte sie vielleicht, er sei einsam und sehne sich nach Gesellschaft, wenn Reine-Marie und Henri gegangen waren und er allein hier oben saß?

Doch das bezweifelte er. Clara Morrow war eine ihrer engsten Freundinnen geworden, und sie kannte ihn zu gut.

Nein, sie war aus ihren eigenen Gründen hier.

Jedenfalls war sein Interesse geweckt. Und beinahe konnte er sich vormachen, dass es sich dabei um seinen erwachenden Ermittlerinstinkt handelte und nicht um simple Neugier.

Sein ganzes Berufsleben lang hatte Chief Inspector Gamache Fragen gestellt und Antworten gesucht. Nicht nur Antworten, auch Fakten. Aber was er wirklich suchte, und was wesentlich gefährlicher und schwerer zu fassen war als Fakten, waren Gefühle. Weil sie ihn zur Wahrheit führten.

Und mochte die Wahrheit auch manche befreien, die Leute, hinter denen Gamache her war, brachte sie ins Gefängnis. Lebenslänglich.

Armand Gamache betrachtete sich mehr als Forscher denn als Jäger. Sein Ziel war, zu entdecken. Und was er entdeckte, vermochte ihn immer noch zu überraschen.

Wie oft hatte er schon einen Mörder vernommen und erwartet, auf gestockte Emotionen zu stoßen, auf eine sauer gewordene Seele? Und hatte stattdessen Gutmütigkeit gefunden, die auf Abwege geraten war.

Natürlich nahm er sie trotzdem fest. Aber inzwischen stimmte er mit Sister Prejean darin überein, dass niemand so schlecht war wie das Schlimmste, das er getan hatte.

Armand Gamache hatte das Schlimmste gesehen. Aber er hatte auch das Beste gesehen. Oft in ein und derselben Person.

Er schloss die Augen und hielt sein Gesicht in die frische Morgensonne.

Diese Zeiten lagen jetzt hinter ihm. Jetzt konnte er ausruhen. In der Höhlung der Handfläche. Und sich über seine eigene Seele Gedanken machen.

Er musste nichts mehr entdecken. Was er suchte, hatte er hier gefunden. In Three Pines.

Er war sich der Anwesenheit der Frau neben ihm bewusst und öffnete die Augen, hielt sie aber nach vorn gerichtet und beobachtete, wie das kleine Dorf unten im Tal zum Leben erwachte. Er sah seine Freunde und neuen Nachbarn ihre Häuser verlassen, um sich um ihre Gärten zu kümmern oder fürs Frühstück über den Dorfanger ins Bistro zu gehen. Er beobachtete, wie Sarah ihre Bäckerei öffnete. Dort hatte sie schon vor Tagesanbruch angefangen, Baguettes und Croissants und chocolatine zu backen, und jetzt war es Zeit, sie zu verkaufen. Sie hielt inne, um sich die Hände an der Schürze abzuwischen, und grüßte Monsieur Béliveau, der gerade den Gemischtwarenladen aufschloss. Schon seit ein paar Wochen saß Armand Gamache jeden Morgen auf der Bank und sah den Leuten bei ihren immer gleichen Tätigkeiten zu. Das Dorf hatte den Rhythmus, den Takt eines Musikstücks. Vielleicht war es das, was Henri hörte. Die Musik von Three Pines. Sie war wie ein Summen, ein Kirchenlied, ein tröstliches Ritual.

Gamaches Leben hatte nie einen Rhythmus gehabt. Jeder Tag war unvorhersehbar gewesen, und das schien ihm gut bekommen zu sein. Er hatte geglaubt, es sei Teil seines Wesens. So etwas wie Routine hatte es in seinem Leben nie gegeben. Bis jetzt.

Gamache musste sich gestehen, dass er ein wenig fürchtete, die Routine, die er jetzt so angenehm fand, könnte zu etwas Banalem verkommen und langweilig werden. Aber genau das Gegenteil war der Fall.

Die ständige Wiederholung schien ihm gutzutun. Je mehr er zu Kräften kam, umso mehr schätzte er diese Strukturiertheit. Seine täglichen Rituale empfand er dabei überhaupt nicht als einengend, sondern vielmehr als befreiend.

Aufruhr brachte alle möglichen unangenehmen Wahrheiten zutage. Aber um sich mit ihnen auseinanderzusetzen, war Ruhe nötig. Wenn er an diesem friedlichen Ort in der Sonne saß, war Armand Gamache endlich frei, sich mit all den Dingen zu befassen, die auf den Boden gefallen waren. Wie auch er gefallen war.

Er spürte das geringe Gewicht und die Kanten des Buchs in seiner Tasche.

Unten im Tal humpelte Ruth Zardo, gefolgt von ihrer Ente Rosa, aus ihrem heruntergekommenen Cottage. Die alte Frau sah sich um, schaute dann die unbefestigte Straße hinauf, die aus dem Dorf führte. Weiter, immer weiter konnte Gamache den Blick aus ihren stählernen alten Augen den staubigen Weg hinaufwandern sehen. Bis er seinen traf. Und an ihm haften blieb.

Ruth hob ihre geäderte Hand zum Gruß. Und als hisste sie die Dorffahne, streckte sie ihm einen erhobenen Finger entgegen.

Gamache seinerseits verneigte sich leicht.

Die Welt war in Ordnung.

Außer …

Er drehte sich zu der zerzausten Frau neben ihm.

Warum war Clara hier?

 

Clara schaute weg. Sie brachte es nicht über sich, ihm in die Augen zu sehen. Denn sie wusste, was sie gleich tun würde.

Sie überlegte, ob sie erst mit Myrna reden sollte. Sie um Rat bitten. Aber sie entschied sich dagegen, denn damit hätte sie die Verantwortung für diese Entscheidung von sich abgewälzt.

Vielleicht fürchtete sie auch, Myrna würde es ihr ausreden. Ihr sagen, sie solle es nicht tun. Ihr sagen, es sei unfair und sogar grausam.

Denn das war es. Deshalb hatte Clara auch so lang gebraucht,...

Erscheint lt. Verlag 26.8.2021
Reihe/Serie Ein Fall für Gamache
Übersetzer Sepp Leeb
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Gamache • Kanada • Québec • Three Pines
ISBN-10 3-311-70262-X / 331170262X
ISBN-13 978-3-311-70262-7 / 9783311702627
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