Ewig Sommer (eBook)

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2022 | 1. Auflage
208 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9607-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ewig Sommer -  Franziska Gänsler
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Eine junge Mutter kommt mit ihrer Tochter in ein Hotel, in dem schon lange keine Gäste mehr abgestiegen sind. Seitdem die Brände im benachbarten Wald toben, hat der einstige Kurort seinen Reiz verloren. Für Iris, die Besitzerin des Hotels, ist der unerwartete Besuch gleichzeitig willkommene Abwechslung und Grund zur Sorge: Irgendetwas scheint mit der Fremden nicht zu stimmen. Ist sie auf der Flucht vor ihrem Mann? Sollte sie der Frau, die sich nicht immer angemessen um ihre Tochter zu kümmern scheint, helfen? Oder müsste sie das Kind vor ihr schützen? Mit der Zeit kommen sich die beiden Frauen näher und fangen an, die Schatten ihrer Vergangenheit auszuleuchten. Iris ahnt, dass dieser Besuch früher oder später ein jähes Ende finden wird - unklar ist nur, aus welcher Richtung wirklich die Gefahr droht.

Franziska Gänsler hat in Berlin, Wien und Augsburg Kunst und Anglistik studiert. 2020 war sie Finalistin des 28. open mike. Ihr Debütroman »Ewig Sommer« erschien 2022, er wurde ins Französische übersetzt, für diverse Preise nominiert und 2023 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur sowie mit dem Literaturförderpreis der Stadt Augsburg ausgezeichnet. Sie lebt in Augsburg und Berlin.

1


Die Frau und das Kind kamen an einem Dienstag. Seit Wochen waren da bereits keine Gäste mehr bei mir abgestiegen. Wegen der andauernden Gefahrenlage waren die Messen abgesagt oder verlegt worden, und andere Gründe, in unsere Gegend zu kommen, gab es anscheinend nicht mehr.

Obwohl bereits Oktober war, hatte die Hitze der vergangenen Tage die Brände noch einmal angefacht. Im Garten konnte man die Hubschrauber hören, die über dem Wald kreisten, außerdem alle zwei Stunden die Durchsagen der Polizei, die die Orte in der Umgebung abfuhr: Bleiben Sie zu Hause, tragen Sie eine Schutzmaske, halten Sie Fenster und Türen geschlossen. Bleiben Sie zu Hause, tragen Sie eine Schutzmaske, halten Sie Fenster und Türen geschlossen. Bleiben Sie zu Hause. Sie wurden lauter und leiser, kamen und gingen.

Ich hatte mich gesonnt, stand jetzt im Morgenmantel in der kühlen Eingangshalle.

»Haben Sie ein Zimmer frei?«

Es dauerte eine Weile, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ich die beiden erkennen konnte. Mir gegenüber standen eine Frau und ein kleines Mädchen, ich schätzte es auf drei oder vier Jahre. Die Frau war etwa in meinem Alter, Mitte, vielleicht Ende dreißig. Sie trug ein helles Kleid, hatte einen kleinen Rollkoffer neben sich, das Kind an der rechten Hand, eine Handtasche über der Schulter. Mir fiel auf, dass weder sie noch das Kind eine Maske anhatten, aber vielleicht hatten sie schon eine Weile auf mich gewartet und diese verstaut. Ihre Beine und Schuhe waren staubig und grau, sie brachten den Geruch des Waldes herein, den Geruch nach verbrannten Blättern und Rauch.

Ich ging voraus durch den kleinen Speisesaal, durch die Terrassentüre in den Garten. Ein niedriger Holzsteg, im Stil einer japanischen Veranda, führte von der Terrasse zu den Zimmern. In der Mitte lag der Fischteich, daneben stand der kleine Zierahorn, dessen Blätter rot leuchteten. Eine junge graue Katze schlich durch das harte Schilfgras, blieb stehen, starrte uns an.

Ich wusste, dass der Garten für die meisten Gäste eine Überraschung war. Er passte nicht zum Rest des Hotels, zur dunklen Eingangshalle, zum Speisesaal mit den Holzmöbeln und den dunkelgrünen Gardinen, nicht zum Namen, der, einfallslos genug, der Name des Orts war: Hotel Bad Heim. Mein Großvater hatte den Garten auf diese Art angelegt, in einem Sommer, den meine Mutter und ich hier verbracht hatten. Ich, zwischen der ersten und der zweiten Klasse, und meine Mutter, die alles liebte, was japanisch war. Zufällig passte er jetzt in die Zeit, denn bis auf das Teichbecken benötigte er kaum Wasser.

Der Himmel drückte vom Wald her. Als wir über den Steg gingen, bemerkte ich, dass die Frau hinter mir stehen geblieben war. Ich folgte ihrem Blick zu den braunen Wolkentürmen über dem Brand, hinter dem Fluss, wo der Forst fast ausschließlich aus Nadelholz bestand. Ich fragte mich, ob sie vielleicht nichts von den Bränden gewusst hatte, ob die beiden durch irgendeinen Zufall hier gelandet waren. Für jemanden, der nicht daran gewöhnt war, der nicht damit gerechnet hatte, musste eine gewisse Bedrohung in diesem Anblick liegen. »Keine Angst«, sagte ich deshalb. »Da brennt nur die Strauchschicht ab. Und dazwischen fließt der Bruch. Die Feuer bleiben auf der anderen Seite.«

Ich sperrte die letzte Tür der Reihe auf, Zimmer Nummer fünf. Innen fächerte sich die Nachmittagssonne durch die geschlossenen Läden über das Bett und den Teppich.

Das Kind war im Garten geblieben und beobachtete die Katze. Die Frau sah sich um, stellte den Koffer neben die Tür. Ich fragte, ob ich ihr die Läden aufmachen solle. Das Zimmer war das einzige, das ein zweites Fenster hatte, es ging zur Wiese hinter dem Haus, hinauf zum Wald. Die Frau lächelte mich an.

Ich legte den Schlüssel auf ein kleines Tischchen. »Sie können hier abendessen, im Ort haben die Restaurants geschlossen.« Mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, ihre Daten aufzunehmen. »Ihren Namen bräuchte ich noch«, sagte ich, »und Ausweise, bitte.«

Sie nickte, lächelte erneut. »Kann ich Ihnen die später bringen? Ich weiß gerade nicht, wo ich sie habe. Ansel heißen wir, Dorota und Ilya.«

Sie buchstabierte mir die Namen, ich sagte meinen und fügte hinzu, dass sie mir Bescheid geben sollte, wenn sie etwas brauchte. Dann verabschiedeten wir uns. Als ich mich bei der Tür noch einmal zu ihr umdrehte, hatte sie sich auf das Bett gesetzt und ihre Schuhe abgestreift. Das freundliche Lächeln hatte ihr Gesicht verlassen. Stattdessen lag etwas Angespanntes um ihre Augen, als wäre sie mit den Gedanken sofort davongezogen, nicht erwartend, dass ich mich noch einmal umsehen würde.

Für den Rest des Tages sah ich die beiden nicht mehr. Ich rauchte, sonnte mich, hörte Musik. Gegen Abend machte ich mir einen Teller mit Ölsardinen und Tomaten aus der Dose. Ich überlegte, ob ich etwas für die Frau und das Kind herrichten sollte, aber ich entschied mich abzuwarten. Falls sie etwas brauchten, hatte ich genug für ein einfaches Essen, tiefgekühlten Fisch, Kartoffeln, Brot, Käse, Eier, außerdem einige Konserven.

Im Speisesaal verfolgte ich die Nachrichten. Die ungewöhnliche Hitze hielt noch an, kein Regen in Sicht. Ich hatte die Eingangstür und die Schiebetür zum Garten geöffnet, und ein warmer Wind zog durchs Haus. Der nicht enden wollende Sommer brachte eine seltsame Unruhe, eine Hilflosigkeit mit sich, die ich die meiste Zeit zu ignorieren versuchte. Irgendwann musste es abkühlen, Wolken würden sich bilden, es würde regnen. Der Herbst würde kommen. Ein Glauben an eine alte Normalität, der bisher von den Meteorologen jeden Tag aufs Neue aufgeschoben wurde. Ratlos beobachteten wir die Temperaturkurve, die rote und die blaue Linie, die Tag und Nacht anzeigten und unverändert hoch blieben, unverändert nah beisammen. Jeden Tag die Hoffnung auf ein Absinken, zumindest der blauen Linie, auf kühlere Nächte, auf verschieden temperierte Luftmassen, die über dem Wald aufeinanderstoßen könnten. Jeden Tag die Hoffnung auf Wolken, auf Regen. Jeden Tag das immer noch nicht. Jeden Tag das irgendwann muss es brechen, wird es brechen. Warten.

Der ewige Sommer verstärkte nicht nur meine Angst vor den Bränden, sondern auch meine Ratlosigkeit. An Feuer im Juli und August hatte ich mich gewöhnt, doch nun warteten wir schon seit Mitte September darauf, dass die Erde wieder feucht wurde und die Luft klarer.

Ich ging meine übliche Runde durch den Garten, fütterte die Fische, verjagte die Katzen, hob erste gefallene Blätter von der Wasseroberfläche. Die Feuer roch ich kaum an diesem Abend, der Wind kam vom Ort. Bald würde es aufhören zu brennen. Es handelte sich nur noch um Tage.

Von einer der Liegen blickte ich in den pinkfarbenen Himmel, wartete, bis es dahinter schwarz wurde, bis nur das Leuchten des Waldes blieb, weit hinter dem Bruch. Ich zündete mir eine Zigarette an und ging langsam über den Kies zum Zaun, hinter dem sich die braune Rasenfläche bis zum Waldrand zog. Ich blickte zum Zimmer, in das die Frau und das Kind eingezogen waren. Sie hatten es nach ihrer Ankunft nicht mehr verlassen, und nun war es dunkel dort, hinter den Läden, dunkel und still. Der Fernseher lief nicht, und niemand sprach. Mir fiel ein, dass ich die Frau nicht gefragt hatte, wie lange sie vorhatten zu bleiben. Eine Nacht, schätzte ich.

Irgendeinen Grund musste die Mutter haben, mit dem kleinen Kind hier zu bleiben, wo momentan durch die Maßnahmen alles so eingeschränkt war, die Luftqualität überdurchschnittlich schlecht. Wahrscheinlich waren sie auf der Durchreise, hatten umsteigen müssen, waren stecken geblieben. Ich stellte mir ein Gleis vor, das der Hitze nicht standgehalten hatte. Ausgefallene Klimaanlagen und unzumutbare Temperaturen in den Abteilen.

Ich ging zurück zu meiner Liege, nahm den Schlüsselbund und verließ das Hotel über den Haupteingang. Im Vorraum stand ein Kinderwagen, ein zusammengefalteter Buggy, den ich zuvor nicht bemerkt hatte.

Die Straßen waren leer. Ich ging langsam durch den Ort. Vorbei an den mit Silberfolien abgeklebten Fenstern, am Spielplatz, der im Sommer gesperrt worden war, um Aufenthalte von Kindern im Freien zu reduzieren. Eine Gruppe Jugendlicher saß oben auf einem Klettergerüst. Sie rauchten und steckten die Köpfe zusammen, ihre Gesichter reflektierten das Licht ihrer Handys, helle Inseln im Dunkel. Ich hörte sie lachen. Einer bewegte sich, hielt sich an der oberen Stange fest und zog sich langsam daran nach oben. Sein grauer Rücken, seine grauen Schultern, es sah leicht aus, dieses Auf und Ab, als bräuchte es kaum Kraft.

Ich blieb eine Weile an der Kreuzung stehen und lauschte den Stimmen, dem Lachen, dem Bass, dem Gewebe aus echten Geräuschen und denen, die aus den Handys kamen. Die Ampelphasen blieben ungenutzt, ein Zug fuhr durch den leeren Bahnhof. Schilder an den Laternenmasten warnten vor dem Feuer, vor der Luft, illustrierten das korrekte Verhalten. Linienzeichnungen von Köpfen mit Rauchschutzmasken, Kindern und Alten neben einem Thermometer, Notrufnummern, eine Karte, auf der die Sammelpunkte für mögliche Evakuierungen markiert waren.

Die Ausgangswarnungen galten schon seit Mitte April. Die Lage änderte sich täglich, mit der Windrichtung, mit dem Erfolg der Löscharbeiten, mit dem Wetter. Häufig trug der Wind den Rauch in den Ort. Alte und Kinder blieben im Haus, hinter den Scheiben, an den Bildschirmen, die das Umland abbildeten. Alle beobachteten die Fluktuation roter, oranger und gelber Felder, die anzeigten, wie hoch der gemessene Wert der Schwefelverbindungen in der Luft war.

Bad Heim. Das waren niedrige Häuser, gepflasterte...

Erscheint lt. Verlag 19.7.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familie • Feuer • Frauen • Freundschaft • Gaslightings • Hotel • Klimawandel • Literatur • Natur • Naturkatastrophe • Solidarität • Umwelt
ISBN-10 3-0369-9607-9 / 3036996079
ISBN-13 978-3-0369-9607-3 / 9783036996073
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