Liebewesen (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-4269-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Liebewesen -  Caroline Schmitt
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Ein mutiger Debütroman voller Wucht

'Puff, puff machen die Liebesroman-Stereotype, während sie implodieren: Dieses Buch modernisiert ein ganzes Genre. Seine Figuren sind angedetscht und überfordert und tapfer und hoffnungsvoll, kurz: Sie sind wie wir.' Mareike Fallwickl

Vor drei Monaten war ich sicher, dass ich nicht schwanger werden konnte. Dann war ich sicher, dass der Abbruch erfolgreich gewesen und ich in meinem Körper wieder allein war. Ich lag in beiden Fällen daneben.

Lios Körper ist ihr Albtraum, daran ändert auch ihr Freund Max nichts. Als sie ungeplant schwanger wird, starrt sie nicht nur fassungslos auf den positiven Test, weil jemand wie sie doch gar nicht schwanger werden kann, sondern auch auf das Ende einer mühsam erarbeiteten Normalität. Sie ist unfähig, Max von der Schwangerschaft zu erzählen, und genauso unfähig, diese zu beenden. Während das Kind in Lios Bauch wächst, prasseln Erinnerungen auf sie ein: an ihre kalte Mutter, ihren hilflosen Vater und an all das andere, das sie für immer vergessen wollte. Zum ersten Mal stellt sie sich ihrer Vergangenheit - und riskiert damit, dass alles zusammenbricht.

Scharfsinnig, berührend und hochkomisch zugleich erzählt Caroline Schmitt von versehrten Körpern und Seelen, von der Kompliziertheit der Liebe und der großen Sprachlosigkeit, die alles umgibt. Vor allem aber erzählt sie die Geschichte einer großen Befreiung.






<p><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif; font-size: 15px; background-color: #ffffff;"><strong>Caroline Schmitt</strong>, Jahrgang 1992, studierte Journalismus an der University of the Arts London. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freie Journalistin für Deutsche Welle, ZDF und funk. <strong>LIEBEWESEN </strong>ist ihr erster Roman.</span></p>

Caroline Schmitt, Jahrgang 1992, studierte Journalismus an der University of the Arts London. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freie Journalistin für Deutsche Welle, ZDF und funk. LIEBEWESEN ist ihr erster Roman.

3


»Bin unterwegs«, schrieb ich Max, als ich im Bus saß.

»Ich lasse das Wasser schon mal ein. Stelle es mir peinlich vor, gemeinsam darauf zu warten, dass die Wanne voll wird. So, wie wenn man sich im Zug voneinander verabschiedet hat, aber die Tür nicht aufgeht.«

»Warte lieber noch, das Badesalz muss am Anfang rein.«

»Ach, du bringst wirklich welches mit?«

»Hab drei Duftrichtungen dabei: Bali, Toskana oder Baggersee. Ich bin so gespannt, welcher Typ du bist.«

»Eindeutig Baggersee, Bali ist für Loser. Hoffentlich können wir uns überhaupt einigen? Zeit genug zum Streiten haben wir ja, während das Wasser läuft und läuft und läuft …«

Ich schaute auf die Haltestelle, an der wir gerade hielten. Ein zweites Date war ein Gesichtsverlust mit Ansage, und mein Gesicht befand sich gerade in den besten Jahren. Noch könnte ich rausrennen, Max bestürzt über irgendeinen Notfall informieren, tote Oma, tote Katze, tote Libido, nach dem dritten Reanimationsversuch haben wir aufgegeben, RIP. Ich könnte seine Nummer löschen und vergessen, dass es Männer wie ihn gab, vor denen Frauen wie ich keine Angst haben mussten.

Stattdessen blieb ich sitzen und sah prüfend an mir hinab. Für die nicht sonderlich originelle Komposition aus schwarzer Leinenhose und altem Bandshirt hatte ich eine Stunde gebraucht. Meine Garderobe war kein Ventil, um mich und meine Launen auszudrücken, sekundäre Geschlechtsteile öffentlichkeitswirksam zu präsentieren oder Spaß zu haben. Ich besaß Kleidung, um möglichst selten nackt sein zu müssen. Wenn sie mich nicht blasser machte, als ich war, und meine Oberschenkel und Hüften nicht speckiger wirken ließ, als sie waren, umso besser. Mariam hatte mir für das Date einen BH und einen Slip aus halbdurchsichtigem schwarzen Stoff geschenkt, was bequemer war, als es aussah.

»Ich trage gute Unterwäsche. Die darfst du gern kommentieren, um die Zeit zu überbrücken, bis die Wanne voll ist«, schrieb ich Max und verlor den Rest meiner Selbstachtung.

»Werde ich tun und mich dabei nicht anzüglich-chauvinistisch fühlen. Du hast’s ja erlaubt.«

»Du hast den Freifahrtschein Richtung Baggersee.«

Max wohnte etwas außerhalb der Viertel, in denen Mariam und ich normalerweise unterwegs waren. In seiner Straße stand ein Altbau neben dem anderen. Das war ungewöhnlich für unsere Stadt, die während des Zweiten Weltkriegs durch Flächenbombardierungen nahezu komplett zerstört worden war. Ich drückte auf die Klingel am mittleren von drei vergoldeten Schildern und fragte mich, ob ich sie wohl noch öfter betätigen würde.

Im zweiten Stock stand Max grinsend im Türrahmen. Er trug ein lachsfarbenes Shirt, schwarze Shorts und sah besser aus als in meiner Erinnerung, wodurch ich nervöser wurde als in meiner Vorstellung.

»Machen wir das wirklich?« Er küsste meine Wange.

»Das sieht ganz so aus«, schlussfolgerte ich und küsste Max nirgendwohin.

Er wohnte in einer Zweizimmerwohnung mit offener Küche. Auf den Fensterbänken standen sechs Exemplare der gleichen Zimmerpflanze mit grün-pinken Blättern. Es handelte sich um eine dieser Modezüchtungen aus den Niederlanden, die in den Wohnzimmern von Medienschaffenden gut aussehen sollten. Die Pflanzenart wollte einmal täglich mit destilliertem Wasser besprüht werden und brauchte viel Licht, aber bloß keine direkte Sonneneinstrahlung. In dieser Wohnung lebte ein Erwachsener, der anscheinend putzen, waschen und sich um Lebewesen kümmern konnte. Max lehnte an der Spüle und beobachtete mich amüsiert.

»Läuft das Badewasser schon?«, fragte ich.

»Noch nicht.«

Er schob mich sanft aus dem Weg und ging ins Badezimmer. Ich wusste nicht, wohin mit mir, also lief ich Max hinterher und hielt ihm den geöffneten Badezusatz vors Gesicht. Seine Stirn legte sich in Falten.

»Der riecht ja gar nicht nach Bier und Entengrütze.«

»Bier kommt ganz zum Schluss rein, damit es gut schäumt. Steht hinten drauf«, sagte ich.

»Quatschkopf«, sagte Max so sanft, als wäre das ein Kompliment.

Er drehte den Wasserhahn auf.

»Oh«, sagte ich.

Der Strahl war tatsächlich sehr dünn. Es würde ewig dauern, bis die Wanne voll war.

»Sag ich doch. Apropos Bier. Willst du was trinken?«

»Gern.«

Ich wanderte durch die Wohnung und blieb vor seinem Bücherregal stehen. Darin befanden sich eine Goethe-Gesamtausgabe, die das halbe Regal füllte, einige Bücher über Psychologie und die üblichen, immer männlichen Verdächtigen.

»Dein Name gefällt mir«, sagte Max. »Das wollte ich noch sagen.«

»Max ist natürlich auch sehr besonders. Hört man nicht oft.«

»Vielen Dank, das gebe ich an meine Mutter weiter.«

»Können wir jetzt baden gehen?«, fragte ich.

»Bist du nervös?«

»Niemals.«

»Gut. Ich auch kein bisschen.«

Zurück im Bad schob ich den Duschvorhang zur Seite, auf dem ein Bergpanorama unter blauem Himmel abgebildet war.

»Den hat meine Ex ausgesucht«, erklärte Max.

»Schön! Hat was von Kanada.«

»Da wollte ich immer mal hin«, sagte Max.

Ich auch.

Prüfend tauchte ich einen Finger ins Badewasser.

»Hilfe, deine Wasserrohre sind kaputt!«

»Ich bin Heißduscher«, erklärte er.

»Da steig ich nicht rein.«

Er drehte den Hahn in die entgegengesetzte Richtung. Augen zu und durch, dachte ich und zog mein Shirt über den Kopf. Augen auf und durch, dachte Max und öffnete seine Jeans.

»Gehst du gerne in die Sauna?«, fragte er.

»Ab und zu, ja.«

Als Mariam mich damals nach der Rollschuhparty an Weihnachten mit zu ihren Eltern genommen hatte, war das Fest nicht so harmonisch verlaufen wie geplant. Ihre Tante hatte erst großes Interesse an Mariams Dating-Gewohnheiten vorgetäuscht und sich dann wegen ihrer »Experimente« besorgt gezeigt, was Mariam mit einem Mittelfinger über der Weihnachtsgans quittierte. Ihre Eltern mussten sich beide zusammenreißen, um nicht loszulachen. Um den Alten das Fest der Liebe nicht zu verderben, waren wir noch vor dem Nachtisch geflohen. Am ersten Weihnachtstag ließen wir es uns im leeren Wellnessbereich eines Tagungshotels gut gehen und lasen zwischen den Saunaaufgüssen Schundromane, die Jesus sicher auch gefallen hätten. Diese Tradition hatten wir seither fortgeführt.

»Na, dann. Wanne und Sauna sind ja fast dasselbe, was den Nacktheitsgrad betrifft.«

Diesen Spruch muss Max sich zurechtgelegt haben, dachte ich, und dann, dass er eigentlich nicht so wirkte, als müsste er sich irgendetwas zurechtlegen.

»Die Unterwäsche steht dir wirklich fantastisch«, sagte er.

»Wie aufmerksam.«

Ich öffnete die Schleifchen der Wäsche hastig, streifte sie ab und tunkte meinen rechten Zeh ins Wasser, das immer noch sehr heiß war. Als ich aufsah, war auch Max nackt. Ich ließ mich langsam in die kochende Badewanne gleiten und sah ihm lässig in die Augen. Ein Blick, den ich mir wiederum zurechtgelegt hatte, so, wie ich mir dauernd irgendetwas zurechtlegte, als ließe sich das Leben vor dem Spiegel üben.

»Ich hoffe, wir passen da beide rein. Das ist mein erstes Mal.«

Max grinste anzüglich und stieg in die Wanne.

»Keine Sorge, ich bin ganz vorsichtig«, sagte ich.

»Schade.«

Ich sortierte meine Beine so, dass wir möglichst wenig Körperkontakt hatten, links außen er, links innen ich, rechts innen er, rechts außen ich. Ich ließ mich tiefer ins Wasser sinken, bis der Schaum zu meinen Brüsten reichte, und atmete ein und aus. Als ich die Augen wieder öffnete, ruhte Max’ Blick auf mir.

»Über dich steht gar nichts im Internet. Jahrelange Recherche-Erfahrung für nichts«, sagte er. »Was machst du so?«

Ich grinste, weil ich diese Frage noch nie nackt beantwortet hatte.

»Ja, ja, ich weiß«, sagte Max lachend.

»Ich verachte Geisteswissenschaften.«

»Kann man davon leben?«

»Es ist ein täglicher Kampf, aber er lohnt sich.«

»Jetzt sag schon.«

»Ich habe Bio studiert und manipuliere inzwischen die DNA von Pflanzen so, dass sie noch mehr Nährstoffe transportieren, im All überleben und Astronauten mit viel Vitamin C und D versorgen können. Also, hoffentlich. Das ist besonders für Mars-Missionen relevant, die mehrere Jahre dauern. Da kannst du nicht alle paar Monate zurück zur Erde, um neue Snacks zu holen.«

»Wow!«, sagte Max.

Ich sprach selten über meine Arbeit, weil den meisten Menschen ihr einfältiges »Spannend!« im Halse stecken blieb, sobald sie hörten, dass ich mich nicht selbst mit Pflanzen dopte, keine Drogen herstellen konnte und meine »Versuche« keine laut knallenden Explosionen im All beinhalteten. Im Weltraum gab es keine Geräusche, und meine Forschung fand in einem Gewächshaus im Industriegebiet statt und bestand aus wochenlanger, kleinteiliger Laborarbeit mit minimalem oder gar keinem Fortschritt. Das Einzige, das manchmal in die Luft ging, war meine Geduld.

»Deshalb hast du dir meine Pflanzen vorhin so genau angeschaut.«

»Und weil du Hobby-Psychologe bist, bist du der stabilste Typ der Stadt.«

Max lachte.

»Wie kommst du darauf?«

»Wegen deiner kleinen ›Bibliothek‹.« Ich malte Anführungszeichen in die Luft.

»Ich bin leider nur Soziologe und damit dein absolutes Feindbild.«

»Und wie bist du beim Radio gelandet?«, fragte ich.

»Willst du die...

Erscheint lt. Verlag 27.1.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abtreibung • Beziehung • Caroline Wahl • Daniela Dröscher • Freischwimmen • Gewalt • Julia Friese • Körper • Körperbewusstsein • Liebe • literarische Unterhaltung • Mareike Fallwickl • Maren Wurster • Missbrauch • Mutter • Partnerschaft • Schwangerschaft • Schwangerschaftsabbruch • Schwimmen • Selbstfindung • Sex • Tochter • Trauma • Traumata • Vergewaltigung
ISBN-10 3-7517-4269-7 / 3751742697
ISBN-13 978-3-7517-4269-6 / 9783751742696
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