La Vie -  Katharina Levashova

La Vie (eBook)

Kein Ende ohne Anfang
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2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-961-2 (ISBN)
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Die Zeit eines Menschenlebens scheint wie ein Wimpernschlag im Vergleich zur Erdgeschichte. Auch Ferdinands Tage sind bereits gezählt. Trotz seiner siebenundneunzig Jahre arbeitet sein Verstand auf Hochtouren. Er nimmt die Alltagssorgen seiner Mitmenschen besonders intensiv wahr. Dabei erinnert er sich an die Tage seines Lebens, die Menschen und den Krieg, die ihn in seiner österreichischen Heimatstadt Melk so geprägt haben. Was hat der alte Ferdinand mit seiner vom Leben gebeutelten Enkeltochter und ihren Freundinnen, einem syrischen Flüchtlingsmädchen und dem jungen Liebespaar gemeinsam? 'La Vie' ist eine Erzählung über Generationen, die aus unterschiedlichen Perspektiven den alltäglichen Wahnsinn des Lebens aufgreift. Ein Buch mit Einblicken zu Neunfängen und Endlichkeit, ungeschönt und aus dem Leben gegriffen.

Katharina Levashova, geboren 1983 in Mautern/Donau, liebt ihren Brotberuf im Gesundheitsmanagement, wollte aber eigentlich immer nur eins: Schriftstellerin werden. Kurz vor ihrem 40. Geburtstag erfüllt sie sich diesen Lebenstraum mit ihrem Debut "La Vie". Die Autorin lebt in Österreich, hat drei Kinder und liebt neben Büchern auch Filme, Serien, Tee und Schokolade.

Prolog

Denken Sie auch manchmal darüber nach, wie fürchterlich das Leben eigentlich sein kann, wo es doch zeitgleich so wunderbar strahlt? Ich durchaus. Grundsätzlich nehme ich mir sehr viel Zeit zum Denken. Auf meinem Platz hier - auf der hölzernen Parkbank unter den alten Linden - sitze ich und sinniere vor mich hin. Es ist einer meiner vielen Lieblingsplätze in der Kleinstadt. Diese Bäume wurden vor meiner Geburt gepflanzt. Ihre Stämme sind dick, die Rinde rissig und ihre Äste knorrig. Es wurde mir einmal erzählt, diese mächtigen Gefährten könnten tausend Jahre alt werden. Es mag seltsam klingen: Die Kraft der Bäume erdet mich. Hilft mir, tief in mich hinein zu blicken, nachzudenken, über mich und mein Leben. Über andere Menschen, über meine Arbeit im Sägewerk, der ich früher einmal nachgegangen bin, die nächste Mahlzeit, einen schönen Urlaub, an den ich mich erinnere. Über die Sorgen, die mir meine Kinder machen. Immer noch, obwohl selbst deren Kinder schon Kinder haben. Die Menschen nehmen sich viel zu wenig Zeit zum Denken. Ich behaupte, wer sich mehr Zeit nimmt, um nachzudenken, trifft bewusstere Entscheidungen und ist glücklicher.

Denken sollte wieder in Mode kommen. Nicht dieses High-End-Denken, motiviert vom Erfolgstrieb, auf dem Nährboden des unendlichen Wissens, das sich die jungen Menschen in schneller Zeit anhäufen. Sondern ein Slow- Mode-Denken, das reflektiert, betrachtet, objektiviert und aufarbeitet. Den Begriff hat mein Enkel kreiert, als wir uns über genau dieses Thema unterhielten. Er sagte mir, er habe keine Zeit für diesen „slow-mode“. Ich habe etwas gebraucht, um zu begreifen, wie er das meint. Nicht, dass er sich die Zeit genommen hat, um zu verstehen, was ich ihm sagen wollte. Dafür ist er zu hibbelig. Sie wissen schon, rastlos. Dennoch lächle ich, wenn ich an ihn denke. Diese dynamischen jungen Menschen, voller Tatendrang und Euphorie, etwas zu erreichen. Egal was. Wenn sie doch nur verstehen würden, wie wichtig das Nachdenken ist. Es hilft, sich selbst besser in dieser Welt einordnen zu lernen. Die Menschen und Erlebnisse. Der Vorgang des Nachdenkens selbst entschleunigt automatisch. Bei den Menschen scheint die Maschine da oben im Kopf heutzutage immerzu auf Hochtouren zu laufen. Kein Wunder, wenn diese irgendwann überhitzt, nicht wahr? Das ist einfachste Physik.

Ein junges Paar spaziert an mir vorbei. Ich kenne die Frau vom Sehen her, doch der Mann an ihrer Seite ist neu. Jedenfalls ist er nicht von hier. Sie nickt leicht mit dem Kopf und mustert mich. Folgt meinem Blick. Aber da ist nichts, ich betrachte ja auch nichts Bestimmtes.

Wissen Sie, wenn man in einer Kleinstadt wie dieser hier lebt, ist man sich relativ schnell bekannt. Zumindest vom Sehen. Die Menschen tuscheln über mich, sie finden mich sonderbar, wie ich so dasitze. Sie wundern sich, dass ich noch lebe. Der Gedanke zaubert mir ein bubenfreches Lächeln ins faltige Gesicht. Ja, beinahe schon gehöre ich zum städtischen Inventar, nach siebenundneunzig Jahren. Es macht mir nichts aus. Ich habe sonst auch nicht mehr allzu viel zu tun.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Es ist durchaus möglich, dass Sie mir im Augenblick gar nicht folgen können, weil Sie dieses Gefühl nicht kennen. Entschleunigung. Wie soll das gehen in unserem Alltag? Sich einfach hinsetzen und starren, was soll das bringen? Wichtig ist, dass Sie in sich hineinschauen, nicht nur in die Welt hinaus. Die Welt verstehen zu wollen, ist ein Irrweg, den ich aufzugeben gedenke. Selbst das Leben ansatzweise erforschen zu können, um bessere Entscheidungen zu treffen, ist nur dann möglich, wenn man sich selbst kennt. Doch wann ist Selbsterfahrung je abgeschlossen?

Wissen Sie, manchmal hilft es mir, mit der Betrachtung der Anderen zu beginnen, um Stück für Stück zu reflektieren. Irgendwie scheinen wir mehr darauf trainiert zu sein, das Leben anderer Menschen verstehen und beurteilen zu wollen als das Eigene. Es ist nicht fair, andere zu beurteilen. Der Mensch hat gut daran zu tun, das eigene Handeln positiv zu gestalten. Es kann helfen, um an sich selbst zu arbeiten, der Mensch zu werden, der man sein möchte. Diese Arbeit hört niemals auf. Als vermeintliche Individuen ist unser Leben auf Co-Existenz in einer in sich abhängigen Gesellschaft ausgerichtet. Wir Menschen stehen in direkter Abhängigkeit zueinander. Die Reflexion gesetzter Taten ist somit unausweichlich. Haben Sie schon begonnen, in sich selbst hineinzusehen? Ihre Handlungen in Kontext zu Ihrer Umwelt zu setzen? Ihr Leid, Ihre Sorgen in Verhältnis zum Leben da draußen zu sehen?

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen von Menschen aus meinem täglichen Leben. Sie werden die Verstrickungen erkennen. Es sind Menschen mit Vergangenheit, auf der Suche nach dem Glück. Was sie alle gemeinsam haben, sind Schicksalsschläge und Hoffnung. Das Streben nach Veränderung, einem Sinn im Leben, der ihnen teilweise fehlt. Nennen wir es beim Namen: Das Leben selbst vermag eine Tragik zu schreiben, die kein Dichter, Gelehrter oder Philosoph jemals ausreichend in Worte packen könnte. Einzig die Muse selbst, sich dem Leben hinzugeben, beschert uns Menschen die Möglichkeit, das volle Ausmaß an Gefühlen zu erfassen. Getrieben sind wir, von nie zu stillenden Wünschen und Bedürfnissen. Gebeutelt im ewigen Kontinuum aus Glück und Trauer, Liebe und Hass, Hoffnung und Sorgen, treiben wir dahin. Jahr um Jahr, Monat um Monat, Woche für Woche, Tag für Tag. Keine Zeit, über sich selbst nachzudenken, hineinzuhorchen in die eigene Seele. Zu leben. Den Körper fühlen und seine Sehnsüchte erforschen.

Mein Name ist Ferdinand. Ich bin weit über neunzig Jahre alt und ich habe wahrhaftig das Gefühl, alles verläuft viel schneller, je älter ich werde. Meine Lebenszeit zerrinnt zwischen meinen knöchernen Fingern.

Ich schweife schon wieder ab. Wenn ein alter Mann ins Erzählen kommt, ja wissen Sie, dann verirrt er sich manchmal in den eigenen Gedanken. Wir wollten doch gemeinsam das Leben erforschen. Ich hatte versprochen, von mir wichtigen Menschen zu erzählen. Über diese Personen, die mir in meinen letzten Tagen so besonders nahe sind. Mich beschäftigen. Es sind Nora Neumann, Philipp Stoiber, Annabell Fuchs, Barbara Lamerana, Lieselotte Mayring und Esma Samaan. Es sind sechs Seelen aus Melk, dieser Kleinstadt an der niederösterreichischen Donau, meiner Heimat. Eine Stadt geprägt von einer herben Mischung aus Besonderem und Gewöhnlichem. Pittoresk vom Ufer her betrachtet, Kleinstadtflair mit Autobahnanbindung im Hinterland. Bekannt ist Melk vor allem wegen des imposanten gelben Klosters sowie der Eintrittsmarke in einen der schönsten Donauabschnitte überhaupt. Wenn die Touristensaison startet, spaziere ich gerne zu den Schiffsanlegestellen, um fremde Menschen zu beobachten. Das erweitert meinen Horizont und hilft mir, das Leben um mich herum fokussierter wahrzunehmen. Auch wenn ich die vielen Sprachen der Touristen nicht allesamt verstehen kann, lese ich in ihrer Mimik und Gestik. Diese Ausflüge gehören zu meinem Alltag. Meine Kriegs- und Nachkriegsjahre haben mich Sprachen gelehrt. Englisch und Französisch. Ein bisschen Slowenisch von meinem eigenen Großvater. Es ist spannend für mich, Wortfetzen von Urlaubern aufzuschnappen und zu erkennen, was mein Kopf noch alles weiß. Manches bleibt für immer. Es tut mir gut, denn meine Unterhaltung ist die Gesellschaft, zu der ich selbst nicht mehr so richtig gehöre. Die Zeit meines geselligen Lebens ist vorbei. Meine Frau und viele unserer Freunde sind gestorben oder krank. In schwachen Momenten fühlt es sich an, als würde ich auf einem Abstellgleis auf den Tod warten. Die Familie würde mich mit überschwänglicher Fürsorge überschütten, wüssten sie von diesem Gedanken. Keine reizvolle Vorstellung. Ein erwachsener Mensch braucht seine Freiräume. Ich möchte das Glück meiner großen Familie nicht schlechtreden, das sei an dieser Stelle festzuhalten. Das Leben um mich herum hält mich bei Laune. Familie ist ein wichtiger Bestandteil davon.

Meine Beobachtungen sind, als säße ich in einem Theater. Im Theater des Lebens. Meinen Logenplatz wähle ich mir täglich neu.

Wo war ich? Ach ja. Diese Seelen. Zwangsläufig kreuzen sich nicht nur ihre Wege, sondern es verändern sich auch ihre Schicksale. Mit jedem Schritt den wir tun, jeder noch so kleinen Alltagsentscheidung, bestimmen wir die Rädchen neu. Wir beeinflussen unser Schicksal und das unserer Mitmenschen. So viel ist gewiss: Alle Menschen stehen in Abhängigkeiten und unter Einfluss unterschiedlichster sozialer Beziehungen. Ein Wort, eine Tat kann alles verändern.

Das Leben ist tragisch, ja. Wie sagte ich vorhin? Fürchterlich. Ein hartes Wort, gestehe ich ein. Furcht ist eines der grausamsten Gefühle, welche die Seele peinigen können. Ein weiteres ist Traurigkeit, die ich so herb in meiner Brust spüre. Vor wenigen Monaten habe ich meine Weggefährtin und Partnerin verloren. Elisa war meine Verbündete in all den Jahren. Sie hätte es verdient, länger zu leben als ich. Wenn ich...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99139-961-X / 399139961X
ISBN-13 978-3-99139-961-2 / 9783991399612
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