BOA Regionalanästhesie (eBook)
110 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-8590-7 (ISBN)
Michael Preuss ist Anästhesist, Notarzt und interventioneller Schmerztherapeut. Er unterrichtet seit seiner frühen Assistentenzeit, später als Fach- und Oberarzt in Süddeutschland und der Schweiz alltagsnah und mit Herzblut Rettungsdienstpersonal, Pflegefachpersonen und Assistenzärzte und -ärztinnen in den Grundlagen des "besten Faches in der Medizin" - der Anästhesie. Sein Leitspruch seit jeher: "Fähig machen statt fertig machen"!
PHYSIOLOGISCHES/ PHARMAKOLOGISCHES
Pharmakologie der Lokalanästhetika
Meist beschränkt sich das chemische Wissen auf die Tatsache, dass es Lokalanästhetika als Ester und Amide gibt, dass Ester bähbäh sind wegen Allergien durch Paraaminobenzoesäure als allergenem Metaboliten und darauf, welches LA im Haus in welchen Mengen üblicherweise gespritzt wird. Man mag es vermuten: das ist zu wenig.
Lokalanästhetika zeichnen sich durch ein paar relevante physikochemische Eigenschaften und Besonderheiten aus. Zum einen sind sie amphiphile Moleküle. Heisst, sie haben je nach Umgebungs-pH lipophile oder hydrophile Eigenschaften – sind also mal mehr und mal weniger fettlöslich und damit membrangängig.
Warum ist das so? LA bestehen aus grundlegend drei Basiselementen:
- Zwischenkette als Ester- oder Amid
- lipophile aromatische Gruppe
- potentiell hydrophile Aminogruppe.
Ester-LA (oben), Amid-LA (unten)
Unsere Aminogruppe (mit so nem freien Elektronenpaar) im an sich ungeladenen Molekül kann ein Proton aufnehmen und wird damit “polar”, also geladen. Je saurer die Umgebung, desto mehr Protonen, desto wahrscheinlicher die Aufnahme. Ein Proton extra heisst, eine Ladung mehr im Molekül, womit unser LA eben nun ein hydrophiles, weil polares/ geladenes Ende entwickelt. Umgekehrt heisst das, je weniger sauer, desto wahrscheinlicher ungeladen/ apolar, desto fett-/membranlöslich.
pH sauer = geladen = wenig membrangängig
pH-abhängige Protonierung zur hydrophilen/ nicht lipophilen Form
Die Maßzahl für diese Aufnahme ist der pKs-Wert, der substanzspezifisch ist. Entspricht der pH dem pKs dann liegen hydrophile und lipophile Form in gleichen Konzentrationen vor. Wird`s saurer haben wir mehr hydrophile Form. Wird es alkalischer, dann haben wir mehr von der lipophilen Form. Nebenbei bemerkt ist die Wirkdauer und die Anschlagszeit abhängig von der Lipophilie – je lipophiler desto schneller und länger.
Mancher fragt sich: Und warum ist dieses chemische Geplänkel wichtig? Also LA wirken von intrazellulär an Natriumkanälen, die sie durch ladungsgebundene Interaktion mit einem “Spannungsfühler” im Inneren des Kanals blockieren. Damit bleiben die Depolarisation und Schmerzweiterleitung aus. Um aber den Natriumkanal zu blockieren benötigt es geladene Moleküle. Damit aber diese Moleküle von intrazellulär in den Kanal geraten können, muss unser LA erstmal quer über die Membran diffundieren und dazu muss es wiederum ungeladen und lipophil sein. Also ungeladen diffundiert das LA zum Wirkort, geladen blockiert es den Natriumkanal von intrazellulär. Angeblich beschleunigt motorische Aktivität den Anschlag, sozusagen durch Öffnung der Kanäle und damit leichteres Eindringen von Agens zum Wirkort. Well.
Lokalanästhetika wirken über die reversible Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle peripherer Nerven.
Jedes LA hat einen spezifischen pKs-Wert als Ausdruck der Dissoziation in wässrigem Millieu. Als negativer dekadischer Logarithmus der Konzentrationen von protonierter und nicht protonierter Form ergibt sich aus der Dissoziationskonstante Ks ohne, dass wir hier näher drauf eingehen die Henderson-Hasselbalch-Gleichung:
pH = pKs – log10 [c(LA-H+)/c(LA)] oder pH = pKs + log10 [c(LA)/c(LA-H+)]
Entsprechen sich pH und pKs, dann liegen lipophile und hydrophile Form im Verhältnis 1:1 vor. Nun liegen die pKs-Werte unserer üblichen LA im Bereich zwischen 7,7 und 9,1. Das heisst vom LA aus gesehen ist “physiologisch” (also pH 7,35-7,45) schon sauer. Ergo liegt bereits unter physiologischen Bedingungen wesentlich mehr protonierte also nicht membrangängige Form vor. Entzündet sich nun unser Gewebe auch noch, sinkt der pH weiter. Deshalb wirken LA direkt im entzündeten Areal nicht mehr ausreichend. Eine Leitungsanästhesie weiter zentral ist aber – im gesunden Gewebe – dennoch möglich!
> Je saurer das Gewebe im Injektionsareal (Entzündung!) desto weniger wirken LA (v.a. protonierte – nicht membrangängige Form!)
Ester | pKs | Vert.koeff. | Prot.bind | WD |
Procain | 8.9 | 1.7 | 6 | kurz |
Chlorprocain | 8.7 | 9 | – | kurz |
Tetracain | 8.6 | 4.1 | 75.6 | mittel |
Amide | pKs | Vert.koeff. | Prot.bind | WD |
Prilocain | 7.9 | 25 | 55 | mittel |
Lidocain | 7.9 | 43 | 64 | mittel |
Mepivacain | 7.6 | 21 | 78 | mittel |
Bupivacain | 8.1 | 346 | 95 | lang |
L-Bupivacain | 8.2 | 346 | 93.4 | lang |
Ropivacain | 8.2 | 115 | 94 | lang |
Etidocain | 7.7 | 800 | 94 | mittel |
“Ion trapping” sollte man auch mal gehört haben. Soll heissen, wenn in zwei benachbarten Kompartimenten eines einen niedrigeren pH hat, dann diffundiert LA dorthin, wird protoniert und kommt als nicht mehr lipophiles Molekül nun nicht mehr zurück über die Membran. Das kann intrazellulär sein, zum Beispiel dauert die Abdiffusion von LA aus dem Reizleitungsgewebe eines reanimierten Herzens wesentlich länger, aber auch ein minderperfundiertes Kind mit Azidose unter Geburt wird so zum LA-Magneten und zur LA-Falle!
Es gibt bei Wirkeintritt eine typische Sequenz des Ausfalls der neuronalen Qualitäten, dabei sind Faserdicke und Myeliniserung relevant. Beide verlängern die Diffusionsstrecke, ergo müssten zunächst dünne und wenig bis unmyelinisierte Anteile ausfallen, die dicken Fasern mit starker Umhüllung kämen zuletzt. Schauen wir uns die Nervenfasertypen an: Die Faserdicke nimmt jeweils von Aα bis C ab. Die Myeliniserung nimmt ebenfalls im selben Sinne ab, C-Fasern sind unmyelinisiert. Also müssten die jeweiligen Qualitäten dank abnehmender Diffusionsstrecke/-barriere in umgekehrter Reihenfolge von C nach Aα ausfallen. Und so ist es auch:
- viszerale Analgesie & Sympathikolyse mit Vasodilatation (B/C-Fasern)
- Verlust von Wärmeempfinden (“Wo ist noch kalt?”) und somatische Analgesie (“Schnitt”) (Aδ)
- Verlust von Propriozeption (Aγ) und taktiler Sensibilität (Aβ)
- Parese (Aα)
Abgebaut werden Ester und Amide unterschiedlich. Bei den Estern entsteht über Pseudocholinesterasen hochallergene para-Aminobezoesäure (PABA), was dazu geführt hat, dass Ester-LA wegen allergischer Nebenwirkungen kaum mehr verwendet werden (außer Chloroprocain als kurzwirksames LA für die ambulante Spinale). PABA wird hepatisch zu Aminoalkoholen und Carbonsäuren abgebaut, die renal ausgeschieden werden. Amide werden hepatisch abgebaut (Hydroxylierung, Dealkylierung, Konjugation mit Glucuronsäure) und renal eliminiert.
Die Nebenwirkungen erklären sich aus der Wirkung an den erwähnten spannungsabhängigen Natriumkanälen. Die gibt`s an faktisch allen Nervenfasern, weshalb sowohl das ZNS als auch das Reizleitungssystem unseres Herzens betroffen sind und bei der Intoxikation (“LAST – Lokalanästhetikabedingte systemische Toxizität”) im Vordergrund stehen. Die Übergänge sind hier fließend bis perakut. Die Lösung heisst LipidRescue… dazu an anderer Stelle mehr, hier reicht zu wissen, wo es bei euch im Notfall zu finden ist. Merken darf man sich aber gern, dass Prilo und Lido ganz gut verträglich sind, Bupi und Ropi eine relative Affinität zum Reizleitungssystem haben und aufgrund ihrer Lipidlöslichkeit auch schnell dort landen, was ihre Toxizität erhöht.
LAST – Lokalanästhetikabedingte systemische Toxizität
Prilocain bringt noch eine spezifische Nebenwirkung mit: es ist ein Methämoglobinbildner über sein Stoffwechselprodukt ortho-Toluidin, das aus dem Häm-Zentralatom Eisen-II schnell wenig sauerstoffaffines Eisen-III macht. Kinder aufgrund eines Mangels an MetHb-Reduktase, Lungenerkrankte, G6P-Dehydrogenasemagelnde und KHKler sollten bei höheren Dosis Prilocain (jenseits der 600 mg wird`s auch beim Erwachsenen potentiell tödlich!) fragende Falten auf die Stirn zaubern.
Dosierungen sind ein Thema. Man sollte wissen und berechnen können, was man da so an Dosis bewegt. Ein Rechenbeispiel gefällig?
Wie viel mg sind 2 ml einer 0,5%igen Ropivacain-Lösung?
Der Vereinbarung nach enthält eine 1%ige Lösung 10 mg/ml Wirksubstanz. Also enthalten 2 ml einer 0,5%igen Lösung 2x 5 mg, also 10 mg Ropivacain.
Jetzt weißt du, was du spritzt, aber passt die Menge auch zu Lieschen Müller? Deshalb sind...
Erscheint lt. Verlag | 22.3.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Anästhesie |
ISBN-10 | 3-7562-8590-1 / 3756285901 |
ISBN-13 | 978-3-7562-8590-7 / 9783756285907 |
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