Tod eines Mörders -  Ann Marie Ackermann

Tod eines Mörders (eBook)

Ein spektakulärer Kriminalfall aus dem 19. Jahrhundert
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
304 Seiten
Silberburg-Verlag
978-3-8425-2307-4 (ISBN)
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Ann Marie Ackermann präsentiert mit ihrer Chronik eines Mordfalls aus dem 19. Jahrhundert ein veritables Stück Mikrogeschichte, das ein helles Licht auf den umgebenden Kontext zu werfen vermag. Der Bericht von einem kriminellen Auswanderer aus Deutschland, der seine Geheimnisse mit in die USA nahm und dort im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg starb, liest sich spannender als ein erfundener Krimi - und die Auswirkungen reichen bis in unsere Tage. Das Buch erhielt 2018 in den USA den Independent Publisher Book Award, true crime, bronze.

Bevor die gebürtige Amerikanerin Ann Marie-Ackermann nach Deutschland ging, war sie Staatsanwältin im Staat Washington. 15 Jahre lang nach ihrem Umzug war sie Übersetzerin, vor allem im juristischen und psychiatrischen Bereich, wobei ihr die Erfahrung mit dem Strafrecht natürlich zugute kam. Sie schreibt wissenschaftliche Texte in Englisch und Deutsch. Auch über ihr Hobby Ornithologie hat sie breit veröffentlicht. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in einer kleinen, von Weinbergen umgebenen baden-württembergischen Stadt.

Bevor die gebürtige Amerikanerin Ann Marie-Ackermann nach Deutschland ging, war sie Staatsanwältin im Staat Washington. 15 Jahre lang nach ihrem Umzug war sie Übersetzerin, vor allem im juristischen und psychiatrischen Bereich, wobei ihr die Erfahrung mit dem Strafrecht natürlich zugute kam. Sie schreibt wissenschaftliche Texte in Englisch und Deutsch. Auch über ihr Hobby Ornithologie hat sie breit veröffentlicht. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in einer kleinen, von Weinbergen umgebenen baden-württembergischen Stadt.

Kapitel 2


Tatort Bönnigheim – 1835


Bönnigheims Schloss mit dem St.-Georgs-Brunnen im Vordergrund. Stadtschultheiß Rieber ging auf seinem Weg nach Hause an diesem Brunnen vorbei.

Als der Bönnigheimer Stadtschultheiß Johann Heinrich Rieber am 21. Oktober 1835 die Gaststätte »Waldhorn« verließ, bemerkte er den Mann nicht, der, sein Gewehr an sich gedrückt, in der Dunkelheit hinter ihm herschlich. Hätte er ihn rechtzeitig bemerkt, wäre er vermutlich mit dem Leben davongekommen.

Aber der Stadtschultheiß war zu sehr mit seiner eigenen Trauer beschäftigt, als dass er seiner Umgebung gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Er hatte an jenem Nachmittag der Beerdigung eines ortsansässigen Metzgers beigewohnt. Und das rief schmerzliche Erinnerungen an seinen eigenen Verlust wach: Genau vor einem Jahr hatte die Beerdigung seines besten Schulkameraden – eines Kommunalpolitikers, der ihm geholfen hatte, die neue Schule zu gründen – stattgefunden. Seit dem plötzlichen Tod des Freundes im Oktober 1834 bemerkte Bönnigheims Pfarrer eine neue, nachdenkliche Verzagtheit im Wesen des Stadtschultheißen. Rieber trauerte auch bei der Beerdigung des Metzgers, und der Pfarrer bemerkte es. Später beschrieb er Riebers Stimmung als »besonders ernsthaft«.13

Bönnigheim, eine Kleinstadt im Königreich Württemberg, umgeben von Weinbergen, lebte hauptsächlich von der Weinherstellung und dem Gaststättengewerbe. Mitten durch die Stadt lief ein wichtiger Handelsweg. Die Bewohner hatten Rieber 1823 zum Stadtschultheißen gewählt. Damals war er 29 Jahre alt. Anfangs ermutigt von dem ihm geschenkten Vertrauen, entdeckte Rieber bald, dass seine Jugend und Unerfahrenheit ihm zum Nachteil gereichten; für die Stadtbewohner war es leichter, einen jungen Stadtschultheißen zu beleidigen und zu bedrohen als einen älteren, erfahreneren Beamten. In den ersten Jahren seiner Amtszeit sorgten umherstreichende Banden ungestümer Jugendlicher für Aufruhr, die die Nachtruhe störten und sogar Gottesdienste unterbrachen. Rieber reagierte darauf mit drakonischen Strafen. Sein Bemühen, den Respekt der Stadtbewohner zu gewinnen, prägte die ersten Jahre des auf Lebenszeit berufenen Mannes. Jetzt, im Alter von 41 Jahren, hatte er diesen Kampf weitgehend gewonnen. Seine Antwort auf die Provokationen der Jugendlichen bestand in der Gründung einer Knabenschule, um für die nötige Bildung zu sorgen. Er wandte dafür 900 Gulden – etwa den halben Wert seiner Wohnung – auf.14

Am Abend des 21. Oktober 1835 war der unverheiratete und kinderlose Stadtschultheiß so erschöpft, dass er beim Abendessen einschlief. Das »Waldhorn« wurde von seinem älteren Halbbruder Karl Friedrich und dessen Frau Rike (Friederike) betrieben. Rike bediente ihn im Nebenzimmer. Die Deutschen aßen im 19. Jh. ihr Abendessen warm, wie z. B. Spätzle mit Linsen und Wurst. Zu dieser Jahreszeit genossen die Leute den moussierenden, nur leicht vergorenen neuen Wein aus den Keltern. Rike sagte aus, Stadtschultheiß Rieber sei zwischen sieben und halb acht Uhr abends angekommen. Er habe allein gesessen, gegessen und nur einen halben Schoppen getrunken. Er habe ihr gesagt, er sei müde, und habe mehr als eine Stunde lang auf dem Sessel geschlafen. Einige Stadtbewohner – ein Schuhmacher, ein Dreher und zwei Förster – seien gekommen und hätten im »Waldhorn« gespeist, aber der Schultheiß habe trotz ihrer Gespräche weitergeschlafen. Die anderen Gäste seien vor Rieber heimgegangen.15

Stadtschultheiß Rieber hatte einen kräftigen Körperbau, war von mittlerer Größe und trug eine Brille. Er trug wohl die übliche Trauerkleidung der Zeit: schwarze Hose, Weste und Jacke, ein breites, schwarzes Halstuch und einen großen Umlegekragen.16

Die zwei Förster im »Waldhorn«, Ludwig Schwarzwälder und Eduard Vischer, genossen den Abend zu zweit. Ihr Chef war über Nacht verreist. Sie hatten eine Menge zu besprechen. Die Jagdsaison hatte begonnen, und das Forstamt führte Bewerbungsgespräche durch für eine Stelle als Waldschütz. Gegen halb zehn Uhr standen sie auf, zogen ihre dunkelgrünen, mit schwarzem Kragen verzierten Forströcke über ihre gelben Westen und gingen.17 Schwarzwälder und Vischer nahmen den gleichen Weg, den der Stadtschultheiß später gehen sollte. Ihr Ziel war kaum 150 Meter entfernt, wo die ungepflasterte Hauptstraße in den Schlosshof mündete. Ein barockes Schloss, Bönnigheims größtes Gebäude, beherrschte den Platz. Die Förster arbeiteten nicht nur im Schloss, sondern wohnten auch dort. Einst war der Adel – und auch Deutschlands erste Bestsellerautorin Sophie von La Roche – im Schloss zu Hause gewesen, aber jetzt beherbergte es das regionale Forstamt und bot Wohnungen für einige Mitarbeiter.18 Keiner der beiden Männer bemerkte etwas Außergewöhnliches auf dem Heimweg. Sobald sie das Schloss erreichten, stiegen sie die Treppen zu ihren Schlafzimmern hoch und machten sich zum Schlafen bereit. Schwarzwälder ging mit in Vischers Zimmer, um noch eine Weile mit ihm zu plaudern.19

Gegen Viertel vor zehn Uhr stand auch der arglose Stadtschultheiß aus seinem Sessel auf, zog seinen schweren blauen Rock über die schwarzen Kleider, zündete seine Laterne an und steuerte heimwärts. Sobald er aus der Tür und auf die Straße trat, roch er den schweren Traubenduft, der durch die Straßen und Gassen wehte, Nebel aus Burgunderrot und zartestem Gold, wie immer, wenn die Keltern in Betrieb waren. Bönnigheim hatte vier Keltern innerhalb der Stadtmauern, und bis in den späten Oktober 1835 waren alle damit beschäftigt, die Tagesernte an Silvaner, Elbling und Trollinger zu pressen. Das Holz knirschte bis spät in die Nacht, wenn die Kelterknechte die Spindelgriffe der massiven Baumpressen bewegten und der süße, klebrige Nektar in die hölzernen Auffangbehälter floss. Es war ein guter Jahrgang: Der Weinherbst 1835 war ertragreicher als sonst.20

Vom »Waldhorn« neben dem Rathaus bog Stadtschultheiß Rieber rechts auf die Hauptstraße ein. Der Stadtschultheiß wohnte neben dem Schloss im »Kavaliersbau«, welchen er mit dem Stadtarzt, Dr. Nellmann, der über Riebers Wohnung wohnte und praktizierte, und einem Unterförster namens Ernst Philipp Foettinger, der in einem hinteren Flügel wohnte, teilte.21

Es war dunkel und still auf Bönnigheims Hauptverkehrsader. Die weiche, feuchte Erde der ungepflasterten Straße dämpfte den Trittschall. Riebers Laterne war die einzige Lichtquelle. Noch erhellten keine Gaslaternen Bönnigheims Straßen, und es war Neumond in jener Nacht. Die einzige andere Beleuchtung kam vom trüben Licht der vereinzelten Zimmeröllampen, das durch die Vorhänge sickerte. Enge Gassen auf beiden Seiten der Straße verschwanden in die Dunkelheit. Sie schienen menschenleer. Stadtschultheiß Rieber sah niemanden auf der Hauptstraße.

Auf halbem Weg nach Hause hörte er etwas. Zwei Schüsse zerrissen knallend die Nacht. Sie klangen, als kämen sie von links, vom Kirchhof und dem Unteren Tor her. Rieber störte es, dass jemand in der Stadt schoss. Er fühlte sich aber nicht bedroht und setzte seinen Heimweg fort.22

In der Tat geriet Rieber in Gefahr, seit er das Lokal verlassen hatte, aber er war arglos, es drängte ihn nicht nach Hause. Als er den St.-Georgs-Brunnen passierte und den Schlosshof erreichte, öffnete sich der bedeckte Himmel. Und wenn es irgendetwas gab, was den Stadtschultheißen auf dem Heimweg ablenkte, dann war es der Himmel über ihm. Der Halleysche Komet hatte nach fast 77 Jahren den Punkt der größten Annäherung an die Erde wieder erreicht. Seit 1378 hatte er seine Bahn nicht so nah an der Nordhalbkugel gezogen. Der Kometenschweif dehnte sich über eine Länge des zwölffachen Monddurchmessers aus. Seit Anfang September verschleierten Regen und Nebel Halley in Süddeutschland. Eine Zeitung bejammerte die Bescheidenheit des Kometen und »dass er seine Reize nicht öffentlich zur Schau geben will, sondern sie beständig im Nebelgewölke hüllt«23. Heute aber war Neumond, der Himmel klarte auf und bot die beste Sicht seit Wochen. In Erwartung der Begegnung mit Halley blickte der Stadtschultheiß nach oben, nicht um sich.24

Ein großer Eisenzaun trennte den öffentlichen Schlosshof vom inneren, privaten Hof. Um sein Haus zu erreichen, musste Rieber durch ein vier Meter breites Holztor zwischen Zaun und Waschhaus schreiten, wo ein Förster namens Stölzle zu Hause war. Dieses Tor führte zum Kavaliersbau, wo Rieber wohnte. Es war geschlossen, hatte aber eine kleine Tür, die gerade groß genug war, dass eine Person hindurchgehen konnte, die normalerweise offen stand. Der Stadtschultheiß ging durch diese Tür, bog rechts ab und lief auf die Haustür zu. Nur wenige Schritte trennten ihn von seiner...

Erscheint lt. Verlag 11.11.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Schlagworte 19. Jahrhundert • Auswanderer • historisch • Krimi • Kriminalfall • Mexikanisch-Amerikanischer Krieg
ISBN-10 3-8425-2307-6 / 3842523076
ISBN-13 978-3-8425-2307-4 / 9783842523074
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