Was es bedeutet, eine Mutter zu werden (eBook)

Die Superkräfte von Müttern und was die Wissenschaft heute darüber weiß
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2619-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was es bedeutet, eine Mutter zu werden -  Abigail Tucker
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Ein Kind zu bekommen bedeutet weit mehr als schlaflose Nächte und Schwangerschaftsstreifen. Denn die Natur stattet werdende Mütter mit absoluten physischen und psychischen Superkräften aus. Und das aus gutem Grund: Sie und ihr Baby leben in einem Rhythmus, und das mütterliche Gehirn wird während Schwangerschaft und Stillzeit so neu strukturiert, wie es vorher nur in der Pubertät passiert. Wir alle wissen, wie Babys entstehen - aber wie entstehen Mütter? Was es bedeutet, eine Mutter zu werden ist ein Buch, das sich ganz den neuesten Erkenntnissen der Mütter-Forschung widmet. Viel zu lange wurden Frauen, die Kinder bekommen haben, von der Wissenschaft nämlich übersehen. Mit leichtem Ton, faszinierenden wissenschaftlichen Fakten und zahlreichen Geschichten aus ihrer eigenen Erfahrung erzählt Abigail Tucker von der Heilkraft fetaler Stammzellen, was es mit mütterlicher Aggression auf sich hat und warum Mamas Gehirn 'leuchtet', wenn sie ein Baby weinen hört.

Abigail Tucker ist Journalistin und Autorin für verschiedene Magazine und Zeitungen und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in New Haven, Connecticut.

Abigail Tucker ist Journalistin und Autorin für verschiedene Magazine und Zeitungen und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in New Haven, Connecticut.

Kapitel 1
Mutterinstinkte zwischen Dichtung und Wahrheit


Was durch die Schwangerschaft so alles passiert – und was nicht

»Mama.« Die hartnäckige Tiefschläferin neben mir zeigt keinerlei Reaktion. Schlaftrunken dämmert mir, dass sie ihr Hörgerät herausgenommen hat. Egal. Eigentlich habe ich meine 71-jährige Mutter ja sowieso nur in diesen Schlafraum auf der Rückseite eines windumtosten Schafzuchthofs mitten in Connecticut mitgeschleift, um ein bisschen moralische Unterstützung zu bekommen.

Mom und ich halten heute Abend Wache in dem riesigen windschiefen Stall neben dem Hof, wo wir uns das Lager teilen. Wir beaufsichtigen vierzehn hochträchtige Mutterschafe; einige werden wahrscheinlich noch in dieser eisigen Märznacht ablammen. Alle zwei Stunden sollen wir nach ihnen schauen. Natürlich bin ich beim ersten Weckerklingeln meines Handys aus dem Schlaf hochgeschreckt. Zu Hause habe ich schließlich drei Kinder, die noch immer zu den unmöglichsten Zeiten aufwachen. Einsätze in finsterer Nacht sind mir also wohlvertraut. Meine Mutter ist zwar inzwischen etwas aus der Übung, trotzdem sind wir innerhalb kurzer Zeit bereit.

Die meisten der übernächtigten Freiwilligen kommen hierher in der Hoffnung, früher oder später neugeborene Lämmer mit zartrosa Näschen und knubbligen Knien im Arm halten zu können, doch ich bin wegen der Schafmütter hier. Schafstudien sind nämlich äußerst aufschlussreich für Wissenschaftler*innen, die sich für die Auslöser mütterlicher Verhaltensmuster interessieren, und damit für die ersten Momente des Mutterseins. Schafe sind Herdentiere, deren Nachwuchs schon kurz nach der Geburt von einer riesigen unübersichtlichen Menge Hunderter Tiere verschluckt wird. Entsprechend rasant verläuft die Mutter-Kind-Bindung:34 Dreißig Prozent der Mutterschafe können ihre Lämmer schon gleich nach der Geburt in der Gruppe identifizieren, alle anderen ziehen innerhalb von vier Stunden nach.

Draußen ist es so kalt, dass die Sterne glänzen wie Tränen.

Es knirscht unter unseren Füßen, als meine Mutter und ich über das verschneite Gras laufen. Wir betreten den stockfinsteren Stall und werden von Wärme und strengem Schafsgeruch eingehüllt. Im Geiste gehe ich noch mal die Notfallmaßnahmen durch, die wir anwenden sollen (die nervenaufreibendste erfordert, Lämmer ohne Lebenszeichen kreisförmig über unseren Köpfen zu schwingen), falls es bei einer Geburt zu Komplikationen kommen sollte und die Verwalterin es nicht rechtzeitig hierherschafft. Man hat uns eine laminierte Broschüre gezeigt, in der die ganzen beängstigenden Knäuelformen abgebildet sind, die die Beinchen von Schafzwillingen und -drillingen unter der Geburt so bilden können. Und einer der Gründe, warum ich bisher nicht gerade gut geschlafen habe, ist die Tatsache, dass das Lady 56 genannte Schaf, das letztes Jahr fünf Lämmer geboren hat, jeden Augenblick niederkommen kann.

Ich atme tief ein und schalte das Licht an.

Nichts. Die Mutterschafe haben sich nicht auf wundersame Weise in Mamas transformiert. Stattdessen malmen sie gleichmütig Heu wie eine Clique kaugummibegeisterter Teenager. »Futtern die wirklich die ganze Nacht?«, flüstert meine Mutter mit einem Unterton von Neid in der Stimme (ich habe nur einen Müsliriegel für sie dabei). Die Schafe sind riesig und sanftmütig; gleichwohl streifen sie mit ihren enormen Bäuchen manchmal ein anderes Muttertier. »Sie haben keine Ahnung, wie enorm rund sie sind«, hatte uns ein Mitarbeiter der Farm gewarnt – eine Einschätzung, die Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel sicherlich nachvollziehen können.

Wir kontrollieren die Schafe auf typische Anzeichen für eine bevorstehende Geburt: hervortretende Augen, gereckte Hälse, geschürzte Lippen. Ich untersuche wollige Hinterteile auf der Suche nach Fruchtblasensäcken (»sieht aus wie eine Wasserbombe, die hinten raushängt«, hatte man uns gesagt) und Schleimpfropfen (»wie ein Rotzhaufen«). Zuvorkommend hebt Lady 56 den Schwanz, als ich vorbeikomme, und heraus fällt ein niedliches Häufchen schokorosinenartiger Köttel. Sie seufzt, dann rülpst sie. Heute Nacht werden die Lämmer nicht mehr kommen, meiner braven Nachtwache zum Trotz.

Doch als ich ein paar Wochen später wieder dort bin, ist der Stall eine völlig andere Welt. Eins nach dem anderen, oder drei nach drei anderen, je nachdem, kamen die Lämmer zur Welt, und jetzt springen sie im Stall herum wie Popcorn in einem heißen Topf.

Und ihre Mütter sind völlig andere Wesen.

Nicht nur, dass sie im Vergleich zum letzten Mal, als sie an schlimmer Blähsucht zu leiden schienen, nun fast lachhaft dünn aussehen. Auch ihr Verhalten hat sich radikal verändert. Ich lasse mich auf einem Heuballen mitten im Getümmel nieder, um ein Euter in Augenschein zu nehmen, und achte nicht auf die schnuckeligen Neuankömmlinge, die an meinen Ellenbögen und an meinem Notizbuch knabbern.

Mit dem schwesterlichen Seit-an-Seit-Mampfen ist es aus und vorbei. Die frischgebackenen Schafmamas sind regelrecht griesgrämig und lieber für sich allein, was für ein Herdentier sehr ungewöhnlich ist. Zwei Mütter raufen sich um einen Platz an der Krippe, sie rammen einander mit den Köpfen, wie das sonst nur Schafböcke tun. »Sie sind permanent in höchster Alarmbereitschaft«, erklärt Laura Mulligan, die Verwalterin von Hickories, wie die Farm heißt. »›Wer berührt mich da? Wo ist mein Kleines? Wo ist mein anderes Kleines?‹, ist alles, was sie interessiert. Die Lämmer suchen sich irgendwo Milch, egal, bei wem. Ihre Mütter müssen sich darum kümmern, dass alles passt.« Das tun sie, indem sie auf der Suche nach ihren Kleinen komische Laute ausstoßen – eine Art tiefes Blöken, auch »Muttergrummeln« genannt, das nur Schafe von sich geben, die gerade abgelammt haben.

Schaf Nummer 512 durfte mit ihrem Nachwuchs gerade erst aus ihrem »Loch«, genauer gesagt aus ihrer Ablammbucht, in der sie mit warmem Melassewasser wieder aufgepäppelt worden ist. Sie ist eins der wenigen schwarzen Schafe in der Herde, aber ihre zwei Lämmer sind schneeweiß wie alle anderen und verschwinden sofort in der Menge wie zwei Flocken im Schneesturm. Es scheint unmöglich, festzustellen, welches Lamm zu welcher Mutter gehört. Eine Millisekunde lang durchzuckt Panik die Herde, und in einer Art Schaf-Memory finden Große und Kleine wieder zueinander. Auch die schwarze Schafmama spürt unter den ganzen gleich aussehenden Lämmern ihre eigenen Schnuckelchen wieder auf, wie sie im roten Licht einer Heizlampe dösen.

Hofbesitzerin Dina Brewster kann sich an diesem Schauspiel nicht sattsehen. Sie ist selbst gerade erst Mutter geworden, und ein buntes Durcheinander aus Baby- und Ablammausrüstung ist überall verstreut. (Einen Moment lang halte ich ein im Stall hängendes Bocksprunggeschirr für eine Babytrage.) Oft fragt sie sich, was die Tiere wohl denken.

»Was da passiert, ist ein Riesenrätsel – aber es stecken bestimmt jede Menge Hormone dahinter«, sagt sie, den Blick von einer Galerie aus auf das Gedränge unter ihr gerichtet. »Ich frage mich immer, wie sie das machen. Und woher sie das alles überhaupt wissen?!«

Auf der Suche nach den Ursachen für die schlagartige Transformation von Schafen in Mütter nehmen einige Forscher den Geruchssinn der Tiere ins Visier. Denn zumindest für Schafe ist die Nase ein Hauptauslöser für Mutterverhalten. In einer Versuchsanordnung wurden Lämmer in durchsichtige, luftdichte Boxen verfrachtet, durch die die Mutterschafe sie zwar sehen, aber nicht riechen konnten.35 Die Mamas verloren schnell das Interesse. Waren die Lämmer hingegen in blickdichten, aber luftdurchlässigen Boxen aus Metallgewebe versteckt, verhielten sich die Mütter weiterhin mamamäßig.

Schafmütter speichern den spezifischen Geruch ihrer Kleinen sofort nach der Geburt und können »Schwindlerlämmer« sofort erschnüffeln:36 2011 gab ein Forscherteam in einem Experiment sein Bestes, um Mutterschafen fremde neugeborene Lämmer unterzuschieben, die dafür eigens in clever konzipierte Jäckchen gesteckt wurden. Diese waren mit einem künstlich hergestellten Geruch imprägniert, der demjenigen des echten Nachwuchses fast völlig entsprach, aber eben nicht komplett identisch mit dem Original war, das aus über hundert flüchtigen organischen Verbindungen besteht. Die Mütter ließen sich nicht täuschen. Sie kennen den spezifischen Geruch ihrer Kleinen bis aufs letzte Molekül.

Ist so ein Power-Riecher auch ein Markenzeichen für mensch­liche Mutterliebe? Bis zu einem gewissen Grad schon: So beglückten kanadische Forschende frischgebackene Mütter mit Mini-Eisbechern von Häagen-Dazs.37 Darin befanden sich jedoch (gemeinerweise) weder Cookies & Cream noch Salted Caramel, sondern mit diversen Gerüchen imprägnierte Wattebällchen, darunter auch spezifische Babydüfte. Und siehe da: Den Müttern gelang es häufig, das Bouquet ihres Nachwuchses zu erschnüffeln.

Und doch bietet diese...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2021
Übersetzer Susanne Reinker
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Schwangerschaft / Geburt
Naturwissenschaften
Technik
Schlagworte Babys • Hirnforschung • Hormone • Kinder • Körper • Mütter • Mütterforschung • neurobiologisch • pop science • Schwangerschaft
ISBN-10 3-8437-2619-1 / 3843726191
ISBN-13 978-3-8437-2619-1 / 9783843726191
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