Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal (eBook)

4. aktualisierte Auflage 2018
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99661-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal -  Christian Kracht,  Eckhart Nickel
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Völlig aktualisierte Neuausgabe Wer mit Christian Kracht und Eckhart Nickel nach Nepal reist, wird zum Zeitzeugen und Zivilisationsforscher zugleich. Er ist mit den beiden vor Ort, als der letzte König mit einem Coup d'État die Macht ergreift - und kurz darauf die Monarchie ihr Ende findet. Der Leser erlebt die Reinkarnation Buddhas unter dem Geburtsbaum des Meisters. Trinkt Tee mit dem Maoisten Prachanda. Erfährt, wie der Alltag berühmter Hippies in der Freak Street aussah, warum mit Barney Kessel der Jazz nach Kathmandu kam und was man heute braucht, um preiswert eine eigene Fluglinie zu gründen. Warum man einmal im Jahr das Annapurnamassiv umrunden und zur heiligen Quelle von Muktinath pilgern sollte und wie der Geist von Hermann Hesse in Nepal fortlebt. Namaste!

Christian Kracht, 1966 geboren, arbeitete als Journalist für die B.Z. und Tempo, bevor er Mitte der Neunziger als Indienkorrespondent für den Spiegel mehrere Jahre nach Neu Delhi ging. Anschließend lebte er längere Zeit in Bangkok und bereiste von dort aus verschiedene Staaten Asiens. Seine asiatischen Reisereportagen veröffentlichte er unter dem Titel »Der gelbe Bleistift«. Gemeinsam mit Eckhart Nickel verfasste er den Reiseklassiker »Ferien für immer« und die bei Piper vorliegende »Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal«.

Wege nach Nepal


Klöster –

Dachfirst, Schutz und Höhle!

Station oder Endstation der Reise –

Ach, vergiß es.

Wenn ich Wasser bin,

dann schwimme ich die Reise eben

Wenn Du Wasser bist,

dann

ist es wieder das Marihuana gewesen.

Ishwar Ballabh

Nepal ist uneinnehmbar. Die Anreise in das Hochtal von Kathmandu prägt entscheidend den ersten Eindruck, den der Neuankommende von Nepal gewinnt. Das leider nahezu eisenbahnlos gebliebene Land (siehe Postskriptum dieses Kapitels) erlaubt, genau genommen, nur zwei Möglichkeiten des rapprochement: zu Fuß beziehungsweise mit dem Bus, was bei der immer noch stark vernachlässigten Straßenbauarbeit manchmal auf dasselbe hinausläuft, oder per Flugzeug. Der Landweg, zumeist von Indien – seltener vom tibetanischen Lhasa kommend –, trägt immer noch den Makel des verzweifelten Versuches der britischen Armee, im neunzehnten Jahrhundert Nepal zu erobern.

Beflügelt durch ihre kolonialen Erfolge, marschierten die Briten aus der subkontinentalen Tiefebene los, das lockende Ziel in Form von schneebedeckten Berggipfeln immer so vor Augen wie bei den in Tim in Tibet beschriebenen Alkoholwanderungen Kapitän Haddocks. Doch bald mussten sie erkennen, dass vor der Einnahme von Kathmandu noch das Überwinden der sogenannten Mahabharat-Kette geleistet werden musste, ein besonders durch die unzähligen Stechmücken, die in den mannigfaltigen Verzweigungen der aus dem Gebirge herabfließenden Karnali-, Yaranali- und Bagmati-Flüsse gute Lebensbedingungen vorfanden, schwieriges Unterfangen. Bald verlangsamte sich der Treck – nicht durch Kämpfe, sondern durch unzählige Malariatodesfälle, die von den hinter Wegbiegungen versteckten Magar-Nepalis hocherfreut beobachtet wurden. Schließlich glich das Los der Briten tatsächlich dem Kapitän Haddocks, der irgendwann beim Laufen betrunken einschläft und träumend gegen eine Steinstupa rennt – aus, vorbei. Das Gebirge wird im Volksmund seitdem auch gern Malariabarata genannt.

Nepal wurde also, trotz der Anstrengungen des Empires, niemals kolonialisiert, was einerseits an den Anopheles-Schwärmen lag, andererseits aber auch an der fast erschreckenden Renitenz des kleinen Volkes im Himalaja.

Im Vertrag von Sigauli aus dem Jahre 1810 sicherte sich Großbritannien das winzige Königreich Sikkim und einen Teil des südnepalesischen Flachlandes, das Terai. Dafür wurde die Unverletzlichkeit der Grenzen Nepals garantiert – von 1816 bis ins Jahr 1952 galt Nepal als verschlossenes Land, Ausländer durften sich nicht dort aufhalten, und der britische resident und seine wenigen Mitarbeiter waren die einzigen Fremden, die Kathmandu bis Anfang der Fünfzigerjahre überhaupt zu Gesicht bekamen. Bis ins Jahr 1952 also war das Land gleichsam im Mittelalter stehengeblieben. Ungefähr zeitgleich mit der Unabhängigkeit Indiens erschien ein neuer König, Seine Majestät Tribhuvan Bir Bikram Shah, der das Land öffnete und modernisierte.

Durch diese gut 150 Jahre währende Abgeschiedenheit erklärt sich auch der fast katatonische Schock, in dem sich die Nepalis nur wenige Jahre später, 1966, befinden sollten und der bis heute deren Mentalität auf entscheidende Weise prägt; 1966, genauer, zu Weihnachten in diesem Jahr, kamen die ersten Hippies.

Ahnvater der Erkenntnisreisenden war, ist und bleibt Hermann Hesse, sieht man von Waldemar Bonsels einmal ab. Inspiriert von Hesses Morgenlandfahrt, in der er beschrieb, wie die Pilgersehnsucht gen Subkontinent in die westlichen Herzen wie ein Meteor eingeschlagen war, brachen die zivilisationsmüden Glückssucher auf, mit einem verlockenden Mantra als Reisegebet: »Christmas ’66 in Kathmandu«.

Irgendwann im sehr stickigen, schwülheißen Sommer des Jahres 1966 machten sich also junge Menschen von den verschiedensten Orten Europas und Amerikas auf, verabredet zum Beispiel in den damals in Deutschland als prärevolutionäre Nachrichtenkette eingerichteten Diskotheken namens »Tangente« (etwa in Marburg oder Heidelberg), wobei weder Weg noch Verkehrsmittel feststanden, nur eben das zeitliche und räumliche Ziel: Christmas in Kathmandu. Die linguistische Verheißung des Wortes Kathmandu, das noch viel fremder klang als jede Stadt in Indien, Afrika (außer vielleicht Timbuktu) oder Peru, mystischer auch durch den geografischen Platz am Giebelfirst des Daches der Welt, befeuerte die oft mit sexuellen Befreiungstheorien aufgeladenen Phantasmen: VW-Busse wurden mit dünnen, großäugigen Mädchen, psychotropen Substanzen und Pumpernickel vollgeladen und ostwärts gefahren, manche nahmen auch einfach den Rucksack und bestiegen den Hellas-Express nach Athen, um von dort aus über Istanbul und mit der ehemaligen, 1912 vom zweiten Deutschen Reich unter Kaiser Wilhelm feierlich eingeweihten Bagdad-Bahn in den Orient vorzudringen.

Zuvorderst unter den Lockmitteln war die Kunde vom nepalesischen Haschisch über die jungen Freaks gekommen; es solle freilich fünfmal stärker sein als alles bisher Bekannte, potenter sogar noch als der berühmte Schwarze Afghane und in Kathmandu praktisch umsonst in den Straßen verteilt werden – so machte sich jene Schar auf, von der Schore zu kosten. Zuerst war es nur ein Rinnsal (zur Initialzündung Christmas 1966 erreichten ganze 112 Hippies ihr Shangri-La), im nächsten Jahr waren es bereits mehrere tausend, das darauffolgende Jahr brach der Damm; dreißigtausend westliche Langhaarige fanden den Weg in das seit Jahrhunderten von allen äußeren Einflüssen abgeschottete Bergtal.

Die streng reglementierte, in ein jahrtausendealtes Kastensystem eingebettete nepalesische Gesellschaft reagierte zuerst mit stoischer Gelassenheit, dann aber mehrten sich die Fälle offensichtlich geistesgestört gewordener westlicher Frauen, die nackt schreiend durch die Altstadt rannten, mit dem Maul im Müll stochernde Kühe umarmend, um danach direkt vor dem Vishnu-Heiligtum des Pashupatinath-Tempels heftig masturbierend und weinend zusammenzubrechen. Und dann entdeckten die Hippies auch noch das Heroin. Es war ein schwerer Zivilisationsschock, auf beiden Seiten.

Die restriktive nepalesische Visumspolitik ist noch heute eine direkte Folge der moralischen Verwüstung jener Zeit – Ausländer dürfen sich heute maximal sechs Monate innerhalb eines Kalenderjahres in Nepal aufhalten (siehe auch das aus bürokratischen Gründen nicht existierende Kapitel »Bürokratie«). Bereits 1972 gab es das erste Hippie-Pogrom; der damalige König Birendra kriminalisierte erst den Verkauf, Besitz und Gebrauch von Haschisch für Ausländer, eine Hetzjagd durch die engen Gassen von Kathmandu begann, die Hascherbars wurden plötzlich nicht nur von den früher dort regelmäßig ein und aus gehenden Polizisten gemieden, sondern rigide geschlossen, dann warf der König kurzerhand alle Langhaarigen aus seinem Königreich hinaus.

Diejenigen, die bleiben wollten, schnitten sich die Haare und begannen, Kleidung zu tragen – die Freak Street, jene legendäre, bis heute so benannte Gasse, auf der sich Hascherbars an Schallplattenläden reihten, verstaubte zusehends, und die nepalesische Gesellschaft erlebte eine clôture, aus der Ende der Siebziger ein neuer, im Sinne Edward Saids zu verstehender Orientalismus erwuchs; der Trekker.

Das neue Gravitationszentrum Kathmandus wurde der Stadtteil Thamel; der Neuseeländer Tony Wheeler hatte mit seinem Buch South-East Asia on a Shoestring eine Art anti-bourgeoise Fibel für Rucksacktouristen verfasst, die einerseits nicht gewillt waren, mehr als ein bis zwei Dollar für eine Hotelübernachtung zu zahlen, andererseits auch nach sechs Wochen zurück an ihrem Studienplatz in Northumberland oder Uppsala sein mussten. Tony Wheeler schrieb in schnörkellosem, gleichzeitig aber auch abgehobenem Stil darüber, in welchem Guesthouse die Matratzen Flöhe hatten, wo das Reisgericht überteuert war und nicht nur, zu welcher Jahreszeit man am besten in die Berge des Himalaja aufbrechen sollte, sondern auch, wie man den schwierigen moralischen Spagat meistert, einen Porter/Sherpa anzuheuern, der recht ergeben das Gepäck den Berg hinauf- und hinabträgt, dafür sehr wenig Geld erhält, was eben ein bisschen so aussieht, als sei er, nun ja, ein Sklave.

Tony Wheelers dialektisches Genie zeigte sich durch seine Erklärung, die Porter/Sherpas seien eben auf diese Arbeit angewiesen, durch das erwirtschaftete Geld könnten die jungen Männer ganze Familien ernähren und so weiter. Dies entsprach exakt dem Modell, das der Heidelberger Politikwissenschaftler Dieter Nohlen in seinem Lexikon Dritte Welt als Folge der denial-Theorie mit dem Terminus des spätkapitalistischen Rechtfertigungsdilemmas brandmarkte. Bis heute haben einige Trekker das Schuldgefühl nicht ganz ablegen können; schlechtes Gewissen allein lässt viele junge Touristen noch heute ihr schweres Gepäck siebzehn Tage auf ihren Schultern, ohne Porter, um das Annapurna-Massiv herum tragen.

Apropos denial: Tony Wheeler, dessen beispielhafte Karriere im Dreieck Kathmandu–Kabul–Goa begonnen hatte, ist heute ein sehr reicher Mann: Bereits 2007 verkauften er und seine Frau Maureen für umgerechnet 100 Millionen Euro ihren Lonely Planet Verlag an die britische BBC. Aber nur zu 75 Prozent. Die restlichen 25 Prozent haben sie der BBC im Februar 2011 für nochmals 50 Millionen Euro überlassen. Der Kosmos Lonely Planet, der inzwischen unter anderem Fernsehsender, Onlinereisebüro, Internetbuchhandel, Sprachschule, Buchverlag und Lebenshilfe-Forum zugleich ist, wird auch über seinen Abschied hinaus großzügig von Wheeler gespeist: Er schreibt einen Reise-Blog, in dem er über seine neuen Reisen jenseits des Schnürsenkels...

Erscheint lt. Verlag 2.11.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Asien
Schlagworte Annapurna • Asien • Buch • Bücher • Buddha • Erfahrungen • Gebrauchsanweisung • Geschenk • Hermann Hesse • Himalaja • Hippies • Kathmandu • Kulturen • Namaste • Nepal • Reisebeschreibung • Stupa
ISBN-10 3-492-99661-2 / 3492996612
ISBN-13 978-3-492-99661-7 / 9783492996617
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