Ich werde dich finden, mein Sohn (eBook)

Mein Kind wurde mir nach der Geburt weggenommen. Doch die Liebe zu ihm konnte mir keiner nehmen
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
366 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-5887-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich werde dich finden, mein Sohn -  Carol Schaefer
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Als die Collegestudentin Carol im ersten Semester schwanger wird, gerät ihr Leben völlig aus den Fugen. Es ist das Jahr 1965, und ein uneheliches Kind gilt als Schande für die ganze Familie. Als ihr Freund sie trotz der Schwangerschaft nicht heiraten will, schicken Carols Eltern das Mädchen eilig in ein von katholischen Ordensschwestern geleitetes Heim für ledige Mütter. Und Carol - beschämt und verzweifelt - unterschreibt die Freigabe zur Adoption. Das Kind wird ihr gleich nach der Geburt weggenommen. Doch die junge Mutter kann ihren Sohn, den sie nur kurz in den Armen hielt, nicht vergessen. Sie liebt ihn, vermisst ihn - und zählt die Tage bis zu seinem 18. Geburtstag. Denn das ist der Zeitpunkt, an dem für Carol eine lange Suche beginnen soll ...

1


Es war das Jahr 1965.

Wir saßen auf den dunklen Holzstühlen vor dem Schreibtisch der Ordensschwester. Die Sonnenjalousien am großen Fenster hinter dem Schreibtisch waren fast ganz heruntergelassen. Das Licht warf ein Muster schmaler Streifen an die Zimmerdecke. Auf Schwester Dominics schwarze Tracht fiel es nicht. Meine Mutter, die rechts von mir saß, beugte sich vor, als wolle sie unser eifriges Bemühen zeigen, das Rechte zu tun, um uns von dieser Todsünde reinzuwaschen. Ich würde mit dem Einzug in ein Heim für ledige Mütter büßen. Die Absolution würde ich erhalten, nachdem ich mein Kind zur Adoption freigegeben hätte. Die Schwester erklärte mir, ich würde alles vergessen; es würde sein, als wäre es nie passiert.

Die Querleisten des Stuhls drückten sich hart in meinen Rücken, als ich mich haltsuchend zurücklehnte. Schwester Dominic saß meiner Mutter zugewandt. Mir zeigte sie buchstäblich die kalte Schulter. Keine der beiden Frauen betrachtete mich als eigenständiges, von der Mutter getrenntes Wesen. Ich war wie gelähmt, unfähig, für mich selbst einzustehen. Ich wünschte, meine Mutter würde das Zimmer verlassen. Ich wollte so gern mit der Schwester allein sprechen, sie fragen, ob es nicht eine Möglichkeit für mich gäbe, das Kind zu behalten; ob mir nicht jemand helfen könne, Mittel und Wege dazu zu finden.

Meine Mutter hatte diesen Termin beim katholischen Sozialdienst vereinbart, um meine Aufnahme im Seton House zu beantragen. Während wir draußen vor dem Büro Schwester Dominics gewartet hatten, hatte man uns ein Formular gebracht, das vor dem Gespräch ausgefüllt werden musste. Die meisten der Fragen hatte meine Mutter für mich beantwortet. Ich schaffte es nicht, mich zu widersetzen; schlimm genug, dass ich schwanger geworden war und die ganze Familie in Schwierigkeiten gestürzt hatte. Ich fürchtete, ihre Liebe zu verlieren. Meine Angst vor der Missbilligung der Kirche war nicht so groß wie die meiner Mutter. Aber meine Angst, verstoßen zu werden, war so stark, dass ich stillschweigend einwilligte, mein Kind zu verstoßen.

»Möchten Sie, dass das Kind im katholischen Glauben erzogen wird?«

»Aber ja, natürlich, Schwester«, antwortete meine Mutter pflichteifrig.

»Und die Adoptiveltern sollen Akademiker sein?«

»Unbedingt.« Endlich fand ich die Kraft, ein Wörtchen mitzureden.

»Wir werden selbstverständlich dafür sorgen, dass Ihr Kind in einer Familie gleichen ethnischen Ursprungs aufwächst«, versicherte uns die Schwester. Mir wurde etwas unbehaglich dabei; wir kannten ja unsere Ursprünge gar nicht so genau. »Sie können sich darauf verlassen, dass wir ein Elternpaar mit gutem Einkommen aussuchen werden, das dem Kind alles bieten kann, was es braucht.«

Und da der Vater des Kindes – Chris – und ich blaue Augen hatten, würden natürlich auch die Adoptiveltern blaue Augen haben, fuhr sie fort und blickte mit wohlwollendem Lächeln himmelwärts, als gäbe sie den Auftrag gleich an Gott persönlich weiter.

Die Adoptiveltern, sagte sie, würden Chris und mir in allen äußeren Merkmalen gleichen. Es würde dem Kind an nichts fehlen, auch wenn es nicht bei uns aufwachsen könne. Ja, der katholische Sozialdienst werde ein Elternpaar finden, das in der Lage sein werde, weit mehr für das Kind zu tun, als Chris und ich es je könnten. Uns beiden werde damit die Chance gegeben, unsere Ausbildung zu beenden und später, falls wir einmal heiraten sollten, eine ordentliche Familie zu gründen. Ohne Zweifel sei es für mich die beste – die einzige – Möglichkeit, das Kind zur Adoption freizugeben.

Am liebsten hätte ich meine Mutter aus dem Zimmer geschickt, um mit der Schwester allein sprechen zu können. Ich wollte wissen, was geschehen würde, wenn ich es mir doch noch anders überlegen sollte. Aber meine Mutter wich mir nicht von der Seite, und ich wagte nicht, sie wegzuschicken.

Wir unterzeichneten die Papiere, und damit war es erledigt. Der genaue Zeitpunkt meiner Aufnahme im Seton House hänge davon ab, wann dort ein Platz frei werde. Das Heim nehme niemals mehr als sechzehn Frauen auf. Ich könne aber mit meinem Einzug im Laufe des Oktober rechnen.

Schwester Dominic beugte sich etwas vor, stützte die Hände auf den Schreibtisch und stemmte sich in die Höhe. In ihren schwarzen Gewändern wirkte sie noch größer, als sie sowieso schon war, und sie schien sich förmlich über uns zu erheben.

Die Wände des Zimmers schienen zu verschwimmen, als ich aufstand. Die Stimmen meiner Mutter und der Schwester drangen wie aus weiter Ferne zu mir. Konnte das alles Wirklichkeit sein?

Wie hatte ausgerechnet mir das passieren können? Nun, wie es eben jedem Mädchen passieren kann, selbst einem anständigen katholischen Mädchen wie mir.

Ich war in meinem vorletzten Jahr an der Highschool, als ich Chris kennen lernte. In jenem Sommer pflegten meine Freundin Jessica und ich wie alle anderen jungen Leute in unserem Städtchen in North Carolina abends mit dem Auto auf den großen Parkplatz vor dem Boar and Castle Drive-in-Restaurant hinauszufahren, um uns mit Freunden zu treffen oder neue Bekanntschaften zu schließen. Der Parkplatz war in zwei Hälften geteilt. Auf der linken Seite, die hell erleuchtet war, ging es laut und munter zu, da wurde die Geselligkeit gepflegt. Die rechte Seite, die wir scherzhaft die Schlangengrube nannten, war dunkel und still. Die Fenster der Autos, die dort standen, waren immer so dicht beschlagen, als seien sie zugehängt.

An jenem besonderen Abend drehten Jessica und ich erst eine Runde durch die Schlangengrube, ehe wir den großen blauen Buick ihres Vaters unter einem ausladenden Ahorn auf der linken Seite parkten, um dort auf Jessicas Freund Michael zu warten. Michael jobbte abends in einer Buchbinderei und wollte sich in seiner Pause mit uns treffen.

Er kam mit einem Freund, einem Jungen, den ich nicht kannte. Gleich nachdem sich die beiden hinten zu uns in den Wagen gesetzt hatten, fielen mir die Hände des fremden Jungen auf. Fest und kräftig lagen sie auf der Lehne des Vordersitzes, als er sich nach vorn beugte, um sich mit mir bekanntzumachen. Im Lichtschein der Lampen von draußen sah ich sein Gesicht, und sein Lächeln gefiel mir. Es hatte etwas Strahlendes, das seine Augen erleuchtete. Ich verspürte ein beinahe unwiderstehliches Verlangen, diese Hände zu berühren, die mir so vertraut schienen, aber ich tat es nicht.

Er hieß Chris und war im zweiten Jahr auf dem College. Damit hätte der Fall für mich eigentlich schon erledigt sein müssen. Freundschaften mit Studenten waren absolut tabu. Niemals würde mein Vater mir erlauben, mit Chris auszugehen. Aber solche Überlegungen zählten in diesem Moment nicht. Ich wollte Chris unbedingt kennen lernen. Ich hatte mich über beide Ohren in ihn verliebt.

Nach dieser ersten Begegnung sandten Chris und ich in aller Heimlichkeit unsere Spione aus, Jessica und Michael, um herauszubekommen, wie es um die Gefühle des anderen bestellt war. Es gab keinen Zweifel, wir hatten beide Feuer gefangen. Die Vertrautheit, die ich gleich bei der ersten Begegnung gespürt hatte, war auch noch da, als ich mich zum ersten Mal allein mit Chris traf, und sie verlor sich nie. Meine Eltern fanden ihn sympathisch, als sie ihn kennen lernten, obwohl er älter war und nicht katholisch. Während meines ganzen letzten Schuljahrs sahen wir uns regelmäßig. Beinahe jedes Wochenende kam Chris vom College nach Hause, und unsere Gefühle füreinander wurden immer intensiver.

In den sechziger Jahren herrschte unter den jungen Leuten im Süden ein strenger Verhaltenskodex, der unsere Leidenschaft füreinander in Schach hielt. Es gab nur Schwarz oder Weiß. Man war ein anständiges oder ein schlimmes Mädchen, anders gesagt, man schlief mit einem Jungen, oder man tat es nicht, auch wenn man noch so lange mit ihm befreundet war. Man wohnte in der guten oder in der schlechten Gegend, man gehörte dem richtigen oder dem falschen Country-Club an, man trug Villager-Blusen und Markenjeans, oder man gehörte nicht dazu. Bis zum Umzug meiner Eltern nach North Carolina hatte ich eine katholische Mädchenschule in Ohio besucht, an der man nur ›in‹ war, wenn man Leinenschuhe trug. Als ich ahnungslos in meinen Leinenschuhen in der neuen Schule aufkreuzte, geriet ich, wie Jessica mir später anvertraute, bei einigen meiner Klassenkameraden sofort in den Verdacht, arm zu sein. Und Armsein war ›out‹.

Die Lehrsätze doppelter Moral saßen tief. Wehe, ein Junge kam beim Stelldichein mit einem ›anständigen‹ Mädchen der imaginären Grenze des Bis-hierher-und-nicht-Weiter zu nahe! Augenblicklich traten die Instinkte des Southern Gentleman in Aktion, und die lockere Hand oder das leidenschaftliche Begehren wurden schleunigst unter Kontrolle gebracht. Das Maß an Selbstbeherrschung, das wir uns angeeignet haben, während wir geschlagene vier Stunden lang leidenschaftlich zu den Schnulzen von Johnny Mathis schmusten, ohne bis zum ›Letzten‹ zu gehen, hat uns zweifellos alle geprägt.

An dem Abend, an dem ich schwanger wurde, waren Chris und ich das zweite Mal intim miteinander, nachdem wir es uns in den zwei Jahren unserer Freundschaft wahrscheinlich hundertmal versagt hatten. Ich studierte mittlerweile am Winthrop College, einem Frauencollege in South Carolina. Wir waren beide zu den Osterferien nach Hause gekommen, nachdem wir uns wegen der Zwischenprüfungen über einen Monat lang nicht gesehen hatten. Noch nie waren wir so lange getrennt gewesen. An jenem Abend hatten wir nur wenig Zeit für uns. Es war Karfreitag, und ich musste vorher in die Kirche.

Wir...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2019
Übersetzer Mechthild Sandberg-Ciletti
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Original-Titel The Other Mother
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Adoption • Erfahrungsbericht • Erfahrungsbücher • Erinnerung • Erkrankung • Hilfe • Kind in Adoption • Kind in Adoption freigegeben • Krankheit • Lebensweg • Psychologie • Schicksal • Schicksal / Erfahrungen • Schicksale und Wendepunkte • Schicksalsschlag • USA • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-7325-5887-8 / 3732558878
ISBN-13 978-3-7325-5887-2 / 9783732558872
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