Engelbarts Traum

Wie der Computer uns Lesen und Schreiben abnimmt

(Autor)

Buch | Softcover
281 Seiten
2014
Campus (Verlag)
978-3-593-50183-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Engelbarts Traum - Henning Lobin
29,00 inkl. MwSt
Entlastung oder Bedrohung?
Wir Menschen sind heute nicht mehr die Einzigen, die lesen und schreiben - Computer tun es auch. Nach Jahrtausenden des Monopols über die Schrift mussten wir diese Bastion im 21. Jahrhundert räumen - eine Entwicklung, die Douglas Engelbart, der Erfinder der Computermaus, schon 1968 vorhergesehen hat. Henning Lobin zeigt, wie sich Lesen und Schreiben ändern, wenn der Computer uns diese Kulturtechniken immer mehr abnimmt. Wie wirkt sich dies auf Bücher, Bibliotheken und Verlage, auf Schule und Universität, auf Presse und Zensur aus? Welche künftigen Veränderungen auf dem Weg hin zu einer »Digitalkultur« lassen sich voraussagen? Wie können wir verhindern, dabei zum Spielball der technischen Evolution zu werden? Engelbarts Traum muss heute neu gedeutet werden, soll er sich nicht in einen Albtraum verwandeln.

Henning Lobin ist Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim und Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim.

Inhalt

Vorwort 11

1Ein Traum wird wahr 13

2Die Kulturtechniken Lesen und Schreiben 21
2.1Kulturtechniken 22
2.2Das Zeichensystem Schrift 24
2.3Der Träger der Schrift 28
2.4Schrift in unseren Köpfen 32
2.5Wer liest und schreibt, und wie geschieht dies? 38

3Schriftkultur 43
3.1Kultur als Zeichensystem 45
3.2Kulturelle Kommunikation 50
3.3Manuskriptkultur, Buchkultur, Schriftkultur 55
3.4Infrastrukturen 59
3.5Institutionen 64
3.6Auffassungen, Konzepte, Werte, Mythen 70

4Digitalisierung und die Triebkräfte digitaler Kultur 77
4.1Der digitale Code 79
4.2Triebkräfte der Turing-Galaxis 84
4.3Digitale Texte 86
4.4Digitale Kommunikation 92
4.5Digitale Kultur? 95

5Neue Technologien des Lesens 98
5.1Digitales Lesen 99
5.2Hybrides Lesen 104
5.3Multimediales Lesen 113
5.4Soziales Lesen 118

6Neue Technologien des Schreibens 123
6.1Digitales Schreiben 125
6.2Hybrides Schreiben 131
6.3Multimediales Schreiben 141
6.4Soziales Schreiben 146

7Was vergeht? Was entsteht? 154
7.1Lesen 156
7.2Schreiben 161
7.3Forschen 166
7.4Lernen 173
7.5Informieren 177

8Die Evolution der Kultur 185
8.1Memetik 187
8.2Replikation durch Sprache und Schrift 194
8.3Memetik der Schriftkultur 200
8.4Digitale Meme 207
8.5Der digitale Code als DNA der Kultur 212

9Digitalkultur 219
9.1Von der Schriftkultur zur Digitalkultur 221
9.2Verlag und Buchhandel 225
9.3Schule und Universität 231
9.4Bibliothek und Forschungsinstitution 236
9.5Presse und Zensur 242

10Alte und neue Träume 248

Anmerkungen 256

Literatur 268

"Ein bemerkenswertes Buch.", Der Spiegel, 08.12.2014"Ein aufschlussreicher Wissenschaftsschmöker.", SWR2, 09.12.2014

"Ein bemerkenswertes Buch.", Der Spiegel, 08.12.2014

"Ein aufschlussreicher Wissenschaftsschmöker.", SWR2, 09.12.2014

1 Ein Traum wird wahr

Auf der gemeinsamen Herbsttagung der amerikanischen Informatiker im Jahr 1968, der Fall Joint Computer Conference in San Francisco, ist für den Nachmittag des ersten Tages, den 9. Dezember, etwas Besonderes vorgesehen. Dr. Douglas C. Engelbart vom Stanford Research Center in Menlo Park, knapp 50 Kilometer vom Tagungsort entfernt, soll anderthalb Stunden über sein "Forschungszentrum zur Erweiterung des menschlichen Geistes" reden. Auch wenn dieser Titel perfekt zur damals in Kalifornien gerade entstehenden Hippie-Kultur zu passen scheint, erwartet die etwa 2.000 Zuschauer in der verdunkelten Brooks Hall, einem der größten Säle des die Tagung beherbergenden Convention Center, eine High-Tech-Show, wie man sie noch nicht gesehen hat.

An der Stirnseite des Saals findet sich eine sechseinhalb Meter breite Videoprojektion und statt eines Rednerpults rechts auf der Bühne ein Stuhl, vor den eine Art Kontrollpult geschwenkt werden kann, ausgestattet mit einigen merkwürdigen Geräten: Die Schreibmaschinentastatur kennen die an der Tagung teilnehmenden Computerwissenschaftler von ihren eigenen Rechnern. Die Geräte rechts und links daneben sind ihnen dagegen fremd. Das Teil auf der linken Seite besteht aus fünf Tasten und nennt sich "Akkord-Tastatur" (Chord Keyset). Die Tasten sind sowohl einzeln mit Zeichen belegt als auch untereinander verknüpft, so dass sich eine Vielzahl von Eingabemöglichkeiten ergibt - wie Akkorde auf dem Klavier. Auf der rechten Seite befindet sich ein kleines Kästchen mit drei Tasten, das hin- und hergeschoben werden kann. "Ich weiß nicht, warum wir es 'Maus' nennen. Es fing einfach so an, und wir änderten es nicht mehr", sagt Engelbart dazu etwas später.

Beide Eingabegeräte lassen sich gut miteinander kombinieren: die linke Hand auf den Tasten der Akkord-Tastatur, die rechte auf der Maus, der Blick auf den Fernsehmonitor davor gerichtet. In der hundert Minuten dauernden Demonstration ist der Leiter des 17-köpfigen Forschungsteams immer wieder in dieser Haltung zu sehen, in weißem Hemd mit dunkler Krawatte und mit einem erstaunlich modern wirkenden Headset auf dem Kopf. Hin und wieder blickt er nach rechts oben, um die korrekte Funktion der Videoprojektion zu überprüfen. Ganz ähnliche Bilder aus dem Kontrollzentrum der ersten Mondlandung, der Mission Control, sollten nur wenige Monate später auf der ganzen Welt zu sehen sein.

Engelbart hatte nach seiner Zeit als Marinetechniker im Zweiten Weltkrieg die Idee verfolgt, einen Radarbildschirm mit einem Computer zu verbinden, um darauf Schriftzeichen und Liniengrafiken anzeigen und den Computer interaktiv, ohne das langwierige Einlesen von Lochkarten, nutzen zu können. 1968 gab es zwar schon Computer, die den interaktiven Betrieb mehrerer Benutzer ermöglichten, allerdings erfolgte die Ausgabe des Computers dabei ausschließlich über Drucker. Engelbart und sein Team "druckten" die Ausgabe stattdessen auf einen Radarbildschirm, wo sie zudem veränderlich war - Fernsehbildschirme erlaubten noch keine Textdarstellung. Leider waren Radarbildschirme ausreichender Größe immens teuer und flackerten sehr, da sie nach einem anderen Prinzip arbeiten als Fernsehmonitore. Die Lösung, die auch bei der Demonstration 1968 schließlich angewandt wurde, war die: Man verwendete einen kleinen, billigeren Radarbildschirm und ließ dessen Bild von einer Fernsehkamera aufnehmen. Das Bild konnte dann auf einen oder mehrere größere Fernsehmonitore oder eben auf die Großleinwand übertragen werden. Dabei wurde es farblich umgedreht, so dass schwarzer Text auf weißem Grund erschien, und auch das Flackern war verschwunden.

Staunend erleben die Zuschauer an jenem Dezembernachmittag, wie ein Text auf dem Bildschirm durch Löschen, Einfügen und Verschieben von Wörtern verändert wird, wie zwischen verschiedenen Darstellungsarten hin- und hergeschaltet und mit der Maus ein Wort angeklickt werden kann, um eine andere Textdatei zu öffnen, die da

Erscheint lt. Verlag 10.9.2014
Zusatzinfo 1 sw. Abb.
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 139 x 212 mm
Gewicht 365 g
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Kommunikation / Medien Kommunikationswissenschaft
Sozialwissenschaften Kommunikation / Medien Medienwissenschaft
Schlagworte Computer • Digitalisierung • Digitalkultur • Internet • Kommunikation • Kulturtechnik • Lesen • Medien • Medienkompetenz • Schreiben • Schrift • Schriftkultur
ISBN-10 3-593-50183-X / 359350183X
ISBN-13 978-3-593-50183-3 / 9783593501833
Zustand Neuware
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