Der letzte Pilger (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
544 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1256-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der letzte Pilger -  Gard Sveen
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Ausgezeichnet als bester Krimi Skandinaviens Es ist Frühling in Oslo, als ein grausames Verbrechen geschieht: Der ehemalige Widerstandskämpfer Carl Oscar Krogh wird brutal ermordet. Während des Krieges stand er stets auf der richtigen Seite. Wer bringt einen Mann um, den alle bewundern? Kurz zuvor findet man in der Nordmarka drei Leichen. Unter ihnen ein kleines Mädchen. Kommissar Tommy Bergmann, scharfsinnig, klug und ein Selbsthasser voller innerer Abgründe, sieht einen Zusammenhang: Die Toten stehen in Verbindung zu Agnes Gerner, einer Agentin des Widerstandes. Je mehr Tommy Bergmann über die schöne und hochintelligente Frau herausfindet, umso gefährlicher erscheint sie ihm. 'Gard Sveen beherrscht die Kunst des Krimischreibens. Beeindruckendes Debüt eines Autors, der gekommen ist, um zu bleiben. Lesen Sie dieses Buch!' Anne Holt

Gard Sveen, geboren 1969, ist Staatswissenschaftler und hat viele Jahre als Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Der erste Band der Serie um Tommy Bergmann DER LETZTE PILGER wurde mit dem Rivertonpreis 2013 und dem Glass Key Award 2014 ausgezeichnet, dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis. Gard Sveen lebt in Ytre Enebakk, einem kleinen Ort in der Nähe von Oslo.

Gard Sveen, geboren 1969, ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium. Der letzte Pilger ist sein Debüt in der Serie um Tommy Bergmann und wurde mit dem Rivertonpreis 2013 und dem Glass Key Award 2014 ausgezeichnet, dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis. Gard Sveen lebt in Ytre Enebakk, einem kleinen Ort in der Nähe von Oslo.

Montag, 28. Mai 1945


Jørstadmoen

Stalag 303

Milorg-Offizier Kaj Holt blieb auf dem Appellplatz stehen und betrachtete einen Moment lang die Baracken. Dann warf er einen Blick zurück zu dem Tor, durch das er eingetreten war, als wollte er sich vergewissern, dass er jederzeit umkehren könnte.

Wie war das noch? Man sollte niemals eine Frage stellen, auf die man keine Antwort will. Vielleicht war es besser, bestimmte Dinge nicht zu wissen, sich einfach damit abzufinden und weiterzuleben, so wie die meisten Menschen es taten. Nur dass er kein Leben mehr hatte, das er weiterleben konnte. Der Krieg in ihm würde nie zu Ende gehen.

»Es wäre das Beste gewesen, sie hätten dich auch erwischt«, murmelte Kaj Holt. Die Worte seiner Frau.

Wenige Minuten nachdem sie das zu ihm gesagt hatte, war er einfach gegangen, hatte Frau und Kind, all das, was ihn die letzten fünf Jahre am Leben gehalten hatte, zurückgelassen. In der ersten Nacht hatte er draußen geschlafen, es war wie eine Befreiung gewesen.

Er schüttelte die Erinnerungen ab und zog den Vernehmungsbefehl aus der Seitentasche seiner Uniformjacke, faltete das Papier auseinander und las, was er selbst in das Formular eingetragen hatte.

Hauptsturmführer Peter Waldhorst. Sipo Abteilung IV. Außendienststelle Lillehammer. Ganz unten auf dem Zettel seine eigene Unterschrift. Eine Handvoll Menschen wusste, dass er in Lillehammer war, niemand aber, wo genau. Es waren auch nur einige wenige eingeweiht, dass eine Gruppe deutscher Offiziere in das Lager verlegt worden war, in dem sich noch immer eine große Zahl russischer Kriegsgefangener befand.

Abteilung IV, dachte er. Der offizielle Name der Gestapo wirkte so harmlos. Typisch deutsch, die Hölle hinter den Zahlen der Bürokratie zu verstecken.

Weiter oben im Tal war ein kräftiger Donner zu hören, ungewöhnlich für den norwegischen Frühling.

Er faltete das Blatt umständlich wieder zusammen und steckte es zurück in die Tasche. Der dichte Regen drang bereits durch seine Uniform. Er hastete zu dem Gebäude vor sich, doch statt einzutreten, blieb er unter dem Dachvorsprung stehen, um noch ein wenig Zeit zu gewinnen. Er fischte eine schwedische Zigarette aus seiner Hemdtasche, bald würde er nur noch schwedische Sachen haben. Das Nikotin half ihm, sich zu sammeln. Sein Puls wurde langsam ruhiger.

Wie eine Sintflut, dachte er, als die dicken Tropfen auf die Erde klatschten und braun-schäumend wieder aufspritzten. Wollte der Schöpfer sie für ihre Sünden ersäufen? Schließlich war niemand, absolut niemand frei von Schuld. Auch er hatte Menschen auf dem Gewissen, die ihn Nacht für Nacht verfolgten, obwohl alles längst vorüber war: Junge, Alte, Väter, eine junge Mutter, gerade neunzehn Jahre alt. Ihr kleiner Sohn hatte zu schreien begonnen, als Kaj Holt die Treppe nach unten geschlichen war. Noch heute hörte er das Weinen hinter der dünnen Tür, sah den Jungen allein im Bett, während die Mutter, selbst noch ein Kind, in einer Blutlache auf dem Boden lag.

Niemand ist frei von Schuld.

Er dachte, dass er diesen Satz eigentlich auf einem Stück Papier festhalten und zu den anderen Zetteln legen sollte, die er in den letzten fünf Jahren geschrieben hatte. Diese Notizen waren so etwas wie seine Memoiren. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er die in einem Schuhkarton gesammelten Zettel zurückgelassen hatte. Er hatte einfach nicht daran gedacht, als er vor anderthalb Wochen Frau und Kind verlassen hatte und aus seinem bisherigen Leben verschwunden war, unmittelbar vor dem Nationalfeiertag am 17. Mai, dem ersten in Freiheit seit 1939. Wenn er den Karton, der in einem Schrankkoffer mit alten Kleidern auf dem Dachboden in der Thereses gate versteckt war, nicht holte, würde das alles nie einer zu Gesicht bekommen.

Kaj Holt zuckte zusammen, als ein Dodge WC52 mit hoher Geschwindigkeit um die Ecke bog und vor den Eingangsstufen, auf denen er stand, anhielt. Der Fahrer, ein junger Amerikaner, blieb Kaugummi kauend im Wagen sitzen.

Kaj Holts Zigarette war fast heruntergebrannt, als die Tür neben ihm aufging. Zwei Männer kamen heraus und blieben wie angewurzelt stehen. Sie schienen den Wetterumschwung nicht mitbekommen zu haben. Einer der beiden war Amerikaner, ein Offizier wie Holt, der andere Zivilist. Letzterer stieß Holt im Vorbeigehen leicht an und entschuldigte sich murmelnd auf Schwedisch. Der amerikanische Offizier nickte Holt zu, ehe er die Stufen hinunterging. »Get back in«, sagte er, als der Fahrer Anstalten machte, auszusteigen und die Beifahrertür zu öffnen.

Der Zivilist, ein Mann mit einem auffallend kindlichen Gesicht, musterte Holt eingehend, bevor er einstieg. Der Mund unter der nassen Hutkrempe verzog sich zu einem unbestimmten Lächeln.

Holt sah dem Auto nach, bis es zwischen den Bäumen verschwand. Er hatte das Gefühl, den Zivilisten schon einmal gesehen zu haben. Das kindliche Gesicht mit den weichen Zügen kam ihm irgendwie bekannt vor. Ach was, dachte er, das bilde ich mir nur ein. Wahrscheinlich hatte er darauf reagiert, dass ein schwedischer Zivilist gemeinsam mit einem amerikanischen Offizier aus der Baracke kam; dabei hatte die Befreiung des Landes zu derart chaotischen Zuständen geführt, dass ihn eigentlich kaum noch etwas wunderte.

Er schnippte die Zigarette auf den Boden und drehte sich um. In das Gitter vor dem Türglas war der deutsche Reichsadler samt Eichenkranz mit Hakenkreuz eingelassen. Der Anblick versetzte ihm einen Stich, und er blieb einen Moment mit der Hand auf der Klinke stehen.

Die dicken Haare des englischen Leutnants, der hinter der improvisierten Pforte saß, glänzten schwarz. Neben ihm stand ein bewaffneter englischer Militärpolizist, der Holt mit überheblicher Miene ansah. Die Engländer waren erst ein paar Wochen hier, verhielten sich aber bereits so, als gehörte ihnen und den Amerikanern das Land. Mit den Amerikanern kam er klar, aber die Engländer gingen ihm gegen den Strich. Sie redeten nicht dauernd davon, dass sie das Herrenvolk waren, sie setzten einfach voraus, dass alle es wussten. Noch vor wenigen Wochen hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm gesagt hätte, er würde sich einmal wünschen, dass die verfluchten Engländer endlich das Land verließen. So verrückt, wie man wurde, wenn man im Dienstbotenzimmer einer Wohnung in der Valkyriegata unter den Bodendielen lag, während über einem der Atem eines Gestapo-Mannes zu hören war.

Holt zog den Vernehmungsbefehl aus der Jackentasche. Das Papier war an einer Ecke nass geworden und leicht eingerissen. Der englische Militärpolizist nahm das Formular entgegen, wobei er Holt unablässig musterte, als hielte er ihn für einen Idioten. Dann seufzte er resigniert und glättete das Papier. Holt biss auf die Innenseite seiner Wange, verkniff sich eine Bemerkung über die Engländer und bekam das gegengezeichnete Formular zurück. Ein anderer Brite geleitete ihn mit schnellen Schritten in den düsteren Keller. Abgestandene Luft und Schimmelgeruch verschlugen ihm den Atem.

Ein junger Milorg-Soldat stand vor dem Raum Wache, in dem Peter Waldhorst gefangen gehalten wurde. Der Junge nahm Haltung an, aber Holt winkte ab. Er raunte dem Engländer ein paar Worte zu, worauf der wieder nach oben verschwand. Holt drehte sich einmal um die eigene Achse. Der Treppenaufgang am anderen Ende des Kellers war mit Brettern vernagelt. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und versuchte zu verdrängen, dass er unter der Erdoberfläche war, in einem dunklen, nassen Keller, aus dem es nur einen Fluchtweg gab. Das leichte Zittern seiner Finger verriet, dass ihm dies nur begrenzt gelang.

Er ging an dem jungen Milorg-Mann vorbei und öffnete langsam die Tür. Das Licht, das durch das schmale Kellerfenster fiel, blendete ihn für einen Moment, weshalb er erst nach ein paar Sekunden die Umrisse des Mannes erkannte, der zusammengekauert in der Ecke unter dem Fenster lag.

Holt blieb in der Türöffnung stehen und registrierte überrascht, wie überrumpelt er war, einen windelweich geprügelten Deutschen auf dem Betonboden eines dreckigen Kellerraums liegen zu sehen.

Er nickte dem jungen Milorg-Mann zu, der mit dem Lauf seiner Waffe herumfuchtelte. Erst jetzt bemerkte Holt die Angst im Blick des jungen Soldaten. Er war kreidebleich, als er die Tür hinter sich schloss.

Als der Deutsche durch das Prasseln des Regens, das von draußen hereindrang, die Schritte wahrnahm, hob er wie in Zeitlupe die Hände über den Kopf. Sein einer Arm schien ihm große Schmerzen zu bereiten. Die Ecke, in der er lag, war dunkel, trotzdem glaubte Holt zu erkennen, dass der Mann weinte. Egal, dachte er. Ich weiß, was für ein Dreckskerl du bist und dass du jeden Tritt verdient hast. Im nächsten Moment verfluchte er sich für diesen Gedanken.

»Hauptsturmführer Waldhorst?«, fragte er leise.

Der Deutsche antwortete nicht. Er hielt die Hände weiterhin schützend über seinen Kopf. Entscheidungen wie diese musste man treffen. Schützte man Brust oder Genitalien, trafen einen die Tritte am Kopf, was kaum einer überlebte.

»Peter Waldhorst?«

Ein Laut, der als Ja gedeutet werden konnte.

»Möchten Sie nach Hause?«, fragte Holt.

Ein leises Lachen. »Ich denke, das geht nicht.«

»Ich hätte die nötigen Kontakte, um Sie nach Hause zu bringen«, sagte Holt, ohne zu wissen, ob das wirklich stimmte. Aber Waldhorst brauchte ja nicht zu wissen, was passieren konnte, wenn es hart auf hart kam.

Noch einmal stellte er die Frage, die...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2016
Reihe/Serie Ein Fall für Tommy Bergmann
Ein Fall für Tommy Bergmann
Übersetzer Günther Frauenlob
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Åsa Larsson • Buch 2016 • Hjorth Rosenfeldt • Jo Nesbø • Jussi Adler-Olsen • Kind 44 • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Norwegen • Schweden • Spion • Untergrund • Weltkrieg • Widerstand
ISBN-10 3-8437-1256-5 / 3843712565
ISBN-13 978-3-8437-1256-9 / 9783843712569
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