Heimat & Macht (eBook)

Von Arnold bis Rau, von Clement bis Laschet - Eine kurze Landesgeschichte NRWs

Bodo Hombach (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
342 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-7226-4 (ISBN)

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Heimat & Macht -
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Auf der Suche nach Identität hat der Begriff der Heimat in den letzten Jahren eine ungeahnte Renaissance erlebt. Doch wo sie zu verorten ist, was sie ausmacht, wird kontrovers diskutiert. Ist Nordrhein-Westfalen für die Menschen, die hier leben, Heimat? Welche Identität hat das bevölkerungsreichste Bundesland überhaupt, und was haben seine Ministerpräsidenten aus diesem ursprünglich von britischen und amerikanischen Besatzern gegründeten Bindestrich-Land gemacht, etwa in punkto Innovation, Einwanderung und Integration? Wer von ihnen konnte das Land am nachhaltigsten prägen? Und was war der Steinkohle-Bergbau: Segen oder Fluch? Dieses Buch haben Journalisten geschrieben - eine Spezies mit der Leidenschaft zur Recherche und der Lust an der Pointe. Auf diese Weise ist ein temporeiches und dabei ebenso informatives wie unterhaltsames und anekdotenreiches Werk entstanden.

Prof. Bodo Hombach ist Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP). Er lehrt an der Universität Bonn und an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er war u. a. Geschäftsführer eines internationalen Stahlhandelshauses, Minister für Wirtschaft und Verkehr in NRW, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Kanzleramtes, Sonderkoordinator der G9, OSZE, NATO und EU für Südosteuropa nach den Balkankriegen. Von 2002 bis 2012 war er Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe.

Prof. Bodo Hombach ist Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP). Er lehrt an der Universität Bonn und an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er war u. a. Geschäftsführer eines internationalen Stahlhandelshauses, Minister für Wirtschaft und Verkehr in NRW, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Kanzleramtes, Sonderkoordinator der G9, OSZE, NATO und EU für Südosteuropa nach den Balkankriegen. Von 2002 bis 2012 war er Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe.

V. Wir in Nordrhein-Westfalen

Alles nur geklaut oder „Wir in Bayern“ – Was die Krisen von Kohle & Stahl und Schulden mit einem Slogan zu tun haben – NRW = SPD = Rau – Gefühlspolitik statt Reformpolitik – Rüttgers: ein tragischer Kopist? – Kraft als Gefangene von Rau

Einmal nur, ein einziges Mal in der nordrhein-westfälischen Landesgeschichte, entstand so etwas wie eine Landesidentität, genauer: ein Gefühl von Einheit zwischen politischer Elite, dem Land und seinen Bürgern. Es ist kein Zufall, dass Monarchien so etwas am besten hinbekommen. Ähnelte nicht Johannes Rau in seinen besten Jahren einem präsidialen Ersatzmonarchen?

Und es ist schon paradox, dass diesen einmaligen Effekt ausgerechnet eine aus schierer Verzweiflung geborene Kopfgeburt bewirken konnte: ein Wahlslogan, also eine politische Kampfparole. „Wir in Nordrhein-Westfalen“ hieß ja nicht nur das, sondern auch: „wir in Nordrhein-Westfalen und unsere Partei“ – und unser Ministerpräsident. SPD gleich Johannes Rau gleich Nordrhein-Westfalen – das war die Botschaft. Und deren klare Absicht lag auf der Hand. Der Sinn war es nicht, Nordrhein-Westfalen endlich eine von möglichst vielen Einwohnern nachvollzogene Identität zu spendieren, sondern: der SPD 1985 einen Wahlsieg. Und darum lässt sich „Wir in Nordrhein-Westfalen“ auch aggressiv begreifen: kein Akt der Versöhnung, sondern der Spaltung. Wir hier sind die Guten, ihr da seid die Bösen. Ein Klassiker der politischen PR.

Dieser PR-Charakter, die klare Ausrichtung auf den einen bestimmten machiavellistischen Zweck, begründet allerdings auch die begrenzte Reichweite der Kampagne. Sie war zugeschnitten auf Johannes Rau, sie wirkte vor allem bei Johannes Rau – aber mit dem Ende seiner 20-jährigen Regierungszeit, 15 Jahre nach der Erfindung des Slogans, war es mit ihm als Landesidentitäts-Ersatz dann auch wieder vorbei. „‚Wir in Nordrhein-Westfalen‘“, urteilt Johannes Raus sozialdemokratischer Nach-Nachfolger Peer Steinbrück, „konnte deshalb so wirksam werden, weil es dem Land eine Kompensation für dessen fehlende Identität gegeben hat.“ Kompensation – eben. Indes: „Eine fortwährende Identität hat dieser Slogan dem Land nicht gegeben.“

Identität ist das eine, das andere aber ist der Erfolg. „Wohlstand für alle“, „Keine Experimente“, „Mehr Demokratie wagen“, „Geistig-moralische Wende“: „Wir in Nordrhein-Westfalen“ entfaltet eine vergleichbare Musikalität – auch, weil der Satz aus der Not eine Tugend macht. Weil es eine Landesidentität, auf die sich alle hätten berufen können, nicht gab, machte der Satz aus allen eine Landesidentität. „Wir Nordrhein-Westfalen“ hätte nicht funktioniert.

Erfolg ist eine Versuchung, im Positiven wie im Negativen. Deshalb reicht die politische Wirkungsgeschichte des „Wir“-Satzes über Johannes Raus Zeit hinaus. Für Rau und seine Zeit wurde er erfunden, Clement und Steinbrück nutzten diese Projektion, um ihre eigene Zeit, ihren Stil, ihre Sprache und ihre Politik von Rau abzugrenzen. Jürgen Rüttgers machte seine Anleihen bei ihm, Hannelore Kraft versuchte sich gar an einer vollständigen Renaissance, anfangs mit Fortune. Später wurde der Satz ihr zum Verhängnis. Darum erzählt dieses Kapitel die ganze Geschichte eines (gar nicht so) einmaligen Satzes.

Johannes Rau hatte lange studieren können, wie schwierig es war, dem künstlichen Staatsgebilde eine Seele einzuhauchen. Sein Vorgänger Heinz Kühn hatte es in unermüdlichen Reden und Reisen immerhin fertiggebracht, aus dem Gegensatzland aus Rheinland und Westfalen ein Bindestrichland zu machen. Kühns CDU-Vorgänger Franz Meyers war mit dem heute arg konventionell anmutenden Versuch, mit Hilfe landesbezogener Symbole wie Landesverdienstorden, Landeshymne und vor allem eines Großen Landeswappens den Bürgern ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu geben, noch krachend gescheitert. Rau hatte sich indessen auf das Instrument konzentriert, das er am besten beherrschte: die Sprache.

Die durchschlagende Wirkung der „Wir in Nordrhein-Westfalen“-Parole erklärt Steinbrück heute so: „Der Zeitpunkt dafür, 1985, war einfach gut. Die Wirtschaft war auf dem absteigenden Ast, Nordrhein-Westfalen war vom Nettozahler im Finanzausgleich zum gebeugten Netto-Empfängerland geworden. Das Land hatte darüber seinen Stolz verloren. Dieser Slogan hat den Menschen ihren Stolz bis zu einem gewissen Grad wiedergegeben.“

Der Stolz – das war das Bewusstsein der eigenen wirtschaftlichen Stärke; der große Anteil am Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg; das unbändige Gefühl, die Besten zu sein. So etwas schwindet nicht mit einem einzelnen Ereignis, es braucht schon eine Reihe von Niederlagen, bis aus Stolz das Gefühl von Demütigung wird. Und das war genau jene Entwicklung, die die Kernzielgruppe der nordrhein-westfälischen SPD hinter sich gebracht hatte. Der Aufstieg der SPD begann mit dem Abstieg der Montanwirtschaft, schon Ende der fünfziger Jahre. Etliche Zechen- und Betriebsschließungen und Umstrukturierungen später war der alte Stolz fast gebrochen. An diesem Punkt entfaltete der SPD-Slogan seine psychologische Magie: Er gab den Gedemütigten ein Lebensgefühl zurück, das ihnen „der Markt“ Zug um Zug genommen hatte, und schenkte ihnen einen dafür verantwortlichen Heilsbringer; etwas weniger pathetisch: einen „Kümmerer“ – einen, der mit seinen einladenden Gesten und seiner bilderreichen, volksnahen Sprache, mit seinen Bonmots und Anekdoten die kühle Welt kalkulierender Parteien hinter sich zu lassen schien. Aus einem bloßen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden und Vorsteher einer Landesregierung konnte der über Parteigrenzen hinweg respektierte, im eigenen Lager mehrheitlich verehrte sozialdemokratische Landesvater werden. Eine Entwicklung, die umso bemerkenswerter verlief, wenn man in Rechnung stellt, dass Rau sich seine Chance in immerhin zwei Kampf-Kandidaturen überhaupt erst verschaffen musste.

Es ist kein Zufall, dass dieser grandiose Erfolg im inzwischen erfolgreichsten deutschen Bundesland begann: in Bayern. Zwei der wichtigsten Zeitzeugen, Edmund Stoiber und Bodo Hombach, erzählen dieselbe Geschichte – kein Wunder, dass die beiden erfolgreichen Wahlkämpfer sich bis heute blendend verstehen.

Edmund Stoiber, der Ehrenvorsitzende der CSU: „In den siebziger Jahren hatte die CSU den Slogan: Wir in Bayern. Die CSU hat das mit der Einheit von Partei und Land dann immer weitergetrieben. Am Schluss hieß es dann nur noch: Wir! Der Rest war eine Selbstverständlichkeit. Und wenn dann einer nachfragte: Wir, was heißt das denn eigentlich, haben wir nur geantwortet: Mia san mia.“ Genau genommen heißt das: nichts. Aber in dieser Grauzone zwischen Selbst- und Sendungsbewusstsein steckt die ganze Wirkungsmacht dieser Parole. Sie kann freilich massenwirksam nur funktionieren, wenn sie vom richtigen Personal verkörpert wird. Bei der CSU war das Franz Josef Strauß, bei der SPD Johannes Rau. „Wir sind“, sagte der damals 32-jährige Landesgeschäftsführer der SPD der „Süddeutschen Zeitung“, „gewissermaßen die CSU von Nordrhein-Westfalen.“ Der Name des gelernten Fernmeldetechniker aus Mülheim: Bodo Hombach.

Solange Johannes Rau lebte, musste er als der Erfinder dieses Slogans gelten. Hombach selbst durfte diese fromme PR-Lüge oft genug in die ihm hingehaltenen Mikrophone sagen. Als begabter Propagandist wusste Hombach, wer nach außen hin der Held zu sein hatte. Und tatsächlich – was gibt es aus Marketing-Sicht Schöneres, als dass sich der Ersatzmonarch auch noch als Erfinder hervortut. Allerdings war der Ersatzmonarch auch nur ein Ersatzerfinder. Hombach war in die USA gereist, um den dortigen Wahlkampf zu studieren. Und auch in den Vereinigten Staaten holte er sich sein Wissen von einem tief konservativen Politiker: von Ronald Reagan. Dort lernte er, dass man Wahlkämpfe auf nur eine Person zuschneiden müsse, obwohl dies eine erhebliche Verzerrung der politischen Wirklichkeit darstellt und enorm unsozialdemokratisch war. Dass ein erfolgreicher Regierungschef ohne ein mindestens ebenso erfolgreiches Team von Kabinettsmitgliedern, Fraktionsführern und Partei-Vasallen wenig bis nichts bewirken kann, fällt einer derartigen Personalisierung völlig zum Opfer. Und dass die SPD zugunsten einer Person auf ihren missionarischen Programmanspruch verzichtete, wirkt in der Rückschau verwunderlich. Der unschlagbare Vorteil dieser Methode: Dem Wahlvolk wird eine Symbol- und Projektionsfigur präsentiert. Dass dies nur funktioniert, wenn die Figur kongenial zur Strategie passt, versteht sich von selbst. „Unser Hauptargument im Wahlkampf heißt Johannes Rau. Unser Ziel ist es, ihm eine Mehrheit zu verschaffen“, erklärte Hombach im April 1985. Das Motto der SPD im Landtagswahlkampf laute: „Erstens Rau, zweitens Rau und drittens nochmals Rau.“ Was waren das für Zeiten, als die SPD über so starkes Spitzenpersonal verfügte, dass sie es getrost riskieren konnte, ohne ihr heutiges Mantra von der „sozialen Gerechtigkeit“ Wahlen gewinnen zu können.

Hombach selbst holte sich dann den Slogan dort ab, wo man ihn erfunden hatte, in Bayern. Stoiber bestätigt den Vorgang: „Und dann ist einer gekommen und hat das für die SPD in Nordrhein-Westfalen nachgemacht: Bodo Hombach.“ Die Sitzung der SPD-Planungsgruppe für die Landtagswahl 1985 hatte ernüchternd geendet. „Wir haben kein Thema“, hatte Hombach ungeschminkt festgestellt und war nach Bayern gefahren, von wo er eine Broschüre mitbrachte. Die trug die Unterschrift des damaligen christsozialen Generalsekretärs Otto Wiesheu. Dort stand: „Wir in Bayern und unsere CSU.“ Und damit war dann die Sache gelaufen, der Rest ist...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2019
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Systeme
Schlagworte Johannes Rau • Ministerpräsident • Nordrhein-Westfalen • Peer Steinbrück • Regierung • Wolfgang Clement
ISBN-10 3-8288-7226-3 / 3828872263
ISBN-13 978-3-8288-7226-4 / 9783828872264
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