Hass. Macht. Gewalt. (eBook)

Ein Ex-Nazi und Rotlicht-Rocker packt aus
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
328 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45893-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hass. Macht. Gewalt. -  Philip Schlaffer
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Rechtsextremismus, Rockerclub und Rotlichtmilieu: Das sind die Stationen im früheren Leben von Philip Schlaffer. Erschütternd und aufklärend berichtet er aus seinem vergangenen Leben im Zeichen von rechter Gewalt, Hass und Kriminalität. Es ist der hochbrisante Insider-Bericht eines Aussteigers, der nichts beschönigt und so eindrucksvoll vor den Gefahren des Rechtsextremismus warnt. Anfang der neunziger Jahre in der norddeutschen Provinz: Philip Schlaffer, geboren 1978, fühlt sich nirgendwo zugehörig, findet weder zu Hause noch in der Schule Halt. Die gewalttätige Neonazi-Szene gibt ihm das Gefühl, endlich irgendwo dazuzugehören - der Beginn einer schnellen Radikalisierung im Zeichen von Ausländerhass, Nationalismus und blinder Verehrung des 'Dritten Reichs'. Später gründet Schlaffer die rechtsradikale 'Kameradschaft Werwölfe Wismar' und vertreibt Rechtsrock im Internet. Alkohol, Gewalt gegen 'Fremde' und Auseinandersetzungen mit der Polizei prägen seinen Alltag. Ein grausamer Mord, der in seinem Umfeld passiert, verfolgt ihn für lange Zeit. Weiter geht Schlaffers kriminelle Karriere in Wismar, wo er Anführer des berüchtigten Rockerclubs 'Schwarze Schar Wismar' wird, der Drogenhandel und Wohnungsprostitution betreibt. Immer wieder steht er vor Gericht, immer wieder versucht der Verfassungsschutz, ihn als V-Mann anzuwerben. Schließlich wird der Fahndungsdruck zu groß, und Schlaffer schafft im Gefängnis den Ausstieg aus Kriminalität und Extremismus. Fortan beschließt er, sein altes Leben hinter sich zu lassen und sich aktiv gegen Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen. Aufrichtig und erschütternd erzählt Philip Schlaffer seine Lebensgeschichte - ein hochaktueller Insider-Bericht aus der rechten Szene, der nichts entschuldigt, sondern aufklären und warnen will.

Philip Schlaffer, Jahrgang 1978, war jahrelang Teil der gewaltbereiten deutschen Neonazi-Szene sowie später im Rotlicht- und Rockermilieu aktiv. Heute hat er seine Vergangenheit hinter sich gelassen und setzt sich im Verein Extremislos e.V. und online aktiv gegen Rassismus und für Demokratie und Toleranz ein.

Philip Schlaffer, Jahrgang 1978, war jahrelang Teil der gewaltbereiten deutschen Neonazi-Szene sowie später im Rotlicht- und Rockermilieu aktiv. Heute hat er seine Vergangenheit hinter sich gelassen und setzt sich im Verein Extremislos e.V. und online aktiv gegen Rassismus und für Demokratie und Toleranz ein.

Geordie-Lad


Als mir zum ersten Mal der Ausdruck »Nazi Pig« entgegengeschleudert wurde, wusste ich noch gar nicht, was ein Nazi überhaupt ist. Ich war zehn Jahre alt und gerade mit meinen Eltern und meiner älteren Schwester Catrin nach Newcastle upon Tyne in England gezogen. Dort sollte mein Vater ein Dräger-Werk sanieren, das rote Zahlen schrieb. Vorher war er im mittleren Management am Stammsitz des Medizin- und Sicherheitstechnikkonzerns in Lübeck tätig gewesen. Er arbeitete viel, war sehr diszipliniert und ehrgeizig. Das Angebot, nach England zu gehen, war die Chance auf einen Karriereschub, die er sich nicht entgehen lassen wollte. Ob wir Kinder mit dem Umzug einverstanden waren? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir gefragt wurden. So lief das bei uns nicht. Mein Vater führte die Familie wie ein Patriarch. Als Kinder hatten wir weder unsere Meinung zu sagen noch ein Mitbestimmungsrecht, wir hatten einfach zu funktionieren. Das Gleiche galt für meine Mutter, die früher als technische Zeichnerin gearbeitet hatte, aber seit der Geburt von meiner Schwester und mir Hausfrau war und unsere Erziehung weitgehend allein verantwortete. Schule gut, alles gut, das war das Motto bei uns zu Hause. Wurde es erfüllt, hatten wir Kinder und meine Mama ein ruhiges Leben.

Verwöhnt wurden wir nicht, aber wir hatten alles, was wir brauchten. Wir wuchsen in einem großen Haus in Stockelsdorf bei Lübeck auf, jedes Kind hatte sein eigenes Zimmer, in den Ferien reisten wir nach Spanien, an den Balaton und nach Österreich. Was in meinem Elternhaus allerdings etwas zu kurz kam, waren Herzlichkeit und menschliche Wärme. Zumindest vonseiten meines Vaters. Ich hatte immer das Gefühl, dass ihm sein Job wichtiger war als die Familie. Für die Arbeit ließ er alles stehen und liegen, aber sein Versprechen, mit mir zum HSV ins Stadion zu gehen, löste er nie ein. Statt gemeinsamer Erlebnisse gab es Leistungsdruck und Erziehungsmethoden, die ich immer noch fragwürdig finde. Als ich zum Beispiel mit acht oder neun Jahren unbedingt ein BMX-Rad haben wollte, wollte mein Vater mir den Wunsch mit dem Argument ausreden, dass ich mit den kleinen BMX-Reifen zu viel strampeln müsste. Solche rationalen Gedanken kamen bei mir natürlich nicht an. Ich wollte einfach ein Fahrrad haben, das cool aussah, also blieb ich bei meinem Wunsch. Als ich dann tatsächlich ein BMX-Rad bekam, war das Geschenk an eine Bedingung gekoppelt. Mein Vater verdonnerte mich dazu, jeden Sonntag zur Kirche mit dem Rad zu fahren. Er war katholisch, und auch wir Kinder waren katholisch getauft. Der sonntägliche Kirchgang war Pflicht. Ich hasste den religiösen Klimbim, die langweiligen Predigten und den Kommunionunterricht. Dass ich jetzt auch noch mit dem Rad zum Gottesdienst fahren musste, machte alles nur noch schlimmer, denn die katholische Kirche lag fünf Kilometer von unserem Haus entfernt. Nach fünf Kilometern mit dem BMX-Rad weiß man, was mein Vater mit »Gestrampel« meinte. Das begriff ich schon nach der ersten Sonntagsfahrt, als alle anderen Kinder mit größeren Reifen gnadenlos an mir vorbeizogen.

Aber diese Erkenntnis reichte nicht. Ich musste trotzdem weiter mit dem Rad zur Kirche fahren. Das war die Strafe für meine Sturheit. Bei meinem Vater griff das alte Motto »Wer nicht hören will, muss fühlen«. Das war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er selbst war mit Schlägen erzogen und von seiner Mutter nie richtig geliebt worden. Angesichts seiner harten Kindheit ist seine Strenge für mich im Nachhinein erklärbar. Und auch wenn ich bis heute mit vielen seiner Erziehungsmethoden nicht einverstanden bin, rechne ich ihm hoch an, dass er Catrin und mich nie geschlagen hat.

Was ich bei meinen Eltern an Wärme vermisste, holte ich mir bei meinen Großeltern mütterlicherseits. Bei denen verbrachten meine Schwester und ich in der Kindheit fast jedes Wochenende. Ich fand das super. Sobald ich bei Oma und Opa war, fiel der Leistungsdruck, der zu Hause ständig in der Luft hing, von mir ab. Ich fühlte mich frei, geborgen und geliebt. Das Haus meiner Großeltern war mein Wohlfühlort. Doch dann erkrankte meine Oma an Krebs – eine Folge des Umgangs mit den harten Chemikalien, die sie bei ihrer Arbeit in einer Reinigung verwendete. Sie war erst 68, als sie starb. Da war ich sechs Jahre alt.

Weil meine Mutter und mein Vater meinten, ich würde die Beisetzung nicht verkraften, wurde ich nicht mit zur Beerdigung genommen, konnte mich also nicht von Oma verabschieden. Das hab ich meinen Eltern sehr übel genommen. Es dauerte Monate, bis ich über den Verlust hinwegkam. Nach Omas Tod zog sich auch mein Großvater immer mehr zurück. Er trank jetzt oft zu viel Alkohol, deshalb besuchten wir ihn nur noch selten. Mein alter Wohlfühlort brach damit weg. Und dann, als ich mich gerade wieder einigermaßen gefangen hatte, kam die Ansage »Wir ziehen nach England«. Womit ich natürlich nicht einverstanden war. Zwar war die Auswanderung auf drei, maximal fünf Jahre begrenzt, aber das war kein Trost. Ich wollte nicht weg. Welches Kind will schon sein gewohntes Umfeld verlassen, um in ein Land zu ziehen, in dem es weder irgendwen kennt noch die Sprache beherrscht?

Familiendiskussionen gab es über den Umzug wie gesagt nicht, aber dass er ein harter Schnitt war, muss wohl auch meinen Eltern klar gewesen sein. Vielleicht hatten sie ausnahmsweise sogar ein schlechtes Gewissen. Jedenfalls schenkten sie mir vor der Abreise einen fünfzig Zentimeter großen Plüsch-Alf, den ich unter anderen Umständen nie im Leben bekommen hätte. Kennt Alf heute noch irgendwer? Das war der pelzige Außerirdische, der ab Mitte der Achtziger in einer nach ihm benannten US-Sitcom die Welt zum Lachen brachte. Alf war mein Held. Bevor wir nach England gingen, nahm ich jede Folge der deutsch synchronisierten Fassung aus dem ZDF auf Video auf. Wenn ich schon sonst bald niemanden mehr verstehen würde, dann doch wenigstens die Witze des respektlosen Chaos-Aliens. Tatsächlich sollten die Videokassetten für eine Weile meine einzige Zuflucht in eine unbeschwerte Vertrautheit bleiben, die mich die Einsamkeit nach dem Umzug vergessen ließ.

Newcastle upon Tyne liegt im äußersten Nordosten Englands. AC/DC-Sänger Brian Johnson und Sting sind dort aufgewachsen, die Stadt gilt als Wiege der industriellen Revolution in Großbritannien. Als wir 1988 dorthin zogen, boomte die Stahl-, Rüstungs- und Arzneimittelwirtschaft. Aber so was interessierte mich damals nicht. Das Einzige, wofür ich mich begeistern konnte, war der örtliche Fußballverein Newcastle United, der als Spitzenteam in der britischen Erstliga spielte. Für Fußball hatte ich mich immer interessiert. In Lübeck war ich selbst im Verein gewesen und sogar als vielversprechendes Talent gehandelt worden. Auch das war ein Grund, warum ich nicht aus Deutschland weggewollt hatte. Aber scheiß drauf. Die Brücken waren abgebrochen, die alte Umgebung unerreichbar. Stattdessen begleiteten mich durch die ersten Wochen in Newcastle die dauernden Gefühle von Entwurzelung und Einsamkeit. Und die misstrauischen Blicke meiner Mitschüler. Und – nachdem sich in der Schule herumgesprochen hatte, dass ich aus Deutschland kam – eben auch die gehässigen Rufe »Nazi Pig« und »Nazi Scum«.

England, Ende der Achtzigerjahre. Schon nach kurzer Zeit in Newcastle wurde ich ein richtiger »Geordie-Lad«.

Ich weiß nicht mehr, wie ich damals mit den Hänseleien umging. Nur dunkel liegt mir in Erinnerung, dass meine Mutter einmal ein Gespräch mit dem Schulleiter hatte und mir anschließend vage erklärte, dass die Beschimpfungen sich auf die Rolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg bezogen, der Krieg aber seit über vierzig Jahren vorbei sei und ich mir nichts aus dem Gepöbel machen sollte. Wenn ich das Ganze aus heutiger Sicht selbst beurteile, würde ich sagen: Die britischen Jungs, die mir auf dem Schulhof »Nazischwein« und »Naziabschaum« hinterherriefen, wussten wahrscheinlich genauso wenig wie ich, was ein Nazi wirklich ist. Sie hatten nur von ihren Eltern und Großeltern das in England damals noch sehr gängige Vorurteil aufgeschnappt, dass alle Deutschen Nazis sind. Jetzt benutzten sie es, um einen Neuen, der ihren Beschimpfungen wegen fehlender Sprachkenntnisse nichts entgegenzusetzen hatte, fertigzumachen. Das war nicht fair, aber Fairness ist den Kindern auf Schulhöfen ja meist egal. Da gilt das Recht des Stärkeren. Wer die schnellste Faust hat oder am lautesten brüllt, unterdrückt alle anderen – ein grundfalsches Prinzip, an dem leider auch manche Jugendliche und Erwachsene festhalten und das in meinem Leben noch eine prägende Rolle spielen sollte.

Ansonsten waren die Nazirufe meiner Mitschüler austauschbar. Wenn ich nicht als Nazi bezeichnet wurde, war ich das »Rich Kid«, weil ich im Gegensatz zu den Arbeiterkindern, die den Großteil der Schülerschaft in der Gosforth Middle School ausmachten, im noblen Viertel Whitebridge Park wohnte. Wäre ich aus einem anderen Land gekommen und hätte in einem anderen Viertel gewohnt, wären andere Beschimpfungen gekommen, aber gemobbt worden wäre ich so oder so, da bin ich mir ziemlich sicher. Letztendlich war das Geschrei nichts anderes als ein kindlicher und damit sehr offener Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit.

Die Ablehnung der Engländer war wie eine kalte Dusche. Vorher war ich zwar nie der große Checker gewesen, aber ich hatte mich auch nie als Außenseiter gefühlt. Jetzt war ich einer. Und zwar so richtig. Jeden Tag war ich froh, wenn ich mich nach der Schule mit dem Plüsch-Alf und den Videokassetten in meinem Zimmer verkriechen und die feindliche Welt da draußen aussperren konnte. Mit meinen...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Alkohol • Angst • Anschlag • Ausländer • Ausländerfeindlichkeit • Ausländerhass • aussteigen • Aussteiger • Ausstieg • Bekenntnis • Biografien von Kriminellen • Braun • Club • Demokratie • Drogen • Einschüchterung • Erpressung • Ex-Nazi • Extremismus • Flüchtlinge • Flüchtlingsheim • Follower • Fremdenfeindlichkeit • Gefängnis • Glatze • Haft • Hanau • influencer • Knast • Kriminalität • Kriminell • Kriminelle Organisation • Lebensgeschichte • Macho • Mord • Nationalsozialismus • Nazi • Neonazi • Neonazi Buch • NPD • NSU • Organisierte Kriminalität • Pegida • Polizei • Prävention • Prostitution • Radikalisierung • Rassendiskriminierung • Rassismus • Rassismus und Fremdenfeindlichkeit • rechte Gewalt • rechts • Rechtsextrem • Rechtsextremismus • Rechtsextremismus Deutschland • Rechtsradikal • Resozialisation • Rocker • Rockerclub • Rocker-Milieu • Rotlicht • Rotlichtmilieu • Rotlicht-Milieu • Schutzgeld • sinnfluencer • Social Influencer • Social Media • Totschlag • Verfassungsschutz • V-Mann • Völkisch • Wahre GEschichte • Walter Lübcke • youtube • Zwangsprostitution
ISBN-10 3-426-45893-4 / 3426458934
ISBN-13 978-3-426-45893-8 / 9783426458938
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