Not und Gebot (eBook)

Grundrechte in Quarantäne

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
200 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76896-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Not und Gebot - Heribert Prantl
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WIE MIT ANGST POLITIK GEMACHT WIRD - HERIBERT PRANTL ÜBER DEMOKRATIE IN ZEITEN DER PANDEMIE
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie ergreifen Staaten Maßnahmen, die sonst nur in Kriegszeiten denkbar wären. Ohne Parlament werden beispiellose Einschränkungen der Freiheit beschlossen und umgesetzt. Nicht nur Menschen, auch Grundrechte sind in Quarantäne. Not kennt kein Gebot? Falsch! Not braucht das Gebot des Grundgesetzes. Heribert Prantls Buch ist eine Streitschrift für die Grundrechte: Wir müssen uns vor dem Virus schützen, zugleich aber auch vor Schäden am Betriebssystem Demokratie.

Heribert Prantl analysiert in seinem neuen Buch, wie unter Corona eine gefährliche Stimmung entsteht, die die Grundrechte als Ballast empfindet. Grundrechte aber heißen Grundrechte, weil sie immer gelten, auch im Katastrophenfall, gerade dann. Prantls Chronik der Krise zeigt, wie das Gebot der Verhältnismäßigkeit einer neuen Lust am Autoritären weicht. Der Ausnahmezustand geht in die Verlängerung und die Verlängerung in die Verlängerung. Gewiss: Nicht jede Freiheitseinschränkung ist auch eine Verletzung der Grundrechte. Aber die Politik muss abwägen, Maß halten und die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren. Prantls Buch zeigt, wie mit Angst Politik gemacht wird. Es zeigt aber auch, wie man mit der Besinnung auf Grundrechte und Grundwerte eine gute Zukunft bauen kann. Prantl beleuchtet den Umgang der Medien mit der Pandemie und lenkt den Blick auf Themen, die Corona aufgefressen hat: das Flüchtlingselend, den Klimawandel, den Rassismus. Es geht ihm um den guten Weg aus der Krise und um die Rückkehr zu guter demokratischer und rechtsstaatlicher Normalität. Sein Buch ist ein Buch zur Lage der Nation, das vor neuem Nationalismus und vor dem Gift des Populismus warnt. Und es ist ein Buch, das zeigt, was die Zivilgesellschaft zivil und frei macht.
  • Denkanstöße aus Coronien
  • Wie man die Menschen vor dem Virus schützt, ohne die Demokratie zu beschädigen
  • Warum die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben muss
  • Das Infektionsschutzgesetz steht nicht über dem Grundgesetz
  • Eine Streitschrift für die Grundrechte


Heribert Prantl, Dr. jur., gelernter Richter und Staatsanwalt, war lange Jahre Leiter des Ressorts Innenpolitik und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Er wurde unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis, dem Kurt-Tucholsky-Preis, dem Erich-Fromm-Preis, dem Theodor-Wolff -Preis und dem Brüder-Grimm-Preis ausgezeichnet.

Was auf dem Spiel steht


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Es ist eine Stimmung entstanden, die Grundrechte
in Krisenzeiten als Ballast und Gefahr betrachtet.
Was tun?

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Es gibt Tage, an denen schon überholt ist, was gestern noch für undenkbar gehalten wurde. Wir haben viele solche Tage in der Corona-Krise erlebt: Schulen geschlossen, Kindergärten geschlossen, Theater geschlossen, Museen geschlossen, Geschäfte geschlossen, Sportanlagen geschlossen, Gaststätten geschlossen, Hotels geschlossen, Grenzen geschlossen, Versammlungen und Demonstrationen verboten. Wir haben erlebt, wie Kontakte kontrolliert, Maskenpflicht vorgeschrieben und Abstandsregeln verordnet wurden, wie Kindern das Ballspielen verwehrt wurde und Spaziergängern das Sitzen auf der Parkbank. Wir haben erlebt, wie dekretiert wurde, ob und wo man sich mit wem treffen darf. Wir haben erlebt, dass man sterbende Angehörige nicht mehr besuchen, nicht einmal mehr sehen durfte. Wir haben erlebt, wie diese Regeln penibel kontrolliert und bei Zuwiderhandeln stattliche Bußgelder kassiert wurden. Die Alten in den Pflegeheimen wurden isoliert, die Kranken in Krankenhäusern auch. Wir haben erlebt, wie Ostern entfestlicht und Weihnachten entweihnachtet wurde – weil strenge Kontaktregeln das gewohnte Feiern unmöglich gemacht haben.

Wir haben erlebt, dass der Staat sehr detaillierte und kleinteilige Regeln erlassen hat, um die Bürgerinnen und Bürger vor Corona und vor sich selbst zu schützen. Auf sehr kleinkariertem Papier, auf Millimeter-Papier quasi, war eingezeichnet, was die Bürgerinnen und Bürger gerade dürfen und was nicht. Das Leben der Menschen wurde, wie man das sonst mit Geschenken und Geschenkpapier macht, in dieses Millimeterpapier eingewickelt. Noch nie in der Geschichte ist das Leben der Menschen außerhalb von Gefängnissen so strikt reguliert worden wie in der Corona-Zeit. Jede einzelne der vielen Verbots- und Kontrollregeln hätte in anderen Zeiten zu Aufständen geführt. In der Corona-Zeit wurden sie überwiegend akzeptiert, begrüßt, ja es wurden sogar noch Verschärfungen gefordert, weil man sich davon Sicherheit und Gesundheit versprach. Die Sicherheitsgesetze, die zur Zeit des Terrorismus verhängt wurden, fanden in der Corona-Zeit nicht nur ihre begrüßte Fortsetzung, sondern ihre willkommene Potenzierung. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari meint daher: In fünfzig Jahren werden sich die Menschen gar nicht so sehr an diese Epidemie erinnern; stattdessen werden sie im schlimmsten Fall sagen, dass im Jahr 2020 mithilfe der Digitalisierung die allgegenwärtige Überwachung durch den Staat begann.

Wir haben erlebt, dass das Sichere nicht mehr sicher ist und das Sichergeglaubte nicht mehr hält, und dass Grundrechte als Ballast und als Gefahr gelten im Kampf gegen Covid-19. Was eigentlich Irrsinn ist, galt und gilt, wenn es um Corona-Prävention geht, als sinnhaft, als geboten, als alternativlos, als absolut notwendig, als noch lang nicht ausreichend. Der Big Brother, also der Präventionsstaat, der sich zuvor mit Video- und Kommunikationsüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und Gendateien bei vielen verdächtig gemacht hatte, wurde in der Corona-Zeit ein Freund und Partner. Und nicht wenige schauten mit sehnsüchtigen Augen nach Fernost, wo der Big Brother, zur Prävention und Repression von Corona, noch viel bigger ist als in Europa – wo die Kreditkartendaten an die staatlichen Stellen weitergemeldet werden, wo Überwachungskameras dicht an dicht stehen; wo Menschen ein iPhone bei sich tragen müssen, mit dem ihre Bewegungen nachverfolgt werden können (und wer kein Handy hat, kriegt einen Token, eine Art Bewegungsmelder, an den Schlüsselbund).

Corona, die Angst davor und die Maßnahmen zum Schutz vor Covid-19 haben geschafft, was die Weltkriege nicht geschafft haben: Selbst die Kirchen wurden geschlossen, Hochzeiten und Taufen fielen aus, Firmungen wurden abgesagt und Konfirmationen; Beerdigungen durften nur noch im kleinsten Kreis stattfinden. Der Ausnahmezustand lugte nicht mehr nur um die Ecke, er war da. Und es herrschte eine allgemeine Stille, auch darüber.

Vor dem Lockdown des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens im Frühjahr kam der politische Selbst-Lockdown des Parlaments. Der Bundestag hat es ermöglicht, dass von der Exekutive Rechtsverordnungen erlassen werden können, die von den Gesetzen abweichen. Auf diese Weise ist in den Corona-Monaten eine untergesetzliche Parallelrechtsordnung entstanden. Das hat ungute Auswirkungen; zu diesen Auswirkungen gehören auch die zum Teil völlig irrationalen Proteste gegen die staatliche Pandemiebekämpfung.

Der Bundestag hat in der historischen Corona-Zeit auf intensive Diskussionen zu Covid-19 weitgehend verzichtet; er hat es zugelassen, dass parlamentarische Beratungen und Abstimmungen ersetzt wurden durch Merkel-Söder-Laschet-Prozeduren. Der Bundestag hat es geduldet, dass per Verordnung Grundrechte auf- und zugedreht wurden – gerade so, als hätte ein Grundrecht Armaturen wie ein Wasserhahn. Der Lockdown und dessen Verlängerungen wurden nach vertraulichen Beratungen der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten in Pressekonferenzen verkündet – ex cathedra, ohne jede Beteiligung des Parlaments.

Der Bundestag hat es billigend in Kauf genommen, dass mit kleinem untergesetzlichem Recht große fundamentale Entscheidungen getroffen wurden. Mit begründungslosen Verordnungen hat die Verwaltung die Versammlungs- und Religionsfreiheit aufgehoben, die Freizügigkeit abgeschaltet, gewerbliche Tätigkeiten massiv beeinträchtigt, das Recht auf Bildung und Erziehung verdünnt; alte und behinderte Menschen wurden nur noch unzureichend versorgt. Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei all diesen Maßnahmen hat die Exekutive an die Gerichte ausgelagert. Und also wurde verordnet, dass selbst das Sitzen auf einer Parkbank als Gefahrenquelle für das Gesundheitssystem zu gelten habe.

Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt war seiner Zeit weit voraus. Er hat sein Stück zur Corona-Krise schon im Jahr 1952 geschrieben. Es ist dies eine surreale Kurzgeschichte, die heute, Jahrzehnte später, gar nicht mehr so surreal ist. Sie heißt «Der Tunnel». Es ist dies ein Stück über den Schrecken, der plötzlich in den Alltag eindringt, ein Stück über das Leben, das eigentlich in geregelten Bahnen verläuft – aber auf einmal aus der Bahn geworfen wird. Hauptperson ist ein 24-jähriger Student, der im Zug sitzt auf einer Strecke, die er oft fährt. Es fällt ihm auf, dass der Zug ungewöhnlich lange durch einen eigentlich sehr kurzen Tunnel rast. Die Unruhe des Studenten wächst, während die Mitreisenden nicht beunruhigt sind. Der Schaffner versichert auf Anfrage, dass alles in Ordnung sei. Der Zugbegleiter kann sich den langen Tunnel nicht erklären. Der Führerraum der Lokomotive ist leer, der Lokführer ist nach fünf Minuten abgesprungen, der Zugbegleiter an Bord geblieben, aus Pflichtgefühl und weil er schon «immer ohne Hoffnung gelebt» habe. Die Notbremse funktioniert nicht, der Zug rast immer schneller und schneller in den dunklen Abgrund. In der Erstfassung endet die Geschichte mit dem Schlusssatz: «Gott ließ uns fallen und so stürzen wir denn auf ihn zu.» In einer neuen Fassung von 1978 strich Dürrenmatt diesen Satz. Am Ende steht hier das Wort «Nichts».

Corona verunsichert. Corona treibt die Menschen um. Corona macht Angst. Corona trägt Stress in Familien und Freundschaften. Corona zerstört Lebensrhythmen. Corona ist Entheimatung. Corona hat nicht nur eine andere Beziehung zu den Mitmenschen hergestellt, Corona stellt eine andere Weltbeziehung her. Corona macht Flächen zu Angriffsflächen, die Tiere zu Virenträgern, die Dinge zu Bedrohungen. Die Welt wird fremd. Bleibt das so? Werden die Entfremdungsregeln künftig bei jedem neuen Virus von Neuem aktiviert? Der permanente politische und mediale Alarmismus hat der Gesellschaft nicht gutgetan: «Fürchtet euch», war die Botschaft, die Politik und Medien über Monate verbreitet haben. Die Weihnachtsbotschaft heißt: «Fürchtet euch nicht». Mitten im zweiten Lockdown hatte diese Botschaft die Kraft nicht, die sie gebraucht hätte.

Nicht die Freiheit muss sich rechtfertigen, sondern ihre Beschränkung und Begrenzung: So lernen es die Juristen schon im Anfängerseminar. In der Corona-Zeit begann dieser Satz zu wackeln und zu bröckeln. Daher war die Lehre von der Verhältnismäßigkeit der Mittel noch nie so wichtig wie in der Corona-Krise. Wenn diese Verhältnismäßigkeit der Politik, wenn sie den Regierungen und den Verwaltungen nicht so wichtig ist, dann sind die Gerichte dazu da, Recht und Freiheit auch gegen das Virus tapfer zu verteidigen. ...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2021
Reihe/Serie Beck Paperback
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Altenheim • Angst • Ausnahmezustand • Corona • Demokratie • Demonstration • Einschränkung • Freiheit • Freiheitseinschränkung • Gottesdienst • Grundgesetz • Grundrechte • Infektionsschutzgesetz • Jens Spahn • Krieg • Kriegsrecht • Krise • Merkel • Notstand • Pandemie • Panik • Panikmache • Politik • Populismus • Quarantäne • Verhältnismäßigkeit • Virus • Zivilgesellschaft
ISBN-10 3-406-76896-2 / 3406768962
ISBN-13 978-3-406-76896-5 / 9783406768965
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