Sachunterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung planen und gestalten -  Michael Häußler

Sachunterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung planen und gestalten (eBook)

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2023 | 1. Auflage
171 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-039856-6 (ISBN)
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Nach welchen Gesichtspunkten können Lerninhalte für den Sachunterricht mit Schülerinnen und Schülern mit intellektueller Beeinträchtigung ausgewählt werden? Wie lassen sich deren sehr unterschiedliche Lernvoraussetzungen auf einen Nenner bringen? Und wie kann lebendiger, lernintensiver Sachunterricht entstehen? Eine Antwort auf diese Fragen gibt das 'Plan-Quadrat' für den Sachunterricht im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE). Es beinhaltet als Planungsmodell die Ebenen des basalen, des aufbauenden und des fachbezogenen Lernens, dient als als Ideengenerator, aber auch als Auswahlinstrument und Entscheidungshilfe bei der Erstellung vielperspektivischer und vorhabenorientierter Unterrichtssequenzen.

Dr. Michael Häußler ist Seminarrektor und Leiter eines Studienseminars für das Lehramt für Sonderpädagogik.

Dr. Michael Häußler ist Seminarrektor und Leiter eines Studienseminars für das Lehramt für Sonderpädagogik.

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Sachunterricht im FgE – Grundlegende Fragestellungen


2.1      Zum Verständnis von Sachunterricht im FgE


2.1.1     Sachunterricht als Unterrichtsfach


Sachunterricht hat seit den 1970er-Jahren in Grund- und Förderschulen das Fach Heimatkunde abgelöst. In Bayern gibt es das Fach noch als »Heimat- und Sachunterricht« der Grundschule (vgl. Staatsministerium 2014; Blaseio & Westphal 2019). Im »LehrplanPlus für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung« in Bayern findet sich das Fach Sachunterricht unter der Bezeichnung »Sach- und lebensbezogener Unterricht« nicht nur in der Grundschulstufe, sondern ebenso in der Mittelschulstufe (vgl. Staatsinstitut 2019). Dieses ist in seiner Grundstruktur – ebenso wie das Fach Heimat- und Sachunterricht im Lehrplan für die bayerische Grundschule – eng an den Perspektivrahmen Sachunterricht der GDSU (2013) angelehnt. In den vorausgehenden bayerischen Lehrplänen für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (vgl. z. B. Staatsministerium 2003) wurde Sachunterricht nicht als eigenständiges Fach gesehen, sondern in Lernfelder bzw. Lernbereiche zerlegt (Heimat, Zeit, Verkehr, Natur …) und in der Stundentafel mit den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen zu Grundlegendem Unterricht (GU) zusammengefasst (vgl. VSO-F Bayern).

Ein Blick in die Lehrpläne anderer Bundesländer zeigt ein uneinheitliches Bild: Der niedersächsische Lehrplan für den FgE spricht beispielsweise für den Primarbereich von Sachunterricht, für die Sekundarstufe hingegen von Gesellschaftslehre, Naturwissenschaften und AWT. Im Rahmenlehrplan »Eingangsstufe bis Oberstufe bzw. Jahrgangsstufe 1 bis Jahrgangstufe 10« der Länder Berlin und Brandenburg ist dagegen explizit das Fach »Sachunterricht« ausgewiesen.

Sachunterricht bezieht sich in den folgenden Überlegungen nicht nur auf Unterricht in der Grundschulstufe, sondern auch in der Mittelschulstufe, also auf die Schulbesuchsjahre 1–9 (vgl. das Fach »Sach- und lebensbezogener Unterricht« im LPPlus Bayern). Dies entspricht i. W. der Primarstufe und der Sekundarstufe I. In den Berufsschuljahren (Werkstufe oder Berufsschulstufe) wird hingegen mit der Vorbereitung auf das Erwachsenenleben ein eigener Akzent gesetzt (vgl. z. B. Gößl 2008).

In Anlehnung an Schurad ist ein Unterricht gemeint, in dem »gleichsam in Abänderung des grundschulbezogenen Sachunterrichts – für ihn (den Schüler mit geistiger Behinderung – Anm. M.H.) eine Auswahl von ›Sachen‹ und für ›Sachen‹ getroffen (wird), die ihn während der ganzen Schulbesuchszeit … begleiten …« (Schurad 2002, 22). Und weiter: »Der Sachunterricht der SfGb führt die … genannten Sachbereiche weiter in das Jugend- und Erwachsenenalter des geistig behinderten Menschen« (ebda, 23). Dazu kommt: Sachunterricht für den FgE integriert darüber hinaus auch lebenspraktische und entwicklungsorientierte Aspekte, die mit fachbezogenen Inhalten zu einem entwicklungs- und lebensweltbezogenen Unterrichtskonzept kombiniert werden.

Wichtiger noch als derartige formale Bestimmungen ist die Frage, was »Sachunterricht« eigentlich inhaltlich meint.

2.1.2     Sachunterricht im FgE zwischen Lebenswelt- und Fachbezug


Mit der »Sache« als zentraler Kategorie des Sachunterrichts (vgl. Köhnlein 2007, 41 ff.) begegnen Schülerinnen und Schüler in ihrer Lebenswelt einem Gegenstand, einem Phänomen, einer Situation und Ähnlichem mehr und setzen sich handelnd, denkend und sprechend damit auseinander. Dabei steht die Sache stets in einem Netz von Zusammenhängen und bildet so einen »Sachverhalt«, dessen Verknüpfungen es zu durchdringen gilt. »Sache« meint zweierlei: zum einen die Inhalte selbst, zum anderen aber auch die mit ihnen zusammenhängenden Erkenntnismethoden, die (fachspezifischen) Arbeitsweisen bzw. Kompetenzen. Bildungswirksam in einem grundlegenden Sinne ist die Auseinandersetzung mit den »Sachen« und »Sachverhalten« dann, wenn es gelingt, Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung (auch basale) Möglichkeiten der Erschließung (vgl. Kahlert 22 ff.) ihrer Umwelt an die Hand zu geben, Denk- und Handlungsräume zu eröffnen und Verstehensprozesse anzustoßen. Sachunterricht will Hilfen zur praktischen, rationalen, aber auch ästhetischen und ethischen Orientierung in der Welt geben, über den Aufbau von Wissen und Können es dem einzelnen ermöglichen, zu sich selbst und zur Welt ein »kritisch-reflexives Verhältnis« (Seitz & Schomaker 2011, 156) zu gewinnen und darüber seine Persönlichkeit zu entwickeln und zu stärken. Dementsprechend gelten die von Kahlert (2016, 29) formulierten Ziele von Sachunterricht prinzipiell auch im FgE, mehr noch, sie scheinen auf diesen in besonderem Maße zuzutreffen:

  Aneignung von sachgemäßem Wissen über die soziale, natürliche und technisch gestaltete Umwelt.

  Erwerb sinnvoller und bewährter Zugangsweisen und Arbeitsformen, um sich dieses Wissen zunehmend selbstständig zu erschließen und es anzuwenden.

  Sich mit Hilfe dieses Wissens und Könnens in sozialen Beziehungen und der Gesellschaft zunehmend selbstständig zu orientieren, zu urteilen und zu handeln.

Die Auswahl der Inhalte und Zielsetzungen erfolgt in diesem Buch nicht primär nach der Logik der jeweiligen Fachwissenschaften bzw. Fachdidaktiken, sondern orientiert sich an einer sachunterrichtsdidaktischen Argumentation, welche von einem Spannungsverhältnis von kindlicher Lebenswelt und fachlichen Zugangsweisen ausgeht. Diese gilt es zueinander in Beziehung zu setzen und damit eine »doppelte Anschlussaufgabe« (GDSU 2013, 10) zu erfüllen. Dieses Spannungsfeld stellt gewissermaßen das Grundmotiv sachunterrichtlichen Denkens und auch seines Bildungsverständnisses dar und ist angesichts der Faktizität einer geistigen Behinderung notwendigerweise besonders stark ausgeprägt.

Ausgangspunkt ist die Lebenswelt des Kindes bzw. Jugendlichen mit ihren Phänomenen. Sachunterricht soll zunächst Alltagserfahrungen und deren subjektive Deutung (»Präkonzepte« – vgl. hierzu ausführlich Schönknecht & Maier 2012, 6 ff. sowie für den FgE Schenk & Ratz 2021) aufgreifen.

Im Bewusstsein der Unschärfe des Begriffs spreche ich von der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung. »Die ›Lebenswelt‹ macht die ›Welt‹ und die Lebensweise aus, in der wir ganz naiv (im positiven Sinn) und spontan existieren« (Danner 1979, 22). Überzeugend finde ich auch Kahlerts Plädoyer für den Begriff Umwelt, da er »mit den geringsten theoretischen Voraussetzungen und Vorab-Festlegungen für die Reflexion von Aufgaben des Sachunterrichts belastet« (Kahlert 2016, 21 f.) sei, weswegen auch dieser Verwendung findet.

In einem Spannungsverhältnis zu den lebensweltlich geprägten Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen steht die sachlich-fachliche Perspektive. Der spezialisierte Zugang der Fächer zu ihren Gegenständen entspricht allerdings nicht der Art und Weise, wie Kinder (im FgE auch Jugendliche) ihrer Lebenswelt begegnen. Sachunterricht ist daher als integratives Sachfach angelegt, welches natur- und gesellschaftswissenschaftliche Inhalte, aber auch übergreifende Aspekte integriert. Sachunterricht ist explizit kein (reduzierter) Physik-, Geschichts- oder Erdkundeunterricht. Aus der u. a. im einflussreichen »Perspektivrahmen Sachunterricht« (GDSU 2013; erstmals 2002; zu seiner Bedeutung vgl. Hartinger & Lange-Schubert 2019b) entwickelten vielperspektivischen Anlage des Sachunterrichts heraus ist es jedoch möglich, etwa ein Alltagsphänomen wie das Wasser gewissermaßen durch die Brille vielfältiger Fachperspektiven zu betrachten und dabei naturwissenschaftliche (Aggregatszustände, Wasser als Lebensgrundlage), sozial-ökonomische (Nutzung von Wasser, Wasserversorgung), geographische (Klimazonen, Niederschläge) und historische (Wasserversorgung in früheren Zeiten) Sichtweisen zu integrieren und in den Blick zu nehmen. Für den FgE ist die vielperspektivische Ausrichtung des Sachunterrichts ein wichtiger Gedanke, da so Phänomene gewissermaßen als Ganzes in den Blick genommen werden können und nicht künstlich in Unterrichtsfächern organisiert werden. Vielperspektivität des Sachunterrichts meint »ein basales Prinzip der Vielfalt aufeinander bezogener Inhalte, Betrachtungsweisen, Wissensformen und Methoden«...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2023
Zusatzinfo 10 Abb., 23 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sonder-, Heil- und Förderpädagogik
Schlagworte Didaktik • Geistige Behinderung • Sonderpädagogik
ISBN-10 3-17-039856-3 / 3170398563
ISBN-13 978-3-17-039856-6 / 9783170398566
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