Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft (eBook)

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2023 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491711-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft -  Stephan Anpalagan
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Ein Buch über Heimat. Und Liebe. Und Liebeskummer. Ein Buch über uns alle. In »Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft« schreibt der Theologe und Autor Stephan Anpalagan über Heimat. Unsere Heimat. Es ist ein Buch über Menschen, die sagen »Ich liebe dieses Land so sehr. Aber dieses Land liebt mich nicht zurück.« Es ist eine Geschichte über den Liebeskummer, den Menschen verspüren, die seit Jahren, Jahrzehnten und Generationen in unserem Land leben und dennoch keine Heimat finden. Es ist ein Buch über das »Wir« in »Wir sind das Volk« und das »Du« in »Du bist Deutschland«. Es ist ein Buch über Deutschland. Ein Deutschlandbuch. Eine Erzählung über die italienischen Gastarbeiter, den deutschen Fußball, die deutsche Leitkultur und die deutsche Bahn. Es ist ein Ausblick darauf, wie der Rassismus in unserem Land den Fachkräftemangel verschärft und was wir dagegen tun können. Vor allem aber, wie wir dieses Land zu einer besseren Heimat machen. Für uns alle. »Mit Witz und Schärfe und nicht ganz ohne Sympathie denkt Stephan Anpalagan in diesem Buch über die Deutschen nach, die sich so nach der Mitte sehnen, und er fragt, was diese Sehnsucht für die bundesrepublikanische Demokratie bedeuten kann.« Hedwig Richter »Von diesem Buch geht eine ganz eigene Faszination aus. Stil, Erzählweise, all das hat mich wirklich gepackt, in meine Jugend zurückgeworfen, an meine Eltern erinnert. Stephan Anpalagan schafft es, den Bogen von den 1950ern bis zur jüngsten Vergangenheit zu schlagen, ohne dabei unterkomplex zu werden. Analytisch immer auf das Wesentliche fokussiert. Man möchte schreien - und dennoch ist es ein Lesevergnügen!« Carlo Masala »An der Familientafel Deutschland ist Stephan Anpalagan der Lieblingscousin, der so humorvoll erzählen kann - und dich danach mit ein, zwei kritischen Fragen zum Stocken bringt.  Differenziert und schonungslos seziert er unsere affektgeladene Neurosenrepublik und begibt sich an einen Ort, den kaum einer zu beschreiben vermag: die Mitte.« Micky Beisenherz

Stephan Anpalagan, geboren 1984 in Sri Lanka und aufgewachsen in Wuppertal, ist Diplom-Theologe und Autor. Nachdem er viele Jahre in der Wirtschaft als Manager tätig war, ist er nun Geschäftsführer der gemeinnützigen Strategieberatung »Demokratie in Arbeit«. In seinen Texten verhandelt er die Themen Heimat und Identität. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in NRW. In dem SWR-Podcast »Gegen jede Überzeugung« diskutierte er mit Nicole Diekmann über die kontroversen Themen unserer Gesellschaft. Zudem ist er Jurymitglied des Grimme Online Awards.

Stephan Anpalagan, geboren 1984 in Sri Lanka und aufgewachsen in Wuppertal, ist Diplom-Theologe und Autor. Nachdem er viele Jahre in der Wirtschaft als Manager tätig war, ist er nun Geschäftsführer der gemeinnützigen Strategieberatung »Demokratie in Arbeit«. In seinen Texten verhandelt er die Themen Heimat und Identität. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in NRW. In dem SWR-Podcast »Gegen jede Überzeugung« diskutierte er mit Nicole Diekmann über die kontroversen Themen unserer Gesellschaft. Zudem ist er Jurymitglied des Grimme Online Awards.

Stephan Anpalagans neues Buch ist der richtige Beitrag für die überhitzte Migrationsdebatte.

mit kühlem Kopf und brennendem Herzen schreibt Anpalagan

ein lesenswertes Buch

Anschaulich und bewegend analysiert Stephan Anpalagan Fremdheitserfahrungen.

Schonungslos und spöttisch entlarvt Anpalagan die Leitkulturdebatten als inhaltsleer und die Mitte der deutschen Gesellschaft als einen Ort, an dem Vorurteile zu Hause sind.

Er spannt den großen Bogen von den vergangenen Kämpfen zu den heutigen.

Es ist ein aufklärendes, dabei durch aus schonungsloses, aber am Ende eben auch Mut machendes Buch.

Almanya


»Deutschland sagt Danke!«

So heißt die Veranstaltung, zu der Hüseyin Yılmaz eingeladen ist. Er, der 1000001ste Gastarbeiter, soll eine Rede halten. Über sich, sein Leben, seine Heimat. Über Deutschland. Und über die Türkei. Es gibt nur ein kleines Problem: Yılmaz ist leider während eines Türkeiurlaubs, im Beisein seiner Familie, verstorben. Er hatte sich seine Worte sorgfältig zurechtgelegt, es gab viel zu erzählen. Wie er seine Heimat in Anatolien verlassen hat und nach Deutschland gekommen ist. Wie seine Frau mit den drei kleinen Kindern alleine zurückblieb. Wie er nach der Arbeit auf deutschen Baustellen nachts in seinem Bett lag, die Briefe las und die Bilder anschaute, die ihn aus der Ferne erreichten. Wie die Sehnsucht überhandnahm, die Verantwortung aber alle Zweifel an seiner Entscheidung einhegte. Wie die Familie eines Tages endlich wieder vereint war. In Deutschland. Wie seine Frau verzweifelt versuchte, in diesem fremden Land mit seiner fremden Sprache Brot und Milch zu kaufen. Wie ihm die Kinder entglitten, weil sie Deutsche wurden. Viel schneller als er. Er hatte viel zu erzählen. Über seine Identität und seine Zugehörigkeit. Über sein Kommen und Bleiben. Über die seltsamen Deutschen, die ihn schlussendlich zu einem der Ihren gemacht haben. Der rote Reisepass der Bundesrepublik Deutschland war der Beweis. Er war nun Deutscher. Deutschtürke. Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund. Ein türkischer Alman.

Die Veranstaltung »Deutschland sagt Danke!« findet in Schloss Bellevue statt, dem Sitz des Bundespräsidenten. Im Beisein der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hüseyin Yılmaz wird seine Rede nicht halten. Das macht nun Cenk Yılmaz, der sechsjährige Enkel. Cenk ist sichtlich nervös. Als er an das Rednerpult tritt, schwebt das Mikrofon einen halben Meter über seinem Kopf. Während er redet, sieht man eine Zahnlücke dort, wo einmal sein Milchzahn war.

»Ich bin Cenk. Hüseyin Yılmaz ist mein Opa. Er ist vor kurzem gestorben. Aber ich weiß, was er sagen wollte. Wir haben zusammen geübt: Sehr geehrte Bundeskanzlerin und liebe Mitbürger. Ich danke Ihnen sehr, dass ich als 1000001ster Ausländer, der nach Deutschland kam, um zu arbeiten, heute zu Ihnen sprechen darf. Ich lebe seit 45 Jahren hier. Manchmal war es gut und manchmal schlecht. Aber jetzt bin ich glücklich. Früher hätte ich das nie für möglich gehalten …«

Cenks Stimme wird leiser. Die Kamera richtet sich nun auf das Publikum, man sieht Cenks Eltern, die gerührt sind und stolz. Seine Großmutter Fatma Yılmaz ist zu sehen, die Witwe von Hüseyin Yılmaz, der die Tränen über das Gesicht laufen.

Es ist eine der letzten Szenen eines Films, der so heißt, wie viele Menschen in diesem Land ihre Heimat bezeichnen würden: Almanya.

In der allerletzten Szene sieht man die gesamte Familie Yılmaz in der untergehenden Abendsonne sitzen. Sie essen und trinken. Gemeinsam mit Freunden. Man sieht alle Figuren des Films, die Erwachsenen und ihre jüngeren Pendants. Der alte Hüseyin Yılmaz führt sein jüngeres Ich auf eine Sitzbank, klopft ihm liebevoll auf den Rücken und flüstert ihm etwas ins Ohr. Beide lachen.

Der Film endet mit den unsterblichen Worten von Max Frisch:

»Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen.«

Während der Abspann läuft, bleibe ich noch eine Weile nachdenklich sitzen. Dieser Film macht etwas mit mir. Dieser Satz macht etwas mit mir.

Ich habe anderthalb Stunden lang mit Hüseyin Yılmaz mitgefiebert, der sich Hals über Kopf in eine Frau verliebt, die er mit viel Liebe und List gewinnen muss, weil er ihrem Vater nicht gut genug ist. Ich habe mit einem verzweifelten Hüseyin Yılmaz mitgefühlt, der sich in einem fremden Land kaputt malocht, damit seine Kinder es eines Tages besser haben als er selbst. Ich habe schmunzelnd den Kopf geschüttelt, als sein daheimgebliebener Sohn Veli in der Türkei die Schule schwänzt, weil er seine Zeit lieber mit seinen Kumpels am Meer verbringt. Und ich habe dessen Bruder Muhamed bedauert, der schmerzhaft erfahren muss, dass die Freundschaft zu seinem vermeintlich besten Freund keinen Pfifferling wert ist, weil der ihn nur ausnutzt. Ich hatte Mitleid mit der Enkelin Canan Yılmaz, die ungewollt schwanger wird und nicht weiß, wie sie es ihrer Mutter beichten soll. Und dem kleinen, zuckersüßen Cenk, der in der Schule ausgegrenzt wird, weil er in keine Gruppe so richtig hineinpasst. Ich war ratlos angesichts der erwachsenen Brüder Veli und Muhamad, die derart zerstritten sind, dass nicht einmal mehr Verachtung füreinander übrig bleibt. Und ich konnte nur erahnen, was für eine Überwindung es gekostet haben muss, als Veli den ersten Schritt auf Muhamad zugeht, um sich mit ihm zu versöhnen. Ich habe förmlich gespürt, wie Fatma Yılmaz’ Herz zerreißt, als sie mitansehen muss, wie ihr Mann stirbt. Nach 50 Jahren Ehe, in denen sie alles gemeinsam durchlitten und durchgestanden haben. Nachdem sie vier Kinder großgezogen, eine neue Heimat gefunden, Häuser gekauft und zuletzt über grüne und schwarze Oliven gestritten haben. Wie sich die Trauer auf sie legt und sie ahnt, dass die Einsamkeit und die Schwere nie wieder weggehen werden.

Während ich diesen Film schaue, macht sich ein diffuses Gefühl breit, und erst ganz zum Schluss, als die Worte von Max Frisch auftauchen, lässt es sich präzise bestimmen. Es geht in diesem Film nicht um die Geschichte der türkischen Einwanderer in Deutschland. Es geht nicht um Gastarbeiter und Integration. Es geht um Beziehung und Vertrauen, um Träume und Wünsche, um Verzweiflung und Hoffnung. Die Protagonisten dieses Films sind nicht in erster Linie Türken, sondern Ehemann, Großmutter, Vater, Bruder, Schwester, Enkel und Cousine.

Sie erscheinen beinahe wie echte Menschen. Obwohl sie Ausländer sind.

In diesem Land, in dem es Schulen, Friseure, Wellnesshotels und Krankenversicherungen für Hunde gibt, in dem Hunde Menschennamen[1] tragen und sich Hundehalter als »Hunde-Eltern«[2] bezeichnen, ist es noch immer ungewöhnlich, wenn Ausländer wie Menschen dargestellt werden.

Almanya hat zahlreiche Preise gewonnen. Das Fachpublikum war begeistert. Das Publikum der Berlinale war begeistert. Doch trotz der Qualität des Films, des Drehbuchs, der Schauspielerinnen, trotz der Verleihung des Deutschen Filmpreises in Silber in der Kategorie »Bester Film«, trotz einer Auszeichnung durch die Deutsche Film- und Medienbewertung mit dem Prädikat »besonders wertvoll«, trotz alledem kommen selbst die freundlichsten Besprechungen in liberalen Zeitungen nicht umhin, festzustellen, dass in dem gesamten Film »Integrationsdefizite« und »Ehrenmorde« ausgespart bleiben. Oder dass die beiden Schwestern, die diesen Film geschrieben und gedreht haben, keine Kopftücher tragen. Na sapperlot!

In der Süddeutschen Zeitung heißt es großzügig:

»Es ist schon ganz in Ordnung, wenn inmitten all der notwendigen Debatten über den Stand der Migration und Integration in diesem Land gelegentlich jemand daran erinnert, dass es auch Einwanderer gibt, denen die Integrationsproblematik wesentlich fremder ist als Sauerkraut.«[3]

Der Tagesspiegel schreibt:

»Es ist eben, auch wenn sich daraus starke filmische Dramen wie ›Gegen die Wand‹ oder ›Die Fremde‹ filtern lassen, nicht alles immer gleich ›Ehrenmord‹ oder pure Verzweiflung der nachgeborenen Einwanderergenerationen. Sondern es gibt auch das Vorandrängen der Jüngeren, die neue Lebensentwürfe suchen und durchsetzen, es gibt sie, die Integration im Alltag, und darauf vor allem richtet ›Almanya‹ seinen Blick.«[4]

Auch das macht mich nachdenklich.

»Es ist eben nicht alles immer gleich ›Ehrenmord‹.«

Ist es das, was die Deutschen über die Ausländer denken? Die liberalen Deutschen aus der Mitte der Gesellschaft, die den Tagesspiegel lesen, die für den Tagesspiegel schreiben, über einen Film, der damit endet, dass der kleine Cenk Yılmaz in Anwesenheit der Bundeskanzlerin eine liebevolle Rede über seinen Großvater hält – auf einer Veranstaltung, die »Deutschland sagt Danke!« heißt?

»Es ist eben nicht alles immer gleich ›Ehrenmord‹.«?

Der Film zeigt Ehepaare, Eltern und Kinder, die ihr Leben, trotz aller Widrigkeiten, in Freiheit, Würde und Liebe bestreiten.

Als Fatma Yılmaz nach ihrer Ankunft in Deutschland ihren Kindern eine Freude bereiten will, kauft sie einen ca. 30 Zentimeter großen Weihnachtsbaum und läuft anschließend mit den unverpackten Weihnachtsgeschenken an den argwöhnischen Kindern vorbei. Die sind entsetzt. Die verpackten (!) Weihnachtsgeschenke gehören unter (!) den Weihnachtsbaum! Dann klingelt das Glöckchen! Und die Kinder dürfen die Geschenke vorher nicht sehen! Wegen Christkind und so! Fatma ist völlig entnervt. Die Szene lässt sich in Sachen Schrägheit mittig zwischen der »Muppets Weihnachtsgeschichte« und dem...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Antisemitismus • Armut • Bücher zum Thema Zuwanderung • cancel culture • Deutschlandbuch • Diskriminierung • Erwin Kostedde • Fachkräftemangel • Gastarbeiter • Gesellschaftsanalyse • Heimat • Identität • Integration • Leitkultur • Linksruck • Mesut Özil • Migranten • Migrantisemitismus • Migration • Muslimfeindlichkeit • polarisierte Gesellschaft • politische Mitte • Rassismus • Rechtspopulismus • Rechtsruck • Schwarzer Adler • Shary Reeves • Zugehörigkeit
ISBN-10 3-10-491711-6 / 3104917116
ISBN-13 978-3-10-491711-5 / 9783104917115
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