Das sechste Sterben (eBook)

Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt
eBook Download: EPUB
2015 | 2. Auflage
312 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74062-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das sechste Sterben -  Elizabeth Kolbert
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Sie haben noch nie etwas vom Stummelfußfrosch gehört? Oder vom Sumatra-Nashorn? Gut möglich, dass Sie auch nie von ihnen hören werden, denn sie sind dabei auszusterben. Wir erleben derzeit das sechste sogenannte Massenaussterben: In einem relativ kurzen Zeitraum verschwinden ungewöhnlich viele Arten. Experten gehen davon aus, dass es das verheerendste sein wird, seit vor etwa 65 Millionen Jahren ein Asteroid unter anderem die Dinosaurier auslöschte. Doch dieses Mal kommt die Bedrohung nicht aus dem All, sondern wir tragen die Verantwortung.

Wie haben wir Menschen das Massenaussterben herbeigeführt? Wie können wir es beenden? Elizabeth Kolbert spricht mit Geologen, die verschwundene Ozeane erforschen, begleitet Botaniker in die Anden und begibt sich gemeinsam mit Tierschützern auf die Suche nach den letzten Exemplaren gefährdeter Arten. Sie zeigt, wie ernst die Lage ist, und macht uns zu Zeugen der dramatischen Ereignisse auf unserem Planeten.



<p>Elizabeth Kolbert, geboren 1961, ist Journalistin und Autorin. Sie schrieb unter anderem für die<em> New York Times</em>, seit 1999 arbeitet sie für das angesehene Magazin <em>The New Yorker</em>. Für ihre Reportageserie <em>The Climate of Man</em> erhielt sie 2006 den National Magazine Award in der Kategorie Public Interest. 2015 wurde sie für <em>Das sechste Sterben - Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt </em>mit dem Pulitzer-Preis in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet.</p>

Elizabeth Kolbert, geboren 1961, ist Journalistin und Autorin. Sie schrieb unter anderem für die New York Times, seit 1999 arbeitet sie für das angesehene Magazin The New Yorker. Für ihre Reportageserie The Climate of Man erhielt sie 2006 den National Magazine Award in der Kategorie Public Interest. 2015 wurde sie für Das sechste Sterben – Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt mit dem Pulitzer-Preis in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet.

1. Das sechste große Artensterben


Atelopus zeteki


Die Stadt El Valle de Antón liegt in Zentralpanama in einem Vulkankrater, der vor etwa einer Million Jahren entstanden ist. Er hat einen Durchmesser von zwölf Kilometern, aber bei klarem Wetter sieht man die zerklüfteten Berge, die den Ort wie die Mauern einer Turmruine umgeben. El Valle hat eine Hauptstraße, eine Polizeistation und einen Marktplatz. Neben dem üblichen Sortiment von Panamahüten und bunten Stickereien bieten die Markstände die wohl weltweit größte Auswahl an Figuren des Stummelfußfroschs: Frösche auf Blättern, auf den Hinterbeinen stehend und – was schon schwerer nachzuvollziehen ist – mit Handys zwischen den Vorderbeinen. Es gibt Stummelfußfrösche mit Rüschenröckchen, in Tanzposen und Frösche, die im Stil Franklin D. Roosevelts mit Zigarettenspitze rauchen. Der goldgelbe Panama-Stummelfußfrosch mit dunkelbraunen Flecken ist in der El-Valle-Gegend heimisch und gilt dort als Glücksbringer. Sein Bild ist (oder war zumindest bis vor einiger Zeit) auf Lotterielosen zu finden.

Noch vor zehn Jahren war der Panama-Stummelfußfrosch in den Bergen um El Valle leicht zu finden. Die Frösche sind giftig – das in der Haut eines einzigen Tieres enthaltene Gift reicht rein rechnerisch, um tausend Mäuse zu töten – und heben sich durch ihre leuchtende Farbe deutlich vom Waldboden ab. Ein Bach in der Nähe von El Valle trägt den Namen Tausend-Frösche-Bach, weil sich an seinen Ufern früher so viele Stummelfußfrösche sonnten, dass ein Herpetologe, der häufig dort war, zu mir sagte: »Es war verrückt, völlig verrückt.«

Doch irgendwann verschwanden die Frösche in der Umgebung von El Valle. Das Problem – das noch nicht als Krise wahrgenommen wurde – begann westlich des Vulkankraters in Panamas Grenzgebiet zu Costa Rica. Dort erforschte eine amerikanische Studentin Frösche im Regenwald. Als sie nach einem längeren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, wo sie ihre Dissertation schrieb, wieder zurückkehrte, fand sie keine Frösche und keinerlei Amphibien mehr vor. Sie hatte keine Ahnung, was passiert war, da sie aber für ihre Forschungen Frösche brauchte, suchte sie sich für ihre Beobachtungen ein neues Gebiet weiter östlich. Anfangs machten die Frösche dort einen gesunden Eindruck, doch dann passierte wieder dasselbe: Die Amphibien verschwanden. Immer mehr Regenwaldregionen waren betroffen, bis die Frösche 2002 auch in den Bergen und Gewässern um die Stadt Santa Fé, etwa achtzig Kilometer westlich von El Valle, praktisch ausgestorben waren. 2004 entdeckte man in dem noch näher an El Valle gelegenen Dorf El Copé kleine Kadaver. Zu diesem Zeitpunkt kam eine Gruppe von Biologen aus Panama und den USA zu dem Schluss, dass der Panama-Stummelfußfrosch ernsthaft bedroht war. Um eine Restpopulation zu retten, entschieden sie sich, einige Dutzend Pärchen aus dem Regenwald zu holen und in geschlossenen Räumen zu halten. Aber das, was die Frösche tötete, war schneller, als die Biologen befürchtet hatten. Noch bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnten, holte die Welle sie ein.

 

Auf die Stummelfußfrösche von El Valle stieß ich erstmals in einem Naturmagazin für Kinder, das ich bei meinen Söhnen gefunden hatte.1 Der mit Farbfotos des Panama-Stummelfußfrosches und anderer leuchtend bunter Arten illustrierte Artikel schildert die um sich greifende Seuche und die Bemühungen der Biologen, sie einzudämmen. Sie hatten auf den Neubau eines Labors in El Valle gehofft, der aber nicht rechtzeitig fertig wurde. Daher retteten sie in aller Eile so viele Tiere wie möglich, obwohl sie keine Räumlichkeiten hatten, um sie unterzubringen. Was machten sie also? Sie quartierten sie »natürlich in einem Froschhotel« ein! Das »unglaubliche Froschhotel« – eine örtliche Frühstückspension – erklärte sich bereit, die Tiere in angemieteten Zimmern (in Terrarien) aufzunehmen.

»Die Frösche genießen eine erstklassige Unterkunft mit Zimmermädchen und Roomservice, da Biologen ständig zu ihrer Verfügung stehen«, hieß es in dem Bericht. Zudem bekämen sie köstliches, frisches Essen, »so frisch, dass es vom Teller hüpfen kann«.

Einige Wochen nachdem ich über das »unglaubliche Froschhotel« gelesen hatte, stieß ich auf einen weiteren Artikel über Frösche, der allerdings in einer ganz anderen Tonart verfasst war. Er war in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen, stammte von den Herpetologen David Wake von der University of California in Berkeley und Vance Vredenburg von der San Francisco State University und trug die Überschrift »Befinden wir uns mitten im sechsten Massenaussterben? Ein Eindruck aus der Welt der Amphibien«.2 »In der Geschichte des Lebens auf der Erde«, so die Autoren, habe es »fünf große Massenaussterbeereignisse« gegeben, durch die die Artenvielfalt jeweils drastisch reduziert wurde. Das erste fand im Oberordovizium vor etwa 450 Millionen Jahren statt, als sich das Leben noch überwiegend im Wasser abspielte. Zum bislang verheerendsten Artensterben, das beinahe jegliches Leben auf der Erde vernichtet hätte, kam es am Ende des Perms vor etwa 250 Millionen Jahren. (Dieses Ereignis wird zuweilen als »die Mutter der Massenextinktionen« oder »das große Sterben« bezeichnet.) Das jüngste – und bekannteste – Massenaussterben löschte am Ende der Kreidezeit die Dinosaurier, Plesiosaurier, Mosasaurier, Ammoniten und Flugsaurier aus. Ausgehend von den Aussterberaten unter Amphibienarten, behaupten Wake und Vredenburg, dass in der Gegenwart eine ähnliche Katastrophe im Gange sei.

Der Artikel ist nur mit einem einzigen Foto bebildert, das ein Dutzend Frösche der Art Rana muscosa zeigt, die mit aufgeblähtem Leib tot auf dem Rücken liegen.

Dass eine Kinderzeitschrift lieber Fotos lebender als toter Frösche veröffentlichte, konnte ich durchaus verstehen, ebenso den Impuls, die reizvolle Kinderbuchszenerie von Amphibien, die den Zimmerservice kommen lassen, in den Mittelpunkt zu rücken. Dennoch drängte sich mir als Journalistin der Eindruck auf, dass die Zeitschrift das Eigentliche unter den Teppich gekehrt hatte. Wenn man irgendetwas als extrem selten einstufen konnte, dann ja wohl einen Vorgang, der sich erst fünfmal ereignet hat, seit vor gut fünfhundert Millionen Jahren die ersten Wirbeltiere auftauchten. Der Gedanke, dass ein sechstes Ereignis dieser Art gegenwärtig mehr oder weniger vor unseren Augen stattfand, überstieg im wahrsten Sinne des Wortes mein Vorstellungsvermögen. Die Sache mit den Fröschen war also Teil einer viel umfassenderen und düstereren Geschichte mit überaus weitreichenden Folgen, die ebenfalls jemand erzählen musste. Falls Wake und Vredenburg recht hatten, waren wir derzeit nicht nur Zeugen, sondern auch Verursacher eines der seltensten Ereignisse in der Geschichte des Lebens. »Eine unkrautartig wuchernde Spezies hat unwissentlich die Fähigkeit erlangt, ihr eigenes Schicksal und das der meisten anderen Arten auf der Erde unmittelbar zu beeinflussen«, heißt es in ihrem Artikel. Nur wenige Tage nachdem ich den Aufsatz von Wake und Vredenburg gelesen hatte, buchte ich einen Flug nach Panama.

 

Das El Valle Amphibian Conservation Center (EVACC) liegt an einer Schotterstraße nicht weit von dem Marktplatz entfernt, auf dem die Stummelfußfrosch-Figuren verkauft werden. Es hat die Größe eines Bauernhauses und steht im hinteren Teil eines kleinen, verschlafenen Zoos, gleich hinter einem Gehege mit besonders verschlafenen Faultieren. Das ganze Gebäude ist voller Terrarien. Wie Bücher in den Regalen einer Bibliothek stehen sie dicht gedrängt entlang der Wände und in der Mitte des Raums. Die größeren beherbergen Arten wie den Lemur-Laubfrosch, der Baumwipfel bevorzugt, in den kleineren leben Arten wie der Craugastor megacephalus, der auf dem Waldboden beheimatet ist. Neben Behältern mit Beutelfröschen, die ihre Eier in einer Hauttasche ausbrüten, befinden sich solche mit Vertretern der Spezies Hemiphractus fasciatus, die ihre Eier auf dem Rücken tragen. Einige Dutzend Terrarien sind dem Panama-Stummelfußfrosch (Atelopus zeteki) vorbehalten.

Stummelfußfrösche bewegen sich irgendwie schwankend fort und erinnern dabei an Betrunkene, die sich bemühen, auf einer geraden Linie zu gehen. Sie haben lange, dünne Gliedmaßen, eine spitze gelbe Schnauze und sehr dunkle Augen, mit denen sie die Welt argwöhnisch zu betrachten scheinen. Auch auf die Gefahr hin, albern zu klingen, möchte ich sagen, dass sie intelligent aussehen. In freier Wildbahn legen die Weibchen ihre Eier in flachen Bächen ab; Männchen verteidigen ihr Revier von bemoosten Felsen aus. Im EVACC wird jeder Stummelfußfroschbehälter über einen kleinen Schlauch mit fließendem Wasser versorgt, um die Brutplätze an den Gewässern zu simulieren, in denen die Tiere früher heimisch waren. In einem dieser Ersatzbäche bemerke ich eine Schnur perlenähnlicher Eier. Auf einem Whiteboard neben dem Terrarium hat jemand aufgeregt notiert, dass einer der Frösche Eier gelegt hat: »Depositó huevos!!«

Das EVACC befindet sich mehr oder weniger mitten im Verbreitungsgebiet der Panama-Stummelfußfrösche, ist aber vollkommen von der Außenwelt abgeschottet. Es kommt nichts ins Gebäude, bevor es nicht gründlich desinfiziert worden ist, einschließlich der Frösche, die vorher mit einer Chlorlösung gereinigt werden. Menschliche Besucher...

Erscheint lt. Verlag 31.3.2015
Übersetzer Ulrike Bischoff
Zusatzinfo Mit zahlreichen Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte 6 • Artensterben • Besteller • Bestseller • Erde • Klimawandel • Massenaussterben • Naturgeschichte • Naturschutz • New York Times Bestseller • Pulitzerpreis • Spiegel • spiegel bestseller • ST 4687 • ST4687 • suhrkamp taschenbuch 4687 • Tierschutz • Weltgeschichte
ISBN-10 3-518-74062-8 / 3518740628
ISBN-13 978-3-518-74062-0 / 9783518740620
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