Der Takt des Lebens (eBook)

Warum das Herz unser wichtigstes Sinnesorgan ist
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2019 | 1. Auflage
320 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-23400-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Takt des Lebens -  Reinhard Friedl,  Shirley Michaela Seul
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Auf der ganzen Welt und durch alle Epochen steht das Herz für Liebe, Mitgefühl, Freude, Mut, Stärke und Weisheit. Warum eigentlich? Diese Frage stellte sich auch der Herzchirurg Reinhard Friedl. Aktuelle Forschungsergebnisse lieferten ihm verblüffende Antworten. 22 Tage nach unserer Zeugung löst das Liebeshormon Oxytocin den ersten Herzschlag aus, der uns ein Leben lang begleitet. Doch das Herz ist nicht nur eine Pumpe! Mit seinem Nervensystem aus zigtausend Neuronen kann es viel mehr wahrnehmen, als man bisher glaubte - und es hat dem Gehirn einiges mitzuteilen. Über welche komplexen Verbindungen menschliche Herzen außerdem miteinander kommunizieren können und weshalb ein gesunder Herzrhythmus chaotisch sein darf, erfahren Sie in diesem Buch von einem Autor, der das Herz aus erster Hand kennt. Reinhard Friedl ist überzeugt, dass in der Wahrnehmung des Herzens als bewusstes Sinnesorgan die Quelle seiner Gesundheit und Heilung liegt.

Unser Herzschlag ist sein Beruf: Priv. Doz. Dr. med. Reinhard Friedl ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Er hielt schon viele tausend Herzen in den Händen. Er hat frühgeborene Babys operiert und bei hochbetagten Patienten Herzklappen repariert, er hat Kunstherz-Turbinen implantiert und Messerstichverletzungen am Herzen genäht. Blut war der tägliche Begleiter des Herzchirurgen, Intensivmediziners und Notarztes. Sein Fließen verbindet jede einzelne Zelle unseres Körpers mit dem Herzen. Eingehend setzt er sich mit den Ergebnissen der aktuellen Neuro- und Psychokardiologie auseinander, die immer mehr Geheimnisse der komplexen Verbindung zwischen Herz, Blut, Gehirn und Seele zutage fördern.

Eröffnung des Herzens

BuBumm BuBumm BuBumm

Sie hören ihn meistens nicht, aber wenn Ihr Herzschlag plötzlich weg wäre, wären es auch Sie. Denn Sie leben nur von Herzschlag zu Herzschlag. Dazwischen wohnt der Tod. Setzt nach einem Herzschlag kein nächster ein, bleibt die Uhr des Lebens stehen. Manchmal geschieht das im Schlaf oder beim Einkaufen. Kein Mensch kennt die Stunde seines Todes.

Ihr Herzschlag ist mein Beruf. Sechzig bis achtzig Mal in der Minute erzeugt dieser Ton Leben. Viele Herzen schlagen ruhig und kräftig, manche in steter Hetze. Auch wenn das Herz gelegentlich stolpert, es versucht immer weiterzumachen. Ich habe viele Herzen gesehen, die sich mit letzter Kraft dahinschleppten. Das Herz kennt kein Wochenende und keinen Urlaub. An Ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag hat es rund drei Milliarden Mal geschlagen. Es hat seine Arbeit schon acht Monate vor Ihrer Geburt aufgenommen – zweiundzwanzig Tage nach der Zeugung. Das Herz ist das erste Organ, das sich entwickelt, lange vor dem Gehirn und dem ersten Atemzug. Ohne Herz läuft nichts. Es pocht durch die Jahre und Jahrzehnte, unbemerkt bis … etwas nicht mehr funktioniert. Oder eine Hightech-Optik als Zufallsbefund einen Defekt offenlegt, der noch gar nicht zu spüren war.

Herzsachen erscheinen immer gleich dramatisch. Ein Stechen im Herzen ist etwas ganz anderes als ein Stechen in der Hüfte. Alles, was mit dem Herzen zu tun hat, empfinden wir als einen Angriff auf unser Leben, unsere Unversehrtheit. Auch wenn die Ursache sich später als nicht lebensbedrohlich herausstellt: Herzschmerzen sind Anlass zur Sorge und gehen häufig einher mit Todesangst. Auch ein Kopfschmerz kann ein gefährlicher Vorbote sein, der letztlich zum Tode führt, durch einen Schlaganfall oder eine Hirnblutung. Doch ein heftiger Kopfschmerz ängstigt uns weniger als ein sachter Druck auf der Brust. Wir Menschen spüren tief im Inneren: Das Herz ist die Quelle allen Lebens.

Als Herzchirurg habe ich viele tausend Herzen in meinen Händen gehalten. Ich habe frühgeborene Babys operiert und bei hochbetagten Patienten Herzklappen repariert. Ich habe Kunstherzturbinen implantiert und Messerstichverletzungen am Herzen genäht. Als Organ ist das Herz bis in seine kleinsten Bestandteile untersucht. Wir wissen scheinbar alles – und doch wissen wir nichts. Wöchentlich erscheinen hunderte neue wissenschaftliche Publikationen mit Erkenntnissen über ein Organ, das sich mit dem Auftreten des Homo sapiens in den letzten dreihunderttausend Jahren nicht verändert hat ((1)). Der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (1623–1662) scheint immer noch recht zu haben: »Das Herz hat seine Geheimnisse, die der Verstand nicht kennt.«

Unabhängig voneinander, zeitlich und räumlich getrennt, ohne Wissen voneinander und obwohl die Menschen weltweit verschiedene Sprachen benutzen, werden Herzen gemalt, um Liebe auszudrücken, irdisch und himmlisch. Handelt es sich dabei um eine in jedem Menschen zutiefst verankerte innere Wahrheit? Oder nur um einen Wunsch, den wir alle unbewusst teilen? In allen großen Kulturen der Menschheit, von der Steinzeit bis zur Gegenwart, in allen Religionen und spirituellen Schulen galt und gilt das Herz als ein Symbol, als das biologische Zentrum für Liebe, Mitgefühl, Freude, Mut, Stärke, Wahrheit und Weisheit. Im Zeitalter von Herztransplantationen und Datenmigrationen scheint der Zauber des Herzens verflogen, gerade so, als könnte er unserer technisierten Welt nicht standhalten. Aber vielleicht bräuchten wir genau diese Eigenschaften für eine humane Zukunft. Der kleine Prinz sagt: »Man sieht nur mit dem Herzen gut«. Und doch haben wir bisher an unserem biologischen Herzen keine Augen gefunden, keine Sensoren für Mitgefühl und Liebe, keine Pumpe, die Mut und Stärke ausstößt. Aber wir alle erleben diese Herzensqualitäten als eine innere Realität, die unser Leben auch leiten kann. Doch in welchem Zusammenhang steht das mit unserem pumpenden Herzen? Was lässt sich aus naturwissenschaftlicher Sicht über dieses »andere« Herz sagen, seine Dimensionen von Bewusstsein? Und wie beeinflusst das Erkrankungen und Therapie?

Aristoteles glaubte, das Herz, und nicht das Gehirn, sei Sitz der Gefühle. Die modernen Neurowissenschaften sind der Meinung, dass Liebe im Gehirn entsteht. Haben auch sie dem Herzen die Geheimnisse der Liebe gestohlen? Und ist unsere Sprache nur mehr eine Erinnerung – woran? Oder handelt es sich um belanglose Metaphern, Worthülsen, wenn wir davon sprechen, dass uns jemand ans Herz gewachsen ist, wir unser Herz verschließen oder jemanden in unser Herz schließen, das wir auch verlieren können, und selbst wenn wir etwas auf dem Herzen haben, können wir uns ein Herz fassen, von dem hin und wieder ein Stein fallen kann, an dem aber keiner stirbt, sondern am gebrochenen Herzen, wir kriegen gleich einen Herzschlag, stehlen womöglich fremde Herzen, während wir selbst unseres verschenken, das wir womöglich auf der Zunge getragen haben, was besser ist, als wenn es vor Freude zerspränge oder es einem die Angst abschnürte. Was hat das Herz auf dem Herzen? Manche dieser Symptome werden tatsächlich zum Kardiologen getragen – zum Beispiel als Herzrhythmusstörungen oder Herzenge. Herr Doktor, ich fühle mich, als würde mir ein Stein auf die Brust drücken. Früher kümmerte ich mich ausschließlich als Chirurg um diese Patienten, heute interessiert mich der ganze Mensch.

Herzchirurgen können Herzen schlafen lassen und zum Schlagen bringen – doch sie sprechen in der Regel nicht zum Herzen, sondern über Maschinen: Herz-Lungen-Maschine, EKG, Ultraschall oder sogar Kunstherzen. Und natürlich mit ihren Kollegen – Assistenzärzten, Anästhesistinnen, Kardiotechnikern, OP-Pflegern. Eine Herzoperation ist keine intime Angelegenheit. Das tief im Brustkorb verborgene und von den Rippen gut geschützte Herz wird in grellem Licht unter dem konzentrierten Blick vieler Augenpaare in hochtechnisierten Operationsräumen eröffnet. Für den Herzchirurgen ist es zunächst einmal eine Pumpe, die er reparieren soll – der Motor des Lebens. Im Gegensatz zu allen anderen Ärzten kennt er die Funktionsweise dieses Motors nicht nur von Filmen und Daten, die mit Ultraschall, Computertomografie, Herzkatheter oder in der Kernspintomografie erstellt werden. Auch in Zeiten der Hightech-Medizin bedeutet es für das wahre Verständnis dieses Organes einen großen Unterschied, ob man es schon einmal mit eigenen Augen gesehen und mit den eigenen Händen berührt hat, oder ob man es nur aus zweiter Hand und von Monitoren kennt.

Als Herzchirurg greife ich tief in den Brustkorb und lege Hand ans Herz. Ein Herz ist es nicht gewohnt, angefasst zu werden. Herzen können auf Berührung sehr empfindlich reagieren. Manche erschrecken förmlich und antworten mit Rhythmusstörungen. Doch selbst kranke Herzen sind stark, so stark, dass es mich immer wieder erstaunt, welche Kraft ihnen innewohnt. Wenn sie in meiner Hand liegen, fühlt es sich an, als seien sie die Essenz des Lebens, der pure, unbedingte Lebenswille. Für mich ist jedes Herz ein eigenes Wesen; jedes Herz hat ein ganz eigenes Erscheinungsbild. Ich weiß nie, was sich mir gleich offenbaren wird, wenn ich mit dem Skalpell die Haut über dem Brustkorb durchtrenne und den Brustkorb eröffne. Manche Herzen sind sehr lebhaft und muskulös, andere ein bisschen pummelig mit deutlichem Fettbesatz. Vielen sieht man ihren langen Weg durch das Leben und ihre Krankheit an, und sie wirken müde und verbraucht. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie schlagen für ihr Leben gern.

Was halte ich da eigentlich in der Hand? Wirklich nur die Pumpe oder nicht vielmehr den Ursprung allen menschlichen Bewusstseins?

Die Neurowissenschaften können die Frage nach der Entstehung von Bewusstsein nicht ansatzweise beantworten. Die vorherrschende Meinung lautet, Bewusstsein entstehe als Ergebnis biochemischer und elektrophysiologischer Prozesse im zentralen Nervensystem, dem Gehirn. Neurowissenschaftler kennen die Bauteile, ihre Funktionen und komplizierten Verschaltungen sehr genau. Doch wie aus der organischen Materie unseres Körpers etwas Geistiges wie ein Gedanke oder ein Gefühl entsteht, ist weitgehend unbekannt. Das Entstehen von Bewusstsein ist nach Ansicht des bekannten Neurochirurgen Eben Alexander und anderer Gehirnforscher ein weißer Fleck auf der Karte der Neurowissenschaften ((2, 3)). Und wenn das Herz zumindest einen Teil dieses unbekannten Gebietes ausfüllen könnte?

Stillgelegt

Ich weiß noch gut, wie ich als junger Arzt das erste Mal ein Herz sah. Es erinnerte mich an eine empfindliche, frisch geschälte Frucht. Ich betrachtete das apfelsinengroße Organ voller Ehrfurcht. Nur Muskeln, die pumpen, teilweise von einem dünnen Fettkleid bedeckt, sonst nichts. So schien es mir auf den ersten Blick. Ich sollte den Sauger halten, um austretendes Blut abzusaugen, und war froh, etwas in der Hand zu haben, an dem ich mich festhalten konnte, so mächtig waren die Eindrücke. Unbeirrt schlug das Herz weiter, während meine Kollegen sorgfältig den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine vorbereiteten und zahlreiche sehr feine Nähte am Herzen und der großen Körperschlagader setzten. Die meisten Herzoperationen können nur durchgeführt werden, nachdem das Herz stillgelegt wurde. Dazu wird die Blut- und damit auch...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Chirurgie • Das weise Herz • eBooks • Ganzheitlich • Gefühle • Gehirn • Gemeinschaft • Gesellschaftskritik • Gesundheit • Gesundheit & Medizin • Hämatologie • Herz-Gesundheit • Intensivmedizin • Isolation • Jack Kornfield • Kardiologie • Krise • Liebe • Männerratgeber • Medizin • Medizinische Biografien & Erinnerungen • Medizinischer Dienst • Neurokardiologie • Notfallmedizin • Organ • Pneumologie • Populärwissenschaft • Pumpe • Quarantäne • Resilienz • Seele • Thorax • Thoraxchirurgie • thoraxmedizin • Überlebensbiografien • Verbindung
ISBN-10 3-641-23400-X / 364123400X
ISBN-13 978-3-641-23400-3 / 9783641234003
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