Revolte (eBook)

Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
500 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2282-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Revolte -  Nadav Eyal
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Unsere Weltordnung zerfällt - und der renommierte israelische Journalist Nadav Eyal hat einen Namen dafür: Revolte. Nationalismus, Migration, Klimawandel und politische Verwerfungen - in einer scharfsinnigen Analyse erzählt Eyal die Geschichte des 21. Jahrhunderts. Seit Jahren reist er auf den Spuren dieser Entwicklung durch alle Kontinente. Sein Bestseller ist eine große Erzählung über eine bedrohliche neue Welt im Werden. Nadav Eyal reist ins kollabierte Griechenland, spricht mit deutschen Neonazis und Dürre-Opfern in Sri Lanka. Er problematisiert die sinkenden Geburtenraten bei wachsendem Wohlstand und erklärt am Beispiel seines Großvaters und zweier syrischer Jugendlicher den Wandel der Migration. Rund um den Erdball wüten dezentrale, führerlose Aufstände gegen die Idee des Fortschritts - ein breites und kompromissloses Aufbegehren gegen die Globalisierung. Eyals dramatische Gesamtschau macht klar: Wir werden kämpfen müssen, um unsere freiheitlichen Werte zu bewahren.

Nadav Eyal, *1979, ist einer der bekanntesten Journalisten Israels. Er ist der internationale Chef-Korrespondent von Channel 13 und hat den Sokolov Award (israelischer Pulitzer-Preis) erhalten. Er hat als Chevening-Stipendiat an der London School auf Economics Politik studiert sowie Jura an der Hebrew University. Er war außerdem Fellow beim Aspen China-Israel-Fellowship und ein Mitglied des Saban Forum der Brookings Institution in Washington.

Nadav Eyal, *1979, ist einer der bekanntesten Journalisten Israels. Er ist der internationale Chef-Korrespondent von Channel 13 und hat den Sokolov Award (israelischer Pulitzer-Preis) erhalten. Er hat als Chevening-Stipendiat an der London School auf Economics Politik studiert sowie Jura an der Hebrew University. Er war außerdem Fellow beim Aspen China-Israel-Fellowship und ein Mitglied des Saban Forum der Brookings Institution in Washington.

EINLEITUNG


Das Gebäude sah aus wie ein typischer Büroturm der Bauart, die man im Zentrum jeder florierenden Großstadt – von Manhattan über Shanghai bis London – findet. Die hohen Gäste wurden durch einen rückwärtigen Gang zu einem kleinen Wirtschaftsaufzug gelotst, der dem Ereignis unangemessen war, ihm aber etwas Geheimnisvolles verlieh. Unten angekommen, bot sich ein erfreulicher Anblick: ein »geheimer« privater Weinkeller, wie der Gastgeber erklärte. An einem Ende des Raums stand ein berühmter Chefkoch, der das Abendessen für die Gäste zubereitete. An den durchsichtigen Wänden lagerten dicht an dicht Weinflaschen, die eigens aus Weinkellereien in aller Welt eingeflogen worden waren. Die Anwesenden – Hightech-Unternehmer, ein ehemaliger Regierungschef, ein Ex-General, der sich aktuell gesellschaftlich engagierte, Generaldirektoren führender Firmen – waren sichtlich angetan, obwohl diese Leute sonst nicht so leicht zu begeistern sind. Der legendäre Name des großzügigen Gastgebers war allen

Geladenen bekannt, eigentlich sogar aller Welt.

Als wir uns zu Tisch setzten, sah ich in die Runde und zählte die Millionäre, diejenigen, die sich um ihre finanziellen Bedürfnisse und die ihrer Kinder und vermutlich auch ihrer Enkel keine Sorgen zu machen brauchten. Ich war gewiss als Einziger in einem Toyota Corolla mit lockerer Stoßstange vorgefahren.

Ich sollte ein wenig über die Weltlage reden, über die Globalisierung und die Revolte dagegen. Im sorgfältig ausgeleuchteten Halbdunkel des Weinkellers lauschten die Anwesenden aufmerksam meinen Ausführungen über die Bevölkerungskreise, die von der Wohlstandsgesellschaft der neuen Weltordnung ausgeschlossen waren, und über die riesenhaften Tech-Konzerne, die sich der praktischen Verantwortung für die Gebrechen der – von ihnen selbst geschaffenen – digitalen Welt entzogen. Ich sprach über die liberalen Werte und ihre Bedrohung durch das Wiedererstarken der Fortschrittsgegner und davon, dass junge Menschen immer seltener bereit seien, für die Demokratie zu kämpfen, und lieber über radikale Lösungen nachdächten. Die Daten zeigten, sagte ich, dass es der Menschheit gut ginge. Warum hätten dann so viele das Gefühl, dass alles schlecht sei?

Ich hätte die Reaktion voraussehen müssen. Die meisten Angehörigen des obersten Prozents der Weltbevölkerung halten die Krise von 2008 für eine vorüberziehende dunkle Wolke, Präsident Trumps Wahl für einen einmaligen historischen Unfall und den Fortschritt – in seiner aristokratischen Version – für unaufhaltsam. Der Gastgeber und ein oder zwei seiner Gäste begriffen die Analyse, auch wenn sie ihr nicht zustimmten. Die anderen wehrten ab. »Das ist übertriebener Pessimismus«, bemerkte jemand, und die Übrigen skandierten ihm leise nach: »Pes-si-mis-mus.« Die Gäste waren schnell mit der üblichen Auffassung zur Hand: Das sei alles nur eine »populistische Welle«, eine kurze Gegenreaktion, die ohne nennenswerten Schaden verebben werde. Das Gespräch verfiel zusehends in einen Anachronismus, in den typischen Diskurs der 1950erund 1960er-Jahrgänge, mit den gängigen Klischees von »man muss nur an den Erfolg glauben«, »wer nicht wagt, der nicht gewinnt«, »wir haben eine fantastische Jugend« und vor allem »man darf nicht schwarzsehen«. Die meisten wollten nicht zuhören, sondern mich – und damit meine ganze Generation – belehren, dass alles bestens ausgehen werde, wenn wir nur positiv dächten. Das Dessert setzte der höflichen Diskussion elegant ein Ende. Obwohl ich der Jüngste im Raum war, wusste ich, dass jede Diskussion entspannt verläuft, wenn die Zukunft der eigenen Kinder durch solide Wertpapiere gesichert ist.

Das Gespräch erinnerte mich an ein weit dramatischeres Ereignis, das ich zwei Jahre zuvor als Journalist erlebt hatte. Zu beiden Anlässen spielte Angst die Hauptrolle. Wenn die Steinreichen Angst bekommen, verfallen sie in lautstarken Optimismus. Die Mittelschicht wählt eine simplere Taktik: Sie schreit auf.

Es war ein kühler, festlicher Abend am 8. November in Manhattan. Durch die riesige Glasdecke des Kongresszentrums lugte ein wolkenloser Himmel, bereit für die Amtseinführung der Anführerin der freien Welt. Außerhalb des Saals boten Verkaufsstände typische Siegesfeierartikel an: T-Shirts mit President Hillary oder Hillary Clinton in Superwoman-Outfit oder Bills Konterfei und der Aufschrift The First Gentleman, Blechbuttons in allen Farben, Souvenirs eines historischen Tages. Draußen versammelten sich Hunderte von Polizisten und Sicherheitskräfte, begleitet von einem Heer an Sendewagen und einem Meer von Satellitenschüsseln. Die Medienaufmerksamkeit für dieses Ereignis überstieg bei Weitem jene, die einer kleinen, bescheidenen Wahlzentrale, keinen Kilometer Luftlinie von dort, gewidmet war: der von Donald Trump. John Lennon hatte gesagt: »Woman is the nigger of the world«, und nun schickte Hillary Clinton sich an, die überaus rostigen Ketten zu sprengen und der mächtigste Mensch auf der Welt zu werden.

Auf der Bühne hatte man, in allen Farben des Regenbogens, das repräsentative und politisch korrekte Amerika platziert, Vertreter sämtlicher Bevölkerungsgruppen: Heteros und Homosexuelle; Hispanics, Schwarze und Weiße; Frauen und Kinder. Diese Menschen sollten die neue Zeit symbolisieren, die mit der Wahl der Präsidentin eingeläutet werden würde. Sie warteten stundenlang geduldig auf den Moment, in dem der Ruhm ihre Gesichter erleuchten würde, jene wertvollen Sekunden, die ihre Kinder im Fernsehen sehen und für immer behalten würden: Wie sie dort hinter dem Rücken der ersten Frau gesessen hatten, die zur Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt worden war. Auch als der Himmel über dem Kongresszentrum sich verdunkelte, verließ keiner von ihnen seinen Platz.

Clinton betrat nie diesen Saal. Sie sah nichts von der Party, die man für sie vorbereitet hatte. Die Nacht brach herein und fegte alles hinweg.

Der journalistische Blick hat etwas Grausames an sich. Du siehst die Szene vor deinen Augen entstehen, und die Distanz lässt dich manches voraussehen. Du ahnst die Enttäuschung, die sich bald im Publikum ausbreiten wird, das verstörte Murmeln und die Verzweiflung. Du siehst das Banale der menschlichen Reaktion: die Leugnung, die Enttäuschung und die verzweifelte Hoffnung, die unter den Getreuen noch anhält – und schließlich die Tränen.

Als die Wahlergebnisse langsam einliefen, klammerten sich die Clinton-Unterstützer an ihre Handys, tuschelten ungläubig. Das war der springende Punkt. Sie wollten es nicht glauben, begriffen nicht, wie das sein konnte. Als die Realität einzusickern begann, fingen viele heftig zu weinen an. Einer sagte mir, er sei Jude und schwul und fürchte nun einen Holocaust.

Ich fragte ihn, ob er das jetzt als Metapher verwende.

»Nein«, antwortete er schluchzend, »ich habe wirklich Angst.«

Er reagierte extrem, aber die Atmosphäre in Amerika war und ist extrem in den Jahren seit der Wahl Trumps. Auf den ersten Blick besteht kein Zusammenhang zwischen den hellauf entsetzten Clinton-Fans in jener Herbstnacht und den arroganten Superreichen, denen ich im Weinkeller begegnet war. Letztere waren höchst optimistisch, wollten unbedingt erklären, wie großartig die Weltordnung sei, die es mit ihnen persönlich so gut meinte. Die Clinton-Aktivisten sahen die Demokratie in Gefahr und glaubten sich ihrer Zukunft beraubt. Aber beiden Gruppen – und das ist der springende Punkt – merkte man abgrundtiefe, unausgesprochene Furcht an. Die Wohlhabenden äußerten sie durch euphorisches Augenverschließen, die politischen Aktivisten, indem sie ihre Ängste am Ort von Hillarys Niederlage herausweinten.

Sie fürchteten nicht etwa, Trump, die Brexiteers, die europäischen Nationalisten oder die islamischen Fundamentalisten würden mit ihren verantwortungslosen Schritten eine ungeheure Katastrophe auslösen. Nein, ein solches Unheil würde ja gerade beweisen, wie richtig sie mit ihrem Beharren auf liberalen Werten und/oder der freien Marktwirtschaft gelegen hatten. Nein, was sie wahrlich fürchteten, waren keine Katastrophen, sondern das Gegenteil: einen möglichen Erfolg. Sie fürchteten, Trump und Co. könnten Erfolge einfahren. Dieser Erfolg würde eine dauerhafte antiliberale Weltordnung mit deutlich eingeschränkter internationaler Zusammenarbeit bedeuten. Es wäre eine Welt, in der sämtliche Grundannahmen – der Sieg des Guten über das Böse im Zweiten Weltkrieg, Freiheit als Voraussetzung für eine gedeihende Wirtschaft, die Ablehnung von Bigotterie, der starke Glaube an den Sieg des Fortschritts – sich als vorübergehend erweisen würden. Falls so eine Welt entstünde und bestehen bliebe, würde die Geschichte zum Stillstand kommen und sich zurückbewegen. Viele sehen in den letzten Jahren den Beweis dafür, dass diese Entwicklung bereits begonnen hat.

Ich bin weder Amerikaner noch Europäer; ich lebe in einer entlegenen Provinz unter den Fittichen des Imperiums, das die USA aufgebaut haben. Dies verschaffte mir die Position eines Beobachters...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2020
Übersetzer Ruth Achlama
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Technik
Schlagworte 21. Jahrhundert • AfD • Aufruhr • Aufstand • Ausbeutung • Brexit • Bücher Neuerscheinung 2019 • Demokratie • Demokratie in der Krise • Flüchtlinge • Fortschritt • Globalisierung • Globalisierung Buch • Globalisierung Kritik • Globalisierung verstehen • israelischer Autor • Kapitalismus • Klimawandel • Nationalismus • Nazis • Populismus • Rebellion • Reportage • Sozialer Abstieg • Trump • Umweltzerstörung • Weltordnung • Weltwirtschaft
ISBN-10 3-8437-2282-X / 384372282X
ISBN-13 978-3-8437-2282-7 / 9783843722827
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