Europäische Integration - die ökonomischen Zusammenhänge -  Eckhard Wurzel

Europäische Integration - die ökonomischen Zusammenhänge (eBook)

Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik sowie Reformansätze

(Autor)

Stefan Kooths (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
406 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042316-9 (ISBN)
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Im Zuge wirtschaftlicher Integration wurden Aufgaben und Zuständigkeiten auf der Ebene der Europäischen Union stetig erweitert. Gemeinsamer Markt, gemeinsame Währung, finanzielle Programme der EU, Harmonisierungen nationaler Vorschriften und wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung sollen Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Europa steigern und helfen, neue Herausforderungen zu bewältigen. Gleichzeitig werden Maßnahmen vertiefter ökonomischer Integration oft kontrovers diskutiert. Das Buch behandelt die grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge und Instrumente der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und deren Wirkung und diskutiert möglichen Reformbedarf. Aufgaben sollten nur dann auf EU-Ebene übertragen werden, wenn sie dort gegenüber Regelungen auf Länderebene einen klaren Mehrwert aufweisen. Programme und Verfahren der EU sollten nach Effizienzgesichtspunkten ausgerichtet werden, wobei wichtig ist, den Zusammenhang zwischen nationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik und der Haftung für deren Folgen zu erhalten.

Prof. Dr. Eckhard Wurzel lehrt Europäische Ökonomie an der Universität Konstanz. Zuvor leitete er u. a. das Referat Europäische Union und Eurogebiet im Economics Department der OECD.

Die Verästelungen einer Vielzahl europäischer Verträge nachzuvollziehen ist eine Wissenschaft für sich, der wir uns hier, ebenso wie einer detaillierten geschichtlichen Darstellung des europäischen Integrationsprozesses, nicht widmen wollen. Beschränken wir uns in diesem einleitenden Kapitel auf einige Tatsachen, die zum Verständnis des Gemeinsamen Marktes und wirtschafts- und finanzpolitischer Fragen hilfreich sind. Dazu gehört ein kurzer Überblick über wichtige Stationen der Entwicklung des europäischen Binnenmarktes und zentraler Institutionen der Gemeinschaft und ihrer Aufgaben. Die Europäische Union schafft Recht, das in den Mitgliedstaaten bindend ist und deren Gesetzgebung wesentlich beeinflusst. Das Kapitel gibt deshalb auch einen knappen Überblick, wie das Recht zustande kommt. Außerdem widmen wir dem Subsidiaritätsprinzip einigen Raum. Es ist bedeutend, da es im Grundsatz regeln soll, was die EU betrifft und was Sache der Mitgliedstaaten bleiben sollte; und es ist gut ökonomisch interpretierbar.

Zwar geht es in diesem Buch ausschließlich um ökonomische Fragen, aber zumindest eingangs sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Bedeutung der Europäischen Union weit über den eines rein ökonomischen Zweckverbands hinausgeht. Die politische Dimension der EU und auch deren Verbindung zur Ökonomie, ist vielfältig. Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 war weitgehend politisch motiviert. Zweitens umfasst die EU Elemente gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik, des öffentlichen Rechts, Justiz und Strafverfolgung. Ferner beeinflusst wirtschaftliche Leistungsfähigkeit die gesellschaftliche Entwicklung und schließlich spielt sie auch für außenpolitische Durchsetzungskraft eine Rolle.

Die politischen Wurzeln der europäischen Integration wurden wesentlich von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und der Nazidiktatur beeinflusst. Wählen wir als Hinweis eine Aussage der Weißen Rose. Im fünften und vorletzten Flugblatt von Januar 1943 heißt es: »Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird. […] Das Truggebilde der autarken Wirtschaft muss in Europa verschwinden.« (Weiße Rose, 1943) Das besagt, implizit aber klar, dass nach Ansicht der Verfasser grenzüberschreitende, wirtschaftliche Beziehungen als Instrument des Aufbaus und der Friedenssicherung in Europa dienen können. Dieser Gedanke war eine wesentliche Triebkraft für die spätere Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und er spielt auch heute noch eine Rolle, wenn der Zweck der europäischen Integration diskutiert wird, auch vor dem Hintergrund der Bedrohung von Demokratie und Frieden in Europa, wie er in dem Angriffskrieg auf die Ukraine zu deutlich sichtbar wird.

Man sollte aber auch die Grenzen dieser Idee sehen. Die Übertragung von Zuständigkeiten von der nationalen auf die europäische Ebene ist in dem Umfang sinnvoll, wie sie erlaubt, Aufgaben auf gemeinschaftlicher Ebene besser zu lösen als auf nationaler Ebene. Wo das der Fall ist, bestehen gute Aussichten, dass Zentralisierung dem europäischen Integrationsgedanken nutzt. Wo Aufgaben auf europäischer Ebene nicht besser gelöst werden können als in den Ländern und Regionen, sollten Zuständigkeiten bei den Ländern verbleiben. Eine von der Sache her nicht gerechtfertigte oder zweifelhafte Verschiebung von Kompetenzen und Ressourcen auf die Ebene der Europäischen Union dürfte dem europäischen Gedanken eher schaden als nutzen – heute vielleicht sogar mehr als in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts. Es wäre deshalb auch trügerisch, darauf zu setzen, dass ein Geflecht europäischer Regulierungen schon deshalb der politischen Integration nachhaltigen Rückhalt verschafft, weil es zunehmend schwerer zu entknoten ist.

1Stationen der Integration: Ein kurzer Überblick


Der erste Ansatz zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zwischen europäischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zollunion zwischen den Niederlanden, Belgien und Luxemburg, die im Januar 1948 in Kraft trat (BeNeLux-Zollunion). Bereits 1944 hatten die Exilregierungen der drei Länder damit begonnen, die Union vorzubereiten, wobei sie an das Vorbild eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zwischen Belgien und Luxemburg aus den 1920er Jahren anknüpften.

Eine Zollunion ist eine Gemeinschaft von Ländern, bei der Binnenzölle innerhalb der Gemeinschaft abgeschafft sind, während die Zölle gegenüber dem Rest der Welt für alle Mitglieder der Zollunion gleich sind. Werden Binnenzölle abgeschafft, so entgehen den Regierungen einerseits die Zolleinnahmen aus dem innergemeinschaftlichen Handel, andererseits kann es zu ökonomischen Effizienzgewinnen kommen, die wohlfahrtssteigernd wirken. Die BeNeLux-Staaten maßen diesem Gesichtspunkt höhere Bedeutung bei als dem direkten Einnahmenverlust, wobei politische Perspektiven auch eine gewisse Rolle gespielt haben dürften. Schon die BeNeLux-Zollunion illustriert, dass die Abschaffung von Zöllen nicht mit dem Abbau sämtlicher Handelsbarrieren zwischen den beteiligten Ländern gleichzusetzen ist. Auch nachdem die Zölle gefallen waren, unterlag der Warenverkehr Kontingenten, nationalen Einfuhrgenehmigungen und Grenzkontrollen (Bleich, 1948). Aber auch ohne Import- oder Exportkontingente verbleiben innerhalb einer Zollunion viele »nichttarifäre« Handelshemmnisse aufgrund nationaler Regulierungen des Wirtschaftsprozesses. Solche Barrieren abzubauen ist oft schwieriger als Zölle zu beseitigen und setzt teilweise komplexe Vereinbarungen zwischen den Beteiligten voraus.

Zwischen den ausgehenden 1940er und den beginnenden 1950er Jahren gab es mehrere Initiativen zugunsten ökonomischer, politischer und militärischer Zusammenarbeit in Europa. Insbesondere wurde 1948 die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (Organisation for European Economic Cooperation, OEEC) gegründet, die die Finanzhilfen des amerikanischen Marshallplans zum Wiederaufbau in Europa verwaltete und zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit der beteiligten europäischen Länder beitrug.

Besondere Bedeutung für die weitere Integration kommt der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zu, die 1952 in Kraft trat und die direkte Vorläuferin der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ist. Die EGKS, die auf einen Vorschlag des französischen Außenministers Robert Schuman an Bundeskanzler Konrad Adenauer zurückgeht, war stark politisch motiviert und sollte durch Liberalisierung des Austauschs von »Montangütern« und gemeinsame Regulierung der Montanindustrie dazu beitragen, Wohlstand zu schaffen und den Frieden in Europa, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich, zu sichern. Zwar war die EGKS nicht frei von dirigistischen Zügen, aber sie führte für die Montanprodukte die Zollfreiheit innerhalb der Gemeinschaft ein und untersagte den beteiligten Staaten, deren freien Handel zu behindern. Modellcharakter für die spätere institutionelle Integration der europäischen Länder kommt der EGKS auch als erster supranationaler europäischer Organisation zu und wegen der Schaffung von Organen, die in veränderter Form auch in der EU zu den zentralen Instanzen gehören. Darstellung I-1 zeigt die Hauptcharakteristiken der »klassischen« EU-Organe und ihre Vorläufer in der EGKS.1

Dar. I-1:Zentrale Organe der EU und ihre Vorläufer der EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

Europäische Union

Europäischer Rat

Versammlung der Staatsoberhäupter der EU-Länder, höchstes politisches Gremium. Er setzt die politischen Prioritäten der EU und identifiziert politische Probleme und Maßnahmen zu ihrer Behandlung. Entscheidungen werden im Konsens getroffen; veröffentlicht als »Schlussfolgerungen« (Conclusions). Er kann die Europäische Kommission beauftragen, Problemlösungen zu erarbeiten und Angelegenheiten an den Rat der Europäischen Union weiterleiten.

Er wählt seinen Präsidenten für eine Amtszeit von 2 ½ Jahren.

Besonderer Ministerrat

Versammlung der für bestimmte Resorts zuständigen Minister; wechselnde Zusammensetzung.

Rat der Europäischen Union(Rat)

Versammlung der für bestimmte Resorts zuständigen Minister der EU-Länder. Je nach behandeltem Thema 10 verschiedene Zusammensetzungen (»Formationen«). Z. B.: Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin-Rat), insbesondere zuständig für Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik; Rat für Allgemeine Angelegenheiten, insbesondere zuständig für die Koordination der Politik des Rates.

Gesetzgeber, zusammen mit dem Europäischen Parlament.

Entscheidung über den EU-Haushalt und über internationale Abkommen der EU (insbesondere in Handelsfragen).

Eine Stimme pro Land. Im »Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren« (gemeinsam mit dem Europäischen Parlament) qualifizierte Mehrheit gefordert. Bei »Besonderer Gesetzgebung« Einstimmigkeit gefordert.

Hohe Behörde

Exekutivorgan.

Europäische Kommission

Ein Kommissar pro Land, dem ein Generaldirektorat untersteht, ernannt mit qualifizierter Mehrheit vom Europäischen Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren, nach Zustimmung zum Kollegium der Kommissare durch das Europäische Parlament.

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Erscheint lt. Verlag 30.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
ISBN-10 3-17-042316-9 / 3170423169
ISBN-13 978-3-17-042316-9 / 9783170423169
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