Einführung in Brainspotting -  Andreas Kollar

Einführung in Brainspotting (eBook)

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2024 | 1. Auflage
127 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-8475-1 (ISBN)
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'Wir [im Brainspotting] wollen gar nicht, dass alle [Therapeut:innen] Brainspotter:innen werden. Mir geht es darum, die Hauptideen von Brainspotting im Bereich der Psychotherapie zu verbreiten.' David Grand Erste Hilfe in der Traumatherapie Brainspotting ist eine körperorientierte Therapieform, die auf neurobiologischen Erkenntnissen aufbaut. Sie basiert auf der Annahme, dass emotionale Empfindungen mit bestimmten Augenpositionen korrespondieren. Diesen Zusammenhang macht sich Brainspotting zunutze, indem therapierelevante Emotionen und physiologische Prozesse über das Gesichtsfeld zielgerichtet aktiviert werden. Die Methode geht auf Beobachtungen des amerikanischen Therapeuten David Grand zurück, der die Abläufe und theoretischen Aspekte von Brainspotting seit vielen Jahren fortlaufend verfeinert. Dieses Buch liefert auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit aktuellen Erkenntnissen. Durch die hohe Aufmerksamkeit auf die therapeutische Beziehung kann das Vorgehen ständig an den laufenden Therapieprozess angepasst werden. Gleichzeitig wird durch das achtsame, fokussierte Begleiten der Klient:innen viel Raum für innere Verarbeitungsprozesse aufgebaut. Aufgrund der deutlichen Komplexitätsreduktion im therapeutischen Prozess hat Brainspotting das Potenzial, die Psychotraumatherapie nachhaltig zu erweitern. Der Autor: Andreas Kollar, Klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Sportpsychologe; Coach; Lehrtrainer für Klinische Hypnose; Neurofeedback-Dozent; Vorstandsmitglied der European Society of Hypnosis (ESH); internationale Seminartätigkeit für unterschiedliche Berufsgruppen; Leitung des Kompetenzfokus Institut.

Andreas Kollar, Klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Sportpsychologe; Coach; Lehrtrainer für Klinische Hypnose; Neurofeedback-Dozent; Vorstandsmitglied der European Society of Hypnosis (ESH); internationale Seminartätigkeit für unterschiedliche Berufsgruppen; Leitung des Kompetenzfokus Institut.

3 Der therapeutische Rahmen im Brainspotting


»Brainspotting ist eine Beobachtungswissenschaft.«16

David Grand (2013; Übers.: A. K.)

Brainspotting ist – wie bereits implizit angeklungen sein dürfte – keine psychotherapeutische Schule, sondern eine Methode. Genauer gesagt eine Traumatherapiemethode. Psychotherapeutische Schulen sind – im Gegensatz zu therapeutischen Methoden – auf philosophischen Positionen aufgebaut, die z. B. auch festlegen, welches Bild vom Menschen und der Welt für den Ansatz kennzeichnend ist. Psychotherapeutische Verfahren bestehen immer aus Erklärungshypothesen und daraus abgeleiteten Handlungen. Die Erklärungshypothesen umfassen die beobachteten und beobachtbaren Phänomene und wie Wirkungen im beobachteten Bereich erklärt werden. Aus den Erklärungen werden dann Handlungen – in diesem Fall therapeutische Handlungen – abgeleitet. Hier kommen das Menschen- und Weltbild enorm zum Tragen. Allen Hypothesen liegt somit immer eine Form der Erkenntnistheorie zugrunde, die festlegt, was Menschen tatsächlich erkennen und wissen können (vgl. Lieb 2009).17 Phänomenologische Ansätze (Tiefenpsychologie, Humanismus) verfolgen eine andere »Erklärungs-Logik« als z. B. systemischkonstruktivistische. Es wird ein Rahmen hergestellt, über den der Bezug zur Welt und zur individuellen Welt der Klient:innen hergestellt wird. Methoden bestehen zwar auch aus Erklärungs- und Handlungshypothesen, das Menschen- und Weltbild wird jedoch meist nicht explizit behandelt. Brainspotting basiert im Unterschied zu anderen Traumatherapiemethoden auf vielen Prämissen, die explizit eine Erkenntnistheorie und damit eine grundlegende Philosophie nahelegen.

Grand spricht davon, dass Brainspotting ein phänomenologischer Ansatz sei (Grand 2019a). Das bedeutet, dass der subjektiven Wahrnehmung eine große Bedeutung eingeräumt wird. Das ist meines Erachtens ein großer Unterschied zu anderen Methoden, bei denen das dahinter liegende Menschen- und Weltbild nicht explizit thematisiert wird. Ich glaube, dass das auch ein Grund für die eine oder andere Verwirrung um Brainspotting ist. Die Philosophie dahinter ist hier mindestens so wichtig wie die Methode selbst, während sonst die Methode im Vordergrund steht. Aus diesem Grunde möchte ich mit der Ebene der Beobachtung beginnen und gehe dann erst zum therapeutischen Rahmen über.

3.1 Das neuroexperienzielle Modell – die Ebene der Beobachtung


David Grands Probleme damit, von der Anamnese über die Diagnose zu einem Behandlungsplan zu kommen, begründet er auf der neurobiologischen Erkenntnis, dass das Nervensystem aus mehr als 1 Billion Neuronenverbindungen besteht (Grand a. Grixti 2019): Weil das menschliche Nervensystem damit unendlich komplex ist und man nie genau weiß und auch nicht wissen kann, was im Inneren eines Menschen vorgeht, erhebt Brainspotting nicht den Anspruch darauf, etwas exakt zu wissen, zu verstehen oder etwas Bestimmtes bewirken zu können. Vielmehr betont David Grand mit dem Einführen des Unsicherheitsprinzips die Offenheit der Vorgehensweise im Brainspotting. Er lehnt sich dabei an einen Begriff aus der Physik an und weist auf die Arbeiten von Werner Heisenberg hin: »Im Bereich der Physik bedeutet die Unschärferelation, dass, je präziser eine Eigenschaft gemessen wird, desto weniger präzise die andere kontrolliert oder bestimmt werden kann oder bekannt sein kann« (Grand 2017, S. 46). Das sokratische »Ich weiß, dass ich nichts weiß« fließt hier in die Arbeit von Brainspotting ein, wird aber in erster Linie als Unsicherheit der Erkenntnismöglichkeiten infolge der neurobiologischen Komplexität begründet und nicht in der ursprünglichen Form der Heisenbergschen Unschärferelation verwendet.

Diese erkenntnistheoretische und philosophische Position stellt für viele Therapeut:innen – v. a. zu Beginn der Ausbildung – eine große Herausforderung dar. Sie können, dieser Prämisse folgend, zu keinem Zeitpunkt wissen18, was im therapeutischen Prozess oder der einzelnen Sitzung passieren wird. Genau das soll auch so sein, vielmehr geht es darum, sich überraschen zu lassen, wohin der Prozess geht. Das Vorgehen beim Brainspotting ist dennoch alles andere als beliebig.

Die Schlussfolgerung aus dem bisher Gesagten und die sich entwickelnde Grundlage für das neuroexperienzielle Modell im Brainspotting ist das Konzept des Rahmens:19 »Angesichts der Unsicherheit, in der Therapie immer stattfindet, ist alles, was wir haben, der Rahmen« (Grand 2022a; Übers.: A. K.).20

Auf die Frage, was denn ein Rahmen sei, antwortet Grand zugegebenermaßen unbefriedigend: »Was der Rahmen ist, ist im Grunde undefinierbar. Und von da aus bewegen wir uns weiter« (Grand 2022d). Die wörtliche Bedeutung bringe unser inneres Bild seiner Meinung nach in die Richtung eines Gemäldes, das von einem materiellen Rahmen gehalten und definiert ist (Grand 2022d).21 Grand geht es jedoch mehr darum, was ein Rahmen funktionell macht:

Beschreibung des Rahmen-Konzepts

Der Rahmen schafft Raum für das, was innerhalb des Rahmens Platz bekommen soll. Und er öffnet damit den Raum für das fokussierte Prozessieren.

Das Konzept des Rahmens bzw. der Begriff Rahmen werden von Grand in vielfacher Art genutzt, was manchmal verwirrend sein kann. Grand benennt zum einen den therapeutischen Rahmen, den die Therapeutin bildet, welcher wiederum den Rahmen der Klient:in umfasst. Dieser Rahmen beinhaltet u. a. die Lebensgeschichte der Klient:innen, aber auch, was sie konkret in eine Therapie bringt. Und dann gibt es z. B. noch den Beziehungsrahmen, der sich auf den interaktionellen Austausch bezieht. »Ein Rahmen enthält im Grunde unendlich viele Rahmen« ist dazu eine passende Formulierung von Grand (Grand 2022c, 2022d; Übers.: A. K.). Die im nächsten Kapitel vorgestellten Set-ups im Brainspotting – die das konkrete Vorgehen näher beschreiben – dienen insofern im Grunde der gemeinsamen Entwicklung und Weiterentwicklung des therapeutischen Rahmens (Grand 2022c, 2022d).

Im Brainspotting zeigt sich die Anwendung dieses Konzepts – und damit auch der Unterschied zu anderen Traumatherapiemethoden – am deutlichsten schon in der völlig offenen Eingangsfrage: »Woran möchten Sie heute arbeiten?« Im Brainspotting kann auf eine Erhebung der Anamnese und Exploration, wie sie in vielen traumatherapeutischen Methoden Anwendung findet, verzichtet werden – ganz zu schweigen von einer traumaspezifischen testpsychologischen Diagnostik. Grand betont immer wieder, dass Brainspotting ein offenes Modell ist und in erster Linie Vorschläge macht. Jede Therapeutin kann also frei entscheiden, wie in die Brainspotting-Arbeit eingestiegen wird. Aber es gibt so etwas wie eine grundlegende Einstiegs-Idee:

Das diagnostische Prinzip im Brainspotting

»Das Thema ist, was die Klient:innen mitbringen.«

Dieses Thema muss weder definiert werden noch in irgendein Modell passen. Es muss auch nicht verbalisiert werden können. Es könnte eine Emotion sein, ein Körpergefühl oder nur etwas, von dem der Klient weiß, dass es nicht stimmig für ihn ist. Es wird als nicht notwendig angesehen, zu irgendwelchen Erinnerungen oder gar Traumaerinnerungen zu gehen. Es braucht nicht zwingend Bilder oder negative Kognitionen. Die Klient:innen bringen den Rahmen mit, der sich um ihr »Problem« herum gebildet hat, und die Therapeut:innen begegnen dem aus ihrem Rahmen heraus. Es handelt sich um ein sehr dynamisches Vorgehen, von dem David Grand sagt, dass es aufgrund der hologrammartigen Struktur des Gedächtnisses quantum22 sei (Grand 2022d), d. h. nicht linear, und auch transgenerationale, vorsprachliche und andere Aspekte beinhalten kann (Grand 2023).23

Während die Unschärferelation bzw. das Unsicherheitsprinzip und der Begriff des Rahmens schon recht früh ihren Weg ins Brainspotting fanden, stellt »neuroexperienziell« eine neuere Begriffsschöpfung dar. David Grand präsentierte das sog. »neuroexperienzielle Modell« beim Brainspotting-Weltkongress in Denver im Juli 2021.

Erläuterung des »neuroexperienziellen Modells«

David Grand beantwortet die Frage, »was es ist«, in der mittlerweile bekannten Art damit, dass es für ihn eher darum geht, was es für Brainspotting-Praktiker:innen macht. Das neuroexperienzielle Modell soll leichter verstehbar machen, wovon Brainspotting ausgeht, und allen Praktiker:innen Benennungen und eine Sprache bieten für das, was sie erleben, was sie tun und wie sie Menschen begegnen.

Es stellt den Versuch dar, das, was bisher über das Unsicherheitsprinzip und das daraus abgeleitete Konzept des Rahmens gesagt wurde, in ein theoretisches Modell zu fassen, und ist sicher noch in einer frühen Entwicklungsphase.

Das Präfix »neuro-«24 wird bei Grand sehr weit gefasst und meint nicht nur neurobiologische, neuronale oder neurophysiologische...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-8497-8475-4 / 3849784754
ISBN-13 978-3-8497-8475-1 / 9783849784751
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