Fuchskind (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
352 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1303-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fuchskind -  Annette Wieners
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An einem Herbsttag hört Friedhofsgärtnerin Gesine Cordes hinter einem Grab plötzlich Babygeschrei. Sie gerät in Panik, denn sie fühlt sich an den Tag erinnert, an dem ihr Sohn zehn Jahre zuvor durch Giftpflanzen ums Leben kam. Doch der Säugling, den sie auf dem Friedhof entdeckt, ist unversehrt. Von den Eltern aber weit und breit keine Spur. Als wäre das nicht genug, wird auch noch eine Frauenleiche gefunden. Und Gesines Exmann steht plötzlich vor ihr. Hat er etwas mit der Toten zu tun? Gesine kommt der Wahrheit näher, als ihr lieb ist ....

Annette Wieners, geboren in Paderborn, hat für ARD, ZDF und WDR als Drehbuchautorin gearbeitet. Sie lebt als Autorin und Journalistin in Köln.

Annette Wieners, geboren in Paderborn, hat für ARD, ZDF und WDR als Drehbuchautorin gearbeitet. Sie lebt als Autorin und Journalistin in Köln. Fuchskind ist der zweite Teil ihrer erfolgreichen Krimiserie mit Friedhofsgärtnerin Gesine Cordes.

1


Im Pförtnerhaus brannte Licht. Gesine klopfte ans Fenster, aber alles blieb still. Die Gardine war zugezogen, die Tür abgeschlossen. Der Knauf lag kalt in ihrer Hand, feucht vom Morgennebel.

Sie bückte sich und versuchte, unter der Gardine hindurch in die Loge zu spähen. Der Stoff hatte sich auf der Fensterbank verfangen und gab einen Spalt frei. Sie sah die Lampe auf dem Tisch, die Lederhandschuhe daneben, glänzend im Kegel des warmen Lichts. Trotzdem schien die Loge leer zu sein.

»Hallo?«

Keine Antwort. Aber hinter dem Pförtnerhaus entdeckte sie eine frische Spur im Gras. Jemand war zwischen Friedhofsmauer und Loge hin- und hermarschiert. Jemand, der größere Schritte machte als der alte Pförtner.

»Hallo?«

Nichts. Nur eine Taube flatterte aus dem Rhododendron, die Flügel klatschten, dann verschwand der Vogel über den Gräbern.

Jetzt klopfte Gesine energisch. Die Gardine hing in steifen Falten. Ein grober brauner Stoff, der den Lichtschein filterte wie einen dünnen Kaffee.

Sie überlegte, den Schlüssel zu benutzen. Den Universalschlüssel, dessen Existenz man besser nicht an die große Glocke hängte. Aber dann verwarf sie den Gedanken, holte die Tüte mit den Croissants aus dem Pick-up und klemmte sie an den Türknauf. Warum sofort an das Schlimmste denken? Sie war doch nicht mehr bei der Polizei.

Ohne sich noch einmal umzudrehen, fuhr sie weiter Richtung Kapelle. Der Novembernebel hing tief über den Friedhofswegen, zäh zog die Morgendämmerung auf. So dick war die Luft, dass die Kronen der Bäume im Nichts verschwanden. Die Azaleen bogen sich schwer, die Grabsteine wirkten wie nass lackiert, und an den Eiben leuchteten die falschen Früchte, rot wie Positionslichter im Hafen.

Sie öffnete die Seitenscheibe. Es würde noch angenehmer werden, in ein oder zwei Stunden würde die Sonne durchbrechen. Gegen Mittag könnten Hannes und sie sogar picknicken, drüben auf der Bank vor dem Feld der Kindergräber. Ein perfekter Herbsttag, das hatte man im Radio gesagt, und darauf wollte sie sich verlassen.

Als der Betriebshof auftauchte, hielt sie an, um in die Einfahrt zu schauen. Der Parkplatz war leer, die anderen Gärtner waren noch nicht zum Dienst erschienen. Der Bagger stand mit erhobener Schaufel da, und der Aushub von gestern lag daneben. Sargreste und Knochenteile, die ein Kollege erwischt hatte, als er ein Grab auskoffern sollte.

Aber was war das unter den Bäumen? Ein heller Fleck, etwas bewegte sich und verschwand. Oder täuschte der Nebel? Sie lehnte sich weit aus dem Fenster. Nein, da war nichts. Nur Schwaden und der silbrige Glanz einer Seidenkiefer.

Der Pick-up rollte weiter. Der Motor tuckerte leise.

Plötzlich ein Schatten auf dem Weg. Sie bremste hart und erkannte einen Fuchs vor der Motorhaube. Starr stand er da, den Kopf erhoben. Leuchtende Augen, schräg aufgestellt hinter einer hellen Schnauze. Über seine Lefzen liefen dunkle Streifen, wahrscheinlich hatte er gerade gefressen.

Sie löschte die Scheinwerfer und drehte den Zündschlüssel um. Der Fuchs war kräftig und schön, er trug bereits den Winterpelz. Er lauerte, dann lief er davon. Sie merkte sich die Stelle, denn im Zaun, der das Wild vom Friedhof fernhielt, musste ein Loch sein.

Auf dem Vorplatz der Kapelle schließlich wollte sie sich um das Laub kümmern. Birkenblätter und Ahornfächer waren in Massen von den Bäumen gefallen. Sie nahm die Arbeitshandschuhe und stieß die Bolzen aus der Ladeklappe. Das Klirren stach durch die trübe Luft, aber dahinter, aus dem Gebüsch, erklang noch ein anderes Geräusch. Der dünne Laut eines Kindes.

Sie horchte, doch der Laut wiederholte sich nicht.

Vielleicht trieb sich eine Katze herum, um diese Uhrzeit war kaum etwas anderes möglich. Katzen klangen oft wie Kinder, wie sehr kleine Kinder.

Sie begann, das Laub zu harken, mit langen, kratzigen Schwüngen. Sie musste sich im Griff halten, ihre Beklommenheit konnte ein Symptom sein. Eine Spätfolge des Sommers, in dem sie mit Gewalt und Hinterlist konfrontiert worden war. Sollte sie inzwischen nicht stabiler sein?

Und trotzdem fiel ihr schon wieder eine Fußspur auf, als sie sich beim Harken der Kapelle näherte. Sie bückte sich. Aus der Art, wie das Laub lag, war eine gewisse Hast zu erkennen. Jemand war am frühen Morgen herbeigeeilt und hatte vor dem Eingang mit den Füßen gescharrt.

»Ist hier jemand?«, rief sie.

Keine Antwort.

Sie lehnte den Laubbesen an die Mauer und überprüfte die Kapellentür, aber das Schloss war in Ordnung und die Tür verriegelt, wie es sich gehörte.

Doch dann knackte irgendwo hinter ihr ein Stock, und noch während sie sich umdrehte, meinte sie, jemanden vom Pick-up weghuschen zu sehen. Jemand jammerte, jemand sagte etwas, kurz und grob, so als ob ein Kind weinte und zwischen den Sträuchern zum Schweigen gebracht wurde.

Sie lief dem Jammern nach, geradeaus in den schmalen Weg hinein, der sich durch den Hartriegel wand. Ein sandiger Boden, von vielen Schuhen zertreten, und wieder wurde es still. Nebel wie Watte und zwei Meter hohe Büsche, die ihr die Sicht versperrten. Dornen, Schösslinge und Efeugeschlinge.

Sie zwang sich, ruhiger zu atmen. Wenn sie den Weg weiterlief, gelangte sie an das Gräberfeld A, den Bereich der Kindergräber, und links lagen die Familiengruften mit ihren gewaltigen Tafeln. Überall konnte man sich bestens verstecken. Aber war sie denn ganz sicher, dass sie vorhin jemanden am Pick-up gesehen hatte?

Nein, ganz sicher war sie nicht.

Sie kehrte auf dem Sandweg um und rief Hannes an. »Wann kommst du heute?«

Er lachte. »Was ist denn mit dir los?«

»Es ist sehr nebelig.« Sie zögerte und war plötzlich nicht sicher, ob sie ihm alles sagen sollte.

»Ach, das kennen wir doch.« Hannes blieb amüsiert. »Mittags wird die Sonne scheinen. Oder willst du unser Picknick absagen?«

»Nein, auf keinen Fall«, sagte sie und stutzte. Hannes war nicht allein. Geschirr klapperte, und jemand wisperte in seiner Nähe. Eine kichernde Frauenstimme, wie peinlich, Gesine störte beim Tête-à-Tête.

»Ist wirklich alles in Ordnung bei dir?«, fragte Hannes, weil sie so lange schwieg.

»Natürlich. Entschuldige.«

Sie beendete das Gespräch und sah auf die Uhr. Die Croissants hingen wohl noch beim Pförtner an der Tür. Sie sollte zur Loge zurückspazieren und den Tag noch einmal neu beginnen.

Aber jetzt knarrte etwas. Vorn, hinter den Sträuchern rührte sich jemand, und diesmal hörte sie es genau. An der Kapelle fiel der Laubbesen um, sie erkannte das Scheppern der biegsamen Zinken und rannte los. An den Dornen vorbei, über das Efeu hinweg, und anstatt die letzte Kurve zu nehmen, schnitt sie den Weg durch den Hartriegel ab.

Der Laubbesen lag am Boden, tatsächlich, und auch wenn kein Mensch zu sehen war, war an der Ecke jemand ausgerutscht. Das Laub war weggeglitscht, der blanke Lehm kam durch.

»Wer ist denn hier?«

Ausgerutscht, aufgestanden, um die Mauer herum hinter die Kapelle gelaufen.

»Ich bin die Friedhofsgärtnerin. Warum verstecken Sie sich vor mir?«

Aber aus den Büschen schlug ihr bloß die stumme Kälte entgegen. Der Nebel saß kompakt zwischen den Zweigen, die Rhododendren waren schon lange nicht mehr geschnitten worden. Grünbraunes Moos überzog die Mauer, und der Boden war hier, an der Nordseite der Kapelle, glatt vor Nässe.

Sie stützte sich an den Bruchsteinen ab, entschlossen, das Katz-und-Maus-Spiel zu beenden. Doch alles, was sie hörte, war ein feines, helles Wimmern. Leise und brüchig, wie von einem Baby.

»Das gibt es doch nicht.«

Sie ging in die Hocke. Dunkle Blätter hingen lappig am knorrigen Holz und schluckten das Licht. Das Wimmern erstarb, bevor sie es orten konnte. War es von vorn gekommen oder eher von der Seite?

Schweigen. Nur der eigene Pulsschlag dröhnte in den Ohren.

Dann endlich, nach einer langen Weile, ein Glucksen von rechts. Sie ging noch tiefer herunter, bog die Zweige auseinander und erschrak. Auf dem Boden, zwei oder drei Meter weit in die Rhododendren geschoben, stand etwas Blaues aus Plastik und Stoff. Eine Babyschale zwischen den tropfenden Zweigen.

Sie kroch nach vorn, eine Hand schützend vor der Stirn, die andere Hand ausgestreckt. Ein Baby lag dort und ruderte mit den Armen.

»Schschscht«, machte Gesine und zog die Schale langsam zu sich heran. Das Kind trug eine helle Mütze mit langen Bändern, die offen herunterhingen. Um seinen Körper war eine karierte Decke gestopft, am Fußende war sie mit Erde verschmiert.

»Schschscht.«

Es guckte sie an. Ein winzig kleines Gesicht. Ein Säugling mit schrumpeligen Händen. Runde Lippen, eine dicke Zunge und Spucke, die übers Kinn rann.

Weiter hinten im Gebüsch raschelte es.

»Hallo?« Jemand rannte fort. »Stehen bleiben, verdammt noch mal!«

Aber die Person rannte weiter, und als Gesine aufsprang, erschrak das Baby und fing an zu weinen. Sie legte ihre Arme um die Schale und brach sich rücklings eine Bahn ins Freie. Es konnte doch nicht sein, dass jemand ein Baby sich selbst überlassen wollte? Im Gebüsch, im November?

Doch der Vorplatz der Kapelle war leer. Sie setzte die Schale ab, das Kind zappelte, spannte sich an und schrie los, als habe man einen Schalter gedrückt. Zahnlose Kiefer, ein heller Gaumen und eine Zunge, die verzweifelt vibrierte.

»Ganz ruhig. Du hast ja recht.«

Sie lupfte die Decke. Das Baby war festgeschnallt,...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2016
Reihe/Serie Ein Gesine-Cordes-Krimi
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Buch 2016 • Elisabeth Herrmann • Friedhof • Giftpflanzen • Inge Löhnig • Krimi • Leiche • Mord • Nele Neuhaus • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Tod
ISBN-10 3-8437-1303-0 / 3843713030
ISBN-13 978-3-8437-1303-0 / 9783843713030
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