Ewiger Krisenherd -  Jörg Armbruster

Ewiger Krisenherd (eBook)

Ist der Nahe Osten noch zu retten?
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
154 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043187-4 (ISBN)
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Kriege, Bomben, Selbstmordattentäter - nirgends gab es in den letzten Jahren so viel Gewalt wie in der arabischen Welt. Dabei hatte die arabische Jugend vor über zehn Jahren einen vielversprechenden Anlauf genommen, sich Freiheit, Selbstbestimmung und Würde zu erkämpfen. Doch alle zentralen Ziele des sogenannten Arabischen Frühlings müssen heute als gescheitert gelten. Die Folgen sind Despotismus, islamistischer Terror, Bürgerkriege, aber auch bis dato undenkbare Wechselwirkungen aus alledem. Haben also Demokratie und Frieden im Nahen Osten keine Chance? Welche Rolle spielen die Islamisten? Wie konnte es zum Rückfall in autoritäre Regime kommen? Welche Bedeutung kommt Israel zu? Und wie soll sich der Westen positionieren? Jörg Armbruster spürt diesen und weiteren zentralen Fragen nach, indem er persönliche Erlebnisse und Kontakte schildert. So entsteht ein lebendiges Bild vom Nahen Osten, seinen Problemen, Möglichkeiten und Aussichten.

Jörg Armbruster war Korrespondent der ARD für den Nahen und Mittleren Osten und ist Autor mehrerer Bücher zum Thema.

Jörg Armbruster war Korrespondent der ARD für den Nahen und Mittleren Osten und ist Autor mehrerer Bücher zum Thema.

Einleitung – wie alles anfing


Alles begann mit einer Lüge, genauer gesagt: mit einem feierlichen Versprechen der britischen Regierung, von dem sie gewusst haben musste, dass sie es nicht einlösen konnte. Damit nahm sie bewusst in Kauf, dass sich früher oder später die Betroffenen betrogen, getäuscht und bis heute hinters Licht geführt fühlen. Noch heute gilt dieses gebrochene Wort der britischen Regierung als die moderne Ursünde des Westens im Nahen Osten, als geplanter Verrat, als einer der Auslöser vieler Konflikte in der arabischen Welt.

Wir sind im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. In Europa tobte der Erste Weltkrieg. Das Deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn, die sogenannte Mittelmächte, auf der eine Seite, Frankreich, Großbritannien, Russland und später die USA auf der anderen. Franzosen, Engländer und Deutsche verbluteten auf den Schlachtfeldern Nordfrankreichs. Die Fronten verliefen nicht nur quer durch Europa. Auch der Nahe Osten war bald Schauplatz erbitterter Schlachten. Als die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich versuchten, die osmanische Hauptstadt Konstantinopel zu erobern, rief Mehmed V., Sultan des Osmanischen Reiches und Kalif aller Muslime, zum Heiligen Krieg auf. In einer der blutigsten und brutalsten Kämpfe des Ersten Weltkrieges verteidigten seine Soldaten den Bosporus und ihre Hauptstadt. Nach einem Jahr und über 350.000 Toten mussten sich die beiden europäischen Armeen geschlagen zurückziehen. Weit zurückziehen, bis nach Ägypten. Für die Briten war dies eine bittere Niederlage, die sie zwang, lokale Verbündete zu suchen, da die eigenen Soldaten in Europa gebraucht wurden.

Und hier beginnt das erste Doppelspiel von Versprechen und Täuschung. Nach dem Misserfolg vor Konstantinopel sollte der britische Hochkommissar von Ägypten, der Diplomat Sir Henry McMahon, so schnell wie möglich eine neue Front gegen das Osmanische Reich aufbauen, das mit seinen auf dem Sinai stationierten Truppen den Suezkanal bedrohte. Eine osmanische Kontrolle dieser wichtigsten Wasserstraße zwischen Europa und dem fernen Osten – nicht nur für die Britten ein Alptraum. Schließlich wurden über diese an manchen Stellen damals gerade mal 58 Meter breite Durchfahrt vom Indischen Ozean in das Mittelmeer Soldaten, Handelswaren und andere kriegswichtige Güter transportiert.

Die Briten entschieden sich für eine Taktik, mit der schon die alten Römer erfolgreich gewesen waren: teile und herrsche. Der Hass arabischer Stammesfürsten auf den osmanischen Expansionsdrang, der auch vor ihren Stammesgebieten nicht Halt machte, war ihnen nur allzu gut bekannt. Also versuchten die Briten, sie zu einem Aufstand zu überreden. Sollte dieser erfolgreich sein und die türkischen Truppen in das Kerngebiet des Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei, zurückdrängt werden, sollten die arabischen Partner mit einem Großreich vom Jordan bis einschließlich der arabischen Halbinsel belohnt werden. Dieses Versprechen bekamen die Wüstenfürsten sogar schriftlich. Am 24. November 1915 schrieb McMahon an den Sherifen von Mekka, den Haschemitenherrscher Hussein Ibn Ali, Gebiete mit christlicher Bevölkerung wie der Levante kämen zwar nicht in Frage aber: »Vorbehaltlich der obigen Modifikationen ist Großbritannien bereit, die Unabhängigkeit der Araber anzuerkennen und zu unterstützen innerhalb der Länder, die in den vom Sherifen von Mekka vorgeschlagenen Grenzen liegen.«

Haschemiten


Großclan in Mekka und Medina, dessen Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückgeht. Hat eine Sonderrolle in der islamischen Geschichte. Seit dem 10. Jahrhundert als Sherifen von Mekka Herrscher über die Heiligen Stätten. 1921 wurde Faisal erster König des Irak, sein Bruder Abdallah Emir von Transjordanien, ab 1946 König von Jordanien. 1925 wurden die Haschemiten vom späteren saudischen König Ibn Saud von der Arabische Halbinsel vertrieben. Heute stellen sie nur noch den König von Jordanien, ein an Bodenschätzen armer Staat.

Der Stamm der Haschemiten konnte sich also Hoffnung machen, am Ende des Feldzuges Herrscher über den größten Teil der arabischen Welt zu werden, über Gebiete in Syrien, Jordanien und dem Irak einschließlich der arabischen Halbinsel. Ein gewaltiges Imperium. Daher zögerte der Sohn des Sherifen Faisal I. nicht lange. Am 5. Juni 1916 rief er zum Heiligen Krieg gegen die Osmanen auf, allerdings ohne zu wissen, dass die Briten die Araber schon längst ausgetrickst hatten. In Wirklichkeit hatten sie ganz andere Pläne mit dem Nahen Osten. Mit den Franzosen hatten sie einen Monat zuvor ein Abkommen unterzeichnet, in dem sie das riesige Osmanische Reich nach dessen Niederlage zwischen sich aufteilten. Mit anderen Worten: Die beiden Kolonialmächte wollten Besitzer des ganzen Hauses sein, für die Araber hatten sie bestenfalls den Posten des Hausmeisters vorgesehen. Frankreich sollte das heutige Syrien und den Libanon als Einflussgebiet bekommen, Großbritannien Palästina, das Gebiet jenseits des Jordans, das spätere Jordanien, außerdem den ölreichen Irak einschließlich der Kurdenprovinzen im Norden. Benannt ist dieses geheime Sykes-Picot-Abkommen nach den beiden Unterhändlern, dem britischen Diplomaten Marc Sykes und seinem französischen Kollegen François Georges-Picot.

Noch eine weitere Verpflichtung war die britische Regierung eingegangen, die den Wunsch der Potentaten aus der Wüste nach Unabhängigkeit und Souveränität zumindest in Teilen unmöglich machen sollte. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten im Hafen von Haifa immer mehr Schiffe mit jüdischen Einwanderern angelegt, die meisten geflohen vor den antijüdischen Pogromen im Zarenreich und anderen Ländern Osteuropas. Etwa 25.000 bis 30.000 sollen es in der ersten Einwanderungswelle gewesen sein. In »Eretz Israel«, im Land Israel, wollten sie als gläubige Juden leben, in landwirtschaftlichen Genossenschaften oder als Handwerker in Städten wie Jerusalem oder Akkon.

Als Zionisten bezeichneten sich diese Auswanderer, die sich als Rückkehrer in das Land der »Väter und Bibel« verstanden. Ihr wichtigster Vordenker vor dem Ersten Weltkrieg, der Journalist Theodor Herzl, nannte als Hauptziel dieser neuen Ideologie »die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstatt«. Als Berichterstatter für eine Wiener Zeitung hatte er den judenfeindlichen Dreyfus-Prozess in Paris erlebt. Angesichts dieser antisemitischen Auswüchse im Gerichtssaal einer europäischen Kulturnation verlor er den Glauben, dass Europa je bereit sein werde, Juden als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen. Für ihn konnte diese »Judenfrage«, wie er es nannte, nur gelöst werden, wenn sie sich einen eigenen Nationalstaat schafften.

Politischer Zionismus


Einrichtung eines legalen und von Nachbarn anerkannten jüdischen Staates in Palästina durch Verhandlungen, Verträge und legalen Kauf von Grund und Boden. Allerdings schließt der politische Zionismus einen illegalen Erwerb von Land heute nicht mehr aus, das gilt besonders für den Bau von israelischen Siedlungen im Westjordanland.

 

Religiöser Zionismus


Diese Variante leitet das Recht auf Palästina aus der Torah ab. Dieser Anspruch auf »das Land Israel für das Volk Israel« schließt Gewalt gegen dort Lebende Nichtjuden nicht aus. Vertreter dieser Richtung des religiösen Zionismus sind schon seit etlichen Legislaturperioden in israelischen Regierungen vertreten.

Auch in Großbritannien gewann der Zionismus immer mehr Anhänger, unter anderem in der politischen Oberschicht des Landes. Eine nicht unwichtige Rolle mag für die britische Regierung dabei die Frage gespielt haben, wer in Palästina am besten ihre Interessen vertreten könnte. Die arabischen Ureinwohner sicherlich nicht, eher wohl mit europäischem Denken vertraute Einwanderer. Daher beauftragte das Kabinett Außenminister Lord Arthur James Balfour, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Großbritannien, Lord Walter Rothschild, eine »Sympathie-Erklärung mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen, die vom Kabinett geprüft und gebilligt worden ist«, zuschicken. In dieser sogenannten Balfour-Declaration versicherte die britische Regierung dem aktiven Zionisten Rothschild: »Seine Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstatt in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größten Anstrengungen machen, um das Erreichen dieses Zieles zu erleichtern«.

Allerdings forderte die Erklärung auch, die »politischen und religiösen Rechte nichtjüdischer Gemeinschaften« in Palästina nicht zu beeinträchtigen. Freilich verstanden diese...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Gisela Riescher, Martin Große Hüttmann, Reinhold Weber, Anna Meine
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ägypten • Araber • Arabische Welt • Demokratie • demokratische Bewegung • Frieden • Islam • Islamischer Staat • Islamismus • Israel • Konflikte • Naher Osten • Nahostkonflikt • Revolution • Syrien
ISBN-10 3-17-043187-0 / 3170431870
ISBN-13 978-3-17-043187-4 / 9783170431874
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