Die 4. Revolution (eBook)

Wie die Infosphäre unser Leben verändert

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
350 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74217-4 (ISBN)

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Die 4. Revolution - Luciano Floridi
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Eine Philosophie für das Internetzeitalter

Unsere Computer werden immer schneller, kleiner und billiger; wir produzieren jeden Tag genug Daten, um alle Bibliotheken der USA damit zu füllen; und im Durchschnitt trägt jeder Mensch heute mindestens einen Gegenstand bei sich, der mit dem Internet verbunden ist. Wir erleben gerade eine explosionsartige Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Luciano Floridi, einer der weltweit führenden Informationstheoretiker, zeigt in seinem meisterhaften Buch, dass wir uns nach den Revolutionen der Physik (Kopernikus), Biologie (Darwin) und Psychologie (Freud) nun inmitten einer vierten Revolution befinden, die unser ganzes Leben verändert.

Die Trennung zwischen online und offline schwindet, denn wir interagieren zunehmend mit smarten, responsiven Objekten, um unseren Alltag zu bewältigen oder miteinander zu kommunizieren. Der Mensch kreiert sich eine neue Umwelt, eine »Infosphäre«. Persönlichkeitsprofile, die wir online erzeugen, beginnen, in unseren Alltag zurückzuwirken, sodass wir immer mehr ein »Onlife« leben. Informations- und Kommunikationstechnologien bestimmen die Art, wie wir einkaufen, arbeiten, für unsere Gesundheit vorsorgen, Beziehungen pflegen, unsere Freizeit gestalten, Politik betreiben und sogar wie wir Krieg führen. Aber sind diese Entwicklungen wirklich zu unserem Vorteil? Was sind ihre Risiken?

Floridi weist den Weg zu einem neuen ethischen und ökologischen Denken, um die Herausforderungen der digitalen Revolution und der Informationsgesellschaft zu meistern. Ein Buch von großer Aktualität und theoretischer Brillanz.



<p>Luciano Floridi, geboren 1964, ist Professor of Philosophy and Ethics of Information an der Oxford University sowie Director of Research und Senior Research Fellow des Oxford Internet Institute. Für seine Forschungen zur Philosophie der Information wurde er unter anderem mit dem Barwise Prize, dem Covey Award und dem Weizenbaum Award ausgezeichnet. Er war Vorsitzender der von der EU-Kommission eingesetzten Onlife-Forschungsgruppe zur Wirkung von Informations- und Kommunikationstechnologien auf unsere Gesellschaften und ist gegenwärtig Mitglied des Expertenbeirats von Google zur Umsetzung des »Rechts auf Vergessen«.</p>

Luciano Floridi, geboren 1964, ist Professor of Philosophy and Ethics of Information an der Oxford University sowie Director of Research und Senior Research Fellow des Oxford Internet Institute. Für seine Forschungen zur Philosophie der Information wurde er unter anderem mit dem Barwise Prize, dem Covey Award und dem Weizenbaum Award ausgezeichnet. Er war Vorsitzender der von der EU-Kommission eingesetzten Onlife-Forschungsgruppe zur Wirkung von Informations- und Kommunikationstechnologien auf unsere Gesellschaften und ist gegenwärtig Mitglied des Expertenbeirats von Google zur Umsetzung des »Rechts auf Vergessen«.

1
ZEIT
Hypergeschichte


 

Die drei Zeitalter der menschlichen Entwicklung


Nie zuvor in der Geschichte lebten so viele Menschen auf der Erde wie heute. Und nie zuvor lebten die Menschen länger als viele von uns heute. Die Lebenserwartung steigt (Abbildung 1; siehe auch Abbildung 19) und die Armut nimmt ab (Abbildung 2), auch wenn die Ungleichheit auf der Welt nach wie vor skandalös ist. Infolgedessen werden nun körperliche Gebrechen zur größten gesundheitspolitischen Herausforderung für die Menschheit.

Der positive Trend der Entwicklung, der sich an den Linienverläufen der Abbildungen 1 und 2 ablesen lässt, ist in hohem Maße unseren Technologien geschuldet, zumindest ihrer intelligenten, friedlichen und nachhaltigen Entwicklung und Verwendung.

Manchmal vergessen wir, wie viel wir Feuersteinen und Rädern, Funken und Pflügen, Motoren und Computern verdanken, wie tief wir der Technologie gegenüber in der Schuld stehen. Wir werden jedes Mal daran erinnert, wenn wir das Leben der Menschheit in die Vorgeschichte und die Geschichte unterteilen. Eine solch signifikante Schwelle nötigt uns anzuerkennen, dass die Erfindung und Entwicklung der IKT (der Informations- und Kommunikationstechnologien) den ganzen Unterschied ausmacht zwischen den Menschen, die wir waren, denen, die wir sind, und, wie ich in diesem Buch argumentieren werde, den Menschen, die wir sein und werden könnten. Erst als Systeme zur Verfügung standen, mit denen sich Ereignisse aufzeichnen ließen und somit Informationen zur zukünftigen Verwendung gesammelt und übertragen werden konnten, begannen die Einsichten und Erkenntnisse, zu denen frühere Generationen gelangt waren, sich auf weiche oder Lamarck'sche1 Weise exponentiell zu entwickeln, und so trat die Menschheit in die Geschichte ein.

Abb. 1: Lebenserwartung bei der Geburt, weltweit und mit Bezug auf die Hauptgruppierungen der Entwicklung, 1950-2050.

Quelle: Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations Secretariat (2005), World Population Prospects: The 2004 Revision Highlights, New York: United Nations.

Geschichte ist darum gleichbedeutend mit dem Informationszeitalter. Nach diesen Überlegungen hätte die Menschheit mindestens seit der Bronzezeit in Informationsgesellschaften unterschiedlicher Art gelebt, seit dem Zeitalter also, das durch die Erfindung der Schrift in Mesopotamien und anderen Weltgegenden gekennzeichnet ist (4. Jahrtausend v. Chr.). Im 3. Jahrtausend v. Chr. war mit Ur in Sumer (Irak) tatsächlich ein mesopotamischer Stadtstaat der am stärksten entwickelte und zentralisierte Verwaltungsstaat auf der Welt. Noch vor dem Golfkrieg (1991) und dem Irakkrieg (2003-2011) waren wir im Besitz einer Bibliothek von Hunderttausenden von Tontafeln. Diese enthalten weder Liebesbriefe noch Urlaubsgeschichten, sondern hauptsächlich Inventare, Geschäftsvorgänge und Verwaltungsangelegenheiten. Und doch entspricht Ur nicht den gängigen Vorstellungen von einer Informationsgesellschaft. Dafür ließen sich viele Erklärungen anführen, eine aber scheint überzeugender als alle anderen: Während Fortschritt und Wohlergehen der Menschheit noch bis vor ganz kurzer Zeit mit dem erfolgreichen und effizienten Management des Lebenszyklus der Information nur verbunden waren, sind sie von ihm mittlerweile weitestgehend abhängig geworden. Ich werde im Laufe des Kapitels mehr zu einem solchen Zyklus sagen, lassen Sie uns jedoch zunächst der Frage nachgehen, warum eine solche Abhängigkeit dazu geführt hat, dass wir jüngst in die Hypergeschichte eingetreten sind (Abbildung 3).

Abb. 2: Armut auf der Welt, definiert als die Zahl und der Anteil der Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag (auf der Grundlage der Preise von 2005) bestreiten, von 1981-2008.

Quelle: Word Bank © The Economist Newspaper Limited, London (29. Februar 2012).

Vorgeschichte und Geschichte funktionieren wie Adverbien: Sie sagen uns, wie Menschen leben, nicht, wann oder wo sie leben. So gesehen erstrecken sich die menschlichen Gesellschaften derzeit über drei Zeitalter und zugleich Lebensweisen. Laut Berichten über eine nicht näher bestimmte Zahl unkontaktierter Stämme im Amazonasgebiet2 gab es zu Beginn des dritten Jahrtausends immer noch einige Gesellschaften, die vorgeschichtlich lebten, ohne Schriftzeugnisse. Falls, oder vielmehr, wenn solche Stämme eines Tages verschwinden, wird das erste Kapitel des Buches unserer Entwicklung fertiggeschrieben sein.

Abb. 3: Von der Vorgeschichte zur Hypergeschichte.

Heute leben die allermeisten Menschen nach wie vor geschichtlich, in Gesellschaften, die sich zur Aufzeichnung, Übertragung und Verwendung von Daten aller Art auf IKT verlassen. In solchen geschichtlichen Gesellschaften haben die IKT den anderen Technologien, allen voran den energierelevanten, noch nicht den Rang abgelaufen. Dann aber gibt es weltweit manche Menschen, die bereits hypergeschichtlich leben, in Gesellschaften und Lebenswelten, wo die IKT und ihre Möglichkeiten der Datenverarbeitung nicht bloß wichtige, sondern essenzielle Voraussetzungen für die Erhaltung und weitere Förderung des Wohlstands aller und jedes Einzelnen sowie der gedeihlichen Entwicklung insgesamt sind. So dürfen etwa sämtliche Mitglieder der G7 – also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA – als hypergeschichtliche Gesellschaften gelten, weil das Bruttoinlandsprodukt (der Wert der Waren und Dienstleistungen in einem Land) dort jeweils zu mindestens 70 Prozent von immateriellen Gütern, die mit Information zusammenhängen, getragen wird und entsprechend weniger von den materiellen Produktionsgütern der Landwirtschaft und der Industrie. Die Wirtschaft in diesen Ländern ist stark angewiesen auf informationsbasierte Ressourcen (die Wissensökonomie), informationsintensive Dienstleistungen (speziell die Unternehmens- und Immobiliendienste, der Kommunikationsbereich, die Finanz-, die Versicherungs- und die Unterhaltungsbranche) und auf eine informationsorientierte öffentliche Hand (speziell der Ausbildungssektor, die öffentliche Verwaltung und die medizinische Versorgung).

Die Art der Konflikte erlaubt einen, freilich traurigen Test auf die Belastbarkeit der angenommenen Dreiteilung der menschlichen Evolution. Nur eine Gesellschaft, die hypergeschichtlich lebt, kann informationstechnisch bedroht werden – durch einen Cyberangriff. Nur die, die vom Digit leben, können durch das Digit sterben, wie wir im 8. Kapitel sehen werden.

Kehren wir zu Ur zurück. Der Grund, weshalb wir den Stadtstaat nicht als Informationsgesellschaft betrachten, ist demnach der, dass er sich, wenngleich in der Geschichte, noch nicht in der Hypergeschichte befand. Seine Abhängigkeit von Agrartechnologien etwa war größer als die von Tontafeln. Die sumerischen IKT lieferten die Aufzeichnungs- und Übertragungsinfrastruktur, von der aus die technologische Entwicklung weiter voranschreiten konnte, mit der Folge, dass jede neue technologische Schicht unsere Abhängigkeit vergrößerte. Zur Evolution der Verarbeitungsvermögen aus den Aufzeichnungs- und Übertragungsfähigkeiten kam es jedoch erst Tausende Jahre später, in den wenigen Jahrhunderten zwischen Johannes Gutenberg (um 1400-1468) und Alan Turing (1912-1954). Und erst die jetzige Generation erlebt die von den IKT bewirkten radikalen Wandlungsprozesse, die die neue Schwelle zwischen Geschichte und Hypergeschichte markieren.

Dass die Evolution der IKT lange brauchte, um die hypergeschichtlichen Informationsgesellschaften hervorzubringen, muss einen nicht wundern. Der Lebenszyklus der Information (siehe Abbildung 4) umfasst in der Regel die folgenden Phasen:

Abb. 4: Ein typischer Lebenszyklus der Information.

Zustandekommen (Vorfinden, Gestalten, Erstellen), Aufzeichnen, Übertragen (Vernetzen, Verbreiten, Zugreifen, Abrufen etc.), Verarbeiten (Erfassen, Überprüfen, Zusammenfügen, Modifizieren, Strukturieren, Indexieren, Unterteilen, Filtern, Aktualisieren, Einsortieren, Speichern etc.) und Verwenden (Verfolgen, Modellieren, Auswerten, Erläutern, Planen, Prognostizieren, Entscheiden, Unterweisen, Anlernen, Aneignen, Spielen). Stellen wir uns jetzt die Abbildung 4 wie eine Uhr vor und denken uns dazu eine Historikerin, die in der Zukunft schreibt, sagen wir in einer Million Jahren. Sie könnte es ganz normal finden oder sogar eine elegante Symmetrie darin erkennen, dass es rund 6000 Jahre dauerte, bis die landwirtschaftliche Revolution ihre volle Wirkung entfaltet hatte, von ihrem Beginn im Neolithikum (10. Jahrtausend v. Chr.) bis zur Bronzezeit, und dann noch einmal 6000 Jahre, von der Bronzezeit bis zum Ende des zweiten nachchristlichen Jahrtausends, bis die Informationsrevolution ihre eigentlichen Früchte trug. Vielleicht würde sie es sinnvoll finden, die menschliche Evolution als eine Dreistufenrakete zu veranschaulichen: In der Vorgeschichte gibt es keine IKT; in der Geschichte gibt es sie, sie zeichnen Informationen auf und übertragen sie, die menschlichen Gesellschaften aber hängen in der Hauptsache von Technologien anderer Art ab, die mit Primärressourcen und Energie zu...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2015
Übersetzer Axel Walter
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel The 4th Revolution. How the Infosphere is Reshaping Human Reality
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte AI • Chat-GPT • Computer • Digitale Revolution • Infomationstheorie • Internet • Internetzeitalter • KI • Künstliche Intelligenz • Netzneutralität • Superintelligenz
ISBN-10 3-518-74217-5 / 3518742175
ISBN-13 978-3-518-74217-4 / 9783518742174
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