Psychodynamik im Spiel

Psychoanalytische Überlegungen und klinische Erfahrungen zur Bedeutung des Spiels

***** 1 Bewertung

Bernd Traxl (Herausgeber)

Buch | Softcover
204 Seiten
2018 | 1. Auflage
Brandes & Apsel (Verlag)
978-3-95558-237-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Psychodynamik im Spiel -
24,90 inkl. MwSt
Die AutorInnen zeigen die Dimension des psychotherapeutischen Spiels in seinen vielfältigen Facetten auf: Sie präsentieren gelungene und gescheiterte Fälle, zeigen Anfänge und Abbrüche, erläutern die Bedeutung von Spielfähigkeit und Spielstörung, betrachten unterschiedliche Settings oder thematisieren die Rolle der Spielfähigkeit von TherapeutInnen. Der Band untermauert damit die zentrale Stellung des Spiels für psychodynamische Therapien im Kindes- und Jugendalter.Die zentrale entwicklungspsychologische Bedeutung des Spiels wurde seit den Anfängen psychoanalytisch orientierten Arbeitens mit Kindern auch für therapeutische Zwecke erschlossen und in unterschiedlichsten Settings und Varianten weiterentwickelt. Herzstück ist dabei das »freie Spiel«: Selbst- und Objektwelt entfalten sich in der spielerischen Als-ob-Welt, zentrale Konfliktthemen tauchen auf und typische Verarbeitungsmodi werden auf dem jeweiligen Niveau der psychischen Struktur aktualisiert. Neben der diagnostischen Relevanz gelangen wir über das Spiel jedoch auch ins Feld von Übertragung und Gegenübertragung, in die Dynamik von Interpersonalität und Intersubjektivität. Dadurch bereiten wir ein gemeinsames Narrativ und neue Bedeutung: ein therapeutischer Prozess, der konsequent an den inneren, subjektiven und individuellen Dynamiken ansetzt.

Bernd Traxl, Prof. Dr. lehrt an der KH Freiburg und ist Psychologischer psychotherapeut (Psychoanalyse) für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in freier Praxis. Er ist Leiter der Kinderpsychoanalytischen Konferenz in Mainz, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (KJP) (Brandes & Apsel) sowie Herausgeber von Büchern, zuletzt bei Brandes & Apsel: Aggression, Gewalt und Radikalisierung (2017) und Körpersprache, Körperbild und Körper-Ich (2016); Autor zahlreicher Beiträge zur pädagogischen und psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Erscheinungsdatum
Co-Autor Daniel Barth, Frank Dammasch, Dagmar Lehmhaus, Renate Kelleter, Hans-Georg Lehle, Bettina Meisel, Bertke Reiffgen-Züger, Sabine Tibud, Bernd Traxl, Annegret Wittenberger
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Maße 155 x 235 mm
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Psychoanalyse / Tiefenpsychologie
Schlagworte Jugendliche • Kinder • Psychodynamik • Psychotherapie • Spiel
ISBN-10 3-95558-237-X / 395558237X
ISBN-13 978-3-95558-237-1 / 9783955582371
Zustand Neuware
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5 Begegnung im Spiel

von (Erkrath), am 06.12.2019

Der Reader gibt eine gute und breit gefächerte Übersicht über wesentliche Aspekte des Spiels, der Psychodynamik der spielenden Kinder und der Beziehung zwischen den jeweiligen Psychotherapeuten und den Kindern. Das Buch ist gut lesbar und verständlich geschrieben. Die psychoanalytischen Begriffe lassen sich aus dem Zusammenhang erklären. So ist ein flüssiges Lesen und Überdenken des fachlich sehr dichten Textes möglich.

In dem einführenden Kapitel gibt der Herausgeber eine prägnante Übersicht über die Rolle des Spiels im Kontext von Kindheit, Pädagogik und psychodynamischer Psychotherapie. „Spiel ist eine freiwillige Handlung …, die innerhalb …festgesetzter Grenzen von Raum und Zeit freiwillig angenommen, aber unbedingt geltenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und der Freude und einem Bewusstsein des „Andersseins“ als das gewöhnliche Leben“ (S. 9). Das Spiel verfolgt keinen von außen gesetzte Ziele. Es ist zweckfrei, aber nicht ohne Sinn. In ihm spielen sich die aktuellen Lebenserfahrungen der Kinder wieder, die Bereitschaft, neues auszuprobieren und eigene Grenzen zu überschreiten und Neues zu erfahren, zu verarbeiten und zu integrieren.


B. Traxl fächert die Bandbreite des Spiels von Kindern aus entwicklungspsychologischer Perspektive auf: Spiel als Exploration der Welt, das Symbolspiel, das Rollenspiel, in dem soziales Handeln und Verstehen angeeignet werden und mentale Skripts in immer wieder neuen Rahmenhandlungen neu konstruiert werden. Hinter diesen Formulierungen versteckt sich die Freude an der Entdeckung und dem Begreifen der Welt und ihrem Beziehungsgefüge. Im Spiel werden diese Erfahrungen psychisch, kognitiv und emotional verarbeitet (S. 16). Im Rahmen einer Kinderpsychotherapie bilden Sicherheit und Vertrauen zu sich selber und zueinander die Basis für eine seelische Weiterentwicklung des Kindes (S. 18). 

B. Traxl skizziert abschliessend Grundzüge der psychodynamischen Spieltherapie (S. 15): es ist Aufgabe der Psychotherapeut(innen), den Kindern einen festen Rahmen für ihr freies Spiel geben, sie zu befähigen, spielen zu können, das Spielgeschehen mit Worten zu deuten, Anregungen für den Prozess des Spielens zu geben, Schutz zu geben, positive Phantasiefiguren (innere Helfer) einzuführen. Im Spiel ist es möglich, das eigene innere Erleben handelnd auszudrücken, gestaltend und kreativ zu handeln. Es gibt ein Gegenüber, einen Menschen, der das Kind wohlwollend begleitet, spricht, wo eigene Worte fehlen, ermutigt zu erleben und das Gefühlte bestätigt.

A. Wittenberger greift in dem Kapitel „Der Mensch ist nur da ganz Mensch wo er spielt“ anhand eines literarischen Beispiels von Peter Weiss die Bedeutung des Spiels als eines seelischen Selbstrettungsversuchs auf (S. 64). „Mit der Inszenierung des Dramas im Spielzimmer testen unsere Patienten uns, ob es sein darf, was sie in sich spüren, ob wir ertragen, was sie innerlich umtreibt und nach außen drängt und nicht selten sie selbst und ihre Eltern zutiefst beunruhigt, erschreckt und verstört“ (S. 66). In ihren Fallbeispielen zeigt sie die innenpsychische Dynamik der spielenden Kinder auf, verweist aber auch auf die verantwortungsvolle Aufgabe, dem Spiel des Kindes seinen Raum zu belassen, es zu fördern und seiner Entwicklung ihre Zeit zu lassen: „Zulassen, dass sich die Geschickte entwickelt ohne vorschnell zu entschlüsseln; nur so kann sich Bedeutung entfalten“ (S. 69).

In dem Kapitel „Wenn Kinder nicht spielen können“ (S. 109 ff) weisen die Autorinnen D. Lehmhaus und B. Reiffen - Züger auf die Not von Kindern hin, die nicht spielen können. „Dabei müssten eigentlich die Alarmglocken anspringen, wenn …man bedenkt, wie unverzichtbar es für Persönlichkeit, Entwicklung und soziale Integration ist“ (S. 109). Aufgabe der Psychotherapeutinnen ist es, das normale Spiel im Sinne einer mit Freude und Hingabe ausgeführten heilsamen kreativen Tätigkeit wieder zu ermöglichen, Hemmnisse zu beseitigen und die Spielfähigkeit zu fördern. In einem ausführlichen Beispiel werden Indikatoren der Spielfähigkeit erörtert (S. 115 ff) und hemmende Faktoren konkret benannt: wie z.B. übertriebene Ordnungsvorstellungen von Erwachsenen, Überversorgung der Kinder (Kinder werden bespielt und können keine eigenen kreativen Gestaltungsmöglichkeiten entwickeln), Kinder, die zu brav und angepasst sind und eher einer Marionette ähneln. „

Psychotherapeutisch ist es sinnvoll, den Kindern einen geschützten Raum zu Verfügung zu stellen, in dem es ungestört von moralischen Einlassungen und deutenden Interventionen sich mit all seinen Gesten, Handlungen und Einfällen, Worten und Spielen einbringen kann, wozu auch verpönte und verbotene gehören, und dass es das tun kann, ohne in Frage gestellt zu werden“ (S. 123). „Indem es gelingt, einen Spielraum zu öffnen und zu nutzen, begegnet das Kind sich selbst und offenbart sich dem Anderen“ (S. 126). Auf dem Hintergrund des szenischen Verstehens, heisst das, in Anlehnung an das frühkindliche Spiegeln, die kindlichen Lebensäußerungen in seiner emotional-affektiven Bedeutung zu erkennen, und ihnen über Benennung Sinn und Bedeutung zu geben (S. 127).

Die theoretischen Ausführungen werden durch zahlreiche ausführliche Falldarstellungen und Reflexionen ergänzt und lebendig gehalten.

B. Reiffen - Züger und D. Lehmhaus stellen in ihrem Beitrag „Der Plämokasten - eine Miniaturspielwelt für die psychodynamische Diagnostik und Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen“ eine neu konzipierte Zusammenstellung projektiv- diagnostischer Materialien vor. Ergänzt wird der Band durch einen Beitrag von Dammasch über die Bedeutung von Geschlecht und Spiel in der Psychoanalyse (S. 89 ff) und einen Beitrag von H.G. Lehle über das Spiel in der psychoanalytischen Kindergruppentherapie (S. 133ff).

H.G. Lehle sieht das freie Spiel wie Hopf als das wichtigste Medium in der Kinderpsychoanalyse (S. 133). Spielen hat für ihn einen sozialen Bezug: das Spiel ist gleichsam der Niederschlag eines Beziehungsgeschehens. Das Spiel bildet die Grundlage jeder Gemeinschaft (S. 134). Im Spiel kommen alle auch widersprüchlichen Aspekte zum Tragen. Das Spiel ist per se die Inszenierung eines konflikthaften Geschehens (S. 139). Aus psychoanalytischer Sicht können die spontanen und freien Spielhandlungen funktional mit der Bedeutung von Träumen verglichen werden: in ihnen zeigen sich die unbewussten Strebungen spielenden Kinder. Im Spiel lernen diese auch, im Rollentausch mit anderen eine Fremdperspektive einzunehmen und sich selbst aus der Perspektive anderer wahrzunehmen (S. 138). In den Fallbeispielen und in der Beschreibung seines Konzeptes einer halboffenen Therapiegruppe für Kinder wird das Ziel des Spiels deutlich: sich als Teil einer Gruppe wahrzunehmen, in der Menschen aufeinander reagieren und sich miteinander Austauschen, Respekt für einander zu entwickeln, Toleranz einzuüben, Regulation von Nähe und Distanz. Besonders hat mir gefallen, dass Kinder auch im Rahmen der Gruppentherapie weiterhin die Möglichkeit haben, sich zeitweise aus dem Gruppengeschehen zurück zu ziehen, ohne dadurch ihre Zugehörigkeit zur Gruppe zu verlieren (Basis: Vertrauen). „Der freie Spielraum zwischen Rückzug und Annäherung an die Gruppe birgt bereits ein erhebliches Regualationspotential, das von den Kindern gern genutzt wird (S. 154). Es ist gut, Menschen ihren eigenen Rhythmus zu belassen.

Im Spiel ist es möglich, das eigene innere Erleben handelnd auszudrücken, gestaltend und kreativ zu handeln. Es gibt ein Gegenüber, einen Menschen, der wohlwollend begleitet, spricht, wo eigene Worte fehlen, ermutigt zu erleben und das Gefühlte bestätigt.

B. Meisel und S. Tibut weisen im letzen Kapitel „Lehrjahre sind Spieljahre - Überlegungen zur Notwendigkeit einer professionsspezifischen Spielselbsterfahrung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“ auf die Bedeutung hin, Selbsterfahrung im Spiel in die Ausbildung analytischer Psychotherapeutinnen einzugliedern. Spiel verstehen sie als „sich tänzerisch bewegen“ (S. 162). Mit ihrem Beitrag begründen sie nachvollziehbar die Notwendigkeit einer für ihre Profession spezifischen Spielselbsterfahrung und skizzieren Grundzüge eines Konzeptes. Hierzu gehören u.a. das Wiedererleben der eigenen Spielbiographie, sich bewusst werden, welchen Stellenwert Spielen im Lebens als erwachsener Mensch hat, Erfahrungen mit projektiven Testverfahren, Kennenlernen der emotionalen Auswirkungen eines Spiels, Spiele im entwicklungsbezogenen Kontext, Kennenlernen verschiedener Methoden wie Rollenspiel und Simulationstechniken, Einüben in die Beobachterrolle, Integration der neu gewonnen Erfahrungen in die eigene Persönlichkeit.

Insgesamt ein lesenswertes Buch für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Es bedarf aber keiner psychoanalytischen Ausbildung, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen. Einzelne AutorInnen beziehen sich immer wieder auf das Konzept der Begegnung von Ich und Du von Martin Buber, welches auch in anderen therapeutischen und pädagogischen Konzepten seine Würdigung findet.
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