Nero (eBook)

Wahnsinn und Wirklichkeit
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2023 | 1. Auflage
576 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00169-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nero -  Alexander Bätz
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Der römische Kaiser Nero (37-68 n. Chr.) fasziniert die Nachwelt seit eh und je: Er ist der Muttermörder und Brandstifter, der Tyrann und der exzentrische Anti-Kaiser, der sich zum Künstler stilisiert. In vielen Köpfen sieht er aus wie Peter Ustinov in «Quo vadis?». Alexander Bätz, Althistoriker, Bibliothekar und Journalist, entdeckt Nero neu, indem er sich dessen Leben und politischer Karriere auch über die Alltagsrituale des römischen Kaiserreichs nähert, die sozialen und politischen Institutionen beschreibt und durch eine Neulektüre der antiken Quellen auch Nebenfiguren aus dem römischen Alltag in ihren Berührungspunkten mit dem Kaiser hervortreten lässt: Senatoren, die abhängig waren von ihrer Nähe zu Nero, einfache Bürger, die als Handwerker und Kaufleute ihr tägliches Auskommen im Moloch Rom suchten, jungfräuliche Priesterinnen, prominente Intellektuelle, Soldaten und unzählige Sklaven und ehemalige Sklaven, die zum Beispiel als Ammen oder Vorkoster dem Kaiser so nah kamen wie kaum jemand sonst. Eine solche Perspektive erlaubt es, Nero aus der Gesellschaft heraus zu beleuchten, über die er herrschte, und hält Antworten auf die komplexe Frage bereit: Wie war die Beziehung zwischen Rom und diesem faszinierenden Kaiser - jenseits der düsteren Rezeptionsgeschichte? Die Leser beobachten Nero mit den Augen seiner Zeitgenossen und tauchen mit diesem Buch ein in ein farbenfrohes und lebendig beschriebenes Panorama des 1. Jahrhunderts. Ein originelles, modernes Buch über einen ewig aktuellen Topos: Nero.

Alexander Bätz hat Alte Geschichte, Germanistik und Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Würzburg, Padua und an der HU Berlin studiert. Nach seiner Promotion in Alter Geschichte arbeitete er bei der ZEIT und ist seit 2016 als wissenschaftlicher Bibliothekar für die Altertumswissenschaften an der Universität Konstanz verantwortlich. Er schreibt als freier Autor und Wissenschaftsjournalist über Themen zur Antike unter anderem für die ZEIT und für ZEIT GESCHICHTE, wo er auch als Berater fungiert.

Alexander Bätz, 1978 geboren, hat Alte Geschichte, Germanistik und Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Würzburg, Padua und an der HU Berlin studiert. Er ist als wissenschaftlicher Bibliothekar für die Altertumswissenschaften an der Universität Konstanz verantwortlich und schreibt als freier Autor und Wissenschaftsjournalist über Themen zur Antike unter anderem für die ZEIT und für ZEIT GESCHICHTE, wo er auch als Berater fungiert.

Ein Monster nimmt Fahrt auf


Nero hatte die Antike als unsterbliches Monster hinter sich gelassen, das sich nun seinen Weg durch die Jahrhunderte bahnte. In losem Wechsel gekleidet als Tyrann, Verwandtenmörder oder Antichrist, wuchs es auf Überlebensgröße heran, wurde zur Legende und irgendwann sogar schwanger, wie in der eingangs erwähnten Kaiserchronik. Der historische Nero schrumpfte im gleichen Zug auf ein kaum noch sichtbares Maß.[1]

Im Mittelalter gibt es keine Äußerung zu Nero, hinter der nicht das Bild von der mala bestia[2] durchschimmert. Auch in der Kaiserchronik fällt eine Trennung von der tyrannenhaften und muttermordenden Zeichnung Neros und seinem Image als Antichrist schwer. Inzwischen war alles eins geworden. In den mittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen Kaisern auf der einen und Päpsten und Fürsten auf der anderen Seite wurde so mancher Kaiser ‹Nero› genannt – der Canossagänger Heinrich IV. zum Beispiel, aber auch Friedrich II. aufgrund seiner antipäpstlichen Politik. Der Vorwurf saß: Dachte man an Nero, so erschien das ganze Konzept der Translatio imperii, der Übertragung des ehrwürdigen römischen Kaisertums der Antike auf das Heilige Römische Reich (Deutscher Nation), plötzlich befremdlich.[3] In der Tradition eines Kaisers wie Nero wollte niemand stehen.

Die Staatstheoretiker der Renaissance verließen erstmals die Linien der überwiegend christlichen Perspektive im Umgang mit Nero. Überlegungen zu herrscherlichen Tugenden, den Aufgaben eines Fürsten und Idealen der Staatsführung beschäftigten die Schreibstuben der Gelehrten in Florenz, Pavia oder Rom. Auch unter diesen Blickwinkeln bot Nero genügend Anknüpfungspunkte, nachdem die Tyrannentopik bereits eine wichtige Säule in der Darstellung von Tacitus gewesen war. Immerhin gewann Nero mit dem Humanisten Gerolamo Cardano einen ersten Fürsprecher – rund 1500 Jahre nach seinem Tod. Das ist, als würde ein in unseren Tagen übel beleumundeter Politiker um das Jahr des Herrn 3500 herum erstmals eine positive Presse erhalten. Cardanos Encomium Neronis von 1562 stilisiert Nero dann aber auch gleich zu einem Idealkaiser. Selbst seine zahlreichen Morde seien politisch klug gewesen und im Großen und Ganzen aus Notwehr heraus erfolgt.[4]

Diese Ehrenrettung blieb eine Ausnahme. In der Regel sahen auch die Menschen der Renaissance keine Gründe, Nero zu mögen. Zumindest ein Spurwechsel ist jedoch erkennbar: Der frühneuzeitliche Nero ist mehr Tyrann und weniger Christenverfolger. Für die Diffamierung politischer Gegner eignete sich das nicht minder, und dafür wurden auch die schönsten sprachlichen Mittel aktiviert: In einem Traktat von 1651 bezeichnet der große John Milton seinen Lebensgegner Karl I., den englischen König, auf Latein als Nerone Neronior – Karl war also mehr Nero als Nero selbst. Milton verwendete diesen kühnen Neologismus – ein aus ‹Nero› gebildetes Adjektiv im Komparativ – nicht einmal als Erster.[5]

Im 17. Jahrhundert wurde Nero von Literatur und Kunst in großem Stil entdeckt, sein Bild weiter tradiert und verbreitet. In schwülstigen Dramen wie Nero. A New Tragedy von Matthew Gwinne (1603) betrat der Kaiser die Theaterbretter. Die Handlung dieser Stücke wurde vor allem aus dem Anekdoten-Arsenal Suetons und den Werken Tacitus’ befeuert. Wer es sich leisten konnte, besuchte Nero auch in der Oper: Claudio Monteverdi stellte in L’incoronazione di Poppea von 1642 einen liebestrunkenen Kaiser auf die Bühne, dessen abschließendes Duett mit Gattin Poppea geradezu verstörend auf das damalige Publikum gewirkt haben muss: Der Unmensch Nero soll in der Lage gewesen sein zu lieben? 1705 brachte Georg Friedrich Händel seinen Nero am Hamburger Gänsemarkt auf die Bühne, noch mit mäßigem Erfolg. Vier Jahre später folgte Händels Agrippina in Venedig. Das italienische Publikum tobte vor Begeisterung und ließ den «caro Sassone» hochleben, wie ein zeitgenössischer Beobachter berichtet.[6] Die Agrippina gilt noch heute als herausragend unter den Opern Händels. Freilich zerlegt das Libretto aus der Feder Vincenzo Grimanis auch die letzten Reste an Geschichtlichkeit: Als Beispiel genügt eine Szene am Schluss des 3. Aktes, in der sich Claudius anschickt, Nero mit Poppaea Sabina zu verkuppeln. Historisch gesehen, beißt sich hier so ziemlich alles.

Die visuellen Erwartungen bedienten die Maler des Barock. Mit großen Augen bestaunt Nero auf Antonio Molinaris Gemälde Nero vor der Leiche seiner Mutter Agrippina von ca. 1680 seine halb entkleidete und soeben von seinen Schergen gemeuchelte Mutter.[7] Aus dem Bild spricht deutlich der bereits in der Antike hartnäckig an Nero klebende Vorwurf des Inzests (Abb. 1).

Im späten 18. und im Verlauf des 19. Jahrhundert tauchte die Nero-Rezeption in eine Phase der Ästhetisierung ein. Neros (vermeintliches) Bekenntnis zum Dionysischen, zu Dekadenz und bedingungslosem Künstlertum machte ihn für den Marquis de Sade, aber auch für Dichter wie August von Platen oder Gustave Flaubert zu einem Prototyp und Faszinosum. Die Bezugspunkte blieben dabei stabil: Nero war weiterhin der singende Brandstifter, nur wurde dies nun ästhetisch umgedeutet.[8] Etwa zeitgleich hatte Nero auch die Wohnstuben des Bürgertums erreicht. Seit Ende des 18. Jahrhunderts schossen historische Romane wie Pilze aus dem Boden. Abgestoßen und fasziniert zugleich, tauchte die Leserschaft ein in die degenerierte römische Kaiserzeit, die von einer Figur wie Nero ideal repräsentiert schien. Ausgehend von einem inzwischen sehr stabilen Nero-Bild mäanderten Werke wie Acté von Alexandre Dumas von 1839 oder Quo vadis von Henryk Sienkiewicz durch ihre Handlungen, scherten aus und setzten Schwerpunkte.

Bei Sienkiewicz ist die Unbill der frühen Christen das Thema. Nero wurde dafür nicht neu erfunden. Er blieb innerhalb des bewährten Musters der Christenverfolger, Brandstifter und Tyrann. Im Mittelpunkt der Handlung steht er nicht, treibt sie als Untergrundströmung aber voran. Sienkiewicz’ Quo vadis von 1895 gilt als der literarische Klassiker schlechthin über Nero und seine Zeit.[9]Der Jahrhundertroman prägte für mindestens eine Generation die Vorstellungen vom neronischen Rom und bildete den Höhepunkt einer regelrechten Nero-Hysterie im Polen des 19. Jahrhunderts.[10] Henryk Siemiradzki, ein enger Weggefährte von Sienkiewicz, lieferte die passenden Gemälde dazu. Bereits 1876 hatte er mit Neros Fackeln ein Meisterwerk geschaffen, dessen auratische Ausstrahlung gerade daher rührt, dass Nero auf dem Bild zunächst gesucht werden muss. Aus dem Mittelgrund blickt der Kaiser wie ein lauerndes böses Tier aus einer wüst feiernden Menge heraus abwartend, fast gelangweilt, auf in Pech und Stroh eingewickelte Christen, während Sklaven die Feuerbecken schüren, um den Todesbefehl zu vollstrecken (Abb. 2). Grundlage dieser Szene ist unverkennbar die Darstellung des Tacitus.[11]

Die weltgeschichtlichen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts mit ihren großen und kleinen Autokraten, aber auch kulturelle und gesellschaftliche Diskurse führten dazu, dass die Faszination für Nero noch einmal eher zu- als abnahm. Grundsätzlich verstärkte sich die bereits im 19. Jahrhundert erkennbare Tendenz, den Kaiser und einzelne Facetten seines Verhaltens mit klaren Gegenwartsbezügen zu versehen. Im Schnitt alle fünf Jahre, so lässt sich grob schätzen, erschien ein Roman über ihn. Immerhin bekam Nero nun hin und wieder auch neue Züge verpasst. Er verlor deutlich an Schrecken, zumal der Imperativ der christlichen Perspektive endgültig der Vergangenheit angehörte.

1922 entwarf der Ungar Dezsö Kosztolányi in seinem Roman Der blutige Dichter das Psychogramm eines Künstler-Despoten, dessen Despotie als Ergebnis der fatalen Melange aus Sucht nach künstlerischer Anerkennung einerseits und der faktischen Allmacht des Kaisers andererseits erscheint. Die Kollision von Kunst und Leben produziert bei Kosztolányi letztlich den Untergang eines völlig überforderten Nero.

Protagonist in Lion Feuchtwangers Der falsche Nero von 1936 ist Terentius Maximus, einer jener Nero-Wiedergänger, die nach Neros Tod im Osten des Reiches auftauchten.[12] Die Figur in Feuchtwangers satirischem Roman ist zum einen eine Kopie Neros, was in gewissem Sinne der historischen Realität entspricht, weist zum anderen aber unübersehbare Bezüge zu Adolf Hitler auf. Der Roman handelt vom Aufstieg eines Psychopathen, der ungeheuren Rückhalt bei weiten Teilen des Volkes genießt und für seine visionären politischen Ideen im Osten des Reiches nachdrücklich verehrt wird. Dieses Bild nimmt die historisch verbürgte Tatsache auf, dass Nero in den östlichen Gebieten des Imperium Romanum einer der beliebtesten Kaiser aller Zeiten war. Verglichen mit den sonstigen literarischen Zeichnungen Neros wirkt Feuchtwangers Version fast schon revisionistisch.

Seit dem Zweiten Weltkrieg steht vermehrt Nero, der Gescheiterte, im Blickpunkt des Interesses: Nero als ungewollt in die Kaiserrolle Gedrängter, als suchender Künstler, von Affekten beherrscht und im Grunde genommen schwach, der am Ende an den brutalen Herrschaftsbedingungen des Imperium...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2023
Zusatzinfo mit Abbildungen
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Schlagworte Agrippina • Antike • antike Biografie • Antike Herrscher • Biografien • Biografie Nero • Bücher über Nero • Caligula • Christenverfolgung • Geschichte • Geschichte altes Rom • Geschichte der Antike • Historische Biografien Rom • Historische Bücher • historische sachbücher • Julisch-Claudische Dynastie • Kaiser Augustus • Kaiser Nero • Klassik • Latein • Peter Ustinov • Prinzipat • Rom • römische Antike • Römische Geschichte • Römischer Kaiser • Römisches Imperium • Sachbuch Geschichte • Seneca • Tiberius
ISBN-10 3-644-00169-3 / 3644001693
ISBN-13 978-3-644-00169-5 / 9783644001695
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