Werkzeuge der Historiker:innen -

Werkzeuge der Historiker:innen (eBook)

Antike

Patrick Reinard (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
244 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-040104-4 (ISBN)
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Knowing how to handle sources confidently is a fundamental prerequisite for anyone wishing to study the ancient world, but a systematic introduction to what are known as the ?auxiliary sciences= has not previously been available. Patrick Reinard and his team of authors now present the first volume in the new series ?Tools for Historians=. With the help of concrete examples, readers can find out how archaeological, epigraphic, numismatic, papyrological and philological sources are located, collected and published. The volume also provides information on additional ways of using sources, such as prosopography or historical geography. The scholarly disciplines are each introduced by experts, presenting the state of research, methods and further reading, as well as links, in an easily readable way. An absolute must for anyone interested in history.

Patrick Reinard is a professor at the University of Trier.

Patrick Reinard is a professor at the University of Trier.

I.  Grundwissenschaften


2  Literarische Quellen


Lennart Gilhaus

2.1  Einleitung


Die literarischen Quellen bilden nach wie vor die zentrale Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Antike. Zwar eröffnen Inschriften, Papyri, Münzen und andere archäologische Funde Perspektiven auf gesellschaftliche Teilbereiche, die durch die antike Literatur nur unzureichend zu fassen sind, doch nur die antiken Texte und insbesondere die historiographischen Werke bieten ein erzählerisches Grundgerüst, ohne das andere Zeugnisse kaum zu kontextualisieren und zu deuten wären.

Zur antiken Literatur im engeren Sinne gehören alle zusammenhängenden schriftlichen Werke, die für ein größeres Publikum veröffentlicht wurden und über einen konkreten Anlass hinaus Wirkung entfalten wollten. Weil für die meisten Bereiche der Alten Geschichte dokumentarische Primärquellen wie Urkunden und Archivalien weitgehend fehlen (s. Kap. 3 und 4), kommt den literarischen Quellen eine überragende Bedeutung zu. Weil nahezu all diese Texte gewissen ästhetischen Ansprüchen genügen wollten, nach gattungsspezifischen Regeln gestaltet wurden und vor allem bereits Deutungen ihrer Umwelt bieten, müssen die enthaltenen Erzählungen zunächst mit einer quellenkritischen Methodik dekonstruiert werden, um mit ihnen arbeiten zu können. Die begrenzte Anzahl erhaltener Quellen aus der Antike macht zudem einen ganzheitlichen Zugriff auf das zur Verfügung stehende Material nötig. Ein Althistoriker muss sich daher mit einer Vielfalt an literarischen Zeugnissen – von der Geschichtsschreibung über philosophische Werke bis hin zu Epen und Gedichten – auseinandersetzen und daneben auch noch die materiellen Überreste gleichberechtigt miteinbeziehen. Diese besonderen Herausforderungen machen aber auch den Reiz der Alten Geschichte aus.

Der Großteil der antiken Literatur ist unwiederbringlich verloren. Kein einziges antikes Werk ist als Autograph, d. h. als eine vom Autor selbst abgefasste Niederschrift, erhalten. Und nur in seltenen Einzelfällen – und dann meist in einem äußerst fragmentarischen Zustand – sind literarische Texte auf antiken Papyrusrollen erhalten (s. Kap. 4). Überliefert ist die antike Literatur in erster Linie durch mittelalterliche Handschriften, die zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert n. Chr. entstanden sind. Jedes dieser Zeugnisse ist ein Unikat und enthält eigene Abschreibfehler und bewusste Änderungen. Daher ist es unmöglich, eine ursprüngliche bzw. authentische Autorenfassung zu rekonstruieren.

2.2  Forschungsgeschichte und -perspektiven


Auch antike Autoren waren sich des Problems bewusst, dass verschiedene Lesarten von Texten existieren. Schon im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. begann man, sich kritisch mit den überlieferten Texten auseinanderzusetzen. Die Philologie bekam aber einen gewaltigen Aufschwung in hellenistischer Zeit, als in Alexandria und anderen Metropolen große Bibliotheken aufgebaut wurden und Gelehrte aus der ganzen griechischen Welt in diesen Beschäftigung fanden. Dabei wurden auch grundlegende Prinzipien für den Umgang mit Texten geschaffen und Editionen von ›Klassikern‹ herausgegeben, die in der Folgezeit maßgeblich wurden. Während Papyrusfunde der homerischen Texte vor dem 2. Jahrhundert v. Chr. noch ganz erhebliche Textschwankungen erkennen lassen, setzte sich dann die Homerausgabe des alexandrinischen Philologen Aristarchos von Samothrake als maßgeblich durch, die zu einem der Ausgangspunkte für die mittelalterliche Überlieferung wurde.

Heute erhalten sind nur all jene Texte, die für wertvoll genug erachtet worden sind, immer und immer wieder abgeschrieben zu werden. Erst der Buchdruck machte das mühsame und kostspielige Kopieren von Hand obsolet und garantierte eine dauerhaftere Sicherung und Vervielfältigung von geschriebenen Texten. Schon in der Antike gingen daher nicht wenige Werke verloren. Mit den größten Verlusten an Texten ist allerdings für die Jahrhunderte der Spätantike und des Frühmittelalters zu rechnen. Die Gründe für diesen umfangreichen Bücherverlust sind ebenso vielseitig wie umstritten; er ist aber wohl weniger auf bewusste Zerstörungen zurückzuführen als auf die umfassenden kulturellen und sozialen Entwicklungen, die mit der Christianisierung und dem Untergang des (West-)Römischen Reiches einhergingen und auch zum Niedergang des antiken Bibliotheken- und Bücherwesens führten. Folgenreich war auch die allmähliche Ersetzung von Papyrusrollen durch Pergamentcodices als bevorzugtes Trägermedium für literarische Texte im Laufe des 4. Jahrhunderts n. Chr. Codices konnten eine größere Menge an Texten enthalten und waren widerstandsfähiger, aber auch teurer und wesentlich aufwendiger in der Herstellung. Insgesamt geht auch deshalb die Buchproduktion seit dem 4. Jahrhundert sehr deutlich zurück. Dies alles trug erheblich zu einem freilich nicht gesteuerten Prozess der Selektierung und Kanonisierung von Texten bei.

Während der Bruch zwischen antiker und mittelalterlicher Gelehrsamkeit im griechischsprachigen Osten weniger deutlich ausfällt, lässt sich ein verstärktes Interesse an den lateinischen Texten im Westen erst wieder in karolingischer Zeit feststellen, als auf Betreiben der fränkischen Herrscher die Hofbibliothek und die Klöster damit anfingen, die erhaltenen lateinischen Werke zu sammeln und zu kopieren. Für die meisten antiken griechischen und lateinischen Texte lässt sich die Überlieferung daher nur bis in die Zeit des 9. Jahrhunderts n. Chr. zurückverfolgen.

Während sich die mittelalterlichen Schreiber insbesondere im lateinischen Westen vor allem darauf beschränkten, die ihnen verfügbaren Schriften zu kopieren, setzten sich die Humanisten der Frühen Neuzeit wieder verstärkt mit den Überlieferungsproblemen auseinander und versuchten, Handschriften miteinander zu vergleichen, sie gegebenenfalls zu bearbeiten und dann auch die Texte als Drucke einer gebildeten Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Von einer wissenschaftlichen Textkritik und Editionspraxis kann man jedoch erst ab dem 19. Jahrhundert sprechen, als klassische Philologen wie Karl Lachmann (1793–1851) ein methodisches Instrumentarium für historisch-kritische Editionen erarbeiteten, das noch bis heute maßgeblich ist und ständig verfeinert wurde.

Der Bestand der erhaltenen antiken Literatur ist weitgehend abgeschlossen. Gelegentlich bereichern Papyrusfunde die Überlieferungsgeschichte erhaltener Texte oder liefern beschränkte Einblicke in verlorene Werke. Die mittelalterlichen Codices bilden hingegen eine weitgehend klar umgrenzte Gruppe. Nichtsdestoweniger hat man in den 1970er Jahren 29 Briefe des spätantiken Kirchenvaters Augustinus von Hippo (354–430 n. Chr.) in zwei Codices entdeckt, später folgten einige Predigten, und in einem Kloster in Thessaloniki stieß man 2005 auf eine bislang nur dem Namen nach bekannte Schrift des römischen Arztes Galen (2. Jh. n. Chr.). Solche spektakulären Neuentdeckungen sind allerdings extrem selten. Aufgrund ihres begrenzten Umfangs und ihrer intensiven Erforschung ist nahezu die gesamte erhaltene antike Literatur durch kritische Editionen erschlossen und die meisten Werke antiker Autoren liegen auch in Übersetzung vor. Nicht selten sind aber Editionen und Übersetzungen veraltet und bedürfen einer Überarbeitung. Selbst für zentrale Autoren wie die attischen Redner Aischines (ca. 390–314 v. Chr.) oder Demosthenes (384–322 v. Chr.) muss man für einzelne Reden bis weit ins 19. Jahrhundert zurückgehen, um eine deutschsprachige Übersetzung zu finden.

Die heutigen technischen Möglichkeiten im digitalen Bereich bieten Anwendungsmöglichkeiten, die weit über das hinausgehen, was herkömmliche kritische Ausgaben leisten können. Zum einen liegen zahlreiche herkömmliche Editionen und Übersetzungen mittlerweile in elektronischer Form vor und sind so nicht nur leichter zu konsultieren, sondern können auch gezielter durchsucht werden. Echte digitale Editionen antiker literarischer Texte gibt es bisher nur ganz vereinzelt. Die gewaltigen Speicher- und Darstellungsmöglichkeiten der digitalen Techniken machen es möglich, gleichzeitig verschiedene Ebenen des Textes vom Faksimile einzelner Manuskripte bis hin zur kritischen Edition zu erfassen und so auch von den Herausgebern getroffene Entscheidungen transparenter und nachvollziehbarer zu machen. Durch die digitale Technik ergeben sich zudem vollkommen neue Möglichkeiten für alte Großprojekte wie den Thesaurus Linguae Graecae und den Thesaurus Linguae Latinae, die sich das Ziel gesetzt haben, den gesamten Wortschatz der antiken Literatur aufzunehmen und auswertbar zu machen. Großes Potenzial haben möglicherweise auch Text-Mining-Verfahren, bei denen größere Textkonvolute algorithmenbasiert ausgewertet werden. Diese Verfahren wurden aber erst in geringem Umfang getestet. Der beachtliche, aber doch klar umrissene Umfang der antiken Quellen könnte sich hierbei als Vorteil erweisen.

2.3  Vom Codex zur historisch-kritischen Edition


Die wichtigsten Träger der antiken Überlieferung sind mittelalterliche Codices. Jede Abschrift eines antiken Texts enthält individuelle Fehler und Veränderungen. Das Spektrum reicht von einfachen Verschreibungen, Verwechslungen und Auslassungen bis hin zu größeren Bearbeitungen und Einschüben. Aufgabe der Editionsphilologie ist es, aus allen erhaltenen Textzeugnissen die Überlieferungsgeschichte des...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2023
Co-Autor Achim Lichtenberger, Werner Eck, Kaja Harter-Uibopuu, Kresimir Matijevic, Patrick Sänger, Michael Zerjadtke, Lennart Gilhaus, Patrick Reinard, Peter Franz Mittag, Michael Rathmann
Zusatzinfo 39 Abb.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie Altertum / Antike
Schlagworte Epigraphik • Genealogie • Hilfswissenschaften • Numismatik • Papyrologie • Prosopographie • Quellenkunde
ISBN-10 3-17-040104-1 / 3170401041
ISBN-13 978-3-17-040104-4 / 9783170401044
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