Die Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts (eBook)

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2023
699 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-077626-3 (ISBN)

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Die Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts - Andreas Erb
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Die Deutschen Gesellschaften waren eine Sozietätsbewegung, die von den mitteldeutschen und protestantischen Universitäten und Gelehrtenschulen ausging. Ziel war es, über die zum Programm erhobene 'Pflege der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit' den Gelehrtenstand aus den Schranken der Latinität herauszuführen und als gesellschaftlich nützliche Gruppe zu profilieren.

Diese Arbeit unterzieht die Deutschen Gesellschaften einer Gesamtbetrachtung, in die die programmatischen Grundlagen, Gründungsvorgänge und Mitgliederstrukturen ebenso einfließen wie die Genese und Rezeption der in den Sozietäten entstandenen Texte. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die Strategien und Praktiken, mit denen die Gesellschaften und ihre Mitglieder ihre Positionen in der ständischen Gesellschaft festigen und ausbauen wollten.

In dieser überregionalen und interdisziplinären Zusammenschau entsteht das Bild einer Sozietätsbewegung, in der sich innovative und konservative Momente wechselseitig durchdrangen. Die Geschichte der Sprach- und Literaturpflege sowie der aufgeklärten Gesellschaften wird damit in der sie umgebenden Ständegesellschaft verankert, ihre Protagonisten als Kinder ihrer Zeit begreifbar.



Andreas Erb, Stadtarchiv Amberg.

Einleitung


Untersuchungsgegenstand und Fragestellung


„Man könnte also deutsche Gesellschaften als ein Kabinett ansehen worin oft ein philosophischer Ältester junge Affen in ihrer Überzeugung große Geister zu sein, wie in einem leichten Spiritus aufbewahrt, […].“1 Eine solche, wenig schmeichelhafte Charakterisierung, wie sie Georg Christoph Lichtenberg in seine Sudelbücher eintrug, fand Widerhall auch in den Erfolgsbüchern ihrer Epoche wie Christoph Martin Wielands Don Sylvio von Rosalva: „So bald er zu reden anfing, lallte er Epigrammen, und sein Witz wurde nach und nach so stachlig, daß ihm keine Biene mehr gewachsen war, obgleich die dümmste im ganzen Korbe zum wenigsten so viel Witz hatte als ein Mitglied der Deutschen Gesellschaft zu ***.“2

Dass zwei derart prominente Aufklärer sich so abfällig über die Deutschen Gesellschaften äußerten, lässt eine Beschäftigung mit diesen wenig erquicklich erscheinen. Horden dilettierender Kleingeister tauchen vor dem geistigen Auge auf, die hinter dem Pedanten und Leithammel Gottsched einher trotten und jegliches dichterisches Talent in einer Wasserflut mediokrer Massenproduktion zu ertränken üben – weit entfernt davon, ja entgegengesetzt dazu, den Weg zum gesellschaftlichen Fortschritt oder in den literarischen Olymp zu weisen.

Dennoch will es nicht gelingen, sie aus der Geschichtsschreibung zur deutschen Aufklärung in die Fußnoten einiger weniger hochspezialisierter Werke abzudrängen. Zu häufig tauchen sie auf, in Dichterbiographien und in der gelehrten Publizistik, in Überblicksdarstellungen und auf Titelkupfern, und drängeln sich auf das Gruppenbild der deutschen Aufklärer. Ihnen dort einen angemessenen Platz zuzuweisen, ist bislang nicht gelungen. Selbst elementare Angaben wie Mitgliederzahlen, innere Verfassung, Umfang und Ausrichtung der Textproduktion, institutionelle Verortung, territoriale Ausdehnung und Vernetzung fehlen, bleiben im Dunkeln oder sind lückenhaft. Nicht zuletzt fehlt eine allgemein anerkannte Definition dieses Sozietätstypus. Eben dies, nämlich den Untersuchungsgegenstand „Deutsche Gesellschaft“ räumlich, zeitlich und sachlich so klar als möglich abzugrenzen, ist für deren Beschreibung aber unerlässlich.

Sozialformationen welcher Art auch immer zu benennen, zu klassifizieren und zu definieren scheint eines der mühseligsten und undankbarsten Geschäfte jeder Gesellschaftswissenschaft zu sein. Aufgeklärte Gesellschaften etwa von humanistischen Sodalitäten oder den Vereinen des 19. Jahrhunderts abzugrenzen, ist und bleibt Gegenstand reger Debatten.3 Eine Bestimmung des Untertypus ‚Deutsche Gesellschaft‘, die es anhand bestimmter Merkmale ermöglicht, einzelne Vereinigungen diesem Sozietätstyp zuzuordnen oder sie von ihm auszuschließen, wird, will man sich nicht mit Lichtenbergs Verdikt begnügen, nicht einfacher. Formale und eindeutige Kriterien wie Mitgliederzahl, Vorhandensein von Statuten oder Gründungsdatum grenzen sie von anderen Gesellschaften ihrer Zeit in keiner Weise ab. Affinitäten zu anderen Sozietätsformen der Aufklärung wie Akademien, Gelehrten Gesellschaften und Rednergesellschaften liegen dagegen auf der Hand.

Die ausgiebige Selbstthematisierung gelehrter Bemühungen und die Neigung der zeitgenössischen Philosophen zu Systematisierungen und klaren Begriffen lassen eigentlich eine oder gar mehrere zeitgenössische Definitionen erwarten. Sie finden sich jedoch nicht, selbst Zedlers Universal-Lexicon beschränkt sich darauf, die Leipziger und Jenaer Gründung in separaten Artikeln zu behandeln.4 Johann Andreas Fabricius, der selbst mehreren Deutschen und Gelehrten Gesellschaften angehörte, näherte sich 1754 in seiner Historie der Gelehrsamkeit dem Thema zwar systematisch-klassifikatorisch, beschränkte sich aber darauf, mehrere Deutsche Gesellschaften aufzuzählen.5

Mag dieser Mangel noch der zeitlichen Nähe zum Gegenstand geschuldet sein, fällt er in der älteren wie neueren Forschung als gravierendes Defizit auf. Klare Abgrenzungen des Begriffs fehlen durchgängig und selbst dort, wo der enzyklopädische Charakter mancher Arbeiten dies erwarten ließe.6 In der Regel begnügte sich die Forschung damit, im Kielwasser Fabricius’ mehr oder weniger umfangreiche und vollständige Auflistungen einzelner Gesellschaften zu liefern.

Wolfram Suchier, der als einer der ersten systematischeren Erforscher der Sozietätsbewegung gelten kann, hat sich wie Fabricius mit einer Reihe von Einzelnennungen begnügt und diese mit der Nennung von „ähnlichen Vereinen mit anderen Namen“7 erweitert. Auch in zahlreichen neueren Arbeiten dominieren Aufstellungen der Gesellschaften, verbunden mit der Darstellung und Diskussion einzelner Merkmale, ohne eine klare Bestimmung des Untersuchungsgegenstands zu leisten.8

Prima vista immerhin bieten die Deutschen Gesellschaften die besten Voraussetzungen dafür, definitorische Probleme elegant zu meistern. Zum einen ist „Deutsche Gesellschaft“ (bzw. „Teutsche Gesellschaft“) ein Quellenterminus und spiegelt sowohl die Selbstwahrnehmung dieser Formation als auch die Wahrnehmung der Zeitgenossen, ohne dass Schablonen und Kampfbegriffe späterer Epochen den Begriff verzerren. Zum anderen scheint es fast, als wollten die Namensgeber selbst im Geiste des frühaufklärerischen Rationalismus einer Definition die Wege ebnen, indem sie den Namen an die klassische aristotelische Struktur einer Definition nach genus proximum und differentia specifica anlehnten.

Die zeitgenössischen Begriffe „Gesellschaft“ bzw. „Sozietät“ sind in der Forschung zum 18. Jahrhundert klar von der aus dem Mittelalter rührenden Korporation als Form des Zusammenschlusses geschieden. Ist die Mitgliedschaft in einer Korporation für den Einzelnen durch die Geburt in einem bestimmten Stand festgelegt bzw. ausgeschlossen, so kann dieser bei Gesellschaften bzw. Sozietäten sich grundsätzlich frei für oder gegen den Beginn, die Fortführung und Beendigung einer Mitgliedschaft entscheiden. Neben der Freiwilligkeit seitens der Mitglieder wird seitens der Gesellschaft eine hinreichende organisatorische Verfestigung, meist über schriftlich niedergelegte Statuten, als konstitutives Merkmal angesehen. Gilt trotz Vorläufern im 16. und 17. Jahrhundert die Epoche der Aufklärung als saeculum aureum der Sozietäten, ja geradezu als das „gesellige Jahrhundert“,9 tritt im 19. Jahrhundert der Begriff des Vereins in den Vordergrund. Ihn dadurch abzugrenzen, dass man seine vorwiegend speziellen Zwecke gegenüber einer eher universellen Zielsetzung aufklärerischer Gesellschaften betont, verkennt, dass schon in der Frühaufklärung zahlreiche Gründungen klar definierte Einzelziele verfolgten. Dass andererseits die Deutschen Gesellschaften in Leipzig und Königsberg mit Ausrichtung auf vaterländische Altertümer bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestanden,10 zeigt, wie fließend sich die Übergänge im Einzelfall gestalteten.

Lassen sich bei dem Begriff Gesellschaft noch eine Reihe gut anwendbarer Merkmale anführen, liegt mit „deutsch“ wohl einer der umstrittensten Begriffe der mitteleuropäischen Historiographiegeschichte vor. Das eigene Wirkungsfeld oder den eigenen Mitgliederstamm damit ethnisch oder national abzugrenzen, wie es die Deutsche Gesellschaft in Pennsylvanien tat,11 wäre im deutschen Sprachraum schlicht sinnlos gewesen. Überdies nahmen die Deutschen Gesellschaften immer wieder Gelehrte aus anderen Teilen Europas auf. Ihn als Bezeichnung des Trägers zu verstehen, führt nur auf andere Abwege, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation weder institutioneller Träger dieser Gesellschaften war, noch sich deren Ausbreitung auf den Boden des Alten Reichs beschränkte.

Dass Bedeutung und Schreibweise des Wortes „deutsch“ Gegenstand der Diskussion in den Deutschen Gesellschaften selbst waren, zeigt, dass es keine allgemein akzeptierten Realitäten und Voraussetzungen beschrieb, sondern ein Programm. Analog zu anderen Sozietätstypen der Aufklärung wie den Lesegesellschaften oder den Ökonomischen Gesellschaften war „deutsch“ nicht Ausgangspunkt, sondern Zielsetzung dieser Gesellschaften. Eine nähere Bestimmung dieses Ziels leisteten viele Statuten mit der häufig gebrauchten Formulierung „Pflege der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit“ – und eben mit der Selbstbenennung als „Deutsche Gesellschaft“.

Auf Grundlage dieser Überlegungen sollen die Deutschen Gesellschaften wie folgt definiert werden:

Unter Deutschen Gesellschaften ist eine Bewegung aufgeklärter Sozietäten im deutschen Sprachraum zu verstehen, deren im Gesellschaftsnamen erklärtes Ziel und Tätigkeitsschwerpunkt die Pflege der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit war.

Eine derart enge Anlehnung an den Gesellschaftsnamen mag einer solchen Definition den Vorwurf zuziehen, in fast tautologischer Verengung ein komplexes Bündel von Sozietätsmerkmalen mit bloßer Wortklauberei unzulässig zu vereinfachen und Variationen dieses Sozietätsmodells ebenso wie dessen Adaptionen in anderen Kontexten zu ignorieren. Eine Definition ‚dem Namen nach‘ leistet jedoch durchaus mehr als nur eine einfache Handhabbarkeit; als Definition ‚von innen‘ folgt sie dem...

Erscheint lt. Verlag 6.6.2023
Reihe/Serie Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung
ISSN
Zusatzinfo 73 b/w and 11 col. ill., 10 b/w tbl., 5 b/w maps
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Aufklärung • Enlightenment • Gottsched • Gottsched, Johann Christoph • Hochschulgeschichte • Johann Christoph • language societies • Scientific Society • Sprachgesellschaften • University History • Wissenschaftliche Gesellschaft
ISBN-10 3-11-077626-X / 311077626X
ISBN-13 978-3-11-077626-3 / 9783110776263
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