Im Kaiserreich -  Katja Hoyer

Im Kaiserreich (eBook)

Eine kurze Geschichte 1871 - 1918

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01731-1 (ISBN)
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Nach Diesseits der Mauer der neue Bestseller von Katja Hoyer Vor 1871 war Deutschland noch keine Nation, sondern lediglich eine Idee. Otto von Bismarck stand vor einer gewaltigen Aufgabe. Wie sollte er neununddreißig Einzelstaaten unter das Joch eines einzigen Kaisers bringen? Konnte der junge europäische Staat nach seiner Vereinigung genug Macht ausüben, um es mit den Imperien Großbritanniens und Frankreichs aufzunehmen - ohne sich dabei selbst zu zerstören? In einer einzigartigen Erzählung über fünf Jahrzehnte, die den Lauf der modernen Geschichte veränderten, zeichnet Katja Hoyer die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs von seinen gewaltsamen Anfängen bis zu seinem verhängnisvollen Ende. Ein Buch, das Geschichte auf brillante Weise zum Leben erweckt.

Katja Hoyer, geboren 1985, ging nach ihrem Geschichtsstudium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach England. Dort kommentiert sie u.a. für die BBC, den Telegraph und den Spectator geschichtliche und politische Themen. Heute forscht sie am King's College London und ist Fellow der Royal Historical Society. Als Kolumnistin der Washington Post schreibt sie regelmäßig über deutsche und europäische Gesellschaft und Politik. Ihr erstes auf Deutsch erschienene Buch 'Diesseits der Mauer' war direkt ein Spiegel-Bestseller.

Katja Hoyer, geboren 1985, ging nach ihrem Geschichtsstudium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach England. Dort kommentiert sie u.a. für die BBC, den Telegraph und den Spectator geschichtliche und politische Themen. Heute forscht sie am King's College London und ist Fellow der Royal Historical Society. Als Kolumnistin der Washington Post schreibt sie regelmäßig über deutsche und europäische Gesellschaft und Politik. Ihr erstes auf Deutsch erschienene Buch "Diesseits der Mauer" war direkt ein Spiegel-Bestseller.

Einleitung


An dem hellen, kalten Wintermorgen des 17. Januar 1871 machte der preußische König Wilhelm I. eine Krise durch. Irgendwann verlor der alte Mann den letzten Rest an Selbstbeherrschung, den er noch besaß, und fing an zu schluchzen: »Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens. Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe. Und daran sind Sie, Graf Bismarck, schuld.« Der 73-jährige König war ein denkbar ungeeigneter Kandidat für den Mantel des mystischen Kaisers, der eines Tages kommen sollte, um alle Deutschen zu vereinen. Doch genau das wurde von ihm erwartet. Am nächsten Tag, dem 18. Januar 1871, gegen Mittag, versammelten sich mehrere Hundert preußische Offiziere, Angehörige des Adels und Vertreter aller deutschen Regimenter, die im Deutsch-Französischen Krieg gekämpft hatten, im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles. Der Klang von Marschkapellen drang durch die hohen Fenster in den prächtigen Saal und vermischte sich mit dem aufgeregten Geflüster der wartenden Menge. Dann öffneten sich die großen Flügeltüren am Ende der atemberaubenden Halle, und Wilhelm I., Kronprinz Friedrich und die Repräsentanten der deutschen Staaten zogen in einer feierlichen Prozession ein. Eine angespannte, erwartungsvolle Stille stellte sich ein. Es herrschte das Gefühl, dass die Anwesenden einen historischen Moment – von geradezu mythischem Ausmaß – miterlebten.

Wilhelm war es gelungen, sich zusammenzureißen. Er nahm steif den Titel an, der ihm im Laufe der Zeremonie förmlich von den deutschen Fürsten angeboten wurde. Und doch hatte man bereits den Eindruck, dass die neu gegründete Nation es auf der bevorstehenden Reise nicht leicht haben würde. An ihrem Ruder stand künftig ein Monarch, der den Titel »Deutscher Kaiser« abgelehnt hatte und sich nur widerwillig mit dem neutraleren »Kaiser Wilhelm« anreden ließ. Er würde für immer an erster, zweiter und dritter Stelle preußischer König bleiben. Auch Otto von Bismarck, der Architekt des frischgebackenen Staates und sein erster Kanzler, war kein deutscher Nationalist. Für ihn war Deutschland eine Ausdehnung der preußischen Macht und seines Einflusses. Er hatte sogar den Tag der Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches so gewählt, dass er mit dem preußischen Nationalfeiertag zusammenfiel. Gemeinsam versuchten König und Kanzler fortan, mit Hilfe eines politischen Konstrukts zu regieren, dem die widerspenstigen südlichen Mitgliedstaaten lediglich beigetreten waren, um ihre Bevölkerung vor der wahrgenommenen Gefahr einer französischen Invasion zu schützen, die Bismarck so raffiniert inszeniert hatte. So entstand ein zerbrechliches und potenziell kurzlebiges Band, um dessen Erhalt der »Eiserne Kanzler«, wie er genannt wurde, hart kämpfen musste. Er hatte es nicht einmal gewagt, die Zeremonie zur Ausrufung des Kaiserreiches in einem der deutschen Staaten zu veranstalten. Stattdessen fand sie im Königspalast von Versailles statt, dem Herzen der besiegten Nation Frankreich – ein passendes Symbol für die zentrale Bedeutung der Vorstellungen von Kampf und Krieg im neuen Kaiserreich.

Einerseits konnte Bismarck auf Jahrhunderte der Mythenbildung zurückgreifen, um aus dem Flickenteppich einzelner Staaten eine Nation zu machen. In den ersten Jahren und Jahrzehnten verwandte das Kaiserreich viel Zeit zum Bau von Denkmälern für alte Legenden, von denen man annahm, sie würden dem frisch gegründeten Deutschland eine Bedeutung und ein kollektives Gedächtnis vermitteln. Wilhelm I. wurde sogar zur Wiedergeburt des mittelalterlichen Kaisers Friedrich Barbarossa erklärt. In der Sage heißt es, Barbarossa schlafe lediglich unter dem Kyffhäuser in Thüringen und werde eines Tages wiederkehren, um Deutschland erneut zu seiner Größe zu erheben. In den 1890er Jahren wurde aus diesem Anlass ein riesiges Denkmal errichtet. Dieses Gefühl einer gemeinsamen Mythologie wurde durch viele deutsche Denker – darunter die Brüder Grimm – noch gesteigert, die schon seit langem argumentierten, dass die deutsche Kultur, Sprache und historische Tradition ein stärkeres Band als die lokale Kleinstaaterei bildeten. Darüber hinaus erforderten die unwiderstehlichen wirtschaftlichen Strömungen der industriellen Revolution, die seit mehr als einem Jahrhundert ganz Westeuropa erfassten, eine stärkere Koordination der Ressourcen, Arbeitskräfte und Politik, wenn die deutschen Staaten nicht hinter ihren französischen und britischen Nachbarn zurückbleiben wollten. Die aufstrebende Mittelschicht erkannte das gewaltige Potenzial der Bodenschätze, günstigen Geographie und Arbeitstraditionen der deutschsprachigen Länder – wenn man es nur durch die Vereinigung freisetzen konnte.

Andererseits reichten kulturelle, wirtschaftliche und politische Bande nicht aus. Wie Bismarck selbst in seiner berühmten Rede von 1862 darlegte, war es Krieg, der das deutsche Volk einte. Das erwies sich vor 1871 als ebenso zutreffend wie danach. Als Bismarck beschloss, einen brandneuen Nationalstaat im Gefechtsfeuer der Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich zu schmieden, schuf er ein Deutschland, dessen einziges verbindendes Erlebnis der Konflikt gegen äußere Feinde war. Das Konglomerat der ehemals 39 Einzelstaaten unter einer föderalen Regierung zusammenzuhalten erwies sich als schwierig, und erste Risse zeigten sich, noch bevor die Tinte der neuen Verfassung trocken war. Bismarck erkannte, dass die Nation nicht über Jahrhunderte hinweg zu einem einheitlichen Ganzen herangewachsen war, sondern eher einem Mosaik glich, das man eilends mit dem Blut seiner Gegner zusammengefügt hatte. Bismarck hatte es sich deshalb zum Ziel gesetzt, den Kampf fortzusetzen, um sein neues Deutschland zu erhalten.

Das war eine riskante Strategie. Der Kanzler war ein gewiefter Politiker, vielleicht einer der geschicktesten Staatsmänner aller Zeiten, und er begriff sehr wohl, wie fragil das sogenannte Konzert Europas im Jahr 1871 war. Eine neue Großmacht in seiner Mitte einzuführen, war vergleichbar damit, ein Kind mit einer Trompete mitten in ein erstklassiges Symphonieorchester zu setzen. Er wusste, dass die neue Musikerin eine Zeit lang stillhalten musste, bis sie ihr Handwerk gelernt und sich den Respekt der bewährten Musikerinnen verdient hatte. Deshalb konnte Bismarck in absehbarer Zeit keinen äußeren Konflikt anstreben. Stattdessen konzentrierte er sich auf die inneren Feinde, gegen die er die Mehrheit der deutschen Bevölkerung vereinen konnte. Dem neuen Staat gehörten viele Minderheiten wie polnische, dänische und französische Gemeinschaften an, gegen die Bismarck die deutsche Staatszugehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal einführen konnte. Verglichen mit einem Franzosen würden sich die Deutschen eher als Deutsche und nicht als Bayern oder Preußen betrachten. Darüber hinaus schien die Religion ein weiteres nützliches Schlachtfeld. Zwei Drittel der Bevölkerung im Kaiserreich waren Protestanten und ein Drittel Katholiken. Mit Hilfe der Säkularisierung der deutschen Gesellschaft versuchte Bismarck, Religion durch Nationalbewusstsein zu ersetzen. Auf diese Weise wollte er neue Bezugspunkte schaffen und die Unterschiede zwischen den Deutschen verringern. Zu guter Letzt erschien ihm der Internationalismus der sozialistischen Bewegung als eine gefährliche Gegenströmung zur nationalen Identität. Bismarck erklärte Sozialisten und Sozialdemokraten zu Staatsfeinden und konnte so auch diesen Faktor dazu nutzen, den Kampf der Mehrheit gegen gemeinsame Feinde zu schüren.

Als Wilhelm II. im Jahr 1888, dem turbulenten Dreikaiserjahr, den Thron bestieg, geriet er schon bald mit Bismarck über die Frage der deutschen Einheit aneinander. Er erkannte dasselbe Problem – dass eine gemeinsame wirtschaftliche und kulturelle Basis nicht ausreichen würde, um das Kaiserreich zusammenzuhalten –, schreckte aber vor Bismarcks Lösung zurück, Deutsche gegeneinander aufzuhetzen. Wilhelm wollte der Kaiser aller Deutschen sein, von seinen Untertanen geliebt. Wenn sein Großvater Wilhelm I. sich weigerte, Friedrich Barbarossa wiederaufleben zu lassen, so war es an ihm, sein Volk zu einstiger Größe zurückzuführen. Statt nach Feinden innerhalb des Reiches zu suchen, argumentierte er, müsse Deutschland nach außen um seinen Platz unter den großen Nationen kämpfen. Auf diese Weise werde ein so starkes Band aus Blut und Eisen geschmiedet, dass niemand es jemals wieder zerschlagen könne. Die Vorstellung, dass Deutschlands äußerer Kampf um »einen Platz an der Sonne«, nach einem Imperium auf Augenhöhe mit dem Großbritanniens und Frankreichs, eine innere Einheit herbeiführen werde, war natürlich ein Irrglaube und wurde dem Kaiserreich letztlich zum Verhängnis. Doch mit seinen 29 Jahren mangelte es dem hitzköpfigen Kaiser an der politischen Klugheit des Eisernen Kanzlers. Letzterer trat 1890 verbittert und gekränkt von seinem Amt zurück und überließ Wilhelm die Zügel einer instabilen Nation. Ein Deutschland ohne Bismarck hatte es noch nicht gegeben, und als der erfahrene alte Staatsmann zurücktrat, brach eine ungewisse Zukunft an.

Wilhelm stellte schon bald fest, dass die dauerhaft spaltenden Faktoren Religion, Klasse, Geographie, Kultur und Herkunft – um nur einige zu nennen – nicht einfach durch die alleinige Kraft der Persönlichkeit und des majestätischen Charismas ausgemerzt werden konnten, die er nach seiner festen Überzeugung...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2024
Übersetzer Norbert Juraschitz
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 1871 • 1. Weltkrieg • Bismarck • Blut und Eisen • Deutsches Kaiserreich • Kaiser Wilhelm • Preussen • Reichsgründung
ISBN-10 3-455-01731-2 / 3455017312
ISBN-13 978-3-455-01731-1 / 9783455017311
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