Aleph (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 2. Auflage
320 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60253-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aleph -  Paulo Coelho
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Innehalten. Nachdenken. Träumen. Sich ausprobieren. Sich neu entdecken. Wach werden. Wagen. Handeln. Gewinnen. Mit Aleph beginnt Ihr Leben neu!

Paulo Coelho, geboren 1947 in Rio de Janeiro, lebt mit seiner Frau Christina Oiticica in Genf. Alle seine Romane, insbesondere ?Der Alchimist?, ?Veronika beschließt zu sterben? und ?Elf Minuten?, wurden Weltbestseller, in 88 Sprachen u¨bersetzt und u¨ber 320 Millionen Mal verkauft. Die Themen seiner Bu¨cher regen zum Nachdenken an und dazu, den eigenen Weg zu suchen.

Paulo Coelho, geboren 1947 in Rio de Janeiro, lebt mit seiner Frau Christina Oiticica in Genf. Alle seine Romane, insbesondere ›Der Alchimist‹, ›Veronika beschließt zu sterben‹ und ›Elf Minuten‹, wurden Weltbestseller, in 88 Sprachen u¨bersetzt und u¨ber 320 Millionen Mal verkauft. Die Themen seiner Bu¨cher regen zum Nachdenken an und dazu, den eigenen Weg zu suchen.

[9] König meines eigenen Reiches

Nein! Bloß kein neues Ritual! Nicht schon wieder eine rituelle Anrufung! Bloß nicht wieder unsichtbare Kräfte bitten, dass sie sich in der sichtbaren Welt manifestieren! Was hat das mit der Welt zu tun, in der wir heute leben? Junge Leute schließen ihr Studium ab und finden keine Arbeit. Die Alten gehen in Rente, und das Geld reicht hinten und vorn nicht. Und diejenigen, die arbeiten, haben keine Zeit zum Träumen – sie rackern sich von früh bis spät ab, um ihre Familie zu ernähren, die Ausbildung der Kinder zu bezahlen, im ständigen Kampf mit der sogenannten »harten Realität«.

Noch nie war die Welt so in Aufruhr wie heute: religiöse Kriege, Völkermord, fehlende Achtung vor unserem Planeten, Wirtschaftskrisen, Depression, Armut. Und für all diese Probleme – und für die eigenen – erwarten alle schnelle Lösungen. Wenn es darum geht, wenigstens ein paar der Probleme, die die Welt oder das eigene Leben betreffen, zu lösen, wollen alle gleich Ergebnisse sehen. Aber die Zukunft sieht immer düsterer aus.

Und ausgerechnet jetzt soll ich mich mit einer spirituellen Tradition auseinandersetzen, deren Ursprung in einer fernen Vergangenheit, weit weg von den Herausforderungen unserer Zeit zu finden ist?

[10] Mit J., den ich meinen Meister nenne, obwohl ich an diesem Status langsam zu zweifeln beginne, gehe ich auf die heilige Eiche zu, die seit mehr als fünfhundert Jahren unbeeindruckt Zeuge der menschlichen Leiden ist; einzig bestrebt, im Herbst ihre Blätter abzuwerfen und sie im Frühjahr wieder wachsen zu lassen.

Ich mag nicht länger über mein Verhältnis zu J. schreiben, der mich in jene spirituelle Tradition eingeführt hat. Ich besitze zig Tagebücher voller Notizen zu unseren Gesprächen, die ich nie wieder lesen werde. Seit ich ihm 1982 in Amsterdam zum ersten Mal begegnet bin, habe ich etliche hundert Male verlernt zu leben und es wieder neu erlernt. Wenn mich J. etwas Neues lehrt, glaube ich jedes Mal, dass dies möglicherweise der letzte Schritt ist, um den Gipfel des Berges zu erreichen, die Note, die der Schlüssel zu einer ganzen Symphonie ist, das Wort, das ein ganzes Buch zusammenfasst. Die daraus folgende Euphorie klingt jedoch nach und nach ab. Einiges bleibt für immer, doch die meisten Übungen, Rituale, Lehren verschwinden irgendwann in einem schwarzen Loch. Jedenfalls kommt es mir so vor.

* * *

Der Boden ist nass, meine Turnschuhe, erst vor zwei Tagen gründlich gereinigt, werden gleich wieder voller Schlamm sein, egal, wie sehr ich mich in Acht nehme. Meine Suche nach Wissen, innerem Frieden und der Bewusstheit für die Wirklichkeit – die sichtbare wie unsichtbare – ist bereits zur Routine geworden und bringt mich nicht mehr weiter. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren habe ich mich der [11] Magie verschrieben; es waren wichtige Jahre für mich, in denen ich viele Wege eingeschlagen habe. Zeitweise bewegte ich mich am Rande des Abgrunds, strauchelte, stürzte, war nahe daran aufzugeben und fing wieder von vorn an. Mit neunundfünfzig Jahren, so hatte ich mir immer vorgestellt, würde ich längst dem Paradies und jenem inneren Frieden nahe sein, wie ich ihn im Lächeln buddhistischer Mönche zu erkennen glaubte.

Tatsächlich scheine ich davon weiter entfernt zu sein denn je. Ich bin mit mir nicht im Reinen. Immer wieder hadere ich mit inneren Konflikten, manchmal über Monate hinweg. Wenn ich es schaffe, in eine magische Realität einzutauchen, dann gerade lange genug, um zu spüren, dass diese andere Welt existiert, und um frustriert zu sein, weil es mir nicht gelingt, alles in mir aufzunehmen, was ich dort erfahre.

Wir sind beim Baum angekommen.

Wenn das Ritual beendet ist, werde ich ernsthaft mit J. reden. Wir legen beide unsere Hände an den Stamm der heiligen Eiche.

* * *

J. spricht ein Sufi-Gebet:

»Allmächtiger Gott, wenn ich den Stimmen der Tiere, dem Rascheln des Laubs, dem Murmeln des Wassers, dem Zwitschern der Vögel, dem Brausen des Windes oder dem Grollen des Donners lausche, dann höre ich Dich in allem; ich spüre, dass Du die höchste Macht, die Allwissenheit, die höchste Weisheit, die höchste Gerechtigkeit bist.

[12] Allmächtiger Gott, ich erkenne Dich in den Prüfungen, die ich durchstehe. Möge Deine Freude auch meine Freude sein. Gestatte, dass Deine Zufriedenheit auch meine Zufriedenheit sei. Lass mich Deine Freude sein, jene Freude, die ein Vater an seinem Kind hat. Und lass mich auch dann ruhig und entschlossen Deiner gedenken, wenn es mir schwerfällt, zu sagen, dass ich Dich liebe.

Normalerweise würde ich in einem solchen Moment sekundenlang jene Präsenz spüren, die Sonne und Erde bewegt und die Sterne an ihrem Platz hält. Aber heute möchte ich nicht mit dem Universum sprechen; heute möchte ich nur, dass der Mann an meiner Seite mir die Antworten gibt, die ich brauche.

* * *

J. nimmt die Hände vom Stamm der Eiche, und ich tue es auch. Er lächelt mich an, und ich erwidere sein Lächeln. Wir gehen schweigend und ohne Hast zu meinem Haus, setzen uns auf die Veranda und trinken einen Kaffee, immer noch schweigend.

Ich betrachte den riesigen Baum in der Mitte meines Gartens, um dessen Stamm ich aufgrund eines Traums ein Band gewunden habe. Wir befinden uns im Dorf Saint-Martin in den französischen Pyrenäen in einem Haus, dessen Kauf ich inzwischen bereue; da nicht ich das Haus, sondern das Haus mich besitzt. Es fordert meine Anwesenheit, wann immer möglich, denn damit es seine Energie bewahrt, muss sich jemand darum kümmern.

»Es gelingt mir nicht mehr, mich weiterzuentwickeln«, [13] sage ich zu J. und bin damit wie immer in die Falle getappt, stets als Erster das Wort ergreifen zu müssen. »Ich glaube, ich bin an meine Grenzen gelangt.«

»Seltsam. Ich habe mein Leben lang versucht herauszufinden, wo meine Grenzen sind, und habe sie bis heute nicht erreicht. Und dabei erweitert sich mein Horizont auch noch ständig und ist mir ganz und gar nicht dabei behilflich, mein persönliches Universum ganz kennenzulernen«, provoziert mich J.

Das war ironisch gemeint, aber ich fahre unbeeindruckt fort.

»Warum bist du heute hier? Du versuchst mich wie immer davon zu überzeugen, dass ich mich irre. Du kannst sagen, was du willst, aber Worte werden daran nichts ändern: Ich bin nicht glücklich.«

»Genau deswegen bin ich gekommen. Ich spüre das schon eine ganze Weile. Aber man muss den richtigen Augenblick zum Handeln abwarten«, sagt J., nimmt eine Birne vom Tisch und betrachtet sie von allen Seiten. »Hätten wir eher miteinander geredet, wärest du noch nicht reif dafür gewesen. Würden wir später reden, wärest du inzwischen verdorben.«

Er beißt in die Frucht. »Genau der richtige Zeitpunkt«, sagt er genießerisch.

Ich lasse nicht locker: »Ich habe viele Zweifel. Besonders an meinem Glauben.«

»Großartig. Der Zweifel treibt den Menschen an.«

Wie immer die passenden Antworten, die passenden Bilder, aber heute verfehlen sie ihre Wirkung.

»Ich werde dir sagen, was du fühlst«, fährt J. fort. »Dass [14] alles, was du gelernt hast, keine Wurzeln geschlagen hat, dass du zwar imstande bist, in das magische Universum einzutauchen, es dir aber nicht gelingt, dort zu verweilen. Dass dies alles möglicherweise nichts weiter als eine einzige Illusion ist, geschaffen vom Menschen, um sich der Angst vor dem Tode zu erwehren.«

Doch es ist schlimmer als das: Ich zweifle an meinem Glauben. Alles, was ich sicher weiß, ist, dass es ein paralleles spirituelles Universum gibt, das an die Welt, in der wir leben, anschließt. Der ganze Rest – heilige Bücher, spirituelle Führer, Handbücher, Zeremonien –, all das kommt mir absurd vor. Und, was noch schlimmer ist, sie scheinen keine bleibende Wirkung zu haben.

»Ich werde dir erzählen, wie es mir ergangen ist«, fährt J. fort. »Als junger Mann war ich von all den Dingen, die das Leben zu bieten hatte, vollkommen geblendet und habe gedacht, ich müsste nur danach greifen. Nach meiner Hochzeit musste ich mich für einen einzigen Weg entscheiden, um meine Frau, die ich liebe, und meine Kinder zu versorgen. Mit fünfundvierzig war ich ein sehr erfolgreicher Manager, die Kinder erwachsen und aus dem Haus, und ich hatte das Gefühl, als würde von nun an alles nur noch eine Wiederholung dessen sein, was ich bereits erlebt hatte.

Da begann meine spirituelle Suche. Ich bin ein disziplinierter Mensch und habe all meine Kraft darauf verwendet. Es gab Zeiten, da war ich voller Begeisterung, und Zeiten, in denen mich der Glaube verließ, und irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich mich so fühlte wie du heute.«

»Ja, trotz all meiner Bemühungen kann ich nicht [15] behaupten, dass ich Gott und mir selber näher gekommen wäre«, sage ich mit kaum verhohlener Bitterkeit.

»Das kommt daher, dass du wie alle anderen Menschen auf diesem Planeten glaubst, die Zeit würde dich lehren, wie du dich Gott nähern kannst. Aber die Zeit lehrt nichts; sie bewirkt nur, dass wir uns erschöpft und alt fühlen.«

Die Eiche scheint mich jetzt anzusehen. Sie steht bestimmt seit mehr als fünfhundert Jahren dort, und das Einzige, was sie in dieser Zeit gelernt hat, ist, an einem Ort zu verharren.

»Warum haben wir an der Eiche ein Ritual abgehalten? Wie soll uns das helfen, zu besseren Menschen zu werden?«

»Ebendeshalb, weil die Menschen heute keine Rituale mehr an Eichen durchführen. Und weil durch scheinbar absurde Rituale etwas...

Erscheint lt. Verlag 22.1.2013
Übersetzer Maralde Meyer-Minnemann
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Brasilianischer Bestsellerautor • Geigerin • Paralleluniversum • Reise • Schriftsteller • Selbstfindung • Transsibirische Eisenbahn • Unterwegs
ISBN-10 3-257-60253-7 / 3257602537
ISBN-13 978-3-257-60253-1 / 9783257602531
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