Sunny war gestern (eBook)

Roman
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2014 | 1. Auflage
300 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42154-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sunny war gestern -  Edgar Rai,  Cem Gülay
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Wie wirst du zu dem, was du bist? Sunny sieht super aus, ist Schulsprecher und bei allen beliebt - ein echter Glücksgriff. Deshalb will es auch nicht in Lauras Kopf, dass ausgerechnet ihr Freund an einer U-Bahn-Schlägerei mit Todesfolge beteiligt gewesen sein soll. Die Bilder der Überwachungskamera lassen allerdings keinen Zweifel zu und Sunny muss in U-Haft. So lange, bis in Berlin ein anderer Tatverdächtiger festgenommen wird - Sunnys Zwillingsbruder Yasir. Ein Zwillingsbruder? Davon wusste Sunny gar nichts! Von einer Sekunde auf die andere bricht seine Welt zusammen. Aber auch für Laura beginnt eine Achterbahn der Gefühle: Ihr Herz fängt an zu rasen, als sie plötzlich die draufgängerische und nicht minder attraktive Version ihres Freundes vor sich sieht...

Edgar Rai, geboren 1967, studierte Musikwissenschaften und Anglistik in Marburg und Berlin. Er arbeitete unter anderem als Drehbuchautor, Basketballtrainer, Chorleiter, Handwerker und Onlineredakteur. Seit 2001 ist er freier Schriftsteller, seit 2003 Dozent für kreatives Schreiben an der FU Berlin und seit 2012 Inhaber einer Buchhandlung in Berlin, Prenzlauer Berg.

Edgar Rai, geboren 1967, studierte Musikwissenschaften und Anglistik in Marburg und Berlin. Er arbeitete unter anderem als Drehbuchautor, Basketballtrainer, Chorleiter, Handwerker und Onlineredakteur. Seit 2001 ist er freier Schriftsteller, seit 2003 Dozent für kreatives Schreiben an der FU Berlin und seit 2012 Inhaber einer Buchhandlung in Berlin, Prenzlauer Berg.Cem Gülay wurde 1970 in Hamburg geboren und lebt heute in Berlin. Im dtv sind von ihm in Zusammenarbeit mit Helmut Kuhn die Bücher ›Türken-Slam‹ und ›Kein Döner Land‹ erschienen. 

1


Sunnys Mutter lässt ihre strahlend weißen Zähne aufblitzen: »Da fahren wir ja gerade zur rechten Zeit«, begrüßt sie mich augenzwinkernd, als ich mein Fahrrad in die Auffahrt schiebe. Neben ihr steht Bergmanns Geländewagen und hat die Heckklappe aufgerissen wie ein Bartenwal sein Maul.

»Hallo, Nazan«, erwidere ich. Sie hat mir das Du angeboten, vor zwei Wochen. Fühlt sich aber immer noch komisch an.

Frau Bergmann – Nazan – sieht irre gut aus. Ist eigentlich keiner Erwähnung wert, denn ich habe noch nie erlebt, dass die Mutter meines Freundes nicht irre gut aussieht. In ihrer Gegenwart hat man immer das Gefühl, zufällig einen Hollywood-Star privat zu treffen, Salma Hayek oder so. Ursprünglich kommt sie aus dem Libanon, aber das liegt so lange zurück, dass aus ihr inzwischen eine Fünfzig-fünfzig-Mischung aus Tausendundeine Nacht und hanseatischer Edelgattin geworden ist.

Sunnys königsblaues Hundertfünfzig-Gänge-Rennrad lehnt an der Laube für die Mülltonnen und glänzt, als hätte es gerade die Tour de France gewonnen. Ich stelle meins daneben, was ein bisschen einer Beleidigung gleichkommt. Tja, denke ich, müsst ihr mit klarkommen. Machen Sunny und ich schließlich auch.

Zur Begrüßung und zum Abschied umarmt mich Nazan immer. Heute muss sie sich dafür auf die Zehenspitzen stellen, weil sie nicht ihre üblichen High Heels trägt, sondern sportliche Freizeitschuhe. Sie mag mich. Und sie mag, dass ihr Sohn und ich zusammen sind. Über ihre Schulter hinweg sehe ich Sunnys Vater mit zwei identischen Reisetaschen aus dem Dunkel der Garage kommen und in den Sonnenuntergang blinzeln.

»’n Abend, Laura.« Schwungvoll hievt er die Taschen in den Kofferraum, drückt einen Knopf und wendet sich uns zu, während der Wal hinter seinem Rücken das Maul schließt.

So, wie Sunnys Mutter mich zur Begrüßung in die Arme schließt, schüttelt mir sein Vater die Hand. Auch er mag mich. Glaube ich. Weiß man bei ihm allerdings nicht so genau. Herzlichkeit ist nicht gerade seine hervorstechendste Eigenschaft.

»Hallo, Herr Bergmann.« Er hat mir das Du noch nicht angeboten.

»Wie geht’s dir?«, fragt er.

Manchmal bin ich kurz davor, »schlecht« zu antworten, einfach so, um zu sehen, wie er reagieren würde. Mach ich dann aber doch nicht. »Ganz gut, danke.«

Er legt Nazan einen Arm um die Schulter und blickt auf sie herab. »Bereit?«

Sieht lustig aus, wenn sie so eng nebeneinanderstehen. Sie ungefähr fünfzehn Zentimeter kleiner als ich, er ungefähr fünfzehn Zentimeter größer.

Sie blickt zu ihm auf, streicht sich beiläufig ihr glänzendes schwarzes Haar über die Schulter und legt ihm als Antwort auf seine Umarmung einen Arm um die Taille: »Auf geht’s, würde ich sagen.«

Sunnys Eltern verreisen, ein verlängertes Wochenende, Freitag bis Dienstag. Er hat mir erzählt, dass sie das machen, seit er denken kann, immer um Ostern herum – treffen sich Freitagabend mit einem befreundeten Ehepaar in Stralsund, um Samstag früh zu viert in See zu stechen und bis Dienstag Rügen zu umsegeln. Bis letztes Jahr ist dann immer die Haushälterin, Frau Schütz, für vier Tage in eins der Gästezimmer gezogen und hat sich um Sunny gekümmert. Dieses Jahr nicht mehr. Darauf hat Sunny bestanden. Wenn man mit siebzehn noch ein Kindermädchen braucht, um drei Tage zu überstehen, dann wird es langsam albern. Nazan hat schweren Herzens eingewilligt.

Wie auf ’s Stichwort taucht auch Sunny aus der Garage auf und blinzelt in die Abendsonne. Noch immer ist sein Daumen mit Tape bandagiert. Hat er bereits seit einer Woche dran. Er ist frisch geduscht und kommt gerade vom Training. Erkenne ich sofort. Er hat dann immer dieses Leuchten in den Augen. Ist am Ende nur eine Mischung aus Testosteron und Adrenalin, sagt mein Papa. Wie Biolehrer eben so ticken. Mir egal. Deshalb leuchten Sunnys Augen ja nicht weniger.

Als er mich sieht, grinst er sein Gewinnergrinsen, schlenkert zu mir herüber, sagt »Hi« und küsst mich auf den Mund. Dabei versucht er so zu tun, als würden wir uns schon seit Jahren vor seinen Eltern auf den Mund küssen.

Offiziell treffen wir uns, um fürs Abi zu lernen. Doch ich schätze, spätestens jetzt ist jedem in dieser Auffahrt klar, dass hier heute Abend niemand mehr fürs Abi lernen wird. Und dann stehen wir einander gegenüber: Herr Bergmann, der Nazan im Arm hält, und Soner, der von allen außer Herrn Bergmann nur Sunny gerufen wird und mich im Arm hält. Ich komme mir vor, als würden wir »erwachsen« spielen.

»Na dann«, Sunny wirft sich seine Tolle aus der Stirn, »viel Spaß.«

Nazan und Herr Bergmann verabschieden sich von Sunny auf die gleiche Art, wie sie mich begrüßt haben: Umarmung von Nazan, Handschlag von Herrn Bergmann. Wobei Nazans Umarmung inniger ausfällt, als Sunny lieb ist. Unauffällig schiebt er sie von sich weg. Kurz darauf stehen er und ich in der Einfahrt, Arm in Arm, und winken einem schwarzen Porsche Cayenne mit getönten Scheiben hinterher, bis der um die Ecke verschwindet. Mit leisem Grollen schiebt sich das automatische Rolltor ins Schloss.

Sunny lächelt mich an. »Drei Tage sturmfrei.«

Frau Schütz hat Sunny und mir ihre berühmten Clubsandwiches gemacht, bevor sie sich ins Wochenende verabschiedet hat – zwei für jeden, in perfekte Dreiecke geteilt, belegt mit allem, was sich im Kühlschrank auftreiben ließ. Unmöglich zu essen und für mich viel zu viel. Ich schaffe höchstens eins. Macht aber nichts, denn Sunny verdrückt nach dem Hockeytraining mühelos ein halbes Lamm. Er nimmt die Teller von der Anrichte und steuert das Sofa vor dem Fernseher an.

Ich zögere einen Moment. Essen vor dem Fernseher ist im Hause Bergmann eigentlich verpönt. Um es milde auszudrücken. Für Sunnys Vater kommt es kurz vor Auf-allen-vieren-aus-dem-Napf-fressen. »Wie ist denn das bei euch zu Hause?«, hat er mich mal gefragt. »Wird da vor dem Fernseher gegessen?« Ich habe ihm erklärt, dass bei uns schon deshalb nicht vor dem Fernseher gegessen wird, weil wir keinen haben. Darauf hat er dann nur »hm« geantwortet. Seitdem scheint er zu glauben, wir würden unser Wasser aus einem Brunnen schöpfen und hätten Petroleumlampen von den Zimmerdecken hängen.

Sunny hat sich breitbeinig ins Leder sinken lassen und kaut bereits auf seinem Sandwich: »Sturmfrei«, wiederholt er und fügt hinzu: »Getränke sind im Kühlschrank.«

Als ich die Edelstahltür aufziehe und mich im Kühlschrank umsehe, spüre ich zum ersten Mal eine wachsende Nervosität. Sturmfrei. So wie Sunny es ausspricht, klingt es fast nach einer Verpflichtung. Als müsste man dann vor dem Fernseher essen, sich betrinken, im Bett der Eltern Sex haben … Wahrscheinlich hätte Sunny am liebsten ein Bier, aber dann bekommen seine Küsse einen bitteren Beigeschmack, und das mag ich nicht. Ich ziehe also eine angebrochene Weißweinflasche aus der Tür, nehme zwei Gläser aus dem Schrank und schenke uns ein. Wenn wir schon »erwachsen« spielen, denke ich, dann richtig.

Ich setze mich zu Sunny auf das Sofa. Wir stoßen an. Es kommt mir wärmer vor, als es ist. Mein Pullover gleicht einer Thermojacke. Außerdem steigt mir der Wein von der Zunge direkt in den Kopf. Mann, wie ich auf Sunnys Geruch stehe! Besonders nach dem Training und frisch geduscht. Herb und gleichzeitig süß. Echt krass, was das mit mir macht. War auch das Erste, worin ich mich bei Sunny verliebt habe – sein Geruch. Dem Rest konnte ich noch eine Weile widerstehen.

Wir hatten schulfrei, alle, wegen des Hockeyturniers. Unsere Schulmannschaft war Stadtmeister geworden, richtete das Turnier für den Einzug in die Endrunde des deutschen Schulhockeypokals aus und stellte die Anlage zur Verfügung. Meine beste Freundin Ricky – für viele Lehrer Schulfeind Nummer eins – musste an einem der Stände belegte Brötchen verkaufen, und weil ich sie das nicht alleine machen lassen und außerdem bei meinem Sportlehrer ein paar Extrapunkte sammeln wollte, hatte ich mich freiwillig als Helferin gemeldet.

Das Turnier ist vorbei, Ricky und ich belegen die letzten Brötchen und stapeln sie übereinander, um sie an wen auch immer zu verschenken, einfach, damit wir endlich den Tapeziertisch zusammenklappen, Schluss machen und gehen können – da steht er plötzlich vor uns: Sunny, frisch geduscht, über der Schulter diese Monstertasche mit seinen Hockeyschlägern, seinem Reitsattel, seinem Jagdgewehr und was Typen wie er sonst noch so alles dabeihaben. Sie haben gewonnen, wir haben gewonnen. Halbfinale, wir kommen! Es steht ihm quer über das Gesicht geschrieben, in Leuchtbuchstaben: ICH BIN EIN GEWINNER! Unwillkürlich wische ich mir meine margarineverschmierten Finger an der Jeans ab, lege das Messer aus der Hand und streiche mir die Haare aus dem Gesicht.

Er grinst – so mit nur einem Mundwinkel – wie ein Cowboy, der aus der Hüfte schießt. Mit dem Kinn deutet er auf die Brötchenpyramide: »Was wollt ihr denn für diese Köstlichkeiten haben?«, fragt er.

»Eigentlich einen Euro«, antworte ich, »aber ab sofort sind sie, unglaublich aber wahr, umsonst zu haben.«

Er beäugt die Labberbrötchen mit dem verschwitzten Gouda, die er eben als Köstlichkeiten bezeichnet hat, stellt seine Tasche ab, zieht sein Portemonnaie aus der Jacke, fummelt ein Zwei-Euro-Stück heraus und lässt es in unsere Teedose fallen. Ich gebe zu, die Message dahinter ist mir nicht ganz klar: Ein Gewinner zahlt auch, wenn er etwas umsonst haben kann? Oder: hier, für euch, Ladies? Bin mir nicht sicher, ob ich das irgendwie cool oder irgendwie uncool finden soll. Sunny scheint es egal zu sein. Er klemmt sich ein Brötchen zwischen die Zähne, nimmt ein zweites in die Hand und wirft...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Ausländerkriminalität • Ausländerkriminallität • Berlin • Chancengleichheit • eBook • Familie • Hamburg • Identitätsfindung • Integration • Jugendroman • Junior • Liebe • Themenbuch • Vernachlässigung • Zwillinge
ISBN-10 3-423-42154-1 / 3423421541
ISBN-13 978-3-423-42154-6 / 9783423421546
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