Nairobi Heat - Mukoma Wa Ngugi

Nairobi Heat

Roman

***** 1 Bewertung

(Autor)

Buch | Hardcover
176 Seiten
2014
Transit (Verlag)
978-3-88747-299-3 (ISBN)
19,80 inkl. MwSt
  • Titel ist leider vergriffen;
    keine Neuauflage
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Ein raffiniert aufgebauter, spannungsgeladener Roman, der seine besondere Qualität erhält durch den »fremden« Blick eines schwarzen Amerikaners auf Afrika.
In Mapple-Bluff, einem reichen, überwiegend von Weißen bewohnten Vorort von Madison/Wisconsin, wird eine blonde Frau auf der Veranda eines Hauses tot aufgefunden, das ein Schwarzer, ein Professor aus Kenia, bewohnt. Ishmael, Kommissar der Polizei von Madison, ermittelt.

Der zunächst verdächtige Afrikaner hat ein Alibi, vor allem aber stellt sich heraus, dass er einer der Helden im Kampf gegen den Völkermord in Ruanda war und Hunderte vor dem Tod bewahrt hat.

Der Fall nimmt Fahrt auf, als der Kommissar einen Anruf bekommt: Die Aufklärung der Falls sei nur in Afrika zu finden. Er fliegt nach Nairobi und wird dort, als Schwarzer aus den reichen USA kommend, als »weißer Mann« begrüßt. In der Folge entwickelt sich eine heiße Jagd nach den Hintergründen des Mordes und vor allem nach den kriminellen Strukturen einer Hilfsorganisation für Ruanda.

Der Kommissar erlebt die tagtägliche Gewalt und Korruption in Afrika und staunt über seine Kollegen, die immer zuerst schießen und dann erst fragen. Tatsächlich findet er den Täter, der aber alle Zeugen beseitigt hat –, deswegen beschließt der Kommissar, zurückgekehrt in die USA, die Sache auf eigene Faust zu Ende zu bringen…

Dieser Roman hält seine Leser in hoher Spannung, liefert ihnen aber fast beiläufig Einsichten in gesellschaftliche Zustände in Amerika wie in Afrika. Aus dieser verschränkten und deswegen überraschenden Perspektive kann man natürlich nur schreiben, wenn man, wie der Autor, in beiden Welten zu Hause und gleichzeitig fremd ist. Insofern ist das Buch ein doppelter Glücksfall.

Mukoma wa Ngugi wurde 1971 als Sohn des weltbekannten kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong’o in Evanston, Illinois/ USA geboren, wuchs in Kenia auf und ging dann zum Studium zurück in die USA. Er arbeitet als Literaturprofessor an der renommierten Cornell University und schreibt als Journalist und Kolumnist für die BBC, für den Guardian, Los Angeles Times und verschiedene afrikanische Zeitungen und Zeitschriften. Er veröffentlichte Gedichte und literarische Anthologien »Nairobi Heat« ist sein erster Roman, sein zweiter, »Black Star Nairobi«, ist gerade in New York erschienen.

»Wenn Sie von den unterkühlten Schweden-Krimis langsam genug haben, reisen Sie mit Mukoma in Kenias heiße Hauptstadt.« The New York Post

»[…] Das vordergründig einfache Krimi-Setting entpuppt sich als Stolperfalle, […] den Leser führt es in einen hochkomplexen Roman über den Völkermord in Ruanda, das schlechte Gewissen der Welt, Spelunken und Spoken-Word-Poesie.« Maren Keller im KulturSpiegel März 2014

»[…] Ein Roman mit einem ziemlichen Drive…« Claudia Kramatschek, swr2 Literatur

Eine schöne Blonde war tot, und der Verdächtige, mein Verdächtiger, war ein Afrikaner. Ich war auf dem Weg nach Afrika auf der Suche nach seiner Vergangenheit. Je nachdem, was ich rausfand, wäre er geliefert oder ein freier Mann. Wie Sie sich denken können, war die Sache ziemlich dringend. Wie oft hatte ich über Afrika nachgedacht? Nicht sehr oft, fürchte ich. Ja, ich wusste was von Afrika. Schließlich war es das Land meiner Vorfahren; ein Land, nach dem ich mich irgendwie sehnte, ohne wirklich dahin gehören zu wollen. Ich könnte es auch so sagen: Die amerikanische Seite in mir hielt es für das Land der Kriege, des Hungers, der Krankheiten und des Drecks, auf der anderen Seite war es meine schwarze Haut, die mich dorthin zog. Wie oft also hatte ich an Afrika gedacht? Nicht oft, nicht wirklich. Trotzdem war es eigenartig, dass ich mich jetzt, im Flugzeug auf dem Weg nach Afrika, von Weißen geradezu umzingelt fühlte: die Pas­sa­gie­re, die Kabinencrew, die Piloten. Es war Anfang Mai, und, wie ich aus Gesprächen um mich herum mitbekam, waren meine Mit­rei­sen­den Geschäftsleute, Touristen und Jäger aus Texas. Das Üb­li­che, vermutete ich. Ich schaute nach draußen, sah den Vollmond auf der Spitze der Tragfläche schweben, und mit kindlicher Phantasie konnte man sich vorstellen, er hätte sich gerade einen Freiflug besorgt. Wir flogen so, mit dem Mond auf dem Flügel, eine ganze Weile, bis uns der Pilot in jenem einwandfreien englischen Akzent, den wir alle mit absoluter Effizienz verbinden, die bevorstehende Landung ankündigte. Der Mond hüpfte in den Himmel zurück, als wir die Wolken durch­stießen, und unten erblickte ich eine Insel voller Lichter, um­geben von absoluter Dunkelheit. Dann landeten wir und alle klatschten. Ich war müde und leicht angetrunken von dem zweiten Budweiser, das die Crew mir angeboten hatte, und so, ein bisschen beschwipst, betrat ich zum ersten Mal Afrika. Am Zoll zeigte ich kurz meinen Pass und den Dienstausweis. Der Beamte schenkte nicht einmal meinem Waffenschein einen zweiten Blick, schüttelte nur seinen Kopf und sagte: »Ihr Amerikaner, Ihr seid vernarrt in Eure Waffen, eh?« Dann winkte er mich durch. Ich hatte nichts dabei außer dem Handgepäck, und so fand ich mich sehr schnell außerhalb des Flughafens auf einer Art Markt wieder – einem schreienden, hektischen Pulk von Menschen, die Zeitungen, Telefonkarten und sogar gekochte Eier verkauften. Mit einem Mal war ich von Schwarzen umzingelt, und gerade aus dem Flugzeug voller Weißer gestiegen, fühlte ich gleichzeitig Erleichterung und Panik – als ob ich in einem Tarnanzug steckte, allerdings einem sehr schlechten Tarnanzug, denn mit meinen ein Meter zweiundneunzig und zweihundert Pfund überragte ich alle wie ein Turm. Die Leute hier waren klein und schlank, und ich fühlte mich maßlos schwer, als hätte ich einige Körperteile zuviel. Doch es waren nicht die Menschen, die mich wie angewurzelt stehen ließen, es war die Hitze. Eine Hitze, die einen heißen Sommertag in New Orleans wie einen milden Frühlingstag aussehen ließ. Feucht, schwer und salzig, eben die Nairobi-Hitze. Ein Taxifahrer in dreckigen weißen Hosen griff nach meinem Ruck­sack und kreischte: »Mzunga, mzunga, guter Tarif für Touristen«, aber ich hielt meine Sachen eisern fest. Ich konnte kaum Kiswahili, aber aus dem Reiseführer, in dem ich während des Flugs geblättert hatte, wusste ich, dass er mich Weißer Mann genannt hatte. Eine merkwürdige Ironie, dass ich, ein afrikanischer Amerikaner, ein schwarzer Amerikaner, in Afrika Weißer Mann gerufen wurde, aber ich machte mir nichts draus, lachte bloß und schob ihn höflich zur Seite. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich nicht hier war, um Löwen oder Giraffen zu sehen, dachte ich noch, als ich mich durch die Menge kämpfte und alle möglichen Versuche abwehrte, mich in dieses oder jenes Taxi zu locken, bis ich eine tiefe Stimme meinen Namen rufen hörte: »Ishmael!« Als ich mich suchend nach der Stimme umdrehte, stand ich dicht vor dem schwärzesten Menschen, den ich je gesehen hatte. Ich meine, ich bin ja auch schwarz, aber dieser Bruder hier war so schwarz, dass er blau aussah. Etwa einsachtzig groß, gehörte er, wie alle anderen, zu den Schlanken, aber anders als alle andern war er trotz der Hitze korrekt angezogen: braune Lederjacke, schwarze Cordhosen und robust aussehende, lederne Safari-Stiefel. »Ishmael, nehme ich an«, sagte mein kenianisches Pendant aus dem Kriminalkommissariat, deutete eine Verbeugung an und grinste: »Sagte Stanley zu Livingstone… Die großen Afrikaforscher… Man sagt, sie hätten uns entdeckt…« »Ja«, sagte ich, so langsam seine ironische Anspielung begreifend – ein schwarzer Amerikaner und ein Afrikaner spielen weiße Entdecker nach. »Mein Name ist David, David Odhiambo«, fuhr er fort und streckte mir die Hand entgegen. »Meine Freunde und Feinde nennen mich O.« Als ich Os Hand schüttelte, merkte ich, dass ich dabei nichts empfand. Normalerweise lösen Menschen in mir etwas aus, irgendein Gefühl: Furcht, Sympathie, Wärme – O aber nicht. Er war bloß ein flüchtiger Bekannter. Das Einzige, was mir mein Gefühl sagte, war, dass sich unter dem Duft eines zweifellos teuren Rasierwassers der scharfe Geruch von Marihuana bemerkbar machte, was auch seine geröteten Augen erklärte. »Komm, lassen wir diesen Wahnsinn hinter uns… Bist du gepackt?«, fragte er und griff nach meinem Rucksack. Ich sah ihn irritiert an. Er öffnete seine Jacke und ließ eine dieser alten 45er sehen – produziert in einer Zeit, als wir beide noch nicht auf der Welt waren. »Wenn du meinst, ob ich eine Knarre hab, hier…«, sagte ich und öffnete kurz mein Jackett, so dass er meine Glock 17 sehen konnte – leicht, einfach zu bedienen, aber trotzdem tödlich. »Gut, sonst hätte ich dir eines dieser bad babies besorgen müssen«, sagte er und lachte wieder. Ich war mir nicht sicher, ob er wie ein Amerikaner klingen wollte oder nicht. »Gibt’s hier was in der Nähe, wo wir ein Bier trinken und reden können?«, fragte ich. »Endlich verstehen wir uns, ich weiß genau das Richtige für dich«, sagte O, als wir uns auf den Weg zum Parkplatz machten und in einen verbeulten Land Rover stiegen. Wir fuhren eine Weile, ohne ein Wort zu sagen. Ich war müde und aufgekratzt zugleich, aber trotz der Millionen kleiner Fragezeichen, die durch meinen Kopf schwirrten, fiel mir keine einzige Frage ein, und so hörte ich O zu, der einen Song von Kenny Rogers – The Gambler – vor sich hin brummte, dann und wann unterbrochen von Flüchen, wenn wir wieder in eines der Schlaglöcher rumsten, mit denen der Weg reichlich gesegnet war. Bald konnte ich vor uns die Stadt sehen. »Nairobi?«, frage ich, nur um wenigstens etwas zu sagen. »Nairobbery«, antwortete O lachend. »So heißt sie bei uns. Aber kei­ne Bange, solange wir hier drin sind«, er klopfte auf das Armatu­ren­brett, »sind die Gauner clever genug, sich nicht mit uns anzulegen.« Eine Zeitlang sah ich die vielen Lichter der Stadt noch vor mir. Plötzlich bog O von der Hauptstraße auf einen Feldweg ab, und die Stadt war nicht mehr zu sehen. Wir fuhren weiter, die Scheinwerfer bohrten sich durch die Dunkelheit, die Lichtkegel streiften hohes, trockenes Gras, niedriges Gestrüpp und wilde Sisalpflanzen. Wir fuhren an einer Ananas-Plantage vorbei und nahmen dann eine schmale, staubige Straße, die durch zwei Reihen schlampig gebauter Holzhäuser führte. Schließlich, kurz nach einem windschiefen Schild mit den aufgesprühten Worten: Sie verlassen jetzt Ananas-Stadt, wären wir fast in eine heruntergekommene Bar hinein gebrettert, die den stolzen Namen The Hilton Hotel trug. »Morgen bringe ich dich zum wirklichen Hilton Hotel«, sagte O., als wir aus dem Land Rover stiegen und zu der Holzhütte gingen, »aber hier bekommst du einen Geschmack vom wirklichen Afrika.« Innen war die Bar mit Kerosin-Lampen beleuchtet, die einen Geruch von Benzin und kokelnden Klamotten verströmten. In dem dämmrigen Licht sah ich an den Wänden jede Menge ausgeblichener Werbeplakate für alles Mögliche – Marlboro, Camel Light, Esso, McDonalds. Auch Gäste waren zu erkennen, aber schnell begriff ich, dass das Hilton voll mit lebenden Toten war – einige hingen bewusstlos am Tresen, andere waren so betrunken, dass sie kaum hörbar vor sich hinbrabbelten. O und ich fanden einen Tisch, über den noch kein Betrunkener hing, und die Barfrau – eine junge Frau in einer regenbogenfarbenen Kanga – kam, um unsere Bestellung aufzunehmen. »Hast du Hunger?«, fragte O. Ich nickte und beobachtete ihn, wie er Bier und zwei Kilo gegrilltes Fleisch bestellte. Ich begriff, was ein Kenianer, außer dem Leben selbst, am meisten liebte: sein Tusker Bier und gegrilltes Fleisch, nyama choma. Tusker moto (warmes Tusker) und nyama choma, beides zusammen das beste Mittel, an Informationen zu kommen, Danke zu sagen, ein Geschäft zu besprechen und zu besiegeln, Freundschaft oder Frieden zu schließen. »Ishmael, willkommen in Afrika«, sagte O, als unser Bier kam. Er hob sein Tusker, nippte daran und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »So, und jetzt verrat mir, was ich für dich tun kann.« Ich erzählte ihm meine Story.

Eine schöne Blonde war tot, und der Verdächtige, mein Verdächtiger, war ein Afrikaner. Ich war auf dem Weg nach Afrika auf der Suche nach seiner Vergangenheit. Je nachdem, was ich rausfand, wäre er geliefert oder ein freier Mann. Wie Sie sich denken können, war die Sache ziemlich dringend. Wie oft hatte ich über Afrika nachgedacht? Nicht sehr oft, fürchte ich. Ja, ich wusste was von Afrika. Schließlich war es das Land meiner Vorfahren; ein Land, nach dem ich mich irgendwie sehnte, ohne wirklich dahin gehören zu wollen. Ich könnte es auch so sagen: Die amerikanische Seite in mir hielt es für das Land der Kriege, des Hungers, der Krankheiten und des Drecks, auf der anderen Seite war es meine schwarze Haut, die mich dorthin zog. Wie oft also hatte ich an Afrika gedacht? Nicht oft, nicht wirklich. Trotzdem war es eigenartig, dass ich mich jetzt, im Flugzeug auf dem Weg nach Afrika, von Weißen geradezu umzingelt fühlte: die Pas­sa­gie­re, die Kabinencrew, die Piloten. Es war Anfang Mai, und, wie ich aus Gesprächen um mich herum mitbekam, waren meine Mit­rei­sen­den Geschäftsleute, Touristen und Jäger aus Texas. Das Üb­li­che, vermutete ich. Ich schaute nach draußen, sah den Vollmond auf der Spitze der Tragfläche schweben, und mit kindlicher Phantasie konnte man sich vorstellen, er hätte sich gerade einen Freiflug besorgt. Wir flogen so, mit dem Mond auf dem Flügel, eine ganze Weile, bis uns der Pilot in jenem einwandfreien englischen Akzent, den wir alle mit absoluter Effizienz verbinden, die bevorstehende Landung ankündigte. Der Mond hüpfte in den Himmel zurück, als wir die Wolken durch­stießen, und unten erblickte ich eine Insel voller Lichter, um­geben von absoluter Dunkelheit. Dann landeten wir und alle klatschten. Ich war müde und leicht angetrunken von dem zweiten Budweiser, das die Crew mir angeboten hatte, und so, ein bisschen beschwipst, betrat ich zum ersten Mal Afrika. Am Zoll zeigte ich kurz meinen Pass und den Dienstausweis. Der Beamte schenkte nicht einmal meinem Waffenschein einen zweiten Blick, schüttelte nur seinen Kopf und sagte: »Ihr Amerikaner, Ihr seid vernarrt in Eure Waffen, eh?« Dann winkte er mich durch. Ich hatte nichts dabei außer dem Handgepäck, und so fand ich mich sehr schnell außerhalb des Flughafens auf einer Art Markt wieder – einem schreienden, hektischen Pulk von Menschen, die Zeitungen, Telefonkarten und sogar gekochte Eier verkauften. Mit einem Mal war ich von Schwarzen umzingelt, und gerade aus dem Flugzeug voller Weißer gestiegen, fühlte ich gleichzeitig Erleichterung und Panik – als ob ich in einem Tarnanzug steckte, allerdings einem sehr schlechten Tarnanzug, denn mit meinen ein Meter zweiundneunzig und zweihundert Pfund überragte ich alle wie ein Turm. Die Leute hier waren klein und schlank, und ich fühlte mich maßlos schwer, als hätte ich einige Körperteile zuviel. Doch es waren nicht die Menschen, die mich wie angewurzelt stehen ließen, es war die Hitze. Eine Hitze, die einen heißen Sommertag in New Orleans wie einen milden Frühlingstag aussehen ließ. Feucht, schwer und salzig, eben die Nairobi-Hitze. Ein Taxifahrer in dreckigen weißen Hosen griff nach meinem Ruck­sack und kreischte: »Mzunga, mzunga, guter Tarif für Touristen«, aber ich hielt meine Sachen eisern fest. Ich konnte kaum Kiswahili, aber aus dem Reiseführer, in dem ich während des Flugs geblättert hatte, wusste ich, dass er mich Weißer Mann genannt hatte. Eine merkwürdige Ironie, dass ich, ein afrikanischer Amerikaner, ein schwarzer Amerikaner, in Afrika Weißer Mann gerufen wurde, aber ich machte mir nichts draus, lachte bloß und schob ihn höflich zur Seite. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich nicht hier war, um Löwen oder Giraffen zu sehen, dachte ich noch, als ich mich durch die Menge kämpfte und alle möglichen Versuche abwehrte, mich in dieses oder jenes Taxi zu locken, bis ich eine tiefe Stimme meinen Namen rufen hörte: »Ishmael!« Als ich mich suchend nach der Stimme umdrehte, stand ich dicht vor dem schwärzesten Menschen, den ich je gesehen hatte. Ich meine, ich bin ja auch schwarz, aber dieser Bruder hier war so schwarz, dass er blau aussah. Etwa einsachtzig groß, gehörte er, wie alle anderen, zu den Schlanken, aber anders als alle andern war er trotz der Hitze korrekt angezogen: braune Lederjacke, schwarze Cordhosen und robust aussehende, lederne Safari-Stiefel. »Ishmael, nehme ich an«, sagte mein kenianisches Pendant aus dem Kriminalkommissariat, deutete eine Verbeugung an und grinste: »Sagte Stanley zu Livingstone… Die großen Afrikaforscher… Man sagt, sie hätten uns entdeckt…« »Ja«, sagte ich, so langsam seine ironische Anspielung begreifend – ein schwarzer Amerikaner und ein Afrikaner spielen weiße Entdecker nach. »Mein Name ist David, David Odhiambo«, fuhr er fort und streckte mir die Hand entgegen. »Meine Freunde und Feinde nennen mich O.« Als ich Os Hand schüttelte, merkte ich, dass ich dabei nichts empfand. Normalerweise lösen Menschen in mir etwas aus, irgendein Gefühl: Furcht, Sympathie, Wärme – O aber nicht. Er war bloß ein flüchtiger Bekannter. Das Einzige, was mir mein Gefühl sagte, war, dass sich unter dem Duft eines zweifellos teuren Rasierwassers der scharfe Geruch von Marihuana bemerkbar machte, was auch seine geröteten Augen erklärte. »Komm, lassen wir diesen Wahnsinn hinter uns… Bist du gepackt?«, fragte er und griff nach meinem Rucksack. Ich sah ihn irritiert an. Er öffnete seine Jacke und ließ eine dieser alten 45er sehen – produziert in einer Zeit, als wir beide noch nicht auf der Welt waren. »Wenn du meinst, ob ich eine Knarre hab, hier…«, sagte ich und öffnete kurz mein Jackett, so dass er meine Glock 17 sehen konnte – leicht, einfach zu bedienen, aber trotzdem tödlich. »Gut, sonst hätte ich dir eines dieser bad babies besorgen müssen«, sagte er und lachte wieder. Ich war mir nicht sicher, ob er wie ein Amerikaner klingen wollte oder nicht. »Gibt’s hier was in der Nähe, wo wir ein Bier trinken und reden können?«, fragte ich. »Endlich verstehen wir uns, ich weiß genau das Richtige für dich«, sagte O, als wir uns auf den Weg zum Parkplatz machten und in einen verbeulten Land Rover stiegen. Wir fuhren eine Weile, ohne ein Wort zu sagen. Ich war müde und aufgekratzt zugleich, aber trotz der Millionen kleiner Fragezeichen, die durch meinen Kopf schwirrten, fiel mir keine einzige Frage ein, und so hörte ich O zu, der einen Song von Kenny Rogers – The Gambler – vor sich hin brummte, dann und wann unterbrochen von Flüchen, wenn wir wieder in eines der Schlaglöcher rumsten, mit denen der Weg reichlich gesegnet war. Bald konnte ich vor uns die Stadt sehen. »Nairobi?«, frage ich, nur um wenigstens etwas zu sagen. »Nairobbery«, antwortete O lachend. »So heißt sie bei uns. Aber kei­ne Bange, solange wir hier drin sind«, er klopfte auf das Armatu­ren­brett, »sind die Gauner clever genug, sich nicht mit uns anzulegen.« Eine Zeitlang sah ich die vielen Lichter der Stadt noch vor mir. Plötzlich bog O von der Hauptstraße auf einen Feldweg ab, und die Stadt war nicht mehr zu sehen. Wir fuhren weiter, die Scheinwerfer bohrten sich durch die Dunkelheit, die Lichtkegel streiften hohes, trockenes Gras, niedriges Gestrüpp und wilde Sisalpflanzen. Wir fuhren an einer Ananas-Plantage vorbei und nahmen dann eine schmale, staubige Straße, die durch zwei Reihen schlampig gebauter Holzhäuser führte. Schließlich, kurz nach einem windschiefen Schild mit den aufgesprühten Worten: Sie verlassen jetzt Ananas-Stadt, wären wir fast in eine heruntergekommene Bar hinein gebrettert, die den stolzen Namen The Hilton Hotel trug. »Morgen bringe ich dich zum wirklichen Hilton Hotel«, sagte O., als wir aus dem Land Rover stiegen und zu der Holzhütte gingen, »aber hier bekommst du einen Geschmack vom wirklichen Afrika.« Innen war die Bar mit Kerosin-Lampen beleuchtet, die einen Geruch von Benzin und kokelnden Klamotten verströmten. In dem dämmrigen Licht sah ich an den Wänden jede Menge ausgeblichener Werbeplakate für alles Mögliche – Marlboro, Camel Light, Esso, McDonalds. Auch Gäste waren zu erkennen, aber schnell begriff ich, dass das Hilton voll mit lebenden Toten war – einige hingen bewusstlos am Tresen, andere waren so betrunken, dass sie kaum hörbar vor sich hinbrabbelten. O und ich fanden einen Tisch, über den noch kein Betrunkener hing, und die Barfrau – eine junge Frau in einer regenbogenfarbenen Kanga – kam, um unsere Bestellung aufzunehmen. »Hast du Hunger?«, fragte O. Ich nickte und beobachtete ihn, wie er Bier und zwei Kilo gegrilltes Fleisch bestellte. Ich begriff, was ein Kenianer, außer dem Leben selbst, am meisten liebte: sein Tusker Bier und gegrilltes Fleisch, nyama choma. Tusker moto (warmes Tusker) und nyama choma, beides zusammen das beste Mittel, an Informationen zu kommen, Danke zu sagen, ein Geschäft zu besprechen und zu besiegeln, Freundschaft oder Frieden zu schließen. »Ishmael, willkommen in Afrika«, sagte O, als unser Bier kam. Er hob sein Tusker, nippte daran und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »So, und jetzt verrat mir, was ich für dich tun kann.« Ich erzählte ihm meine Story.

Erscheint lt. Verlag 4.3.2014
Übersetzer Rainer Nitsche
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Nairobi Heat
Maße 145 x 225 mm
Gewicht 353 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Afrika • Amerika • Genozid • Gesellschaft • Kenia • Korruption • Krimi • Nairobi • Nairobi; Krimis/Thriller • Ruanda • Spannung • USA
ISBN-10 3-88747-299-3 / 3887472993
ISBN-13 978-3-88747-299-3 / 9783887472993
Zustand Neuware
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5 Buchhändler-Bewertung

von (Buchhändler, Lehmanns Media Web-Redaktion), am 09.10.2015


Steffen Ille
Buchhändler
Überragendes Debüt

Der Fall einer toten Blondine vor der Haustür des ruandischen Menschenrechtlers Professor Joshua führt Detective Ishmael von Wisconsin nach Nairobi.
Ein überragendes Debüt des in den USA geborenen und jetzt dort lehrenden, aber in Kenia aufgewachsenen Autors, dessen Vater schon Weltliteratur schuf. Sein raffiniert aufgebauter, spannungsgeladener Roman erhält einen besonderen Reiz durch den »fremden« Blick eines schwarzen Amerikaners auf Afrika.
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