Die unterirdische Sonne (eBook)

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2014 | 1. Auflage
336 Seiten
cbj Kinder- & Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-09159-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die unterirdische Sonne -  Friedrich Ani
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Am Rand der Nacht, in der Stille der Nacht allein
Eine Insel. Ein Haus. Ein Keller. Fünf Jugendliche, die mit Gewalt darin festgehalten werden. Kein Tageslicht. Und täglich wird einer von ihnen nach oben geholt. Doch niemand spricht über das, was dort geschieht. Denn wer spricht, stirbt, bekommen sie gesagt. Die Lage scheint aussichtlos, und Angst, Wut, Schmerz, Verzweiflung und Sehnsucht lassen die Jugendlichen beinahe verrückt werden. Doch nichts kann sie retten vor den schrecklichen Dingen, die geschehen. Bis ein neuer Junge zu ihnen gebracht wird, der nicht bereit ist, die Gewalt zu akzeptieren.

Friedrich Ani wurde 1959 geboren und lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele und Drehbücher. Seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach prämiert, u.a. mit dem Deutschen Krimipreis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs.

1

»Ich hab keine Angst, hab ich nicht …«

»L-Lügner.«

»… Hab ich einfach nicht, Schiss vielleicht, aber Angst, nö, Angst hab ich keine. Wenn wir Ski fahren waren, bin ich immer Schuss runter, mach ich immer noch. Mein Vater sagt immer: Geh den Schritt, denk nicht nach, tu’s! Er kennt sich aus, der war Profi, mein Vater, zweite Liga, gesetzt, ist in jedem Spiel aufgelaufen, vier Tore im Pokal, er war fester Bestandteil der Mannschaft, der Trainer hat auf ihn gebaut. Ohne meinen Vater wär da nichts gelaufen, die wären niemals aus der dritten Liga aufgestiegen ohne ihn. Hab Filme gesehen …«

»K-Kannst du n-nicht mal sch-still sein …«

»… Auf seiner Feier liefen die besten Spiele seiner Laufbahn, als Loop im Hintergrund, für die Gäste, ohne Ton. Aber ich kenn die alle mit Ton, das ist ja klar. Wir haben die immer wieder angeschaut, mein Vater und ich, in seinem Partykeller. Entspannte Abende, mein Alter in der Bundesliga. Und ohne den ganzen Kreuzbandhorror und Adduktorenhorror und Muskelfaserrisshorror würd der heut noch spielen, und zwar in der ersten Liga.

Das ist eben das Risiko. Wenn du den entscheidenden Schritt machst, musst du damit rechnen, dass dir einer von hinten reingrätscht. Damit rechnest du, aber es nützt dir nichts.

Er hat alles versucht bis zur letzten Minute, die besten Ärzte, Reha mit persönlichem Trainer. Meine Ma hat ihn unterstützt, wo sie nur konnte. Hab ihn oft besucht, hab die Bälle geholt. Ein eiserner Mann, mein Vater. An seinem Vierzigsten vor … vor Kurzem, da waren sie alle da, und sie haben ihn hochleben lassen und Bier gesoffen, wie nur Profis saufen. Ich war stolz auf meinen Vater. Meine Ma, glaub ich, auch.

Er macht jetzt Autovermietung, hab ich euch das schon erzählt? Also, wenn einer von euch eine perfekte Kiste braucht, mein Vater ist euer Mann. Hab mir schon überlegt, später so eine Vermietung aufzumachen, da kannst du gut Geld verdienen, die Geschäftsleute und die Touristen brauchen immer ein Auto, das ist solide, das hat Zukunft.«

»B-bitte sei jetzt m-mal k-kurz ruhig, b-bitte.«

»Ja, genau, Maren. Kapiert? Hör auf die Maren, Mann! Jetzt hab ich deinen blöden Namen vergessen.«

»Conrad.«

»Hunger.«

»Du nervst, Sophia.«

»Du hast gar nichts zu sagen.«

»Autovermietung! Touristen? Dann fang doch hier auf der Insel damit an, da gibt’s Milliarden Touristen, jeden Tag, einer blöder als der andere.«

»Sind wir auf einer Insel?«

»Conrad, ja? Hol mal Luft. Ob wir auf einer Insel sind? Wie bist du denn hergekommen?«

»S-so was darfst d-du n-nicht fragen, Eike, d-das ist v-verb-boten.«

»Entspannung, Maren. Bleib einfach liegen.«

»Ich will was essen.«

»Heut gibt’s nichts mehr, blöde Kuh.«

»S-Sophia ist k-keine b-blöde K-Kuh, sie ist m-meine F-Freundin.«

»Schon recht, Maren. Hey, Conrad! Ich hab dich was gefragt. Bist du taub? Sind deine Ohren Schrott oder was? Sind wir auf einer Insel? Wo denn sonst, du Schrotthändler.«

»Die haben mir was zu trinken gegeben, dann war ich weg. Total. Hab nichts mitgekriegt, ehrlich. Zwischendurch haben sie mich aus dem Kofferraum geholt, damit ich neue Luft krieg. Sie haben mir was zu trinken gegeben und Sandwiches. Das war’s. Und dann haben sie mir die Augen verbunden …«

»H-hast du n-nicht das M-Meer g-gero-gerochen, C-Conrad?«

»Nö. Ich war die ganze Zeit im Kofferraum und dann in dem Zimmer oben, bis … gestern oder so. Seit wann bin ich jetzt bei euch hier unten? Gestern, oder? Gestern, oder? Oder nicht?«

»V-vielleicht«, sagte Maren.

»Wenn du reden willst, red.«

»Hab deinen Namen vergessen.«

»Sophia.«

»Ich sag ja, er hat Schrottohren«, sagte Eike. »Der Schrotthändler mit seinen Schrottohren.«

»Wir haben’s kapiert, Eike. Hör zu, Conrad, wenn’s dir gut tut, quatsch. Nerv uns aber nicht. Das Wichtigste ist, kein Satz über oben.«

»Haben sie mir gesagt, immer wieder und wieder, bevor … bevor …«

»Sprich nicht drüber.«

»Okay, Maren.«

»Ich heiß Sophia.«

»Tschuldigung …«

»Beruhig dich. Ganz ruhig, Conrad. Da ist noch Wasser in der Flasche, trink einen Schluck. Gut. Setz dich endlich hin. Entspann dich. Denk an was Schönes. Du hast nicht gecheckt, dass du am Meer bist? Egal, Schwester Regal. Ist ja nicht verboten, den Namen der Insel auszusprechen. Den hat jeder von uns gehört. Außer dir. Die Insel heißt Vohrland.«

»Kenn ich.«

»Warst du schon mal da?«

»Nö. Vohrland. Hab ich nicht gewusst, Sophia, wirklich.«

»Schon okay. Trink noch einen Schluck. Du sollst trinken. Ist wichtig. Gut. Pause. Durchschnaufen. Wir wissen Bescheid, wir sind da, wo du bist. Schau dich um: Fernseher, Toilette. Wir kriegen unser Essen.«

»Scheißfraß.«

»Verhunger doch, Eike, dann bleibt mehr für uns. Du gewöhnst dich dran, Conrad. Denk nicht nach. Denk nicht, was morgen ist. Morgen wird’s so oder so. Ja? Jetzt bist du hier. Genau seit gestern. Du redest, also bist du nicht stumm. Du atmest, du hast Augen und Ohren. Du bist ein menschliches Wesen. Wie wir alle.«

»Ich heul gleich.«

Sophia beugte sich zu Eike hinunter und verpasste ihm eine so harte Ohrfeige, dass er anfing zu weinen. Aber nur kurz. Er war elf Jahre alt und in seinem Herzen wohnte ein böser Hund.

Sophia war vierzehn Jahre alt und hatte Hände, die niemandem winkten.

Maren war dreizehn und ihr Stottern nichts als das Lächeln ihrer Stimme.

Conrad war sechzehn und ein Elfmeterkiller und seit einer Woche der Auswurf seiner Träume.

Als die schwere Eisentür geöffnet wurde, drehten sich Maren, Sophia und Eike sofort zur Wand. Conrad machte es ihnen nach, weil Sophia ihn mit ihrer kalten Hand im Nacken packte und mit sich zog. Er schloss dann, wie sie, die Augen.

Die Person, die Leon zurückbrachte, zog ihm den Leinensack vom Kopf, wartete einen Moment und verriegelte die Tür von außen.

Leon trug eine grüne Hose und ein gelbes Sweatshirt.

Er war zwölf Jahre alt, und jedes Mal, wenn er an seinem Blut roch, freute er sich, dass es zu ihm gehörte.

»Bin wieder da«, sagte er in den Rücken der anderen. Seine Stimme klang mechanisch wie das Flüstern einer Puppe. Und wie immer brauchten diejenigen, die zurückgeblieben waren, eine Weile, bis sie es wagten, sich umzudrehen.

Leon blieb einfach stehen. Dann fiel er auf die Knie, kippte zur Seite, und sein Schluchzen begann. So wussten sie, dass er noch lebte, und fassten sich an den Händen. Conrad hätte am liebsten nie mehr losgelassen.

Manchmal war Leon davon überzeugt, Philip Lahm wäre sein Bruder. Er wachte auf, und ohne dass er von dem Fußballspieler geträumt hätte, glaubte er, sich an Gespräche mit ihm zu erinnern. Er blieb dann liegen und dachte nach. Über taktische Maßnahmen, Bewegungsabläufe, die Tricks, den Gegner durch unerwartete Raumöffnung und Stellungswechsel zu verwirren.

Wenn seine Mutter ihn zum zweiten Mal drängte, endlich aufzustehen, hielt er die Augen geschlossen und sagte: »Hab Traumsach zu erledigen.« Du mit deiner Traumsach, erwiderte dann seine Mutter und ließ ihn noch fünf Minuten liegen. Sie war eine Meisterin der Zeitplanung und schaffte es jeden Tag, dass ihr Sohn um Punkt fünf vor acht im Klassenzimmer saß. Von der Wohnung bis zur Schule brauchte er zu Fuß keine zehn Minuten. Und wenn er, was zum Glück nicht allzu oft passierte, mit seiner Traumsach im Badezimmer weitertrödelte, fuhr sie ihn mit dem Auto hin.

An seine Mutter dachte Leon jetzt besser nicht. Er lag auf seiner Matratze im Dunkeln und horchte auf die anderen. Kein Laut. Sie schienen zu schlafen, jeder unter seiner Wolldecke, jeder nah an der Wand.

Er dachte, obwohl er es eigentlich nicht wollte, an seinen ersten Tag in diesem Haus. Vielleicht kam er deswegen drauf, weil es oben heute nach frisch gebackenem Zwetschgenkuchen gerochen hatte. Wie damals.

»Damals«, dachte er und war sich sofort sicher, dass er das Wort zum ersten Mal dachte. Normalerweise gehörte das Wort seiner Mutter. Die sagte oft: Damals hatten wir noch lange Kabel an den Mikrofonen, oder: Wenn ich damals die schwere Grippe ordentlich auskuriert hätte, hätte ich nicht meine Stimme verloren.

Das alles hatte sie ihm schon erzählt, als er sechs Jahre alt war. Später fing sie immer wieder damit an und er gewöhnte sich daran. Einmal entschuldigte sie sich bei ihm und meinte, sie habe sonst niemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Dann weinte sie. Und er beschloss, ihr in Zukunft auf jeden Fall immer zuzuhören, ganz gleich, ob er die Sachen von damals schon alle kannte oder sie nicht ganz kapierte.

Leon hatte niemanden, dem er so gern zuhörte wie seiner Mutter. Sein Vater war ziemlich schweigsam gewesen. An ihn wollte er jetzt überhaupt nicht denken. Er wusste nicht einmal mehr genau, wie sein Vater ausgesehen hatte. In der Wohnung hing kein Foto von ihm, seine Mutter hatte schon ewig aufgehört, über ihn zu sprechen.

Am ersten Schultag, das wusste Leon noch, war sein Vater zum ersten Mal nicht aufgetaucht. Einen Monat später zogen seine Mutter und er in die kleine Wohnung, in der sie immer noch lebten. Ich ja nicht mehr, dachte Leon und horchte wieder.

Jemand schnaufte lauter als die anderen, bestimmt Conrad. Ihm musste jeder zuhören, den ganzen Tag, das ging nicht anders. Conrad war der Neue, er...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 14 • Ausbruch • DJLP • eBooks • Entführung • Gefangen • Gewalt • Jugendbuch • Kindesmissbrauch • Psychothriller • Spiegel Bestseller Autor • spiegel bestseller autor, Kindesmissbrauch, Gewalt, Entführung, Gefangen, Ausbruch, Sprache, Tabu, Traumatisierung • Sprache • Tabu • Thriller • Traumatisierung • Young Adult
ISBN-10 3-641-09159-4 / 3641091594
ISBN-13 978-3-641-09159-0 / 9783641091590
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