Grabgesang für Dr. Siri (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
384 Seiten
Manhattan (Verlag)
978-3-641-12888-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Grabgesang für Dr. Siri -  Colin Cotterill
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Der siebte Laos-Krimi mit dem einzigartigen Ermittler Dr. Siri Paiboun
Fechten ist im Laos der Siebzigerjahre nicht gerade ein Breitensport, trotzdem landen in der Pathologie von Vientiane innerhalb kurzer Zeit drei mit dem Degen getötete Frauen auf dem Seziertisch. Die Opfer wurden mit einem gezielten Stich ins Herz ermordet. Ein rätselhafter Fall: genau das Richtige für Dr. Siri und sein Team. Der Täter scheint schnell gefunden - nur unser scharfsinniger Pathologe glaubt nicht recht an die Schuld des Mannes. Doch bald steht Siri vor ganz anderen Problemen. Als er seinen Freund Civilai nach Kambodscha begleitet, schwebt der ergraute Pathologe plötzlich selbst in höchster Gefahr. Kurz vor seinem 74. Geburtstag sieht es fast so aus, als könnte dies auch Siris letzter sein - und wieder einmal ist nur seine verflixte Neugier schuld an allem!

Colin Cotterill, in London geboren, begab sich nach einer Ausbildung zum Englischlehrer auf eine lange Weltreise. Mittlerweile lebt er in Chumphon, Thailand. Seine in Laos angesiedelte Krimireihe um Dr. Siri wurde bereits mehrfach ausgezeichnet.

2

DER ZUG AUS DEM WASSERKRAFTWERK IN XIANG WU: DER FILM

Dr. Siri und seine Frau spazierten derart souverän und selbstbewusst durch die weite Flügeltür, dass der verhuschte Platzanweiser es nicht wagte, ihre nicht vorhandenen Eintrittskarten zu verlangen. Die greisen Politiker, die in den Gängen beieinanderstanden und sich unterhielten, grüßten höflich nickend in Erinnerung an alte Zeiten. Sie alle waren bei dieser oder jener Gelegenheit mit Siri aneinandergeraten, und ihre diversen Angebote, sich doch demnächst einmal zu treffen, »damit unsere Frauen sich kennenlernen können«, hatten eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie die gemeine Sturmameise. Die Damen rümpften die Nase über Daengs knöchellangen phasin. Die Sozialistin von heute trug halblang, vermutlich weil ihr das bei der Parteiarbeit größere Bewegungsfreiheit verschaffte. Daeng hatte sich strikt geweigert, ihre wunderschönen alten Röcke abzuschneiden, und wäre sie darauf angesprochen worden, hätte sie ihr Gegenüber zweifellos daran erinnert, dass man in Röcken gleich welcher Länge ohnehin keine Fronarbeit verrichten konnte.

Wäre er etwas diplomatischer gewesen, hätte ein Mann von Siris Format im Handumdrehen Parteikarriere gemacht. Zu irgendetwas mussten eine vierzigjährige KP-Mitgliedschaft und ein Medizinstudium in Europa schließlich gut sein. Doch leider gab es im Saal keine einzige Person, die er nicht gelegentlich gedemütigt oder beleidigt hatte. Und wer keine Kompromisse schließen kann, der ist nun einmal dazu verdammt, die Stars auf der Leinwand aus der Ferne zu betrachten. Darum ließen Siri und Daeng sich, nach ein paar ebenso kurzen wie unnötigen Plänkeleien, in der achten Reihe nieder, knabberten Guavenscheibchen mit süßer Chilisauce und harrten des Vorstellungsbeginns. Der Filmvorführer räusperte sich, und die Zuschauer nahmen geräuschvoll ihre Plätze ein. Civilai kam zu spät. Da es als unhöflich galt, sich entlang der vollbesetzten Reihen zu einem freien Kinosessel durchzudrängeln, ließ Civilai sich vom Platzanweiser einen Klappstuhl geben und setzte sich in den Seitengang. Er schien nicht sonderlich verwundert, Siri und seine Frau hier anzutreffen. Siri wies Daeng verstohlen darauf hin, dass das Hemd seines Freundes falsch geknöpft war.

Obwohl der Präsident, der Premierminister sowie drei Politbüromitglieder der Versammlung ferngeblieben waren, hätte sich ein Attentäter mit antisozialistischen Neigungen und einer nicht zu kleinen Bombe keinen geeigneteren Ort aussuchen können, um Letztere hochgehen zu lassen. Der Saal war quasi ein Who’s Who von führenden Funktionären, hochrangigen Beamten, Ministern, vietnamesischen Beratern und ausländischen Botschaftern. Dem Besucheransturm nach zu urteilen gab es eine nicht unbeträchtliche Zahl von Würdenträgern, die nach Unterhaltung förmlich lechzten.

Der Hauptfilm war ein chinesisches Opus namens Der Zug aus dem Wasserkraftwerk in Xiang Wu. Die Kulturabteilung der chinesischen Botschaft hatte weder Kosten noch Mühen gescheut und diverse populäre chinesische Filme übersetzen und mit laotischen Untertiteln versehen lassen. In einem Hinterzimmer warteten ein halbes Dutzend – ebenfalls untertitelte – russische Ausstattungsspektakel darauf, die laotische Staatsführung zu verzaubern. Für einen Cineasten hatte es durchaus seine Vorteile, ein Spielball der Politik zu sein.

Das Saallicht erlosch, und ein kleines Fenster, das zu vernageln man offenbar vergessen hatte, wurde eilig verhängt. Das Stimmengewirr verebbte. Siri hielt den Atem an und wartete auf das Geräusch, das die bevorstehende Attraktion ankündigte, das Klack-klack-klack des Zelluloidstreifens, der durch den Projektor ratterte. Grellweißes Licht fiel auf die Leinwand, und der Countdown begann. Hätte Civilai neben ihm gesessen, hätten die beiden lautstark mitgezählt: »Acht … sieben … sechs …«

Der Vorspann dauert gefühlte anderthalb Tage, dann endlich beginnt der Film. Wir befinden uns in einem belebten Großstadtbahnhof. Die überwiegende Mehrheit der Komparsen, die sich auf den Bahnsteigen drängen, trägt Uniform. Alles auf der Leinwand ist entweder kaugummigrün oder tabakbraun. Um die Tristesse der Szene noch zu unterstreichen, scheint selbst der Zug auf dem Bahngleis grün-braun lackiert zu sein. Plötzlich ein Farbklecks, und über den Köpfen der gramgebeugten Menge flattert eine kleine rote Fahne. Die Kamera schwenkt nach unten, und wir sehen eine Hand, die den Bambusstock umklammert, an dem das Stück Stoff befestigt ist. Die Fahne durchpflügt die Menge wie eine blutige Haiflosse ein grün-braunes Meer. Schließlich sehen wir, dass es sich bei der Fahnenträgerin um eine herzzerreißend schöne junge Dame handelt. Sie heißt Ming Zi und trägt die Uniform der Chinesischen Volksbefreiungsarmee. Erwartungsvoll sucht sie in dem Heer von Passagieren, die dem Zug entsteigen, nach einem vertrauten Antlitz. Irgendwo in der Menschenmenge hinter ihr spielt laut und falsch ein Streichorchester. Ihr Gesicht ist eine bunte Palette unzweideutiger Gefühle: Vorfreude, Enttäuschung, trügerische Hoffnung, Frustration. Schnitt, und wir sehen sie allein auf einem Gepäckwagen sitzen. Die Kamera zoomt auf die Fahne in ihrem Schoß. Träne um Träne benetzt den roten Stoff wie Regentropfen, die – einem Spezialeffekt sei Dank – in allen Farben schillern, von Hellrot bis Kaugummigrün. Doch damit nicht genug. Der Gepäckträger baut sich vor Ming Zi auf und verlangt seinen Karren zurück. Die verzweifelte junge Frau trottet einsam und verlassen den menschenleeren Bahnsteig entlang, während die Sonne hinter dem Horizont versinkt. Es ist ein ungewöhnlich kaugummigrüner Tag in Peking.

Siri drückte Daengs Hand. Schon jetzt trieb ihm das bittere Los der Heldin Tränen der Rührung in die Augen. Es versprach ein Elf-Taschentücher-Film zu werden. Doch nach kaum zehn Minuten wurde eine Seitentür aufgerissen, und ein uniformierter Vietnamese betrat den Saal. Dreist und unverschämt postierte er sich vor der unteren rechten Ecke der Leinwand und stand da wie ein Komparse, der ins Publikum starrt. Einige Zuschauer ermahnten ihn, sich zu setzen. Aber er interessierte sich offensichtlich weder für den Film noch für die empörten Zurufe. Als er den Gesuchten schließlich gefunden hatte, zwängte er sich die Sitzreihe entlang, beugte sich zu einem breitschultrigen Mann mit Grasbüschelfrisur und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Inzwischen verfolgten, mit Ausnahme von Siri und Civilai, sämtliche Zuschauer gebannt das Schattendrama, das sich vor ihren Augen abspielte. Ming Zis Schicksal war vergessen. Der Sitzende nickte, wandte den Kopf und ließ den Blick durch die Reihen schweifen. Der Vietnamese stand in Habachtstellung im Parkett und scherte sich einen Dreck darum, dass er ein kinematografisches Kunstwerk ruinierte. Unterdessen hegte niemand mehr ernsthafte Zweifel an der Dringlichkeit seiner Mission. Zu Siris großem Verdruss zeigte der breitschultrige Mann mit dem Finger auf ihn und stand auf. Der Soldat brüllte auf Vietnamesisch gegen die Filmmusik an: »Doktor, kommen Sie mit.«

Siri rührte sich nicht vom Fleck und versuchte, sich auf das Leinwandgeschehen zu konzentrieren. Nichts verabscheute er mehr, als eines cineastischen Höhepunkts beraubt zu werden. Kein Notfall dieser Welt war es wert, den Schluss eines Films zu verpassen. Der Breitschultrige und der Soldat hatten sich bis zum Ende der Sitzreihe durchgedrängelt und starrten wütend zu Siri herüber.

»Doktor Siri«, bellte der Breitschultrige.

»Ich finde, du solltest mitgehen«, flüsterte Daeng ihrem Mann ins Ohr.

»Und den Regisseur beleidigen?«

»Mein Schatz, ich fürchte, der künstlerischen Integrität des Regisseurs hat der Vorsitzende Deng Xiaoping bereits den Rest gegeben. Außerdem könnte es sich um einen medizinischen Notfall handeln.«

Die ersten Zuschauer wandten sich zu Siri um.

»Mist«, zischte er. »Na schön. Aber ich erwarte einen detaillierten Bericht.«

»In Breitwand und Technicolor«, versprach sie.

Schnaufend und Entschuldigungen murmelnd schlängelte sich Siri durch die Reihe.

Er folgte den beiden Männern nach draußen, und sie balancierten einen provisorischen Brettersteg entlang, der sie im Zickzack über den überschwemmten Sportplatz führte. Unterwegs stellten sich die beiden Männer vor, machten aber keinen besonders freundlichen Eindruck. Der Stämmige hieß Phoumi und war der laotisch-vietnamesische Sicherheitschef in diesem Viertel. Er beharrte darauf, dem Doktor schon einmal begegnet zu sein, doch Siri konnte sich nicht an ihn erinnern. Der uniformierte vietnamesische Offizier nannte sich Ton Tran Dung und befehligte die Leibgarde des Premierministers. Nach sechs Attentatsversuchen hatte das Politbüro eine zehnköpfige Eliteeinheit der vietnamesischen Armee abkommandiert, die den laotischen Staatsführer rund um die Uhr bewachte. Diese wurde von einem ebensolchen Team, bestehend aus zehn Soldaten der Laotischen Volksarmee, tatkräftig unterstützt. Siri hatte nicht nach dem Namen des Mannes gefragt, und es interessierte ihn auch nicht besonders. Seine Gedanken kreisten noch immer um die weitaus wichtigere Frage, ob die bildhübsche Ming Zi ihren verschollenen Bräutigam je wiedersehen würde.

Doch als sie so durch die Straßen von K6 marschierten, zog ihn dieses kleine Stück Amerika zusehends in seinen Bann. Eine veritable US-Kleinstadt von gut fünfzehn Hektar Größe war mitten in die Reisebene verpflanzt und mit einem hohen Zaun umgeben worden, damit der Pöbel nicht hinein- (oder, wie Civilai zu sagen...

Erscheint lt. Verlag 26.5.2014
Reihe/Serie Dr. Siri ermittelt
Übersetzer Thomas Mohr
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Love Songs From a Shallow Grave
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dr. Siri • eBooks • Kambodscha • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Laos • Laos, Dr. Siri, Thailand, Leichenbeschauer, Kambodscha, Pathologe • Leichenbeschauer • Pathologe • Thailand
ISBN-10 3-641-12888-9 / 3641128889
ISBN-13 978-3-641-12888-3 / 9783641128883
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