Regengötter (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
672 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-14623-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Regengötter -  James Lee Burke
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Der König der amerikanischen Kriminalliteratur ist zurück:
»Ich bin hinter der alten Kirche in Chapala Crossing und habe gerade neun Leichen gefunden, die hier begraben wurden. Alles Frauen. Benachrichtigen Sie bitte das FBI und rufen Sie auch die Kollegen vom Brewster County und vom Terrell County an. Die sollen Unterstützung schicken.«

Der Geruch des Todes! Auf den Hinweis eines anonymen Anrufers hin, gräbt Sheriff Hackberry Holland hinter einer verlassenen Kirche die Leichen von neun Frauen aus, notdürftig mit einem Bulldozer plattgewalzt. Es handelt sich dem Anschein nach um illegale Einwanderer aus Asien, die in Texas nahe der mexikanischen Grenze als Prostituierte arbeiteten. Bei der Suche nach dem Anrufer gerät Holland mit Isaac Clawson von der Einwanderungs- und Zollfahndungsbehörde ICE aneinander. Nach dem Mord an seiner Tochter ist er auf seinem eigenen Rachefeldzug. Bevor sie den einzigen Tatzeugen, Pete Flores, und dessen Freundin Vikki Gaddis ausfindig machen können, befinden sich diese bereits auf der Flucht vor den eigentlichen Drahtziehern, zu denen Jack Collins - genannt Preacher- zählt, ein Psychopath, dem man besser nicht zu nahe kommt.

James Lee Burke, 1936 in Louisiana geboren, wurde bereits Ende der Sechzigerjahre von der Literaturkritik als neue Stimme aus dem Süden gefeiert. Nach drei erfolgreichen Romanen wandte er sich Mitte der Achtzigerjahre dem Kriminalroman zu, in dem er die unvergleichliche Atmosphäre von New Orleans mit packenden Storys verband. Burke wurde als einer von wenigen Autoren zweimal mit dem Edgar-Allan-Poe-Preis für den besten Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet. 2015 erhielt er für Regengötter den Deutschen Krimi Preis. Er lebt in Missoula, Montana.

Kapitel 2

Nick Dolans Stripclub befand sich auf halber Wegstrecke zwischen Austin und San Antonio. Er war in einem restaurierten und weiß gestrichenen, dreistöckigen Gebäude im viktorianischen Stil untergebracht, das etwas versetzt stand und von Eichen und Kiefern umgeben war. Balkon und Fenster waren mit weihnachtlichen Lichterketten geschmückt, die das ganze Jahr über leuchteten. Vom Highway aus machte der Club einen festlichen, ja fast schon seriösen Eindruck: Der mit zerbrochenen Muscheln statt Kies aufgeschüttete Parkplatz war gut beleuchtet, und das mexikanische Restaurant nebenan, das mit dem Hauptgebäude über einen überdachten Gang verbunden war, zeigte den Durchreisenden an, dass Nick nicht nur nackte Haut im Angebot hatte. Er betrieb ein Etablissement für Gentlemen inklusive Gastwirtschaft, in dem auch Frauen, ja sogar Familien willkommen waren, wenn sie von den Reisestrapazen erschöpft nach einer guten Mahlzeit zu einem angemessenen Preis suchten.

Früher hatte Nick ein schwimmendes Casino in New Orleans betrieben, seine Geburtsstadt aber später verlassen. Einerseits war ihm nicht nach Ärger mit der alteingesessenen Mafia gewesen, andererseits hatte er wenig Lust gehabt, jeden Politiker im Staate Louisiana zu schmieren, der die Hand aufhielt – den Gouverneur, der mittlerweile im Bundesgefängnis saß, eingeschlossen. Nick regte sich nicht über die Welt im Allgemeinen oder das korrupte Wesen der Menschen im Besonderen auf, auch nicht über die Ungerechtigkeiten, in die sie hineingeboren wurden. Was ihn störte, war das Ausmaß an Heuchelei und Verlogenheit in der Welt. Er verkaufte den Leuten, was sie begehrten: Glücksspiel, Alkohol, nackte Haut und die Freiheit, in einer sicheren Umgebung ihre Fantasien ausleben zu können, ohne für ihre geheimen Leidenschaften zur Verantwortung gezogen zu werden. Nick wusste allerdings nur allzu gut, wer als Prügelknabe herhalten musste, wenn sich am Horizont mal wieder ein Sturm der moralischen Entrüstung zusammenbraute.

Neben der Verlogenheit seiner Mitmenschen hatte er noch ein weiteres Problem: Er war bei der Geburt auf ganzer Linie verarscht worden und im Körper eines fetten Jungen mit schlaffen Armen, kurzem Hals und Plattfüßen samt Hautverwachsungen zwischen den Zehen zur Welt gekommen. Als Krönung hatte er so schlechte Augen abbekommen, dass er Brillen mit dicken Gläsern tragen musste, mit denen er aussah wie ein Goldfisch, der aus seinem kleinen Aquarium hinausstarrte.

So trug er Liftschuhe, die ihn ein paar Zentimeter größer machten, Sakkos mit Schulterpolstern, teuren und geschmackvollen Schmuck sowie Hemden und Krawatten, die nicht für weniger als fünfundsiebzig Dollar das Set zu haben waren. Seine Zwillingstöchter besuchten eine Privatschule und erhielten Klavier-, Ballett- und Reitunterricht. Sein Sohn würde demnächst als Freshman sein Studium an der University of Texas beginnen. Seine Ehefrau spielte Bridge im Country-Club, ging täglich ins Fitnessstudio und wollte so wenig wie möglich über seine Einkommensquellen wissen. Ihre Rechnungen bezahlte sie mit ihrem eigenen Geld, das sie mit Anleihen und Aktienpapieren verdiente. Liebe und Romantik in Nicks Ehe waren bereits vor langer Zeit verblasst. Dafür nörgelte seine Frau nicht an ihm herum, war seinen Kindern eine gute Mutter und in den Augen der meisten Menschen eine Person mit gutem Charakter. Im Grunde gab es für ihn also keinen Anlass, sich zu beschweren. Er versuchte sein Glück mit den Karten, die ihm ausgeteilt worden waren – Entenfüße hin oder her.

Nick verzagte nicht am Lauf der Dinge. Er hatte einen eher lauten und übermütigen Charakter, führte sich in schwierigen Situationen aber oftmals wie ein ahnungsloser Trottel auf. Er ließ seine Mädchen zufrieden und machte sich keine Illusionen über die Gründe für ihre Loyalität. Die Born-Again Christians, die wiedererweckten Christen, redeten stets viel über »Ehrlichkeit«. Nicks »ehrliche« Einschätzung seiner Person und seiner Beziehung zum Rest der Welt ließ sich folgendermaßen zusammenfassen: Er war ein übergewichtiger, klein geratener Mann mit fortschreitendem Haarverlust am Ende seiner besten Jahre, der seine Grenzen kannte und sie nicht überschritt. Er lebte in einer puritanischen Gesellschaft, die von Sex besessen war und sich ohne Unterlass kichernd darüber austauschte, nicht anders als vorpubertäre Kids am Swimmingpool einer YMCA-Herberge, die sich gerade über ihre erste Erektion unterhielten. Menschen, die diese Sichtweise anzweifelten, empfahl er für gewöhnlich, sich während der familienfreundlichen TV-Stunden vor den Fernseher zu setzen und sich den Mist anzusehen, den ihre Kinder konsumierten.

Nick war der Meinung, dass die einzige wahre Sünde in diesem Land in finanziellem Versagen bestand. Respekt und Achtung kaufte man sich mit dem Scheckheft. Das sollte Zynismus sein? Hatten die Kennedys ihr Vermögen während der Prohibition etwa mit dem Verkauf von Bibeln gemacht? Hatten mittellose Politiker das Sagen im Senat? Gab es amerikanische Präsidenten mit Abschlüssen von Community Colleges in Schieß-mich-tot, Idaho?

Jetzt allerdings sah sich Nick einem Problem gegenüber, das niemals in sein Leben hätte treten sollen. Ein Problem, das er einfach nicht verdient hatte und das ihm das Schicksal als Gegenleistung für die jahrelang erduldeten Demütigungen auf den Schulhöfen im Ninth Ward, dem neunten Stadtbezirk von New Orleans, hätte ersparen müssen. Das Problem war soeben durch die Vordertür in den Club marschiert, hatte sich an der Bar ein Glas Sodawasser mit Eis und Kirschsaft bestellt und beäugte nun die Mädchen an den Stangen. Die Gesichtshaut wirkte wie eine Ledermaske, die dicken Lippen schienen ständig ein Grinsen zu unterdrücken, und der Schädel sah aus, als wäre er aus Knochen geformt, die nicht so recht zusammenpassen wollten. Das Problem hieß Hugo Cistranos und ließ Nick Dolan vor Angst die Knie schlottern.

Nick wünschte sich, einfach zur Tür des Clubs hinausgehen und in die Sicherheit seines Büros flüchten zu können – vorbei an den Tischen mit den College-Boys, den geschiedenen Malochern und den Krawattenträgern, die allesamt so taten, als würden sie nur ein wenig unschuldigen Spaß in seinem Club suchen. In seinem Büro könnte er jemanden anrufen, einen Deal machen, sich entschuldigen, irgendeine Art von Wiedergutmachung anbieten. Einfach den Hörer abnehmen und die Sache regeln, egal wie. So handhabten das Geschäftsleute wie er normalerweise, wenn sie sich mit unüberwindlich scheinenden Problemen konfrontiert sahen. Sie regelten die Sache am Telefon. Er war nicht für die Taten eines Wahnsinnigen verantwortlich. Genau genommen war er sich noch nicht mal sicher, was dieser Wahnsinnige überhaupt getan hatte.

Und das war das Paradoxe an der Geschichte: Wie konnte er für etwas beschuldigt werden, ohne zu wissen, worum es sich genau handelte und was der kranke Arsch verbrochen hatte? Nick hatte keine Aktien in der Sache. Er war nur ein einfacher Geschäftsmann, der versucht hatte, die Konkurrenz abzulenken, nachdem diese ihm gedrohte hatte, seine Escortservices in Houston und Dallas lahmzulegen, die immerhin vierzig Prozent seiner Einnahmen generierten.

Geh einfach in dein Büro, sagte er zu sich selbst. Achte nicht darauf, wie Hugos Blicke sich in die Seite deines Gesichts, in deinen Nacken und in deinen Rücken bohren, deine Kleidung und deine Haut versengen und den kleinen Rest Würde in deiner Seele verkohlen lassen. Ignoriere seine besitzergreifende Art und das Grinsen, mit dem er dich schweigend wissen lässt, dass er all deine Gedanken und Schwächen kennt, dass er der Herr über dein Leben ist und den verängstigten kleinen Fettkloß jederzeit bloßstellen kann, dem die schwarzen Kids auf dem Pausenhof immer das Essengeld abgezockt haben.

Die Erinnerung an die Tage im Ninth Ward riefen eine Hitzewelle in Nicks Brust hervor. Ein Funken gewalttätiger Energie flackerte in ihm auf und sorgte dafür, dass sich seine Finger zur Faust ballten. Er war überrascht, überrascht von sich selbst und von dem Potenzial, das sich möglicherweise in seinem kleinen fetten Körper verbarg. Er drehte sich um und blickte Hugo ins Gesicht. Die qualmende Zigarette in sicherer Entfernung vom Sakko, ging er ohne zu blinzeln auf das Problem zu. Sein Mund war trocken, und durch sein Herz schienen sich Tausende Maden zu graben. Die Girls auf der Bühne – die Körper mit Glitzerspray überzogen, die Gesichter so stark mit Grundierungscreme bedeckt, dass sie wie Pfannkuchen aussahen – verwandelten sich in von Qualm verhüllte Animationen. Ihre Namen hatte er nie erfragt, und ihr Leben hatte nichts mit seinem zu tun, auch wenn sie ihn ständig umschmeichelten und so vertrauensvoll »Nick« nannten, als würden sie sich an einen wohlwollenden Onkel wenden. Nick Dolan war auf sich allein gestellt.

Er legte seine rechte Hand auf der Theke ab, blieb aber stehen. Die Asche der Zigarette rieselte auf seine Hose herab. Hugo grinste. Sein Blick folgte dem Zigarettenqualm hinunter zu dem gelben Nikotinfleck zwischen Nicks Zeige- und Mittelfinger. »Rauchst du immer noch drei Schachteln am Tag?«, fragte Hugo.

»Mach dir mal keine Sorgen, ich probier’s gerade mit Nikotinpflastern«, erwiderte Nick. Er trotzte Hugos Blick und fragte sich selbst, ob das gerade eine Lüge oder die Wahrheit gewesen war, und ob er sich trotzdem klein, töricht und erbärmlich angehört hatte.

»Die Marlboros bringen dich noch ins Grab. Allein die Chemikalien …«

»Jeder muss mal sterben.«

»Die Chemie in den Dingern verdeckt den Nikotingeruch, damit du nicht daran denkst,...

Erscheint lt. Verlag 20.10.2014
Reihe/Serie Hackberry Holland
Übersetzer Daniel Müller
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Rain Gods
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Clint Eastwood • Cormac McCarthy • eBooks • Krimi • Legende • Menschenhandel • Mexiko • Sheriff • Sheriff Hackberry Holland • Texas • Texas, Cormac McCarthy, Krimi, Mexiko, Menschenhandel, Legende, Clint Eastwood, Tommy Lee Jones, Thriller, Sheriff • Thriller • Tommy Lee Jones
ISBN-10 3-641-14623-2 / 3641146232
ISBN-13 978-3-641-14623-8 / 9783641146238
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