Auf der richtigen Seite (eBook)

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2014 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-52501-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf der richtigen Seite -  William Sutcliffe
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Joshua lebt mit seiner Mutter und seinem Stiefvater in Amarias, einer künstlich errichteten Siedlung, an deren Rand eine schwerbewachte Mauer verläuft. Joshua hat gelernt, dass hinter der Mauer der Feind lebt, der Tag für Tag darauf lauert, die Siedler zu töten. Und dass die Mauer ihn und sein Volk beschützt. Doch eines Tages findet Joshua einen Tunnel, der unter der Mauer hindurchführt. Er weiß, dass er so schnell keine Gelegenheit mehr bekommen wird, einen Blick auf die andere Seite zu werfen. Die Versuchung ist zu groß. Und von dem Moment an, als Joshua seinen Kopf aus dem Tunnel streckt, ist sein Leben nicht mehr so, wie es vorher war. «Auf der richtigen Seite» ist ein Roman über einen Jungen, dessen Welt durch einen Tunnel aus den Angeln gehoben wird. Er ist aber auch eine politische Fabel über das heutige Leben eines Jugendlichen im Westjordanland, der erkennt, dass jede Geschichte zwei Seiten hat.

William Sutcliffe, geboren 1972 in London, ist Autor zahlreicher Romane. Sein vielbeachteter Jugendroman «Auf der richtigen Seite» war für den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis nominiert. William Sutcliffe lebt mit seiner Familie in Edinburgh.

William Sutcliffe, geboren 1972 in London, ist Autor zahlreicher Romane. Sein vielbeachteter Jugendroman «Auf der richtigen Seite» war für den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis nominiert. William Sutcliffe lebt mit seiner Familie in Edinburgh. Christiane Steen ist Programmleiterin und Übersetzerin. Sie lebt in Hamburg.

Erster Teil


Schulter an Schulter sprinten wir dem Ball hinterher, unsere Schultaschen rumpeln von rechts nach links. Ich erkämpfe mir einen Vorsprung, aber David packt mich am Rucksack und bringt mich zum Stehen wie ein Reiter sein Pferd.

«Oi!», schreie ich. «Das war Foul!»

«So was gibt’s hier nicht.»

«Und ob es das gibt!»

«Nicht ohne Schiedsrichter.»

David kommt als Erster an den Ball und schützt ihn mit seinem Körper. «Und jetzt guck hin», sagt er. Er springt hoch, reißt dabei die Fersen nach oben und will den Ball von hinten über seinen Kopf befördern. Aber er rutscht ihm ab und rollt in die Gosse. David hält sich für einen super Fußballspieler, obwohl er derartig unkoordiniert ist, dass er erst weiß, wo seine Füße sind, wenn er sie sieht.

Ich klemme mir den Ball zwischen die Knöchel und springe, ziehe die Knie hoch und drehe mich dabei. Die Lederkugel steht so perfekt in der Luft, als warte sie nur auf meinen Fuß, und dann führe ich einen Volley aus, den man einfach nur als perfekt bezeichnen kann, und zwar noch im Sprung. Der Ball fliegt schneller und weiter, als ich zu hoffen gewagt habe.

Doch wie jeder weiß, ist das Leben voller Höhen und Tiefen. Und Perfektion hat ihren Preis.

Genau in der Sekunde, als mein Sneaker gegen den Ball knallt, ist die leere Straße, auf der wir spielen, nicht mehr leer. Ein Sicherheitswagen biegt um die Kurve, aber mein Ball ist bereits in der Luft, und ich kann ihn nicht mehr aufhalten.

Der Mann am Steuer fährt offenbar nicht besonders aufmerksam, denn er bremst erst, als der Ball gegen seine Windschutzscheibe kracht. David macht sich aus dem Staub, aber ich renne los und stehe gerade in dem Moment am Ball, als der Wachmann aus seinem Auto steigt.

«Warst du das?», schreit er.

«Nein», sage ich und nehme den Ball hoch.

«Hältst du mich für dämlich?»

Ich bin ganz knapp davor, «Ja» zu sagen. Wenn ich das täte, dann wäre es wohl das Komischste, was ich je gesagt habe, vor allem, weil er vermutlich wirklich dämlich ist. Allein die Vorstellung, man müsste den ganzen Tag immer dieselben Straßen abfahren, auf denen nie was passiert … Selbst wenn man anfangs noch einigermaßen schlau im Kopf ist, weicht einem doch nach ein paar Tagen das Hirn auf. Er hat eine Pistole, aber man kann niemanden dafür erschießen, dass er einen dämlich nennt.

Ich halte trotzdem den Mund und laufe mit dem Ball zu David, der sich hinter einem parkenden Auto versteckt. Ich erzähle ihm, was ich beinahe gesagt hätte, und er findet es so komisch, dass er mir vor Begeisterung auf den Arm schlägt, was mich nervt, also schlage ich ihn zurück, und dann schubst er mich, und ich packe ihn um die Hüfte, und wir fangen an zu kämpfen.

Als der Sicherheitswagen an uns vorbeifährt, sitzt David gerade auf mir drauf, und ich sehe, wie der Fahrer den Kopf schüttelt, als wären wir Idioten, dabei ist er der Idiot.

Dann machen wir noch ein paar Fußballtricks, bis David versucht, meinen Volley nachzumachen, und der Ball hoch über die Straße segelt, über die Bushaltestelle und über den Bretterzaun einer Baustelle. Es ist keine von den normalen Baustellen, die man vom Stadtrand kennt; es ist diese merkwürdige Baustelle gegenüber vom Krankenhaus, auf der nie was gebaut wird und wo man nie jemanden rein- oder rausgehen sieht.

«Ich glaub’s nicht», stöhnt David, und ich habe gewusst, dass er das sagen würde.

«Das war ein neuer Ball!»

«Er hat geeiert», sagt er. Und auch das habe ich erwartet.

Er versucht, mich nicht anzusehen, und ich merke, dass er am liebsten abhauen will, also stelle ich mich vor ihn und versperre ihm den Weg.

«Du musst rüberklettern und ihn holen», sage ich.

Wir sehen zum Zaun. Es ist eher eine Wand aus Holz, durch die man nirgendwo durchsehen kann. Sie ist ungefähr zweimal so hoch wie ich. Früher war sie blau angemalt, aber über die Jahre ist die Farbe zu einem Abwasser-Grau verblichen und platzt überall in eiförmigen Blasen auf. Dieser Platz ist so ziemlich der einzige in Amarias, der nicht nagelneu aussieht. Der Rest der Stadt wirkt dagegen so, als hätte man sie gerade erst aus der Frischhaltefolie gewickelt.

Im Zaun befindet sich ein Tor von der Größe eines Lastwagens, aber es ist mit einer dicken Kette verschlossen, die so verrostet ist, dass sie aussieht wie aus Schokolade. Jetzt, wo ich an meinen Ball hinter dem Zaun denke, fällt mir zum ersten Mal auf, wie komisch es ist, dass alle diesen Ort eine Baustelle nennen, obwohl hier nie jemand etwas baut.

«Du musst rüberklettern und ihn holen», sage ich noch mal.

«Da kann man nicht rein», faucht er.

«Ich habe nicht man gesagt, sondern du.»

«Da ist kein Eingang.»

«Dann kletter über den Zaun. Das war ein neuer Ball! Den hab ich geschenkt bekommen.»

«Ich geh da ganz bestimmt nicht rein.»

«Dann besorgst du mir einen neuen Ball?»

«Keine Ahnung. Ich muss jetzt los.»

«Entweder besorgst du mir einen neuen Ball, oder du kletterst da rein und holst meinen wieder.»

David betrachtet mich mit zögerndem Blick. Ich sehe ihm an, dass er den Ball bereits aufgegeben hat und jetzt einfach nur wegwill. «Ich bin spät dran», sagt er. «Mein Onkel kommt zu Besuch.»

«Du hilfst mir erst, den Ball wiederzuholen.»

«Ich komme zu spät. Das ist doch bloß ein Ball!»

«Das ist der einzige, den ich habe!»

«Stimmt doch gar nicht.»

«Aber der einzige aus Leder.»

«Sei nicht so ein Baby.»

«Ich bin kein Baby.»

«Baby.»

«Du bist das Baby!»

«Baby!»

«Wenn du immer ‹Baby, Baby, Baby› sagst, bist du das Baby, nicht ich», sage ich. Es ist peinlich, überhaupt so eine Unterhaltung zu führen, aber bei David geht es manchmal irgendwie nicht anders. Er zieht die Leute auf sein Niveau herunter.

«Wieso kannst du dann nicht aufhören, über deinen Ball zu heulen?»

«Weil ich ihn wiederhaben will!»

«‹Weil ich ihn wiederhaben will›», äfft er mich mit Babystimme nach.

Ich bin nicht der Typ, der andere Leute schlägt, aber wenn ich es wäre, dann würde ich ihm jetzt eins auf die Nase geben.

Sein Rucksack baumelt an einer Schulter. Wenn ich den über den Zaun schleudere, dann muss er rüberklettern. Ich will ihn packen, aber er ist zu schnell. Nicht, dass David jemals schnell wäre, ich bin einfach zu langsam. Er hat meine Gedanken gelesen, und in der nächsten Sekunde läuft er davon und lacht dabei künstlich.

David ist mein bester Freund in Amarias, aber er nervt total. Amarias ist ein seltsamer Ort. Würde ich an einem normalen Ort leben, wäre David bestimmt nicht mein Freund.

«Du schuldest mir einen Ball!», schreie ich ihm nach.

«‹Du schuldest mir einen Ball›», äfft er und geht wieder ganz gemütlich, weil er jetzt außer Reichweite ist.

Ich sehe ihm hinterher. Sogar seine Art zu gehen nervt mich – er watschelt, als wären seine Schuhe aus Blei. Er will mal Kampfpilot werden; ich glaube allerdings, er kann niemals eine Maschine bedienen, die komplizierter ist als eine Fahrradpumpe, so ungeschickt, wie er sich anstellt.

Das Frustrierendste an allem ist: Ich weiß genau, dass ich die Sache mit dem Ball in ein oder zwei Tagen vergessen und wieder mit ihm befreundet sein werde. Früher konnte ich unter einer Menge Leuten wählen, aber hier draußen gibt es nur David. Die anderen Jungs in Amarias mögen mich nicht, und ich mag sie auch nicht. Sie halten mich für gestört, und ich halte sie für gestört. In dieser Stadt ist alles Gestörte normal, und alles Normale gestört.

Ich sehe am Zaun hoch. Man kann nicht raufklettern. Ich gehe daran entlang und mache mir die Fingerkuppen dreckig, indem ich über das raue Holz streiche und ein paar der Farbblasen mit dem Daumen platzen lasse. Dann komme ich an eine Ecke und biege in eine kleine Gasse ein. Ich bleibe stehen und betrachte die dreckigen Ovale an meinen Fingerspitzen, dann lege ich sie wieder auf die hölzerne Oberfläche und gehe durch die Gasse mit ihrer kühlen, schattigen Luft. Schon bald komme ich an einen Müllcontainer. Wenn ich meinen Arm über den Kopf strecke, ist er immer noch höher, aber ich kann auf seinen Deckel klettern und vielleicht von dort aus über den Zaun steigen. Wenn ich meinen Ball wiederhaben will, ist das der einzige Weg.

Ich nehme meinen Rucksack ab, verstecke ihn im Spalt zwischen Container und Zaun, dann gehe ich ein paar Schritte zurück. Ein kurzer Sprint und ein Sprung – dann bekomme ich das Scharnier zu fassen. Ich schwinge meine Beine hoch und hake einen Fuß am Deckel ein, dann strample und kämpfe ich mich nach oben, wobei ich mehr Kontakt zum Müllcontainer habe, als mir lieb ist. Ein schwieriges Manöver, aber sauber ausgeführt. Klettern ist zwar kein ordentlicher Sport, aber wenn es das wäre, dann wäre ich richtig gut darin. Ich kann nicht erklären, warum, aber immer, wenn ich etwas Hohes sehe, will ich unbedingt raufklettern.

Es gibt einen Mann, der an Hochhäusern raufklettert. Er geht einfach los und tut es, und sobald er losgeklettert ist, kann ihn keiner mehr aufhalten. Wenn er oben ist, wird er jedes Mal festgenommen, aber das ist ihm egal. Ich wette, dass sogar die Polizisten, die ihn festnehmen, lieber mit ihm befreundet wären. Manchmal, wenn ich mich langweile, sehe ich mich um und überlege, wo die besten Griffe für Hände und Füße wären. Die besten Kletterer können ihr ganzes Körpergewicht mit einem Finger halten.

Von dem Container aus sehe ich mich um. Es gibt nicht viel zu sehen –...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2014
Übersetzer Christiane Steen
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Amarias • Coming of Age • Fanatismus • Gerechtigkeit • Israel • Joshua • Liev • Mauer • Olivenhain • Palästinenser • Siedlungspolitik • Tunnel • Westbank
ISBN-10 3-644-52501-3 / 3644525013
ISBN-13 978-3-644-52501-6 / 9783644525016
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