Besserland (eBook)

Roman
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2014 | 1. Auflage
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-0924-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Besserland -  Alexandra Friedmann
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In ihrem vor Erzähllust überbordenden Romandebüt schildert Alexandra Friedmann die unglaubliche Reise der Familie Friedmann von Weißrussland nach Westen und zeigt uns Europa von einer durchaus verblüffenden Seite. Gomel, Weißrussland, 1987: Papa Edik ist ein herzensguter Hausmann, der unter dem Pantoffel seiner Frau Lena steht und lieber mit seinen Freunden Karten spielt oder sich nach sowjetischer Manier für immer neue sinnlose Tätigkeiten einspannen lässt. Als Cousin Mischa Goldstein zu seiner Tante Raja nach Brooklyn ausreist, setzt sich eine Lawine in Gang, und die Friedmanns lassen sich von der Auswanderbegeisterung anstecken. Am Ende brechen auch sie gen Westen auf, und wir lernen unterwegs einen ganzen Reigen skurriler Typen kennen: Jossik, das Schlitzohr, bei dem sie in Wien Unterschlupf finden, dessen Schwiegermutter, die dicke Sima Semjonowa, Tante Ira, Oma Anna und viele, viele andere: bis zum reizenden Lehrer und Asylhelfer Klaus Krämer. Denn schließlich: Amerika ist weit, und Freiheit und Wohlstand gibt es fast vor der Haustür! Gomel, Weißrussland, 1987: Papa Edik ist ein herzensguter Hausmann, der unter dem Pantoffel seiner Frau Lena steht und lieber mit seinen Freunden Karten spielt oder sich nach sowjetischer Manier für immer neue sinnlose Tätigkeiten einspannen lässt. Als Cousin Mischa Goldstein zu seiner Tante Raja nach Brooklyn ausreist, setzt sich eine Lawine in Gang, und die Friedmanns lassen sich von der Auswanderbegeisterung anstecken. Am Ende brechen auch sie gen Westen auf, und wir lernen unterwegs einen ganzen Reigen skurriler Typen kennen: Jossik, das Schlitzohr, bei dem sie in Wien Unterschlupf finden, dessen Schwiegermutter, die dicke Sima Semjonowa, Tante Ira, Oma Anna und viele, viele andere: bis zum reizenden Lehrer und Asylhelfer Klaus Krämer. Denn schließlich: Amerika ist weit, und Freiheit und Wohlstand gibt es fast vor der Haustür!

Alexandra Friedmann, geboren 1984 in Gomel, Weißrussland, kam 1989 über Umwege mit ihrer Familie nach Krefeld. Nach ihrem Abitur 2004 verbrachte sie acht Jahre in Paris, wo sie Literatur und Journalismus studierte. 2010 Praktikum bei der taz, zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften. Alexandra Friedmann lebt mit Mann und Tochter in Berlin. Besserland ist ihr erster Roman.

Alexandra Friedmann, geboren 1984 in Gomel, Weißrussland, kam 1989 über Umwege mit ihrer Familie nach Krefeld. Nach dem Abitur 2004 verbrachte sie acht Jahre in Paris, wo sie Literatur und Journalismus studierte. 2010 Praktikum bei der taz, zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften. Alexandra Friedmann lebt mit Mann und Tochter in Berlin. Besserland ist ihr erster Roman.

Kapitel eins
Ein guter Rutsch

Im Dezember 1986 prophezeite die Wetterfee im Gomeler Lokalradio derartige Frosttemperaturen, dass das massive Radiogerät auf unserer Fensterbank vor Schreck beinahe erfroren wäre. Ohne das Ende des Wetterberichts abzuwarten, kletterte meine Mutter auf einen wackeligen Hocker und zog aus der hintersten Schrankschublade die Lammfelle hervor, die Oma Anna uns noch im Oktober geschickt hatte. Sie breitete die Felle auf dem Teppich aus und zog in Windeseile großzügige Kreidelinien auf deren Innenseiten.

»Zum Hineinwachsen«, murmelte sie und brachte die Fellstücke mit einer scharfen Klinge in Form. Den Rest des Abends verbrachte sie an der Nähmaschine, deren Rattern unsere Kommunalwohnung noch mehr einem viel befahrenen Bahnhof gleichen ließ. Und während der Faden zwischen ihren flinken Fingern dem Mäntelchen Gestalt verlieh, nahm auch ihr hinterlistiger Plan immer mehr Gestalt an. Als sie mir den fertigen Mantel überstülpte, verschwand mein in unzählige Lagen von Baumwollhemdchen und Baumwollstrümpfchen gehüllter kleiner Körper auf Nimmerwiedersehen darin. Hätte sie mich so im Wald ausgesetzt, ich wäre sofort von einer fürsorglichen Bärenmutter adoptiert worden.

»Perfekt«, dachte Mama bei sich, während sie das Nähzeug wegräumte. »So kann ich meine Sanja ohne weiteres für mehrere Wochen aufs Dorf schicken.«

Als der Abreißkalender in der Gemeinschaftsküche so schmal wurde, dass das Jahresende durch das dünne Papier durchzuschimmern begann, setzte sie ihren Plan eiskalt in die Tat um. Sie klemmte meinem Vater das Fellknäuel unter den Arm und schickte uns fort zu Oma Anna nach Glusk.

»Edik!«, rief sie ihm hinterher, als er mit mir ins Taxi stieg. »Ich komme an Silvester nach, versprochen!«

»Du arbeitest zu viel, Lena!«, rief Papa zurück, bevor der Taxifahrer aufs Gas trat.

Der Satz wurde von einer eisigen Brise auf die andere Straßenseite geweht, erstarrte mitten im Flug zu einem vorwurfsvollen Eiskristall und zerschellte vor den Füßen meiner Mutter auf der dicken Eisschicht, die den Gehsteig bedeckte. Doch Mama hatte diese Worte in den letzten Wochen so oft gehört, dass sie die Scherben in Sekundenschnelle wieder zusammenfügen konnte. Sie verpasste noch nicht einmal den Bus zur Arbeit.

Ein paar Monate zuvor war meine Mutter von ihrer Tätigkeit als Bauzeichnerin entbunden und in die zentrale Plan­abteilung des Bezirksbauamts versetzt worden. Seitdem war der dunkle Kellerraum, in dessen Mitte ein Computer von der Größe dreier Kleiderschränke stand, ihr zweites Zuhause. Von hier aus koordinierte sie die Aktivitäten aller Bauunternehmen im Großraum Gomel. Die Arbeit an der brummenden Maschine gefiel ihr so gut, dass sie gerne Doppel- und Dreifachschichten einlegte, das Mittagessen versäumte und es zum Abendessen nicht nach Hause schaffte. Schon zweimal hatte sie ihre Jeans, die mein Vater auf dem Schwarzmarkt erworben und ihr zum Hochzeitstag geschenkt hatte, umnähen müssen, damit sie ihr nicht von den knochigen Hüften rutschte.

»Du arbeitest zu viel«, fand mein Vater.

Er selbst war im Gesundheitsamt angestellt, wo er die Arbeiterbrigaden verwaltete, die für die Renovierung sämtlicher städtischer Krankenhäuser zuständig waren. Auch er arbeitete gern, vor allem aber deswegen, weil er sich während dieser Zeit mit ganz anderen Dingen beschäftigen konnte.

Morgens brachte er mich weinendes und jammerndes Ding in den Kindergarten, drehte dann eine Runde auf dem Markt, machte einen Abstecher in die Reinigung, trank zur Erfrischung ein Malz vom Fass und fuhr schließlich zum vierten Bezirksklinikum, für dessen Anstrich er acht Arbeiter eingeteilt hatte. Wie erwartet waren nur vier der Männer anwesend, die anderen vier renovierten irgendwo in der Stadt im Akkord eine Privat­wohnung nach der anderen.

»Bald ist Monatsende, Jungs«, stellte Papa fest. »Ich muss mir Gedanken machen, wie ich eure Löhne aus dem Hut zaubere. Und ihr solltet euch Gedanken machen, wie ihr meinen Lohn aufbessert.«

»Viel bleibt diesmal nicht übrig«, meinte einer der Arbeiter. »Nicht genug Aufträge diesen Monat. Wir müssen ja auch von was leben. Die hundertfünfzig Rubel, die ihr uns zahlt, reichen ja kaum für die Seife, um abends die Farbe abzuwaschen.«

»Meinst du die Farbe, die ich euch besorge und mit der ihr unter der Hand Privatwohnungen streicht?«, entgegnete mein Vater. »Die Jungs von der Ausgabestelle wollen auch ihren Teil, und obendrein sitzt mir die Ge­schäfts­leitung im Nacken! Also hört auf zu feilschen, sonst könnt ihr morgen auf dem Markt anheuern, und da gibt es wirklich nicht viel, um das man feilschen kann, das kann ich euch sagen.«

Auf dem Rückweg ins Büro fuhr er noch mal beim Kindergarten vorbei, um zu sehen, ob ich aufgehört hatte, zu weinen und zu jammern. Das hatte ich tatsächlich, doch das Weinen und Jammern setzte sofort wieder ein, wenn ich ihn erblickte, sodass meine Kindergärtnerin Irina Stepanowna den Hausmeister anwies, ihn mit dem Wischmopp zu verjagen, bevor er die Schwelle zu ihrem Reich über­treten konnte. Das alles erledigte er am Vormittag.

Am Nachmittag schloss er sich mit seinem Freund und Kollegen Sascha in seinem Büro ein, um filterlose Prima-Zigaretten zu rauchen, die ein oder andere Anekdote auszutauschen und bei einem Kartenspiel das Wechselgeld vom Markt zu verspielen.

Pünktlich um vier ließ er die Karten liegen und holte mich vom Kindergarten ab, fuhr mit mir als Entschädigung für den harten Tag unter der Herrschaft von Irina Stepanowna Karussell, brachte unserer Nach­barin die versprochenen Pflaumen und wärmte dann zu Hause das Abendessen auf, zu dem Mama meistens nicht erschien.

»Warum arbeitest du so viel, Lena?«, nörgelte Papa. »Und das für hundertzehn Rubel! Du kannst ja noch nicht mal was abgreifen nebenbei.«

»Die Maschine ist nun mal unbestechlich«, erwiderte meine Mutter.

»Wen oder was koordinierst du denn da immer so lange? Ich kenne keinen Maler in ganz Weißrussland, der nach vier noch arbeitet, geschweige denn in nüchternem Zustand, und schon gar nicht mitten im Winter!«

»Wir sind in einer wichtigen Projektphase«, setzte meine Mutter ihm entgegen. »Ich kann das Genörgel nicht mehr hören. Ich mache meine Arbeit, basta. Vielleicht solltest du mit der Kleinen zu deiner Mutter fahren, bevor ich dein Kopfkissen so umprogrammiere, dass es auf dem Klappbett in der Abstellkammer landet.«

Damit war die Diskussion beendet.

Wir waren nicht die Ersten, die bei Oma Anna eintrafen. Omas Lieblingsnichten Galina und Ina aus Kiew waren schon da, mit den jeweils dazugehörigen Ehemännern sowie geborenen und ungeborenen Kindern im Schlepptau. Ich verbrachte meine Tage auf dem Teppich vor dem brutzelnden Kamin, wo ich mit dem Nachbarsmädchen Olga, einem Stehaufmännchen, einer Puppe mit Haarausfall und einem dreibeinigen Pony Vater-Mutter-Kind spielte, auch wenn wir uns nicht immer einig darüber waren, ob das Pony als Baby durchging oder doch eher die Hauskatze war. Im Gäste­zimmer nebenan lieferten sich mein Cousin Ilja und ein Nachbarsjunge eine erbitterte Schlacht im Schiffeversenken. Hochkonzentriert beugten sie sich über die Weltenmeere in ihren karierten Heften.

»B-vier«, sagte der Junge.

Ilja machte ein gequältes Gesicht.

»B-fünf, B-sechs, B-sieben. Hab dein größtes Schiff versenkt.«

»Du hast geschummelt!« Ilja schmiss das Heft hin. Er rannte aus dem Zimmer und stolperte über das Stehaufmännchen (den Vater). Das Stehaufmännchen schlug mit dem Kopf auf den Teppich und schnalzte sofort wieder hoch. Ilja machte es ihm nach.

»Ey!«, rief meine Freundin. »Du musst dich bei Papi entschuldigen! Du hast ihm wehgetan.«

Ilja dachte nicht daran, er griff sich das Pony (in diesem Moment das Kind) und rannte damit weg. Olga und ich stürzten hinterher.

»Gib unser Kind zurück!«, kreischten wir. »Es ist krank und muss verarztet werden. Gib es zurück!«

»Das ist doch kein Kind«, spottete Ilja und hielt das Pony hoch, sodass wir nicht drankamen. »Das ist ein verkrüppelter Esel.«

»Du lügst, du lügst!«, kreischten wir noch lauter. »Gib unser Kind zurück!«

Ilja lief in die Küche und versteckte sich hinter seiner großen Schwester Mila, die gerade dabei war, Oma Anna anzuschreien.

»Ich rolle den Teig, wie ich will, sonst kannst du es auch selbst machen! Und überhaupt, hör auf, mir in mein Leben reinzureden. Vielleicht will ich gar nicht auf die Ingenieurshochschule, sondern mache eine Ausbildung zur Friseurin. Du hast mir nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter.«

»Nicht deine Mutter, wie kannst du es wagen!«, schrie Oma Anna zurück und schlug mit einem nassen Handtuch auf Mila ein. »Wer hat dich großgezogen! Wer hat dir das Rechnen beigebracht! Und du kannst es doch so gut! Nicht auf die Hochschule! Schäm dich, verschwinde!«

»Hört auf, euch zu streiten!«, schrie Tante Galina aus dem Wohnzimmer, ohne den Blick vom Bügelbrett zu heben.

»Oma, Oma, Ilja hat unser Kind entführt!«, schrien das Nachbarsmädchen Olga und ich.

»Hör auf, Mila zu hauen!«, schrie Ilja Oma an, woraufhin Oma mit dem nassen Handtuch auf ihn einprügelte.

»Hör auf, den Kleinen zu hauen!«, schrie Mila und versuchte, das Handtuch zu packen.

»Auaaaaaa!«, schrie Ilja mit etwas Verspätung.

»Wenn ihr so schreit, wird das Baby ganz unruhig«, sagte Tante Ina und fasste sich an den Bauch, doch niemand hörte sie, weil sie nicht schrie.

»Was sollen wir jetzt...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auswanderung • Debüt • Europa • Familie • Juden • Judentum • Migration • Odyssee • Roman • Russland • Sowjetunion • Weißrussland • Westen
ISBN-10 3-8437-0924-6 / 3843709246
ISBN-13 978-3-8437-0924-8 / 9783843709248
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