Doitscha (eBook)

Eine jüdische Mutter packt aus
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30839-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Doitscha -  Adriana Altaras
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Im Tohuwabohu zwischen »Germany's next Topmodel« und Bar-Mizwa - das neue Buch von Adriana Altaras David wäre gerne Israeli. Er ist nicht nur hochbegabt, sondern auch hochpubertär und raunzt seinen westfälischen Vater beim Abendessen regelmäßig mit »Ey, Doitscha« an, was ebenso regelmäßig zum familiären Eklat führt. Deutscher zu sein, ist keine einfache Sache, gesteht Adriana Altaras, erst recht nicht in einer jüdischen Familie ...Mit Aaron, Davids Patenonkel, ist Adriana Altaras seit ihrer Jugend befreundet. Sie wollten damals auswandern nach Israel, das für sie ähnlich verlockend war wie für die Surfer Hawaii. Doch sie blieben und nutzten das schlechte Gewissen der Deutschen, um umsonst Bahn zu fahren oder schulfrei zu bekommen. Als Aaron stirbt, spitzt sich der Generationenkonflikt in der Familie Altaras zu. David hält nichts mehr in Berlin, er verabschiedet sich kurzerhand ins Gelobte Land, und die Erzählerin reist hinterher - auf der Suche nach dem verlorenen Sohn zwischen Klagemauer, Kibbuz und See Genezareth.In Titos Brille, von den Lesern geliebt und von der Presse gefeiert, hat sich die Autorin der Geschichte ihrer Vorfahren gewidmet. Leidenschaftlich, mitreißend und witzig erzählt sie nun mitten aus dem jüdischen Leben heute in Deutschland. Vom Jüngsten, der lieber »Germany`s next Topmodel« sähe, als zuzuschauen, wie sich seine Mutter in Talkshows über die Beschneidung und die »schönen Schmocks« ihrer Söhne auslässt. Von tragikomischen Identitäts- und Religionskonflikten, die sich an einer rissigen Salatschüssel entzünden, von unkonventionellen Gedenkreden, vom Erben und Vererben. Und nicht nur das: Die ganze Familie kommt zu Wort, das ganze Tohuwabohu. Ein kluges, faszinierendes und vielstimmiges Porträt jüdisch-deutscher Gegenwart und ein unvergessliches Buch über Familie in all ihren tröstlichen und irrsinnigen Facetten.

Adriana Altaras wurde 1960 in Zagreb geboren, lebte ab 1964 in Italien, später in Deutschland. Sie studierte Schauspiel in Berlin und New York, spielte in Film- und Fernsehproduktionen und inszeniert seit den Neunzigerjahren an Schauspiel- und Opernhäusern. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Bundesfilmpreis, den Theaterpreis des Landes Nordrhein-Westfalen, den Silbernen Bären für schauspielerische Leistungen und den Deutschen Hörbuchpreis. 2012 erschien ihr Bestseller »Titos Brille«, 2014 folgte »Doitscha - Eine jüdische Mutter packt aus«, 2017 »Das Meer und ich waren im besten Alter«, 2018 »Die jüdische Souffleuse« und 2023 »Besser allein als in schlechter Gesellschaft«. Adriana Altaras lebt in Berlin.

Adriana Altaras wurde 1960 in Zagreb geboren, lebte ab 1964 in Italien, später in Deutschland. Sie studierte Schauspiel in Berlin und New York, spielte in Film- und Fernsehproduktionen und inszeniert seit den Neunzigerjahren an Schauspiel- und Opernhäusern. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Bundesfilmpreis, den Theaterpreis des Landes Nordrhein-Westfalen und den Silbernen Bären für schauspielerische Leistungen. 2012 erschien ihr Bestseller »Titos Brille«. 2014 folgte »Doitscha – Eine jüdische Mutter packt aus«, 2017 »Das Meer und ich waren im besten Alter«. Adriana Altaras lebt mit ihrer Familie in Berlin.

mini-golfer


sammy

Echt? Die Polizei war da? Heute Nacht? Und ich habe nichts gehört. Mist. Ich hab geschlafen. Waren die in Schusswesten? Sondereinsatzkommando? Haben die geschossen? Ist das cool! Und ich schlafe! Aber mein Bruder macht ständig Remmidemmi, da kann man sich ja nicht immer den Wecker stellen, oder?

Mama sagt, David und ich würden uns sehr ähnlich sehen und deshalb hätte sie nicht noch mehr Kinder bekommen, denn es liefe ja wohl immer auf das Gleiche hinaus. In den alten Fotoalben finde ich auch, dass wir gleich aussehen, so mit Wollleibchen und so. Aber da sehen ja alle gleich aus. Alle Babys, die auf dem Bauch liegen, sehen aus wie Babys, die auf dem Bauch liegen. Oder wie kleine Robben. Und bei den Fotos von der Beschneidung ist es derselbe Mohel, meine Mutter ist genauso verheult, und Papa gräbt auf fast allen Fotos irgendwie in Blumentöpfen die Erde um. Er hat mir erklärt, dass er da gerade die Vorhaut auf dem Balkon verstaut. Das gehöre sich so. Also ist auch da alles gleich.

Aber innerlich sind wir nicht gleich, mein Bruder und ich. Gar nicht.

David ist megaeitel. Okay, er sieht super aus, mit Sixpack und so. Aber ich bin viel sympathischer, sagen alle. Bei Getränke Hoffmann, wo ich immer im Türrahmen meine Größe messe, sagen die Jungs, David sei der Schönling und ich der Sympathieträger.

David hat zweimal eine Klasse übersprungen, ich nur einmal. Echt, der muss immer übertreiben. Aber seine Intelligenz ist kalt, und ich habe viel mehr Einfühlungsvermögen, sagt Oma immer. Er weiß ja noch nicht mal, wie der Frühling riecht. Wetten?!

Mama, die auf einer Waldorfschule war, sagt, die Antosopofen behaupten, man suche sich die Familie aus, in die man hineingeboren werden möchte. Das glaube ich nicht. Manchmal glaube ich nämlich, ich würde woanders viel besser reinpassen. Vielleicht ist ja bei mir ein Fehler passiert?

Mama sagt, sie und Papa hätten mit einem Hund geprobt. Es wäre ganz einfach gewesen, dem Hund »Toter Mann« beizubringen. Wenn das so leicht geht mit der Erziehung, dachten sie, kann man auch eine Tochter bekommen. Die Tochter war ein Sohn und machte alles, nur nie »Toter Mann«. Nach ein paar Jahren erinnerten sie sich nicht mehr an die Anstrengungen, sagt Mama. Sie wurde wieder schwanger, und David wurde von mir entthront, was er mir bis heute übel nimmt.

Ich weiß, es klingt ein bisschen komisch, aber nirgends kann ich hingehen, ohne dass ich etwas geschenkt bekomme. Lollis, Schokolade, Freitickets, Fußbälle. Ich lächele, und die Welt liegt mir zu Füßen. Is so.

David beobachtet das, klaut von meinen Süßigkeiten, kapiert aber nichts. Wozu dann zwei Klassen überspringen, wenn man so einfache Sachen nicht begreift? Wie kann man so schlau und gleichzeitig so blöd sein?

Gestern zum Beispiel war wieder Krieg beim Abendessen: Papa und David brüllen sich tierisch an wegen irgendwelcher Präsidenten. Mama schiebt die Gläser in die Mitte des Tisches, wir haben nicht mehr viele … Es gibt Kartoffelpüree, eins meiner Lieblingsessen, ich nehme mir unbemerkt das letzte Schnitzel, grinse zu meiner Mutter rüber, schon mal den Begriff Stratelogie gehört? David bräuchte nur zu lächeln und zu nicken, und wir wären beim Nachtisch und könnten schnell zurück an den Computer. Wieso kann er das nicht?

Papa hat gesagt, dass Mama, als ich noch ein Kleinkind war, jedem erzählt hat, ich müsse wohl behindert sein, so fröhlich, wie ich immer sei. Danach habe sie besonders laut hinzugefügt: »So etwas darf man in Deutschland aber nicht einmal denken, bei der Vergangenheit ist das ganz klar politisch inkoherrent.«

Ich bin einfach zufrieden. Ist das so schlimm?

Wenn wir schon dabei sind: Ja, ich mag Kirchen, noch lieber Kathedralen, Backen finde ich gut, und ich habe mich in der Schule freiwillig für Latein und Griechisch entschieden. Französisch ist komplett out. Außer in Afrika, aber da lebe ich ja nicht. Mein Zimmer ist ordentlich, meine T-Shirts sind gefaltet. David sagt: Peinlich! Was bitteschön ist daran peinlich? Warum soll es cool sein, wenn das Zimmer aussieht wie bei den Messies von RTL? Vor dem Schlafen lege ich meine Anziehsachen für den nächsten Tag raus. Reine Organisation, David. Dann geht’s morgens schneller, Penner! Im Grunewald spiele ich Hockey, in Wilmersdorf Geige, ich frage Mama, wie es ihr geht, und finde ihr Kleid hübsch. Allerdings werde ich nächste Woche von Geige auf Trompete wechseln, Big-Band statt Orchester, klingt cooler, oder?

Bin ich deutscher als David? Vielleicht mehr als fünfzig Prozent? Vertauscht bei der Geburt im Martin-Luther-Krankenhaus? Bin ich ein heimlicher Nachkomme der von Weizsäckers? Das waren nämlich die guten Deutschen, auch bei den Nazis – allerdings nicht ganz unumstritten –, machen wir gerade in Geschichte.

Keine Ahnung, ich hab’s einfach leichter. Ehrlich. David sagt, er hätte es sauschwer gehabt als Erstgeborener, er durfte erst nach der Einschulung sein erstes Kaugummi kauen. Bitter! Ich hatte schon eins, da wurde ich noch gestillt. Ähnlich war’s mit Fernsehgucken, Cola, Döner. Warte ab, sagen Mamas Freundinnen, noch ist Sammy klein, aber wenn er erst mal fünfzehn wird … Aber egal, wie ich werde, ich werde nie wie David, klar?!

Was ich aber eigentlich wirklich erzählen wollte, ist: Am allermeisten liebe ich Minigolf!

Ich kenne die Öffnungszeiten der Anlage auswendig. Heute ist Mama fällig, auch wenn es nicht ihr Lieblingssport ist. Sie kommt abgehetzt von ihrer Therapeutin, sie sagt, sie zahlt fünfundneunzig Euro die Stunde, und die Therapeutin würde die ganze Zeit schweigen. Dafür hat sie aber einen Doktortitel und ewig lange studiert. Mama ist entweder in der Therapie oder im Theater. Jedenfalls murmelt sie jetzt etwas von »ist heute nicht mein Tag«.

Ist es nie beim Minigolf. Ich treffe meistens mit ein bis drei Schlägen. Mama bekommt schon in der ersten Runde sieben Punkte, denn wenn man es mit sechs Schlägen nicht geschafft hat, gilt die Höchststrafe: sieben Punkte. Sie ist daran gewöhnt zu verlieren, auch bei Memory, Kicker und Billard.

Ich hasse es, wenn sie versucht, ein Loch auszulassen, wie jetzt schon wieder. Papa sagt, Mama sei regelresistent. »Mama! Wozu gibt es denn Regeln, wenn man sie nicht ernst nimmt?«

»Du bist deutscher als dein Vater. Ob das an Wagner liegt?«

»Mama, nicht schon wieder Wagner!«

»Nicht alles liegt an Wagner, so wichtig ist er auch nicht, aber deine germanische Ader ließe sich auf ihn zurückführen, du weißt doch, bei deiner Geburt …«

Nicht schon wieder diese Geschichte! Es ist nicht zu fassen. »Hab ich dir, glaube ich, schon mal erzählt. Als dein Bruder geboren wurde, musste ich das erste Mal notoperiert werden, er war vierzehn Tage überfällig und passte nicht durch, schließlich zog man ihn raus, ob er wollte oder nicht.«

Ich finde es ekelig, wenn Mama mir solche Sachen erzählt, und dann auch noch so laut, dass es bis Loch fünfzehn zu hören ist.

»Ich hatte ja schon immer den Verdacht, dass das mit dem natürlichen Gebären eine Farce ist. Kaiserschnitt ist in Deutschland verpönt, zumindest in bestimmten Kreisen. Eine deutsche Frau kann von klein auf Marmelade einkochen, Homöopathie und natürlich gebären. Ich kann nichts davon.«

Argh! Gleich wird sie in aller Ausführlichkeit vor allen anderen Minigolfspielern über meine Geburt sprechen. Wetten? Wie ich das hasse! »Mama! Du bist dran!«

»Nicht vor Monatsende rausholen, hatte meine Astrologin warnend bei dir verkündet. Erst ab dem Einunddreißigsten, zwölf Uhr, wird er zu einem glücklichen Menschen.«

Hab ich’s nicht gesagt?!

»Der Kreißsaal war vorbereitet, alle Anwesenden in lindgrünen OP-Kitteln, ich hatte schon das Plastikhäubchen auf, als ein Notfall hereingebracht wurde. Ich wurde mit meinem dicken Bauch zurück auf den Flur geschoben, wo ich festgezurrt auf der Liege warten sollte. Und jetzt kommt’s. Um mich abzulenken, fiel deinem Vater nichts Besseres ein, als mich über Wagner aufzuklären. Und ich schwör dir, das hat dich mehr geprägt als jedes meiner jüdischen Gene!«

Mama merkt gar nicht, dass ich schon drei Löcher Vorsprung habe … Sie redet einfach weiter, wahrscheinlich um zu überspielen, dass sie noch kein einziges Loch ohne Strafpunkte geschafft hat. Gleich wird sie wieder versuchen zu schummeln. Aber ich pass auf wie ein Luchs.

»Wagner war ein merkwürdiger Typ. Ein Genie wahrscheinlich, aber ganz sicher ein Riesenarschloch. Trotz seiner Begabung ein unsicherer Mensch. Konkurrenz konnte er nicht ertragen. Er wollte Erfolg haben wie Meyerbeer, wie Mendelssohn … dummerweise alles Juden. Aus dem Exil heraus arbeitete er zäh daran, sich eine Gemeinde zu schaffen. Seine Musik sollte man nicht nur hören und gut finden, man sollte an sie glauben. Als Gegenleistung würde er seine Anhänger mit seiner Kunst aus dem schnöden und gemeinen Leben herausführen, sie zu Höherem erlösen. Das kam den Deutschen in ihrer großen Sehnsucht nach Glauben und Erlösung sehr entgegen. Es gibt in seiner Musik Momente von großem Zauber. Der Mann hat halt komponiert wie niemand vor ihm …«

Mama brüllt inzwischen über vier Löcher hinweg, damit ich sie auch gut hören kann. Wenn es einen Guinness-Rekord für peinliche Mütter gäbe, wäre meine auf Platz 1: Germany’s Next Topmutti.

»Was hätte er für schöne Ensembles schreiben können! Stattdessen immer wieder unendlich lange Soli. Manisch. Monomanisch. Zutritt nur für Eingeweihte. Rudolf Steiner nicht unähnlich, mit Stefan George vergleichbar. Der Deutsche braucht Jüngerschaft, jedes rätselhafte Wort...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2014
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Altaras • Deutschland • Familie • Generationen • Generationenkonflikt • Heimat • Identität • Identitätskonflikt • Jüdisch • Jüdisches Leben in Deutschland • Konflikt • Leben • Titos Brille
ISBN-10 3-462-30839-4 / 3462308394
ISBN-13 978-3-462-30839-6 / 9783462308396
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