Das Buch der verbrannten Bücher (eBook)

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2015 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30963-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Buch der verbrannten Bücher -  Volker Weidermann
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Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933: Wie es dazu kam, welche Bücher verbrannt wurden und was mit den Autoren geschahNach dem überwältigenden Erfolg von Lichtjahre, seiner kurzen Geschichte der deutschen Literatur nach 1945, wendet Volker Weidermann den Blick zurück auf den Tag, an dem in Deutschland die Bücher brannten. Seine Mission: diese Bücher, diese Autoren dem Vergessen entreißen! Es wurde angekündigt als »Aktion wider den undeutschen Geist«: Die akribische landesweite Vorbereitung gipfelte am 10. Mai 1933 in der Errichtung von Scheiterhaufen in vielen deutschen Städten, auf die dann Studenten, Bibliothekare, Professoren und SA-Leute in einer gespenstischen Feierstunde die Bücher warfen, die nicht mit ihrer menschenverachtenden Ideologie vereinbar waren. Unvergessen die Tonbandmitschnitte, die dokumentieren, wie Joseph Goebbels auf dem Platz neben der Berliner Staatsoper mit den Worten »Und wir übergeben den Flammen die Werke von ...« die einzelnen Autoren aufrief, von denen einige sogar anwesend waren. Volker Weidermann erzählt, wie dieser Tag verlief, an dem es trotzig regnete, er erzählt von dem Bibliothekar Herrmann, der die Urliste aller Listen erstellte, nach denen dann die Scheiterhaufen bedient wurden, und er erzählt von den Werken und ihren Autoren - und davon, wie willfährige Buchhändler und Bibliothekare die Bücher aus ihren Regalen entfernten, so gründlich, dass viele Werke und Autoren danach nicht wieder zum Vorschein kamen. Das Ergebnis sind über 100 Lebens- und Werkgeschichten von Schriftstellern, darunter neben Klassikern wie Kästner, Tucholsky, Zweig, Brecht und Remarque auch völlig vergessene wie Rudolf Braune, ausländische Autoren wie Ernest Hemingway, und sehr viele, wie z.B. Hermann Essig, die unbedingt wiedergelesen werden sollten. Ein Buch über Bücher, Schicksale und ein Land, in dem zuerst Bücher verbrannt wurden und dann Menschen.  

Volker Weidermann, geboren 1969 in Darmstadt, war Gastgeber des »Literarischen Quartetts« im ZDF. Er ist Kulturkorrespondent der Zeit und Autor zahlreicher Bücher, darunter »Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen« und »Mann vom Meer«. Außerdem ist er Herausgeber der Reihe »Bücher meines Lebens«.

Volker Weidermann, geboren 1969 in Darmstadt, war Gastgeber des Literarischen Quartetts im ZDF. Seit 2021 leitet er das Feuilleton der Zeit. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u. a. »Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft« und »Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen« und Herausgeber der Reihe »Bücher meines Lebens».

Inhaltsverzeichnis

1 Die fantastischen 3


Hermann Essig – schwäbische Existenzialfantasien und eine endgültige Abrechnung mit der Berliner Kunstszene. Gustav Meyrink – Prager Bankiers-Exzentrik und der Blick durch das Loch im Himmel. Alexander Moritz Frey – das Pech, mit Hitler im Graben zu liegen

Am Ende hatte er alles verspielt. Seine Stücke wurden nicht mehr aufgeführt, seine letzten Unterstützer wandten sich von ihm ab, der Erste Weltkrieg ging zu Ende, und der schwäbische Dichter Hermann Essig (1878–1918) aus Truchtelfingen auf der Alb starb an den Folgen einer Lungenerkrankung in Berlin. Ein allerletzter großer Freund seiner Kunst hielt eine bewegende Trauerrede. Herwarth Walden, der Gründer der Zeitschrift Der Sturm, der Essigs Werke in den letzten Jahren verlegt hatte, sprach davon, dass einzig Hermann Essig es wert sei, neben dem großen Heinrich von Kleist als »Dichter der Wirklichkeit« genannt zu werden, er schwärmte von seinem Genie und klagte die Welt an, dies nicht erkannt zu haben. Er schloss dramatisch: »Wir glauben an dich, Hermann Essig. Wir lieben dich, da du uns lebtest. Du lebst uns. Du lebst der Erde. Deine Kunst ist in der Welt.« Nur ein Jahr später waren auch von Herwarth Walden nur noch böse und verachtungsvolle Worte über den schwäbischen Theaterkönig zu hören. Denn gerade, postum, war Essigs erster und einziger Roman erschienen: Der Taifun (1919). Und dieser Taifun war nichts anderes als eine nur wenig verschlüsselte Abrechnung mit dem »Sturm« und seinem Leiter – Herwarth Walden. Dieser erklärte tief verletzt: »Essig hat mich bis wenige Stunden vor seinem Tod seinen Freund genannt. Nach seinem Tode ist ein Roman veröffentlicht worden. Ein mißglückter Versuch, aus naturalistischer Darstellung zu künstlerischer Gestaltung zu gelangen, die Tragödie einer unfertigen Künstlerschaft mit der Wirkung übermenschlicher Gemeinheit.«

Gemein – oh ja, aber mit seiner künstlerischen Wertung hatte Walden in diesem Falle gar nicht recht. Denn wenn etwas von Hermann Essig bleiben muss, dann ist es dieser Roman, der eine Kunstbewegung zeigt, entschlossen, sich die ganze, große, kunstverrückte Hauptstadt untertan zu machen. Eine Bewegung, die durch Scharlatanerie, unendliches Selbstbewusstsein und ein wenig künstlerisches Können eine Stadt im Kunsttaumel verzaubert, keine Moralvorstellungen zu akzeptieren scheint und in Wahrheit doch nur einer kleinen Spießermoral verpflichtet ist. Es ist eine Freude, dem fabulierenden Essig dabei zu folgen, wie er die kaum verschlüsselten Protagonisten der Gruppe, Franz Marc, Marc Chagall, Else Lasker-Schüler, auch den dichtenden Arzt Alfred Döblin und vor allem natürlich Herwarth Walden bei ihren Geschäften, ihren Selbstüberhebungen und ihren sexuellen Sonderbarkeiten beobachtet. Ein Kunstexzess, der sich immer weiter steigert, alle wissen, dass die große Kunstblase bald, sehr bald schon platzen wird. Und am Ende des immer weiter gesteigerten Abstraktionsideals verkaufen die Künstler vom Taifun unsichtbare Bilder. Ein Scherz, mit dem Yasmina Reza noch achtzig Jahre später die Theatersäle der Welt füllte. Und auch sonst liest sich das Buch über all die grotesken Auswüchse eines überhitzten Kunstmarktes erstaunlich gegenwartsnah.

Ganz anders Essigs Theaterstücke, die zunächst gar nicht gespielt, später dann bei der Bühneninszenierung entweder von der Zensur verboten oder von einem aufgebrachten Publikum niedergeschrien wurden. Nicht wenige Aufführungen endeten in Saalschlachten. Es sind groteske Volksstücke, Horrormärchen, die vor allem an Drastik nichts aussparen. Was an sexuellen Möglichkeiten denkbar war – Essig brachte es auf die Bühne, Gruppensex, Sodomie, Fernsex, Sadismus. Essig kannte es und ließ es spielen. Aber die Stücke waren dabei so unstrukturiert, ausladend, chaotisch, stilunsicher und wunderlich, dass sie auch das avancierteste Publikum eher verschreckten.

Dazu kam Essigs schwieriger Charakter. Von Paul Cassirer, der seine ersten Stücke druckte und die erste Inszenierung des Stücks Glückskuh (1911) erfolglos auf die Bühne brachte, distanzierte er sich. Jener sei schuld an seinem Misserfolg, und Essig brachte die Stücke lieber im Selbstverlag heraus. Er hatte auf dem Gipfel seiner Karriere mächtige Fürsprecher – Alfred Kerr, Arthur Eloesser und Franz Blei lobten seine Stücke und erreichten, dass Essig als einziger Künstler zweimal in Folge den renommierten Kleist-Preis erhielt. Doch die ausbleibende künstlerische Entwicklung und eine scheinbar grenzenlose Selbstüberschätzung brachten auch seine letzten Unterstützer von ihm ab. Essig, der im Herzen konservative, heimatverbundene Schwabe von der Alb, las erklärtermaßen keine zeitgenössische Literatur, ging nicht ins Theater, verweigerte sich dem ganzen Betrieb, und als er zum ersten Mal einen Blick in die Werke Nietzsches warf, soll er erklärt haben, all das selbst schon viel besser und schärfer gedacht zu haben, heute aber sei dieses Denken längst obsolet. Eloesser schrieb in seiner Literaturgeschichte über Essig: »Es fehlte ihm an Urteil, an Geschmack, und er verzerrte seine Anekdoten, über die er selbst gewiß am meisten gelacht hat, in eine Skurrilität, die schließlich keine Lustigkeit mehr abgab.« Und Franz Blei hielt in seinem Bestiarium der modernen Literatur fest: »ESSIG. Das wurde am Ende aus einem gut duftenden kleinen schwäbischen Landwein, als die Flasche ungetrunken, aber offen, zu lange auf einem Berliner Schanktisch der Kaschemme ›Zum Sturm‹ stand.«

Seinen größten Erfolg hat er nicht mehr erlebt. Der Taifun war einer der ersten Bestseller der neuen Republik. Er hat ihn seinen letzten Freund gekostet. Essig und sein Werk waren eigentlich schon fast vergessen, als die Nazis es im Mai, fünfzehn Jahre nach seinem Tod, in Flammen aufgehen ließen.

 

Als Bankier begann er sein Berufsleben. Als Bankier in Prag, mit eigener Bank und – einem sehr eigenen Stil. Gustav Meyrink (1868–1932), der eigentlich Gustav Meyer hieß und als uneheliches Kind der Hofschauspielerin Maria Meyer und des Staatsministers Karl von Varnbüler in Wien geboren wurde. Der Makel der illegitimen Abstammung hat ihn lange Zeit geschmerzt. Er sollte später der Auslöser dafür werden, dass er sein bürgerliches Leben gegen das des fantastischen Schriftstellers, Zeichensuchers, Drogenfreundes und Neue-Welten-Suchers eintauschte. Doch antibürgerlich, bohemienhaft und äußerst sonderbar war er schon früh. Er war das Glanzstück unter den Prager Bankiers, der Wundermann, der Spötter und Geschichtenerzähler, König des Nachtlebens. Karl Wolfskehl schrieb über ihn: »Er war eine völlig neuzeitliche Erscheinung, ein soignierter Yogi, ein Eremit mit guten Manieren.« Seine Wohnung war voll mit den absonderlichsten Möbelstücken, Max Brod, der ihn bewunderte, kam bei seinem ersten Besuch in dessen Wohnung aus dem Staunen nicht mehr heraus. Meyrink trug grelle Krawatten, ausgefallene Anzüge, hypermodernes Schuhwerk, er hielt sich überzüchtete Hunde, einen ganzen Zwinger weißer Mäuse und jede Menge exotische Haustiere. Die andere Seite der Welt hat er schon früh entdeckt, hatte den Blick durch »das Loch im Himmel«, wie er es nannte, gewagt, in eine Welt jenseits unserer Begriffe. Es war 1893, aus Liebeskummer wollte er sich töten, »die Fahrt über den Styx antreten«, wie er schreibt. Der Abschiedsbrief an die Mutter ist geschrieben, da raschelt es an der Tür, und es erscheint ihm der Mann, den er seitdem »den Lotsen mit der Tarnkappe nennt«, und schiebt ein Buch mit dem Titel »Über das Leben nach dem Tode« unter der Tür hindurch. Meyrink legt den Revolver für immer beiseite und beschließt, ab sofort nicht mehr an Zufälle zu glauben. Er sucht das Leben jenseits des Lebens, wendet den Blick nach innen, versucht alle bekannten Drogen in zum Teil unglaublichen Mengen, setzt sich stundenlang in bitterer Kälte auf eine Bank an der Moldau und wartet, bis die erhoffte Vision endlich kommt. Er unternimmt alles, um Neues zu erleben, zu einer tieferen Wahrheit vorzudringen. »Dann führte ich durch drei Monate das Leben eines beinahe Wahnsinnigen, aß nur Vegetabilien, schlief nicht länger als drei Stunden in der Nacht, genoß zweimal täglich einen in Wassersuppe aufgelösten Eßlöffel voll Gummi Arabicum (dies sollte besonders wirksam sein zur Entwicklung des Hellsehens!), machte um Mitternacht schmerzhafte Asana-Stellungen mit verschränkten Beinen, dabei den Atem anhaltend, bis schaumiger Schweiß meinen Körper bedeckte und der Tod des Erstickens mich durchrüttelte.«

Ein Bankier, dem die Menschen vertrauen. Selbst seine Schriftstellerkollegen wie etwa Roda Roda werden später über ihn sagen, er sei in Geldangelegenheiten von grenzenloser Naivität gewesen. Trotzdem wäre das mit seinem bunten Bankiersleben in Prag wohl noch eine Weile so weitergegangen, wenn nicht eines Tages ein junger Offizier der Reserve auf offener Straße Meyrinks Frau den Gruß verweigert hätte. Meyrink war außer sich, forderte den Offizier zum Duell, was dieser mit dem Hinweis auf Meyrinks unstandesgemäße Geburt zurückwies. »Nicht satisfaktionsfähig« – was für ein Schlag. In Wahrheit hatte der junge Offizier natürlich nur furchtbare Angst vor diesem Duell, denn Meyrink duellierte sich gern und oft und auch wegen Kleinigkeiten. Einmal soll Meyrink sogar die mit ihm verbündeten höheren Mächte zu Hilfe gerufen haben. Er vergrub am vereinbarten Platz ein Hühnerei unter einem Holunderbusch, um auf die Dämonenwelt vor Ort einzuwirken. Noch...

Erscheint lt. Verlag 11.6.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 10. Mai 1933 • Autoren-Verfolgung • Belletristik • Bucherverbrennung • Bücher-Verbrennung • Deutschland • Kiepenheuer & Witsch • Lichtjahr • Liste • Literatur-Vernichtung • Nationalsozialismus • Roman • Scheiterhaufen • Schicksale • Werke
ISBN-10 3-462-30963-3 / 3462309633
ISBN-13 978-3-462-30963-8 / 9783462309638
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