Schnee auf dem Kilimandscharo (eBook)

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2015 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-04781-5 (ISBN)
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Hemingways beste Kurzgeschichten in neuer Übersetzung Ein alter Mann flüchtet vor der Nacht und der Einsamkeit in ein gut beleuchtetes, sauberes Café. In einem Kinderzimmer wartet ein kleiner Junge einen ganzen Tag lang auf den Tod. In einem Krankenhaus wird ein Radio zum Tor der Welt, und in der afrikanischen Steppe kämpft ein Mann gegen die Angst vor dem Löwen und um seine Ehre. Hemingways Protagonisten sind so verletzlich wie stark, scheren sich wenig um Konventionen, sind einsam, aber nie allein. Sie sind stolze Versehrte, die immer Haltung bewahren, auch im Angesicht des Todes. Diese Edition mit Neuübersetzungen von Werner Schmitz folgt in ihrer Auswahl der amerikanischen Ausgabe von 1961. Jede der zehn Erzählungen ist eine präzise Miniaturaufnahme voller Gleichmut und stiller Komik. Große, existenzielle Fragen liegen in der Luft, ohne dass sie direkt gestellt werden. Mit seiner klaren, verknappten Sprache und seinen lebensnahen Stoffen schuf Hemingway einen vollkommen neuen Ton des Erzählens. Die kurzen Dialoge etwa lassen die Abgründe der Figuren erahnen, es gilt Hemingways Eisberg-Theorie: Nur zehn Prozent einer Geschichte sollten sichtbar sein.

Ernest Hemingway, geboren 1899 in Oak Park, Illinois, gilt als einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In den zwanziger Jahren lebte er als Reporter in Paris, später in Florida und auf Kuba; er nahm auf Seiten der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teil, war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis, 1954 den Nobelpreis für Literatur. Hemingway schied nach schwerer Krankheit 1961 freiwillig aus dem Leben.

Ernest Hemingway, geboren 1899 in Oak Park, Illinois, gilt als einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In den zwanziger Jahren lebte er als Reporter in Paris, später in Florida und auf Kuba; er nahm auf Seiten der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teil, war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis, 1954 den Nobelpreis für Literatur. Hemingway schied nach schwerer Krankheit 1961 freiwillig aus dem Leben. Werner Schmitz ist seit 1981 als Übersetzer tätig, u. a. von Malcolm Lowry, John le Carré, Ernest Hemingway, Philip Roth und Paul Auster. 2011 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis. Er lebt in der Lüneburger Heide.

Schnee auf dem Kilimandscharo


«Das Erstaunliche ist, dass es schmerzlos ist», sagte er. «Daran erkennt man, wenn es losgeht.»

«Tatsächlich?»

«Allerdings. Aber der Gestank tut mir furchtbar leid. Der ist dir bestimmt sehr lästig.»

«Hör auf. Bitte, hör auf!»

«Sieh sie dir an», sagte er. «Ist es nun unser Anblick oder der Geruch, der sie anlockt?»

Das Feldbett, auf dem der Mann lag, stand im breiten Schatten einer Mimose, und als er über den Schatten hinaus in die flirrende Ebene blickte, hockten dort in obszöner Haltung drei dieser großen Vögel, und am Himmel kreisten ein Dutzend weitere und warfen schnell dahinjagende Schatten.

«Die sind hier seit dem Tag, als der Wagen kaputtgegangen ist», sagte er. «Heute haben sich zum ersten Mal welche auf dem Boden niedergelassen. Anfangs habe ich ihr Flugverhalten noch sehr sorgfältig beobachtet, für den Fall, dass ich sie mal in einer Erzählung verwenden will. Jetzt muss ich darüber lachen.»

«Hör auf», sagte sie.

«Ich rede doch nur», sagte er. «Das Reden macht es mir leichter. Aber ich will dir nicht auf die Nerven gehen.»

«Du weißt, es geht mir nicht auf die Nerven», sagte sie. «Ich bin nur so unruhig, weil ich nichts tun kann. Ich finde, wir sollten es uns so angenehm wie möglich machen, bis das Flugzeug kommt.»

«Oder bis das Flugzeug nicht kommt.»

«Bitte sag mir, was ich tun kann. Es muss doch etwas geben, das ich tun kann.»

«Du kannst mir das Bein abschneiden; vielleicht hilft das, obwohl ich da eher skeptisch bin. Oder du kannst mich erschießen. Du bist jetzt eine gute Schützin. Hab ich dir nicht das Schießen beigebracht?»

«Bitte red nicht so. Kann ich dir nicht was vorlesen?»

«Was denn?»

«Irgendwas aus der Büchertasche, was wir noch nicht gelesen haben.»

«Ich kann nicht zuhören», sagte er. «Reden ist das Einfachste. Wir vertreiben uns die Zeit mit Zanken.»

«Ich zanke nicht. Ich will mich niemals zanken. Lass uns damit aufhören. Egal, wie nervös wir werden. Vielleicht kommen sie noch heute mit einem anderen Wagen. Oder das Flugzeug kommt.»

«Ich will hier nicht weg», sagte der Mann. «Es hat keinen Sinn, von hier wegzugehen, außer, um es dir leichter zu machen.»

«Das ist feige.»

«Kannst du einen Mann nicht in Ruhe sterben lassen, ohne ihn zu beleidigen? Wozu musst du mich beschimpfen?»

«Du wirst nicht sterben.»

«Stell dich nicht dumm. Ich sterbe. Frag die Mistviecher da.» Er sah zu den riesigen schmutzigen Vögeln hinüber, die die kahlen Köpfe in ihr gesträubtes Gefieder gesteckt hatten. Ein Vierter setzte zur Landung an, trippelte erst hastig und watschelte dann langsam auf die anderen zu.

«Die treiben sich um jedes Camp herum. Aber man bemerkt sie nicht. Du kannst nicht sterben, solange du nicht aufgibst.»

«Wo hast du das gelesen? Du hast doch überhaupt keine Ahnung.»

«Du könntest auch mal an andere denken.»

«Herrgott», sagte er, «das war mein Beruf.»

Er legte sich hin und schwieg eine Weile und sah über die flimmernde Hitze der Ebene hin zum Rand des Buschlandes. Ein paar Gazellen zeichneten sich winzig und weiß vor dem Gelb ab, und weit hinten sah er eine Herde Zebras weiß vor dem Grün des Buschs. Das Camp lag schön unter großen Bäumen an einem Hügel, das Wasser war gut, und ganz in der Nähe gab es ein fast ausgetrocknetes Wasserloch, an dem sich morgens Schwärme von Flughühnern versammelten.

«Soll ich dir nicht etwas vorlesen?», fragte sie. Sie saß auf einem Leinwandstuhl neben seinem Feldbett. «Es kommt Wind auf.»

«Nein, danke.»

«Vielleicht kommt der Wagen noch.»

«Ist mir völlig egal, ob der kommt.»

«Mir nicht.»

«Dir sind so viele Dinge nicht egal, die mir egal sind.»

«Nicht so viele, Harry.»

«Wie wär’s mit einem Drink?»

«Das ist bestimmt nicht gut für dich. Bei Black steht, man soll auf keinen Fall Alkohol trinken. Also lass es lieber.»

«Molo!», rief er.

«Ja, Bwana.»

«Bring Whisky-Soda.»

«Ja, Bwana.»

«Lass es lieber», sagte sie. «Das habe ich mit aufgeben gemeint. In dem Buch steht, das schadet dir. Und ich weiß, es schadet dir.»

«Nein», sagte er. «Es hilft mir.»

Jetzt ist es also vorbei, dachte er. Jetzt würde er keine Chance mehr haben, es zu beenden. So ging es also zu Ende, mit Gezänk um einen Drink. Seit das Gangrän in seinem rechten Bein ausgebrochen war, hatte er keine Schmerzen mehr, und mit dem Schmerz war die Panik verschwunden, und jetzt empfand er nur noch eine große Müdigkeit und Wut darüber, dass es aus mit ihm war. Auf das, was jetzt kam, war er ganz und gar nicht neugierig. Jahrelang war er davon besessen gewesen; aber jetzt hatte es keinerlei Bedeutung mehr. Merkwürdig, wie leicht es einem gemacht wurde, wenn man nur müde genug war.

Jetzt würde er nie mehr die Dinge schreiben, die zu schreiben er sich aufgespart hatte, bis er genug wusste, um sie gut zu schreiben. Nun, so konnte er auch nicht scheitern bei dem Versuch, sie zu schreiben. Vielleicht hättest du sie nie schreiben können, und deshalb hast du sie beiseite getan und es immer wieder verschoben, damit anzufangen. Aber das würde er jetzt auch nicht mehr erfahren.

«Wären wir nur nicht hierher gekommen», sagte die Frau. Sie sah ihn an, hielt das Glas und biss sich in die Lippe. «In Paris wäre dir so etwas nicht passiert. Du hast immer gesagt, du liebst Paris. Wir hätten in Paris bleiben oder sonst wohin gehen können. Ich wäre überallhin gegangen. Ich hab dir doch gesagt, ich gehe mit dir, wohin du willst. Du wolltest jagen, aber zum Jagen hätten wir auch nach Ungarn fahren und es gut haben können.»

«Dein blödes Geld», sagte er.

«Das ist nicht fair», sagte sie. «Es war immer ebenso deins wie meins. Ich habe alles hinter mir gelassen und bin dir überallhin gefolgt und habe alles getan, was du wolltest. Aber ich wünschte, wir wären nie hierher gekommen.»

«Du hast gesagt, du magst es hier.»

«Das war auch so, als es dir gut ging. Aber jetzt hasse ich es. Ich verstehe nicht, warum das mit deinem Bein passieren musste. Was haben wir getan, dass uns so etwas passiert?»

«Was ich getan habe? Vergessen, es gleich mit Jod zu behandeln, als ich es mir aufgeschrammt hatte. Dann habe ich nicht weiter darauf geachtet, weil ich mich niemals infiziere. Und als es dann schlimmer wurde und die anderen Antiseptika aufgebraucht waren, hätte ich wohl besser auf diese schwache Karbollösung verzichtet, die die kleinen Blutgefäße gelähmt und den Wundbrand ausgelöst hat.» Er sah sie an. «Noch etwas?»

«Das habe ich nicht gemeint.»

«Wenn wir einen guten Automechaniker angeheuert hätten, statt einen grünschnäbligen Kikuyu-Fahrer, hätte er nach dem Öl gesehen, und dann wäre dieses Radlager nicht heiß gelaufen.»

«Das habe ich nicht gemeint.»

«Wenn du deine Leute nicht verlassen hättest, deine gottverdammten Leute in Old Westbury, Saratoga, Palm Beach, um mit mir loszuziehen –»

«Aber ich habe dich geliebt. Das ist nicht fair. Ich liebe dich auch jetzt. Ich werde dich immer lieben. Liebst du mich nicht?»

«Nein», sagte der Mann. «Ich glaube nicht. Habe ich nie.»

«Harry, was sagst du da? Hast du den Verstand verloren?»

«Nein. Ich hab keinen Verstand, den ich verlieren könnte.»

«Trink das nicht», sagte sie. «Liebling, bitte trink das nicht. Wir müssen alles tun, was wir können.»

«Tu, was du willst», sagte er. «Ich bin müde.»

 

Jetzt sah er vor seinem inneren Auge einen Bahnhof in Karagatsch, und er stand da mit seinem Bündel, und jetzt zerschnitt der Scheinwerfer des Simplon-Orient-Expresses die Dunkelheit, und er ließ Thrakien nach dem Rückzug hinter sich. Dies war eins der Dinge, über die zu schreiben er sich aufgespart hatte: Wie er morgens beim Frühstück aus dem Fenster schaute und Schnee auf den bulgarischen Bergen sah und Nansens Sekretärin den alten Mann fragte, ob das Schnee sei, und der alte Mann da hinblickte und sagte: Nein, das ist kein Schnee. Für Schnee ist es noch zu früh. Und die Sekretärin wiederholte es für die anderen Mädchen. Nein, hört zu. Das ist kein Schnee, und sie alle sagten: Das ist kein Schnee, wir haben uns getäuscht. Aber es war doch Schnee, und als er mit dem Austausch von Bevölkerungsgruppen anfing, schickte er sie da hinein. Und es war Schnee, durch den sie in diesem Winter stapften, bis sie starben.

Es war auch Schnee, der dieses Jahr die ganze Weihnachtswoche hindurch im Gauertal fiel, damals, im Haus des Holzfällers, mit dem großen bulligen Kachelofen, der das halbe Zimmer einnahm, wo sie auf Matratzen schliefen, die mit Buchenlaub gefüllt waren, als der Deserteur mit blutenden Füßen durch den Schnee gekommen war. Er sagte, die Polizei sei hinter ihm her, und sie gaben ihm Wollsocken und lenkten die Gendarmen so lange ab, bis seine Fährte verweht war.

An Weihnachten war der Schnee in Schruns so hell, dass einem die Augen wehtaten, wenn man aus der Weinstube hinausschaute und die Leute von der Kirche nach Hause gehen sah. Dort wanderten sie den von Schlitten geglätteten und von Urin gelb gefärbten Weg hinauf, flussaufwärts an den steilen Kiefernhängen entlang, die Skibretter schwer auf der Schulter, und dort fuhren sie die großartige Strecke über den Gletscher oberhalb des Madlenerhauses hinunter, der Schnee so glatt anzusehen wie Zuckerguss auf einer Torte und leicht wie Pulver, und er erinnerte sich an das von der Geschwindigkeit verursachte geräuschlose...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2015
Übersetzer Werner Schmitz
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Film • Francis Macomber • Hemingway • Klassiker • Kurzgeschichten • Literaturnobelpreis • Literaturnobelpreisträger • Nobelpreis für Literatur • Nobelpreis Literatur • Nobelpreisträger Literatur • Storys • USA
ISBN-10 3-644-04781-2 / 3644047812
ISBN-13 978-3-644-04781-5 / 9783644047815
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