Audrey und Ariane (eBook)

Disneyland-Vampirnovelle

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
60 Seiten
mikrotext (Verlag)
978-3-944543-40-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Audrey und Ariane -  Jan Fischer
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Einmal mit Micky Mouse schlafen ... Ein junger Mann arbeitet als Souvenirverkäufer in Disneyland Paris. Dort trifft er auf zwei Frauen. Als die eine anfängt, ihm blutige Wunden zu verpassen, wie ein Vampir, zieht sie ihn immer tiefer hinein in die Geheimgänge des fröhlichen Jahrmarkts. Eine Liebesnovelle über das Sich-Verlieren in Sehnsüchten, in der sich Märchen-Cartoons in gruselige Projektionen wenden. Jan Fischer, Jahrgang 1983, aufgewachsen zwischen Bremen und Toulouse, arbeitet hauptsächlich als freier Autor und Journalist. Außerdem als Teilzeittexter für einen Online-Spielzeughandel in Hannover. Er ist international bekannter Luftgitarrist und Chefredakteur und Gründer von zebrabutter.net. http://jan-fischer.blogspot.de, @nichtsneues

Audrey und Ariane


Ich war ein Souvenirverkäufer, 19 Jahre alt, und wartete zwischen Abitur und Uni in einem Kiosk an einer Achterbahn in Disneyland darauf, erwachsen zu werden.

In einer der Kisten, in denen ich Dinge von damals aufbewahre – Erinnerungen an andere Erinnerungen – habe ich meinen Mitarbeiterausweis gefunden. Eine Plastikkarte, die in zwei Teile zerschnitten ist, damit der Magnetstreifen unbrauchbar wird. Der Schnitt geht direkt über das Foto auf der anderen Seite. Sie haben es an meinem ersten Tag gemacht, als ich mit nichts als einem Rucksack aus dem Bus stieg und von der Haltestelle in die Verwaltungsbüros hinter dem Hotel Santa Fé stolperte. Das war das Ende des Sommers, an dessen Anfang ich mein Abitur bekam, das erste Mal, dass ich wirklich von zu Hause fort war.

Ich erinnere mich nicht, so jung gewesen zu sein, wie ich auf dem zerschnittenen Foto aussehe oder auf dem anderen, das ich in der Kiste gefunden habe. Ich weiß noch, dass ich dachte, ich sei erwachsen, aber auf dem Foto steht ein Jugendlicher auf der Main Street und lächelt dieses nicht ganz vollständige Lächeln, das ich damals immer lächelte, hinter ihm das Dornröschenschloss. Auf dem Bild ist Spätsommer, September, über dem Jugendlichen spannt sich ein tiefblauer Himmel, er blinzelt in die Sonne. Der Schneesturm, der im Dezember kam, ist noch Monate entfernt.

Ich habe auch Karten von Disneyland aus der Kiste geholt, abgegriffene Faltblätter in falschem Maßstab mit den bunten Zeichnungen der Themenländer: Frontierland, Discoveryland, Adventureland, Fantasyland. Im Zentrum des Parks steht das Dornröschenschloss. Die Wege durch die Länder sind verschlungen, damit die Besucher die Orientierung verlieren, aber jeder Weg führt früher oder später darauf zu. Der Hügel, auf dem es steht, steigt steil an, damit es von weitem größer wirkt, die Türme sind leicht nach innen gebogen, das macht sie schlanker, das Rosa, in dem es angestrichen ist, wirkt immer hell und leuchtend, weil die Farbe ganz speziell dafür entwickelt wurde. Es gibt im Park keinen Ort, an dem das Schloss nicht zu sehen ist. Es gibt keine Zufälle in Disneyland.

Wenn ich mit anderen über den Park spreche, an betrunkenen Abenden in Kneipen und an Küchentischen, fragt immer jemand, ob ich Micky war.

Micky, sage ich dann, ist eine Frau, ich habe mit ihr geschlafen.

Das stimmt nicht ganz. Ich spreche nicht gerne über Micky Maus. Ich erzähle lieber von der Musik, die ich hörte, wenn ich nach der Arbeit in meinem Zimmer auf dem Einzelbett lag, oder ich rede über die zwei, drei Runden Big Thunder Mountain, die ich nach der Arbeit fuhr, um auf dem Nachhauseweg mehr Fahrtwind und weniger Arbeit im Kopf zu haben, ich rede von den Liedern aus dem Park, die fröhliche, niemals verstummende Hintergrundmusik, die mir immer noch in Dauerschleife im Gehirn hängt. Manchmal erzähle ich vom Geruch dieses billigen Weeds, von dem ich zu viel rauchte, von dem Winter in Pariser Vororten, der mehr Grautöne kennt als sonst irgendein Winter, ich spreche über den Geschmack von Gin Tonic, den ich zwei Stunden vor der Frühschicht alleine oder mit anderen in einer unserer Wohnungen trank.

Ich erzähle von den Kleinigkeiten, die mir im Jahr des Schneesturms passierten. Von solchen Kleinigkeiten zu erzählen, ist nicht schwer, die Kleinigkeiten sind nicht das Problem. Audrey ist das Problem. Audrey ist das, was ich weglasse, wenn ich von Disneyland spreche, aber ich werde sie nach wie vor nicht los. Ich kann sie immer noch riechen, den Geruch in ihrem Zimmer, das nur ein paar Hochhausblöcke von meinem entfernt lag, fast süß und fast abgestanden, als öffnete sie die Fenster nie. Ich spüre noch ihren Körper. Er war immer kälter als meiner und zog mich an sich, als wolle er zerbrochen werden, als wolle sie mich zerbrechen. Ich höre noch immer die Musik von ihrem Plattenspieler, ich höre das Rauschen der Nadel, wenn sie in der letzten Rille hing und nicht zur Ruhe kam. Ich sehe in Menschenmengen immer noch ihre Bewegungen aus dem Augenwinkel. Ich schnappe hin und wieder immer noch einen Hauch von Audreys leicht bitterem Schweißgeruch auf, wenn ich mit den Händen in den Manteltaschen durch die Stadt gehe, immer noch halb erinnerte Lieder vor mich hinsumme, die, nehme ich an, wir zusammen gehört haben müssen. Ich sehe immer wieder das Schloss, das rosarote Herz des Parks.

Ariane arbeitete im Schatten des Schlosses, im Fantasyland gegenüber von Excalibur, dem Schwert, das in einem Plastikstein steckte. Sie stand dort jeden Tag und drehte Zuckerwatte auf Stöcke. Sie hasste den Geruch, sie wurde ihn nie ganz los. Sie besaß Seifen und Cremes und Shampoos, mit denen sie versuchte, ihn abends von sich abzulösen. Ich lag in ihrem Bett, in ihrem kleinen Zimmer, dessen einziges Fenster auf die Wand des Hochhauses gegenüber ging. Ariane besaß nur Stehlampen, sie schaltete sie abends an, und jeder Gegenstand in ihrem Zimmer warf drei oder vier Schatten in unterschiedliche Richtungen. Ich blätterte Zeitschriften durch, die ich schon gelesen hatte, während ich dem Rauschen des Wassers im Bad zuhörte. Der Shampooduft sickerte durch die Tür, der nicht nach Ariane roch sondern nach künstlichen roten Früchten. Ich wartete darauf, dass sie sich zu mir ins Bett legte, nackt, vielleicht leicht klamm vom Duschen, außen nach ihrem Arsenal von Hygieneprodukten riechend, von tiefer unten, aus allen ihren Poren, nach den hartnäckigen Resten der Zuckerwatte.

Ich sagte ihr nie, dass all dieses warme Wasser, diese hundert Parfums aus ihren Plastikflaschen nichts nützten. Ich sagte nichts und atmete die Süße ein, wenn wir beieinander lagen.

Ich blieb nicht über Nacht. Ich kann nur alleine schlafen, sagte Ariane immer, mein Bett ist zu klein.

Ich stand auf. Ich blieb immer bis spät bei Ariane, manchmal so lange, bis es draußen wieder hell wurde, aber wenn wir schliefen, war es ein Versehen.

Ariane wohnte mitten zwischen den Hochhäusern, wie ich auch, wie alle anderen, die mit uns arbeiteten, auch. Ich weiß nicht, wie viele dieser Wohnungen es für Disney-Mitarbeiter gab. Einmal hörte ich die Zahl 10.000, in Türmen übereinander und nebeneinander gestapelt, alle gleich geschnitten mit dem einen großen Zimmer, der viel zu kleinen Küche und einem schimmeligen Bad.

Dort, wo Ariane wohnte, mitten im Zentrum unseres Hochhauskomplexes, waren die Türme so eng aneinander gebaut, dass man nachts weder den Mond sah noch die Lichter der großen Scheinwerfer, die vom Park aus ihre Muster in den Himmel zeichneten.

Eine Zeit lang gab es jeden Abend so einen Abend, einen von denen, die nach Zuckerwatte rochen. Mit dem Herbst kam auch der letzte dieser Abende. Ich trat aus der Tür, unten in Arianes Hochhaus, blieb kurz stehen und stand mitten in dieser Wolke aus meinem eigenen Atem, meiner ersten Atemwolke in diesem Jahr und dem Geruch modernder Blätter um mich herum.

Ich verließ Arianes Wohnung und war auf dem Weg zu meiner, einmal quer durch das Viertel der Hochhauskomplexe, lief auf dem kürzesten Weg in den Schatten der Gebäude, dort, wo die Straßenlaternen mit ihrem gelben Licht und den Auren, die sie in die feuchte Luft projizierten, nichts mehr erhellten.

Wir wohnten weit weg von allem, eineinhalb Stunden und zweimal Umsteigen von Paris entfernt, am Rand eines Vorortes, in dem ich nie war. In der Nähe nur der Park, eine halbe Stunde Busfahrt.

Ich brauchte fünf Minuten. Ich erzählte Ariane nie, dass ich auf dem Weg immer das kleine Plastiktütchen mit dem Gras aus der Tasche nahm, Blättchen, Tabak, dass ich selbst mit kalten Händen jeden Abend im Eingang meines Hauses stand und rauchte, den Rauch in meine Lungen sog, damit sich meine Muskeln entspannten, dass ich meinem Herz zuhörte, wie es ein wenig schneller schlug, wie ich die Risse an den Wänden auswendig lernte. Ich erzählte Ariane nie, dass ich meine Abende in meinem Bett am offenen Fenster verbrachte, auch später noch, als es kälter wurde. Wenn ich meinen Kopf drehte, konnte ich gerade noch hinaussehen und zwischen den grauen Hochhauswänden hindurch in die Sterne starren oder den Fledermäusen hinterherschauen, die in den Dächern wohnten und hin- und herflatterten.

Disneyland steckte immer schon voller Geheimnisse, voller verschlossener Türen, voller Orte, die kaum jemand sieht, weil dort die Magie, von der alle ständig reden, nicht funktioniert, weil sie dort erst hergestellt wird. Orte, an denen kaputtgeht, woran andere glauben sollen.

Jeder, dem ich von Disneyland erzähle, möchte etwas über diese Geheimnisse hören. Zunächst war mein liebstes Geheimnis die 1b, eine Wohnung in einem Hochhaus am Rand der Siedlung. Niemand wohnte in der Wohnung, jedenfalls habe ich nie jemanden dort wohnen sehen. Die 1b sah wie alle anderen Wohnungen aus, sie hatte die gleichen dünnen Wände, dieselbe unbenutzte Küchenzeile, dieselbe Metalltür mit dem abgeplatzten roten Lack, nur war sie dort nie verschlossen.

Hinter der Tür gab es immer Musik. Ich ging abends oft dorthin, wenn Ariane keine Zeit oder keine Lust hatte, wenn ich andere Musik brauchte als die aus dem Park, die auf der Busfahrt zu den Hochhäusern in meinem Kopf nachhallte. Ich warf ein bisschen Geld in die leere Raviolidose direkt hinter der Tür, einen Fünfer, einen Zehner, manchmal gar nichts, dafür gab es den Raum, so lange Bier, bis keines mehr da war, die Musik aus den Plastiklautsprechern, meistens etwas Schnelles, verzerrte Gitarren. Ich ging durch den Raum und nickte den immer gleichen Gesichtern zu, denjenigen, die mich am Ende meiner Schichten am Kiosk ablösten, denjenigen, mit denen ich im Pausenraum Zigaretten teilte, denjenigen, denen ich im Park immer über den Weg lief.

Wenn wir die Kostüme trugen, hießen wir...

Erscheint lt. Verlag 31.10.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Adult • Affäre • Affäre • Arbeit • Banlieue • Blut • blutig • Disney • Disneyland • Dornröschen • Dornröschenschloss • Dornröschen • Dornröschenschloss • Dreierbeziehung • Erotik • erotisch • Fantasy • Frankreich • Herbst • Jan Fischer • Job • Kulisse • Kulissen • Land • Liebe • Liebe zu dritt • Mickey Mouse • MickyMaus • Novelle • Paris • Phantasie • Souvenir • Teenager • Tourismus • Vampir • Vampire • Vampirin • Verführung • Verführung • weiblicher Vampir • Winter • Young • Young Adult
ISBN-10 3-944543-40-8 / 3944543408
ISBN-13 978-3-944543-40-6 / 9783944543406
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