Frag den Staub (eBook)

Roman

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
222 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1345-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frag den Staub - John Fante
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Schöne Frauen und schneller Ruhm: Das ist es, was den jungen Schriftsteller Arturo Bandini interessiert. Nur geht es mit beidem nicht so recht voran. Er zieht deshalb von Boulder (Colorado) nach Los Angeles um endlich seinen ersten großen Roman zu schreiben. Währenddessen lernt die eigenwillige Kellnerin Camilla kennen - und zwischen den beiden entwickelt sich eine Hassliebe voller Wut und Leidenschaft. 'John Fantes Romane gehören zum Besten, was die amerikanische Literatur je hervorgebracht hat.' Charles Bukowski 'John Fante ist einer der ganz großen West-Coast-Autoren - italienische Leidenschaft gepaart mit californischer Coolness.' Alex Capus

John Fante, geboren 1909 in Denver als Sohn italienischer Einwanderer, zog als Mittzwanziger nach L.A. In einer Stadt, die aus Filmträumen bestand, war er mehr als fehl am Platz, und so entstand sein unnachahmlicher Stil aus innerer Zerrissenheit, Großmut und erlösenden Rachegelüsten. Sein erster Roman 'Warte auf den Frühling, Bandini' wurde 1938 veröffentlicht, im Jahr darauf folgte 'Warten auf Wunder'. Er starb 1983 an einer Folge seiner Diabetes-Erkrankung. Posthum verlieh man ihm den PEN Award für sein Lebenswerk.

Kapitel 1


Eines Abends saß ich auf dem Bett in meinem Hotelzimmer in Bunker Hill, mitten in Los Angeles. Es war ein wichtiger Abend meines Lebens, denn ich musste mich entscheiden: Entweder ich bezahlte, oder ich haute ab. Das stand auf dem Zettel, den mir die Vermieterin unter der Tür durchgeschoben hatte. Ein großes Problem, das höchste Aufmerksamkeit verdiente. Ich löste es, indem ich das Licht ausschaltete und zu Bett ging.

Nach dem Aufwachen am Morgen beschloss ich, dass ich mehr körperliche Ertüchtigung brauchte, und fing sofort an. Ich machte ein paar Kniebeugen. Dann putzte ich mir die Zähne, schmeckte Blut und sah, dass meine Zahnbürste sich rosa verfärbte, worauf mir all die Reklame einfiel. Ich beschloss, auszugehen und einen Kaffee zu trinken.

Ich ging ins Restaurant, in das ich immer ging, setzte mich an den Tresen und bestellte Kaffee. Er schmeckte einigermaßen nach Kaffee, aber den Nickel war er nicht wert. Ich rauchte ein paar Zigaretten, las die Resultate der American League und mied sorgfältig jene der National League. Mit Genugtuung nahm ich zur Kenntnis, dass Joe DiMaggio dem italienischen Volk noch immer Ehre machte, denn er führte die Scorerliste an.

Ein großer Schlagmann, dieser DiMaggio. Ich verließ das Restaurant, baute mich vor einem imaginären Werfer auf und schlug einen Homerun über den Zaun. Dann ging ich die Straße hinunter in Richtung Angel’s Flight und überlegte, was ich mit dem Tag anfangen sollte. Ich hatte nichts zu tun, und so beschloss ich, einen Rundgang durch die Stadt zu machen.

Ich ging die Olive Street hinunter, vorbei an einem schmutzig gelben Apartementhaus, das vom nächtlichen Nebel noch feucht war wie Löschpapier. Ich dachte an meine Freunde Ethie und Carl, die aus Detroit stammten und in diesem Haus gewohnt hatten. Ich erinnerte mich an jene Nacht, in der Carl Ethie geschlagen hatte, weil sie schwanger war und er kein Baby wollte. Aber sie hatten das Baby trotzdem bekommen, und das war’s dann. Ich erinnerte mich auch an ihre Wohnung, an den Geruch nach Mäusen und Staub, und an die alten Frauen, die an heißen Tagen unten in der Lobby saßen, und an jene eine alte Frau, die so hübsche Beine hatte. Dann gab es da noch den Fahrstuhlführer, einen gebrochenen alten Mann aus Milwaukee, der jedesmal höhnisch grinste, wenn du dein Stockwerk nanntest, als würden nur die größten Blödmännner in diese Etage fahren. Er hatte immer ein Tablett mit Sandwiches und ein Schundheft bei sich.

Weiter ging’s durch die Olive Street den Hügel runter, vorbei an den schrecklichen Holzhäusern, die nach Mordgeschichten stanken, und weiter zum Philharmonic Auditorium. Ich dachte daran, dass ich dort einmal mit Helen die Donkosaken gehört hatte, und dass ich mich langweilte, und dass wir deswegen Streit bekamen. Ich erinnerte mich, was Helen an jenem Tag trug – ein weißes Kleid, bei dessen Berührung meine Lenden jedesmal gejubelt hatten. Oh, diese Helen – aber nicht jetzt.

Und dann war ich unten an der Kreuzung Fifth Street und Olive Street, wo einem vom Lärm der großen Straßenbahnwagen die Ohren schlackerten, wo die Palmen traurig im Benzingestank standen und das schwarze Pflaster noch nass war vom Nebel der vergangenen Nacht.

Vor dem Biltmore Hotel ging ich die Reihe der gelben Taxis entlang, in denen alle Fahrer schliefen, mit Ausnahme von jenem zuvorderst beim Haupteingang, und ich dachte über den Fundus an Informationen nach, den diese Kerle hatten. Mir fiel ein, wie einer von ihnen Ross und mir mal eine gewisse Adresse gegeben hatte, und wie er anzüglich gegrinst und uns in die Temple Street gefahren hatte, ausgerechnet in die Temple Street, wo zwei ausgesprochen unattraktive Wesen auf uns warteten, und dass Ross die Sache trotzdem durchzog, während ich allein im Empfangszimmer sitzen blieb und Schallplatten abspielte und Angst hatte und mich einsam fühlte.

Ich ging vorbei am Türsteher des Biltmore, und ich hasste ihn wegen seiner gelben Litzen, seiner sechs Fuß Körperlänge und seiner Würde. Ein schwarzes Auto fuhr an den Bordstein, ein Mann stieg aus. Er sah reich aus; dann stieg eine Frau aus, und sie war schön. Ihr Pelz war ein Silberfuchs; sie schwebte über den Gehsteig wie ein Lied und weiter durch die Schwingtür, und ich dachte, oh Junge, nur einen Tag und eine Nacht lang kosten davon; doch als ich weiterging, kam sie mir schon vor wie ein Traum, und ihr Parfüm hing in der feuchten Morgenluft.

Dann verbrachte ich ziemlich viel Zeit damit, vor einem Pfeifenladen zu stehen und die Auslage anzuschauen. Die ganze Welt war verblasst, und ich stand da und rauchte alle ausgestellten Pfeifen. Ich sah mich als großen Autor mit dieser schicken italienischen Bruyèrepfeife und einem Gehstock, und ich stieg aus einem großen schwarzen Auto, und dann war auch sie da, die Dame im Silberfuchs, und sie war mächtig stolz auf mich. Wir trugen uns ins Gästebuch ein, tranken Cocktails und tanzten ein paar Takte, und dann tranken wir noch einen Cocktail. Ich rezitierte einige Zeilen Sanskrit. Die Welt war wunderbar. Alle zwei Minuten machte irgendeine Schönheit mir, dem großen Autor, schöne Augen und bestand unbedingt darauf, dass ich ihre Speisekarte signierte. Das Silberfuchsmädchen war sehr eifersüchtig.

Los Angeles, schenk mir ein bisschen was von dir! Los Angeles, komm zu mir, wie ich zu dir komme, meine Füße über deine Straßen, du schöne Stadt, die ich so sehr liebe, du traurige Blume im Sand, du schöne Stadt.

Ein paar Tage zuvor war ich in die Bibliothek gegangen, wo all die großen Jungs in den Regalen standen. Der alte Dreiser, der alte Mencken. Ich ging sie besuchen. Hallo Dreiser, hallo Mencken, hallo, hallo. Auch für mich gibt’s hier ein Plätzchen, fängt mit B an, im B-Regal, Arturo Bandini, macht Platz für Arturo Bandini, eine Lücke für sein Buch. Ich setzte mich an den Tisch und betrachtete die Stelle, an der mein Buch stehen würde, gleich dort, neben Arnold Bennett. Taugt nicht gerade viel, dieser Arnold Bennett, aber ich würde ja da sein und würde den B’s ein bisschen Auftrieb geben, ich, der alte Arturo Bandini, einer von den Jungs – bis dann mit klickenden Absätzen und einem Hauch von Parfüm ein Mädchen die belletristische Abteilung betreten würde, um die Monotonie meines Ruhms aufzulockern. Gala-Tag, Gala-Traum!

Aber ich bekam weiter diese kleinen Zettel von meiner weißhaarigen Vermieterin: Sie stammte aus Bridgeport, Connecticut, und ihr Mann war gestorben, und sie war ganz allein auf der Welt, und sie traute niemandem, konnte sich das nicht leisten, das hatte sie mir doch gesagt, und sie hatte mir doch gesagt, dass ich bezahlen müsste, und meine Schulden würden wachsen wie die Staatsverschuldung, und ich würden zahlen oder verschwinden müssen, jeden einzelnen Cent – fünf Wochen überfällig, zwanzig Dollar, und wenn ich nicht zahlte, sähe sie sich leider gezwungen, meine Koffer zurückzubehalten; nur hatte ich gar keine Koffer, bloß ein Köfferchen aus Karton, und dem fehlte sogar der Riemen, weil ich den um meinen Bauch geschnallt hatte, um die Hosen hochzuhalten, was keine große Sache war, denn von meinen Hosen war nicht viel übrig.

»Ich habe grad einen Brief von meinem Agenten bekommen«, sagte ich der Vermieterin. »Von meinem New Yorker Agenten. Er sagt, er hat wieder was verkauft; er sagt nicht, wem, aber er sagt, er hat was verkauft. Also machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Hargraves, regen Sie sich nicht auf. In ein, zwei Tagen hab ich’s.«

Aber einem Lügner wie mir glaubte sie nicht. Dabei war’s nicht wirklich eine Lüge; es war ein Wunsch, keine Lüge, und vielleicht war’s noch nicht mal ein Wunsch, sondern eine Tatsache. Um das herauszufinden, gab es nur einen Weg: Man musste den Postboten beobachten, scharf beobachten, und die Post durchsehen, die er auf das Pult in der Lobby legte, und ihn geradeaus fragen, ob er etwas für Bandini hatte. Aber nach sechs Monaten in diesem Hotel musste ich ihn nicht mehr fragen. Wenn er mich kommen sah, nickte er schon oder schüttelte den Kopf, bevor ich fragen konnte. Dreimillionenmal Nein, einmal Ja.

An jenem einen Tag kam ein wunderschöner Brief. Oh, ich erhielt eine Menge Briefe, aber das war der einzige schöne, und er kam am frühen Morgen, und der Verfasser schrieb, er habe The Little Dog Laughed gelesen, und es habe ihm gefallen; Mr. Bandini, schrieb er, wenn ich je ein Genie gesehen habe, dann Sie. Sein Name war Leonardo, und er war ein großer italienischer Kritiker, nur dass er als Kritiker nicht bekannt war; er war bloß ein Mann aus West Virginia, aber er war großartig und ein Kritiker, und er starb. Er war schon tot, als meine Antwort per Luftpost in West Virginia eintraf, und seine Schwester schickte meinen Brief zurück. Auch sie schrieb mir einen wunderschönen Brief, auch sie war eine ziemlich gute Kritikerin. Sie teilte mir mit, dass Leonardo an Schwindsucht gestorben war, dass er aber bis zum Ende glücklich gewesen sei, und dass er ganz zum Schluss sich noch aufgesetzt hätte, um mir über The Little Dog Laughed zu schreiben: ein Traum, den das Leben schrieb, aber sehr bedeutend. Leonardo, leider nicht mehr unter uns, ein Heiliger im Himmel, auf gleicher Höhe mit jedem einzelnen der zwölf Apostel.

Alle im Hotel lasen The Little Dog Laughed, alle. Die Geschichte war spannend und clever und voll schriller Poesie, und ein Hund kam auch nicht darin vor. Und der große Verleger J. C. Hackmuth, kein Geringerer als er, hatte in seinem Brief, unter dem sein Name wie ein chinesisches Schriftzeichen stand, geschrieben: Eine großartige Geschichte, und ich bin stolz, sie zu drucken. Nachdem Mrs. Hargraves diesen...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2017
Reihe/Serie Arturo Bandini
Übersetzer Alex Capus
Sprache deutsch
Original-Titel Ask The Dust
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1930er Jahre • Alex Capus • Arturo Bandini • Bandini • Cannabis • Drogen • Erdbeben • Frauen • Italienische Einwanderer • John Fante • L.A. • Liebe • Los Angeles • Schriftsteller
ISBN-10 3-8412-1345-6 / 3841213456
ISBN-13 978-3-8412-1345-7 / 9783841213457
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