Die schönsten norwegischen Märchen (eBook)

Hans-Jürgen Hube (Herausgeber)

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2019 | 1. Auflage
231 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76258-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die schönsten norwegischen Märchen -
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Es rauschen die dunklen Wälder des Nordlandes, es faucht der Wind über die Berge, es tobt das Meer an den zerfurchten Küsten und Fjorden, wo Trolle spuken, die den Menschen das Leben erschweren und ihnen allerlei Streiche spielen. Doch noch listiger sind die Trollweiber, und sie haben zahlreiche Helfer - Tiere, Vögel und Naturkräfte -, die nur ein richtiger Held wie der Aschenper bezwingen kann ...
Die norwegischen Märchen nehmen die Leser mit auf abenteuerliche Segelfahrten und entführen sie in die wilde Natur der skandinavischen Halbinsel.
Angeregt durch die Brüder Grimm, begannen in Norwegen die beiden Freunde Peter Christen Asbjørnsen (1812-1885) und Jørgen Moe (1813-1882) die Märchen ihrer Heimat zu sammeln und aufzuzeichnen. Aus ihrer 1841 bis 1851 erschienenen Sammlung schöpft die vorliegende Ausgabe.

Der Vogel Dam


Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, und die liebte er so sehr, daß er sie niemals aus den Augen ließ. Aber jedesmal zur Mittagszeit, wenn der König schlief, gingen die Prinzessinnen spazieren. Als der König wieder einmal seinen Mittagsschlummer hielt und die Prinzessinnen wie gewöhnlich spazierengegangen waren, geschah es, daß sie einfach ausblieben und nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Da herrschte nun große Sorge und Betrübnis im ganzen Land, aber am betrübtesten von allen war der König. In alle Winkel seines Reiches sandte er Boten aus und ließ sie suchen. Und mit allen Glocken ließ er nach ihnen läuten. Aber die Prinzessinnen waren und blieben verschwunden, und niemand wußte, wo sie waren. Da konnte man denn wohl vermuten, daß sie von irgendeinem Troll in einen Berg entführt worden waren.

Das Gerücht verbreitete sich bald von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und endlich gelangte es auch zu einem König, der in einem Lande weit, weit entfernt wohnte und zwölf Söhne hatte. Als diese Söhne von den zwölf Königstöchtern erzählen hörten, baten sie ihren Vater um Erlaubnis, losreisen und die Prinzessinnen suchen zu dürfen. Der alte König aber wollte zu Anfang gar nichts davon wissen, denn er fürchtete, er würde seine Söhne niemals wiedersehen. Aber die Prinzen fielen ihm zu Füßen und baten ihn so lange, bis er endlich nachgab und sie ziehen ließ. Ein schönes Schiff rüstete er für sie aus und setzte als Steuermann den Ritter Röd ein, der auf See wohl erfahren war.

Lange Zeit segelten sie nun umher und forschten in allen Ländern, in die sie kamen, nach den Prinzessinnen. Aber nirgendwo konnten sie eine Spur von ihnen entdecken. Es fehlten jetzt nur noch wenige Tage, da waren sie schon sieben Jahre unterwegs. Aber da kamen eines Tages ein heftiger Sturm und ein solches Unwetter auf, daß sie glaubten, sie kämen niemals mehr an Land. Und sie alle mußten sich in einem fort abmühen, so daß kein Schlaf in ihre Augen kam, solange das schreckliche Wetter anhielt. Aber am dritten Tag legte sich der Sturm, und es wurde auf einmal ganz still. Alle waren von der Arbeit und dem schlimmen Wetter so müde geworden, daß sie gleich einschliefen. Nur der jüngste Prinz fand keine Ruhe und konnte nicht schlafen.

Während er nun auf dem Verdeck umherging, trieb das Schiff an eine Insel, und am Ufer lief ein Hündchen auf und ab, bellte und winselte, als ob es aufs Schiff wollte. Der Königssohn pfiff und lockte es zu sich. Aber es konnte nicht zu ihm kommen und bellte und jaulte nur um so mehr. Dem Prinzen schien, es wäre schade, das Hündchen dort umkommen zu lassen, das – wie er meinte – von einem Schiff stammte, das im Sturm untergegangen war. Aber er wußte nicht, wie er ihm helfen sollte, da er sich außerstande sah, das Boot allein auszusetzen. Alle anderen schliefen, und er wollte sie nicht wegen eines kleinen Hundes aufwecken. Doch das Wetter war nun so klar und still; da dachte er denn: ›Du mußt versuchen, das Tier zu retten!‹ So machte er sich daran, das Boot zu Wasser zu lassen, und es ging leichter, als er geglaubt hatte. Er ruderte nun ans Land und lief auf das Hündchen zu. Aber sooft er es greifen wollte, sprang es zur Seite und lockte den Königssohn immer weiter fort, bis dieser, ehe er's bemerkte, bei einem großen, prächtigen Schloß anlangte. Da verwandelte sich das Hündchen plötzlich in eine wunderschöne Prinzessin. Aber auf der Bank saß ein Troll, der war so gewaltig groß und häßlich, daß der Prinz darüber erschrak. »Du brauchst nicht ängstlich zu sein«, sagte der Troll. Aber der Prinz erschrak noch mehr, als er seine Stimme hörte.

»Ich weiß wohl, was du willst! Da sind eure zwölf Prinzen gekommen, die suchen die zwölf verschwundenen Prinzessinnen. Ich weiß, wo sie sind. Sie sind bei meinem Herrn; da sitzen sie, jede auf ihrem Goldstuhl, und lausen ihn, denn er hat zwölf Köpfe. Nun seid ihr sieben Jahre gesegelt, aber ihr werdet noch sieben fahren müssen, ehe ihr sie findet. Was dich angeht, könntest du gern hierbleiben und meine Tochter bekommen. Aber erst mußt du meinen Gebieter umbringen, denn er ist sehr hart gegen uns, so daß wir ihn längst satt haben. Und wenn er tot ist, werde ich statt seiner Trollkönig! Versuche zuerst, ob du dieses Schwert zu schwingen vermagst!« rief der Troll. Der Königssohn wollte ein rostiges Schwert herabnehmen, das an der Wand hing, aber es rührte sich nicht vom Fleck.

»Nimm einen Schluck aus dieser Flasche!« sagte der Troll.

Als der Königssohn das getan hatte, ließ sich das Schwert leicht von der Wand nehmen, und als er noch einen Schluck genommen hatte, konnte er's aufheben. Aber als er einen dritten Schluck getan hatte, vermochte er es mit Leichtigkeit zu schwingen, so als sei es sein eigenes.

»Wenn du wieder an Bord kommst«, sagte der Troll, »mußt du das Schwert in deiner Koje verstecken, damit Ritter Röd es nicht zu sehen bekommt! Er ist zwar nicht imstande, es zu schwingen, aber er wird dich darum hassen und dir nach dem Leben trachten! Wenn sieben Jahre um sind«, sprach er weiter, »wird's wieder ebenso sein wie jetzt: Ein schreckliches Unwetter mit Sturm und Hagel kommt über euch, und ist das vorüber, werdet ihr alle müde und legt euch in eure Kojen. Du aber nimm das Schwert und rudere an Land! Dann gelangst du zu einem Schloß, wo lauter Wölfe, Bären und Löwen als Schildwachen stehen. Du brauchst dich nicht vor ihnen zu fürchten, denn sie werden dir alle zu Füßen liegen. Sobald du ins Schloß gelangt bist, siehst du den Unhold in einem prächtig geschmückten Saal sitzen, zwölf Köpfe hat er, und die Prinzessinnen sitzen auf ihren Stühlen und lausen ihn, und du kannst dir wohl vorstellen, daß ihnen solche Arbeit gar nicht gefällt. Danach mußt du dich aber beeilen und ihm einen Kopf nach dem andern abschlagen, ehe er aufwacht! Wacht er aber auf, frißt er dich lebendig!«

Der Königssohn kehrte nun mit dem Schwert an Bord zurück und vergaß nicht, was der Trollprinz ihm gesagt hatte. Die anderen lagen noch immer da und schliefen. Er aber versteckte das Schwert in seiner Koje, so daß es weder der Ritter Röd noch sonstwer bemerkte. Da fing es wieder an zu stürmen. Der Königssohn weckte die andern und sagte, es könne nicht angehen, daß sie schliefen, wenn sie so guten Wind hätten. Niemand von ihnen hatte bemerkt, daß er fort gewesen war.

Die Zeit ging dahin, und beständig dachte der Prinz an das Abenteuer, das er zu bestehen hatte. Oft zweifelte er am glücklichen Ausgang. Als nun die sieben Jahre bis auf drei Tage vergangen waren, geschah das, was der Trollprinz gesagt hatte: Ein furchtbares Unwetter brach los und hielt drei Tage an, und als es vorbei war, wurden alle von der anstrengenden Arbeit müde und legten sich zum Schlaf in die Kojen. Der jüngste Königssohn aber ruderte an Land, und die Schildwachen lagen ihm zu Füßen. So gelangte er unbehelligt ins Schloß. Im Saal thronte der Obertroll und schlief, wie es der Trollprinz gesagt hatte, und die zwölf Prinzessinnen saßen auf ihren Stühlen und lausten je einen Kopf. Der Königssohn winkte den Prinzessinnen zu, sie sollten sich entfernen. Sie aber zeigten auf den Troll und gaben ihm zu verstehen, er solle schleunigst weggehen. Doch der Königssohn zeigte ihnen durch Gebärden an, daß er gekommen sei, sie zu befreien. Da begriffen sie seine Absichten und schlichen leise fort, eine nach der anderen. Nun sprang der Prinz behend hinzu und hieb dem Troll die zwölf Köpfe ab.

Als der Unhold umgebracht war, ruderte der Prinz zum Schiff zurück und verbarg sein Schwert. Er meinte, nun habe er genug getan, und weil er den toten Troll nicht allein aus dem Schloß fortschaffen konnte, sollten ihm die anderen dabei helfen. Er weckte sie und rief, eine Schande sei's, daß sie hier schliefen, während er die Prinzessinnen gefunden und sie vom Obertroll befreit habe. Da lachten die anderen und sagten, er habe ebenso geschlafen wie sie und wohl nur geträumt, daß er ein großer Held sei. Wenn jemand die Prinzessinnen befreit habe, sei's wahrscheinlicher, einer von ihnen hätte es getan! Doch der jüngste Prinz erzählte haarklein, wie sich alles zugetragen hatte, und als sie nun an Land gingen, das Schloß, den Troll, die zwölf Köpfe und die Prinzessinnen erblickten, sahen sie wohl ein, daß er die Wahrheit gesprochen hatte. So halfen sie, Köpfe und Rumpf in die See zu werfen. Alle waren fröhlich und guter Dinge, aber...

Erscheint lt. Verlag 9.4.2019
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familie • Fee • Geschenkbuch • Geschenkbuch für Kinder • Hexe • insel taschenbuch 4700 • IT 4700 • IT4700 • Kinder • Königskinder • Märchen • Märchensammlung • Mythen • Norwegen • Sagen • Sagenhaft • Sagenschatz • Sammlung • Skandinavien • Troll • Volksmärchen • Vorlesen
ISBN-10 3-458-76258-2 / 3458762582
ISBN-13 978-3-458-76258-4 / 9783458762584
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