Hard Land (eBook)

Spiegel-Bestseller
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2021 | 3. Auflage
352 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61233-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hard Land -  Benedict Wells
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Missouri, 1985: Um vor den Problemen zu Hause zu fliehen, nimmt der fünfzehnjährige Sam einen Ferienjob in einem alten Kino an. Und einen magischen Sommer lang ist alles auf den Kopf gestellt. Er findet Freunde, verliebt sich und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt. Zum ersten Mal ist er kein unscheinbarer Außenseiter mehr. Bis etwas passiert, das ihn zwingt, erwachsen zu werden. Eine Hommage an 80's Coming-of-Age-Filme wie ?The Breakfast Club? und ?Stand By Me? - die Geschichte eines Sommers, den man nie mehr vergisst. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2022.

Benedict Wells wurde 1984 in München geboren, zog nach dem Abitur nach Berlin und entschied sich gegen ein Studium, um zu schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vierter Roman, ?Vom Ende der Einsamkeit?, stand mehr als anderthalb Jahre auf der Bestsellerliste, er wurde u. a. mit dem European Union Prize for Literature (EUPL) 2016 ausgezeichnet und ist bislang in 38 Sprachen erschienen. Sein letzter Roman, ?Hard Land?, wurde 2022 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie ?Preis der Jugendjury? ausgezeichnet. Nach Jahren in Barcelona lebt Benedict Wells in Zürich.
Spiegel-Bestseller

Benedict Wells wurde 1984 in München geboren, zog nach dem Abitur nach Berlin und entschied sich gegen ein Studium, um zu schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vierter Roman, ›Vom Ende der Einsamkeit‹, stand mehr als anderthalb Jahre auf der Bestsellerliste, er wurde u.a. mit dem European Union Prize for Literature (EUPL) 2016 ausgezeichnet und ist bislang in 38 Sprachen erschienen. Nach Jahren in Barcelona lebt Benedict Wells in Zürich.

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

Das alles ist jetzt schon mehr als ein Jahr her, aber für mich wird es immer »dieser« Sommer bleiben. Komischerweise denke ich oft daran, wie ich damals hinter dem Haus stand und mit einem Schlauch den Garten besprengte. Es war der Anfang der Sommerferien, und von dem Berg an Langeweile, der vor mir aufragte, hatte ich noch nicht mal die Spitze abgetragen.

Ich starrte auf die Felder in der Ferne. Die Luft stand still, und je länger ich auf diese idyllische Landschaft blickte, desto unschärfer wurde sie an den Rändern. Bis ich dahinter wieder die Angst spürte, die ich aus meiner Kindheit kannte: Dass der Moment gleich kippen und etwas Schlimmes geschehen würde … Aber wie immer betrog mich dieses Gefühl. Weil, danach passierte natürlich wieder gar nichts.

Bis mich meine Eltern ins Wohnzimmer riefen.

 

In diesen Ferien hatten sich ein paar Dinge fast über Nacht geändert, wie wenn man überrascht feststellt, dass man ein Stück gewachsen ist. Mich überkam öfter aus dem Nichts eine seltsame Wut, und ich stellte mir Fragen, die ich mir früher nie gestellt hatte. Zum Beispiel, wieso die meisten Erwachsenen so scharf darauf waren, zu arbeiten und Kinder in die Welt zu setzen, wenn am Ende sowieso der Tod kam und alles wegfegte. Und ob meine Mom überhaupt glücklich mit meinem Vater sein konnte, so wie ihr Leben mit ihm verlaufen war.

Jedenfalls, die beiden saßen also auf der Wohnzimmercouch und verkündeten, dass sie tolle Nachrichten für mich hätten.

»Wir haben mit Tante Eileen gesprochen«, sagte Mom, »du kannst sie für ein paar Wochen besuchen. Jimmy und Doug würden sich freuen.«

Ich hatte Mühe, meine Atmung zu kontrollieren. Jimmy und Doug waren meine Cousins aus Kansas, sie wogen zusammen so viel wie ein Pferd und hatten mir schon einige Abreibungen verpasst. Ich konnte mir vorstellen, dass sie sich auf mich freuten. Bei meinem letzten Besuch hatte ich mich vor ihnen auf der Mülldeponie versteckt und den ganzen Tag Steine auf ein rostiges Schild geworfen.

»Das könnt ihr nicht machen … Im Ernst, niemals fahre ich da noch mal hin.«

Dad sagte streng wie immer: »Doch, das tut dir gut! Du bist die letzten Tage wieder nur in deinem Zimmer gehockt. Du musst mal raus und unter Leute.«

Und Mom sagte: »Schatz, ich weiß, dass die Situation mit mir … schwierig für dich ist. Aber gerade deshalb ist es gut, wenn du nicht so allein bist. Vielleicht findest du in Wichita ja auch ein paar Freunde.«

Das war’s also, diese Freundesache war schon seit Monaten ihr großes Thema. Ich war fast sechzehn, und sie behandelten mich wie ein Kind.

»Stevie war mein Freund!« Ich starrte sie an. »Wenn er noch hier wäre, würden wir diese bescheuerte Unterhaltung gar nicht führen.«

Mom kam mit ihren Tippelschritten zu mir. Obwohl sie so zerbrechlich wirkte, presste sie mich an sich, und für einen Moment schimmerte etwas Ernsteres durch dieses Gespräch. Doch damals wollte ich es nicht sehen.

»Ich will nicht zu Tante Eileen«, sagte ich nur, mit dem traurigsten Blick, den ich draufhatte. Meine letzte Chance, aus der Nummer noch mal rauszukommen.

Aber nicht mit Mom. »Tut mir leid, Schatz, da musst du durch.«

Ich stellte mir mein Ferienprogramm in Kansas vor. Tagsüber: Spaß und Spannung auf der Mülldeponie. Abends: Die besten Schwitzkastengriffe mit Jimmy und Doug.

Na schön, es war also an der Zeit, meinen Eltern auf sachliche Weise klarzumachen, wieso ich dafür nicht in Frage kam. Ich würde sie mit meinen überlegenen Argumenten überzeugen, und danach würden sie ein für alle Mal wissen, dass ich jetzt alt genug war und fortan mein eigenes Ding machte.

»Ihr könnt mich mal!«, rief ich und stapf‌te nach oben.

 

Am Nachmittag streckte ich den Kopf aus dem Zimmer und lauschte: Mom war wieder in ihren Buchladen gegangen. Wie immer, wenn sie nicht da war, hatte sich die Atmosphäre im Haus verändert. Ich spürte sofort: Er war noch da. Es gab zwei Sorten von Stille; die neutrale Sorte, und dann noch die Stille meines Vaters. Ein brütendes Schweigen, das ich selbst von hier oben hören konnte. Ich schlich mich runter. Dad hing antriebslos vor der Glotze im Wohnzimmer. Er schaute eine Wiederholung von Ein Colt für alle Fälle und hatte tatsächlich den Ton abgestellt. Wir waren uns nie sehr nahe gewesen, und in diesem Jahr redeten wir fast gar nicht mehr miteinander. Ich wusste nicht, ob wegen Moms Krankheit, weil er keinen Job fand oder weil er mit mir einfach nichts anfangen konnte. Ich wusste nur: Elf Wochen Ferien mit ihm zu Hause würde ich nicht durchstehen.

Bis zum Abend streif‌te ich allein durch den Ort. Da ich kein Geld hatte, ging ich ins Replay Arcade, eine Spielhölle in der Mall, und schaute, ob jemand den Rekord bei Defender geknackt hatte. Und fast hätte ich mich auch zum ersten Mal ins Larry’s getraut – bis ich durch die Scheibe Chuck Bannister sah. Das Larry’s war die Institution in Grady; das Diner, in das alle älteren Jugendlichen gingen. Es gab ein paar ungeschriebene Gesetze. Zum Beispiel, dass man mit fünfzehn dort nichts zu suchen hatte. Und dass man schon gar nicht reinging, wenn ein Psychopath wie Chuck Bannister drinnen saß, der es auf einen abgesehen hatte.

Stattdessen hockte ich mich auf einen Mauersims. Eine Weile betrachtete ich die vorbeifahrenden Autos, dann hatte ich plötzlich wieder die Bilder mit meiner Mom vor Augen. Damals dachte ich ständig daran, in den unmöglichsten Momenten. Es war wie ein dunkles Summen in meinem Kopf. Manchmal war es um mich herum laut genug, dass ich es nicht hörte. Aber weg war es nie.

Auf dem Nachhauseweg kam ich an dem einzigen Kino vorbei, das es in unserem Kaff gab: das Metropolis. Im benachbarten Hudsonville, das vor allem für sein riesiges Gefängnis bekannt war, gab es ein Multiplex, das alle neuen Blockbuster zeigte. Unser Kino dagegen war ein uraltes Kabuff für Rentner, das Ende des Jahres dichtmachen sollte. Im Schaufenster hing schon seit Wochen ein Zettel aus:

METROPOLIS

Aushilfe gesucht!

Daneben ein Plakat mit irgendeinem französischen Schwarzweißfilm; kein Wunder, dass der Laden bald schließen musste.

Ich wollte gerade weiter, da hörte ich Stimmen aus dem Foyer und linste hinein: An der Kinokasse standen zwei Jungen und ein blondes Mädchen in Angestellten-Shirts, alle älter als ich. Das Mädchen war mir nicht ganz unbekannt. Beim Reden lehnte sie sich vor, als erzählte sie das Spannendste der Welt, dann lachte sie über eine Bemerkung der Jungen. Kurz darauf verschwanden alle drei in einem Saal. Ich schaute noch mal hoch zu dem weißen Schild mit den roten Lettern M-E-T-R-O-P-O-L-/-S (das »I« hing herunter, als wäre es gestolpert) und ging nach Hause.

 

Meine Eltern spielten in der Küche Scrabble. Wie immer schien Dad zu gewinnen. Ideenlos und systematisch versuchte er zu verhindern, dass Mom Punkte machte, während sie lieber schöne, aber nutzlose Worte wie »Verblendung« und »Schurwolle« legte. Auch sonst hätten sie nicht unterschiedlicher sein können: Mom klein und zierlich, mit Brille, bunter Bluse und selbstgeknüpf‌ten Bändern an den Handgelenken. Sie war süchtig nach Büchern, und wenn sie sich verabschiedete, empfahl sie fast immer noch einen Roman. Dad dagegen sah man den ehemaligen Sportler an. Ein leicht ergrauter, kräftiger Bär, wie meistens trug er Jeans und T-Shirt. Und außer der Zeitung las er kaum etwas.

Vor dem Abendessen sagten meine Eltern, dass wir in den nächsten Tagen noch mal »ohne Drama« über Kansas reden würden – dann gab es meine Lieblingspizza. Vermutlich glaubten sie, dass sie mich mit einem derart billigen Trick besänftigen konnten und, na ja, so war’s auch. Trotzdem weiß ich noch, dass ich später nicht schlafen konnte. Ich lag im Bett und dachte: Vielleicht wären ein paar Freunde doch ganz gut. Und ich dachte: Wieso bin ich nur so verflucht still?

Meine Schwester Jean zum Beispiel: Die kam auf die Welt, war sofort selbstbewusst und traute sich alles, während ich mich wirklich vor jedem Mist fürchtete. Früher musste ich mit meinen Angststörungen sogar zur Schulpsychologin. Mal hatte ich die stickige Sporthalle nicht mehr betreten können, mal im Unterricht Panikattacken bekommen. Dann war es jedes Mal, als wäre mein Verstand eine Lagerhalle mit unzähligen Lichtern, und plötzlich fiel ein Licht nach dem anderen aus, bis ich in vollkommener Dunkelheit stand. Das fühlte sich immer an wie Sterben.

Ich schätze, damals war ich auch noch ein ziemlicher Freak. So hatten mich zumindest ein paar Mitschüler genannt. Doch im Laufe der Jahre war ich dann so harmlos geworden, dass sie mich nicht mal mehr für die Mathe-Einsen hassten. Seit Stevies Umzug im Herbst saß ich in der Cafeteria allein am Tisch. Selten hockte sich ein anderer Außenseiter dazu, aber nie für lange. Und manchmal kam mir der Verdacht, mein ganzes Leben war wie dieser Tisch.

 

Als ich nach Mitternacht noch wach war, ging ich in das Zimmer meiner Schwester. Jean war viel älter als ich und schon vor Jahren an die Westküste gezogen, und meine Eltern...

Erscheint lt. Verlag 25.8.2021
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 80er Filme • 80er Jahre • All Age • Aussenseiter • Außenseiter • Berührend • Bestseller • Billy Idol • Booktok • BookTok Germany • Bruce Springsteen • Coming of Age • Dylan Thomas • eighties • Einsamkeit • Erwachsenwerden • Euphancholie • Euphorie • Ferien • Ferienjob • Film • Geheimnis • George Simmon • Joey Goebel • John Green • John Hughes • Jugend • Jugendjury • Jugendliteraturpreis • Jugendroman • Junge • Junge deutsche Literatur • Kino • Klassiker • Kleinstadt • Krankheit • Leben • Lebensgefühl • Liebe • Literaturpreis • Melancholie • Missouri • Popkultur • Provinz • Pubertät • Schüchtern • See • Selbstfindung • Sommer • Springen • TikTok • TikTok books • TikTok Germany • tiktok made me buy it • Tod • USA • verliebtsein • Walt Whitman • witzig
ISBN-10 3-257-61233-8 / 3257612338
ISBN-13 978-3-257-61233-2 / 9783257612332
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