Das verbotene Notizbuch (eBook)

Eine der wichtigsten europäischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts | Ihr fesselndes, intimes und zeitloses Meisterwerk - endlich wiederentdeckt
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
302 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77058-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das verbotene Notizbuch -  Alba de Céspedes
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Eigentlich sollte Valeria im tabaccaio nur Zigaretten für ihren Mann besorgen - kauft dann aber verbotenerweise ein schwarzes Notizheft und ahnt nicht, welche Konsequenzen dies haben würde. Es sind die Nachkriegsjahre in Rom, und Valeria führt das bescheidene und unscheinbare Leben einer Frau der Mittelschicht. Sie ist Mutter, Gattin und Büroangestellte. Mehr sieht niemand in ihr, seit Jahren hat sie ihren eigenen Namen nicht gehört, sogar ihr Mann nennt sie »mamma«. Doch als sie beginnt, in das Notizheft zu schreiben, verändert sich allmählich etwas in Valeria. Sie sondiert ihr Inneres, geht auf die Suche nach ihren eigenen Sehnsüchten und Ängsten. Irgendwann beginnt sie, sich kleiner Lügen zu bedienen, sich heimlich mit ihrem Chef zu treffen und die Forderungen ihrer Kinder zu übergehen. Bis sie glaubt, einen Schritt zu weit gegangen zu sein.

Elena Ferrante nennt es ein »Buch der Ermunterung«, für viele Generationen war Das verbotene Notizbuch ein Schlüsselroman menschlicher Beziehungen und weiblicher Identität - und nun kann das fesselnde, intime und zeitlose Meisterwerk endlich wieder gelesen werden.



Alba de Céspedes wurde 1911 in Rom geboren, als Tochter eines kubanischen Vaters und einer italienischen Mutter. Ihr erster Roman fiel wegen seiner zu selbstbestimmten Frauenfiguren der Zensur zum Opfer. Während des Krieges war de Céspedes im aktiven Widerstand und wurde zweimal inhaftiert. Später arbeitete sie als Radio- und Fernsehjournalistin, schrieb Prosa, Lyrik und fürs Theater. Ihre Romane waren internationale Bestseller. Alba de Céspedes starb 1997 in Paris.

26.November 1950


Es war ein Fehler, dieses Heft zu kaufen, ein schlimmer Fehler. Aber jetzt ist es zu spät für Gewissensbisse, es gibt kein Zurück. Ich weiß nicht einmal, was mich dazu bewog, es war Zufall. Ich hatte nie daran gedacht, Tagebuch zu führen, zumal ein Tagebuch geheim bleiben sollte und ich es vor Michele und den Kindern verstecken müsste. Ich mag keine Heimlichkeiten; in unserer Wohnung ist sowieso viel zu wenig Platz dafür. Es kam so: Vor vierzehn Tagen, es war Sonntag, ging ich frühmorgens aus dem Haus. Ich wollte Zigaretten für Michele kaufen, damit er sie beim Aufwachen auf dem Nachttisch vorfände: Sonntags schläft er immer lang. Es war ein wunderschöner, warmer Tag, trotz des fortgeschrittenen Herbstes. Als ich auf der Sonnenseite durch die Straßen schlenderte, die noch grünen Bäume und die Passanten in Feiertagsstimmung sah, empfand ich eine kindliche Freude. Ich beschloss, einen kleinen Spaziergang bis zum Tabakladen am Platz zu machen. Am Stand der Blumenfrau warteten viele Menschen, und ich stellte mich ebenfalls an und kaufte einen Strauß Ringelblumen. »Sonntags braucht es ein paar Blumen auf dem Tisch«, sagte die Blumenfrau zu mir, »Männer haben ein Auge für so was«. Ich nickte lächelnd: Doch eigentlich dachte ich bei meinem Kauf weder an Michele noch an Riccardo, der für Blumen viel übrighat. Ich kaufte sie für mich, um sie unterwegs in der Hand zu halten. Beim Tabakhändler war viel los. Während ich mit dem bereits abgezählten Geld in der Schlange stand, fiel mein Blick auf einen Stapel Hefte im Schaufenster. Es waren schwarze, glänzende, dicke Hefte, wie ich sie aus meiner Schulzeit kannte und in die ich – ehe sie überhaupt in Gebrauch zu nehmen – hingebungsvoll meinen Namen vorn auf die erste Seite schrieb: Valeria. »Ein Heft nehme ich auch«, sagte ich und kramte in der Handtasche nach weiterem Geld. Als ich wieder aufblickte, hatte der Tabakhändler eine strenge Miene aufgesetzt, um mir zu sagen: »Das geht nicht, das ist verboten«. Er erklärte, der Polizist an der Tür hätte am Sonntag immer ein Auge darauf, dass nur Tabak verkauft werde, sonst nichts. Inzwischen war ich allein im Laden. »Aber ich brauche es«, sagte ich, »ich brauche es unbedingt.« Ich sprach leise, dringlich, ich wollte darauf bestehen, ihn beschwören. Er blickte sich um, griff verstohlen nach einem Heft, reichte es mir über die Theke und sagte: »Stecken Sie es unter den Mantel.«

Den ganzen Heimweg über behielt ich es unter meinem Mantel. Während die Pförtnerin mir irgendetwas über die Gasleitung erzählte, fürchtete ich, es würde herausrutschen und zu Boden fallen. Mit glühenden Wangen schloss ich die Wohnungstür auf. Ich wollte geradewegs ins Schlafzimmer gehen, als mir einfiel, dass Michele noch im Bett lag. »Mama …«, rief Mirella. Riccardo fragte: »Hast du die Zeitung gekauft, Mama?« Ich war hektisch, konfus, fürchtete, ich käme nicht rechtzeitig aus dem Mantel, ehe jemand auftauchte. »Ich werde es in den Kleiderschrank stecken«, überlegte ich, »oder nein, Mirella schaut ständig hinein, um sich Dinge von mir zu leihen, ein paar Handschuhe oder eine Bluse. An der Kommode ist Michele dauernd zugange. Den Schreibtisch hat Riccardo besetzt.« Mir ging auf, dass es in der ganzen Wohnung kein Schubfach und keinen Winkel mehr gab, der noch mir gehörte. Ich nahm mir vor, von nun an meine Rechte geltend zu machen. »In den Wäscheschrank«, beschloss ich, doch dann fiel mir ein, dass Mirella jeden Sonntag zum Decken ein frisches Tischtuch herausnimmt. Schließlich warf ich es in den Lumpensack in der Küche. Ich konnte den Sack gerade noch schließen, als Mirella hereinkam. »Was ist los, Mama?«, fragte sie. »Du bist ja ganz rot.« »Das muss am Mantel liegen«, entgegnete ich und zog ihn aus, »heute ist es warm draußen.« Fast rechnete ich damit, sie würde sagen: »Nein, das stimmt nicht, du hast etwas im Sack versteckt.« Vergeblich versuchte ich mir einzureden, dass ich nichts Schlimmes getan hatte. Wieder hatte ich die mahnende Stimme des Tabakhändlers im Ohr: »Das ist verboten.«

10.Dezember


Gut zwei Wochen hielt ich das Heft versteckt, ohne hineinschreiben zu können. Es war von Anfang an sehr schwierig, dauernd einen neuen Platz, neue Verstecke zu finden, wo es nicht sogleich entdeckt werden würde. Riccardo hätte es für seine Vorlesungsnotizen genommen oder Mirella hätte es als Tagebuch benutzt und in ihre Schublade gesperrt. Natürlich hätte ich es verteidigen und sagen können, es gehöre mir, doch dann hätte ich erklären müssen, wozu ich es brauche. Für die Haushaltsabrechnungen verwende ich immer diese Werbeterminkalender, die Michele mir zu jedem neuen Jahr aus der Bank mitbringt: Bestimmt hätte er mir freundlich nahegelegt, das Heft an Riccardo abzutreten. Und ich hätte sofort darauf verzichtet und mir nicht einfallen lassen, ein neues zu kaufen. Also habe ich alles darangesetzt, es nicht so weit kommen zu lassen, obgleich ich – das muss ich zugeben –, seit ich dieses Heft besitze, keine ruhige Minute mehr hatte. Früher tat es mir immer leid, wenn die Kinder das Haus verließen, doch jetzt warte ich nur darauf, damit ich endlich allein sein und schreiben kann. Bis jetzt habe ich nie darüber nachgedacht, dass ich, der Beengtheit unserer Wohnung und meiner Bürozeiten wegen, kaum allein bin. Ich musste schwindeln, um mit diesem Tagebuch beginnen zu können: Ich habe drei Karten für das Fußballspiel gekauft und behauptet, eine Kollegin aus dem Büro hätte sie mir geschenkt. Ein zweifacher Schwindel, denn für die Karten habe ich Geld aus der Haushaltskasse abgeknapst. Gleich nach dem Frühstück habe ich Michele und den Kindern beim Anziehen geholfen, Mirella meinen dicken Mantel geliehen, mich liebevoll von ihnen verabschiedet und mit einem wohligen Schauder die Haustür geschlossen. Sofort kam ich mir schuldig vor und lief zum Fenster, kurz davor, sie zurückzurufen. Sie waren bereits weit weg, und mir war, als liefen sie geradewegs in einen von mir ausgeheckten Hinterhalt, statt zu einem harmlosen Fußballspiel. Sie lachten miteinander, und dieses Lachen versetzte mir einen reuevollen Stich. Zurück in der Wohnung wollte ich mich sogleich ans Schreiben machen, doch da war noch der Abwasch: Mirella hatte mir nicht dabei helfen können, wie sonst sonntags. Sogar der eigentlich so ordentliche Michele hatte den Schrank offengelassen, überall lagen Krawatten herum, genau wie heute. Heute habe ich wieder Karten fürs Fußballspiel gekauft, und so habe ich einen Moment Ruhe. Das Seltsame daran ist, dass ich, kaum kann ich das Heft endlich aus seinem Versteck holen und mich ans Schreiben setzen, von nichts anderem zu berichten weiß als von meinem täglichen Kampf, es geheim zu halten. Zurzeit verstecke ich es im alten Schrankkoffer, in dem wir den Sommer über die Wintersachen verstauen. Vor zwei Tagen musste ich Mirella davon abhalten, ihre dicken Skihosen hervorzuholen, die sie, seit wir aufs Heizen verzichten, auch in der Wohnung trägt. Im Koffer lag das Heft, und kaum hätte sie den Deckel angehoben, hätte sie es entdeckt. »Lass doch, das hat doch noch Zeit«, sagte ich zu ihr. »Mir ist aber kalt«, protestierte sie. Ich blieb so unerbittlich, dass selbst Michele aufhorchte. Als wir allein waren, sagte er, er begreife nicht, weshalb ich Mirella Kontra gegeben hätte. »Ich weiß, was ich tue«, antwortete ich ungewohnt scharf, und er blickte mich verwundert an. »Ich mag es nicht, wenn du dich in meine Diskussionen mit den Kindern einmischst«, fuhr ich fort. »Du nimmst mir ihnen gegenüber jede Autorität.« Und als er einwandte, für gewöhnlich würde ich ihm vorhalten, sich nicht genug um sie zu kümmern, und mit einem scherzhaften: »Was ist denn heute mit dir los, Mama?« auf mich zutrat, kam mir der Verdacht, dass ich allmählich so nervös und reizbar werde wie – angeblich – alle Frauen jenseits der Vierzig. Und da Michele vermutlich das Gleiche dachte, fühlte ich mich zutiefst gedemütigt.

11.Dezember


Beim abermaligen Lesen dessen, was ich gestern geschrieben habe, kommt mir die Frage, ob meine Veränderung nicht mit dem Tag begann, als mein Mann anfing, mich scherzhaft ...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2021
Übersetzer Verena von Koskull
Sprache deutsch
Original-Titel Quaderno proibito
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1950er • 1950ger • Affäre • aktuelles Buch • Älterwerden • Autorin • bücher neuerscheinungen • Der Garten über dem Meer • Ehe • Emanzipation • Empowerment • Feminismus • Ferrante • Frauen • geschenk für frau • Geschenk für Frauen • Geschenk für Freundin • Identität • Ikone • insel taschenbuch 4942 • IT 4942 • IT4942 • Italien • Italienische Literatur • Klassiker • Mercè Rodoreda • Midlife Crisis • Mutter • Neuerscheinungen • neues Buch • Notizbuch • Rom • Roman • Tagebuch • Widerstand • Wiederentdeckung
ISBN-10 3-458-77058-5 / 3458770585
ISBN-13 978-3-458-77058-9 / 9783458770589
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