Romy. Mädchen, die pfeifen (eBook)

Spiegel-Bestseller
Mütter-Trilogie 3 - Roman - Der SPIEGEL-Bestseller
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
592 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28666-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Romy. Mädchen, die pfeifen -  Felicitas Fuchs
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Das Finale der bewegenden Mütter-Trilogie
Bad Oeynhausen 1983: Die 23-jährige Romy arbeitet in einer Diskothek. Sie ist schon früh zu Hause ausgezogen, weil sie sich mit ihrer Mutter Hanne nie gut verstanden hat. Nach außen wirkt sie stark und selbstbewusst, doch im Innersten ist sie sehr verletzlich. Als sie die Hochzeit mit ihrer großen Liebe Falco vorbereitet, stolpert sie in den Familienpapieren über einen Namen, den sie nicht kennt, und es reißt ihr den Boden unter den Füßen weg. Romy macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, ohne ihrer Mutter Hanne davon zu erzählen.

Felicitas Fuchs ist das Pseudonym der Erfolgsautorin Carla Berling, die sich mit Krimis, Komödien und temperamentvollen Lesungen ein großes Publikum erobert hat. Schon bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, war sie als Reporterin und Pressefotografin immer sehr nah an den Menschen und ihren Schicksalen. In ihrer dramatischen Familiengeschichte verarbeitet sie autobiografische Elemente zu einer packenden Trilogie über drei starke Frauen.

1

Romy

Juni 1978

Romy stellte sich auf die Zehenspitzen, um wenigstens ihren Oberkörper in dem halb blinden Spiegel über dem Waschbecken sehen zu können. Die Schleife der gestärkten Servierschürze saß perfekt, die weiße Hemdbluse war vorbildlich gebügelt. Sie schaute an sich herunter: Auf dem schwarzen knielangen Rock befand sich kein einziger Fussel, die Laufmasche der Strumpfhose hatte sie mit farblosem Nagellack am Oberschenkel gerade noch stoppen können. Mit einem geübten Handgriff band sie ihr schulterlanges glattes Haar im Nacken zum Pferdeschwanz. Sie durfte es während der Arbeit nicht offen tragen, aber die Strähnen, die sie an den Schläfen herauszupfte und lässig herabhängen ließ, die waren erlaubt. Auch gegen ihr dunkles Augen-Make-up hatte niemand etwas, nur allzu knalliger Lippenstift war verboten. Romy nahm ihr speckiges schwarzes Kellnerportemonnaie und steckte es in die Filztasche unter der Schürze, klemmte sich den Kugelschreiber hinters Ohr und sah sich in dem winzigen Raum um. Das Bett war ordentlich gemacht, das Waschbecken mit dem braunen Sprung in der Keramik glänzte pieksauber, der Boden war gefegt, nichts lag herum. Auf der Fensterbank stand ein Transistorradio, es liefen die Nachrichten. Romy hörte einen Augenblick zu. Es ergab sich immer wieder, dass sie im Gespräch mit einem Gast auf das Tagesgeschehen reagieren musste, dann war es gut, wenigstens die Schlagzeilen zu kennen. Die Vereinten Nationen hatten eine Untersuchung veröffentlicht, aus der hervorging, dass weltweit neun von zehn Verbrechen von Männern begangen wurden. Bretonische Separatisten hatten nachts das Schloss Versailles durch einen Sprengstoffanschlag beschädigt. Und in Amerika hatten Spezialisten elektronische Abhöranlagen des sowjetischen Geheimdienstes KGB in einer Botschaft entdeckt.

Romy drehte das Radio aus und verließ zwanzig Minuten vor Dienstbeginn ihr Zimmer im Personalhaus. Die Tür blieb unverschlossen. Niemand, der hier wohnte, schloss ab. Ein Grund, ihr kleines Reich immer aufgeräumt zu verlassen. Wer wusste schon, ob Krüger, der Ausbildungsleiter, nicht auch den Privatbereich des Personals kontrollierte. Das Mitnehmen von Besteck oder Geschirr hatte schon einige Kollegen den Job gekostet. 

Sie hatte Teildienst, und ihre zweite Schicht begann um zwölf, eine Beerdigungsgesellschaft war zum Mittagessen im kleinen Saal angekündigt. Romy hatte Frühdienst gehabt, von sechs bis zehn. Das war eine ihrer Lieblingsschichten.

Sie mochte es, wenn es im Haus fast still war, die leisen Geräusche eines Hotels im Tiefschlaf hatten für sie einen besonderen, beruhigenden Klang. Die Gäste schliefen noch, die Putzfrauen waren schon fertig, der Koch kam erst um sieben. Bis dahin musste sie das Frühstück im Kaminzimmer angerichtet haben. Auf jeden Tisch gehörten Étagèren mit Schnitt- und Streichkäse, Frischwurst, Salami und Schinken, appetitlich angerichtet und mit Petersiliensträußchen, Salzstangen, Gurken und Tomatenscheiben verziert. Butter und Margarine lagen in abgepackten Portionen in Schälchen mit Eiswasser, aus dem Radio erklang leise Musik.

Während der Kaffee durchlief und der köstliche Duft durch die Flure zog, schaute Romy in die Zimmerbelegungsliste. Heute waren es zwanzig Gäste, die zwischen sieben und neun zum Frühstück kommen würden.

Sie presste Orangen und Grapefruits aus und brachte den Saft in gläsernen Kannen in den Frühstücksraum. Um halb sieben lieferte die Bäckerei drei Sorten Brot und lauwarme, frische Brötchen, die Romy in Körbchen auf den Tischen verteilte. Dann setzte sie in der Küche Töpfe mit Wasser auf. Wenn ein Gast ein Ei bestellte, musste man es nur noch ins Wasser geben, die Eieruhr auf die gewünschte Zeit stellen und sie möglichst nicht vergessen oder überhören. Um Punkt sieben stand auf jedem Tisch eine silberne Thermoskanne mit Filterkaffee, außerdem Honig und drei Sorten Marmelade in Kristallschälchen mit Silberdeckel, passend zu den Menagen.

Diese Silberdeckel waren Romy ein Graus, sie mussten aufwendig geputzt und gepflegt werden. Der Klang beim Verschließen der Deckel erinnerte sie immer an das Zufallen einer schweren Autotür bei einem Oldtimer.

Das Hotel Hahnenkamp gehörte zu den edlen Häusern in Bad Oeynhausen und war fast immer ausgebucht, obwohl es außerhalb lag. Geschäftsleute, Vertreter und Tagungsgäste logierten hier, das Restaurant war weithin für seine gute Küche bekannt, die Säle wurden für Feste und Feiern gebucht. »Der Hahnenkamp« war ein historisches Fachwerkhaus und wirkte mit den weißen Sprossenfenstern, den blütenweißen Raffgardinen und roten Geranien in grünen Kästen von außen rustikal, war aber innen modern und elegant.

Als Romy zum ersten Mal eins der Zimmer betreten hatte, war ihr ein begeisterter Ausruf entwichen, den die Hausdame mit strengem Blick kommentiert hatte. »Contenance, Fräulein Lindemann, Contenance!«

Na, die hatte gut reden! Romy war gerade sechzehn geworden und kam aus einfachen Verhältnissen – natürlich hatte das luxuriöse Ambiente des Hotels sie schwer beeindruckt. Dabei kannte sie sich im Gastgewerbe aus: Ihre Eltern betrieben im Kurviertel die Pension Villa Hanne und die Gaststätte Latüchte, dort waren sie und ihre Geschwister aufgewachsen. Und im Hotel ihrer Tante Änne in Minden hatte sie manchmal ein paar Ferientage verbracht und hinter die Kulissen schauen können. Beides waren solide Häuser, aber vom Niveau des Hotels Hahnenkamp Lichtjahre entfernt.

Hier schliefen die Gäste in modernen französischen Betten, deren gepolsterte Kopfteile mit nougatfarbenem Samt bezogen waren. Er hatte denselben Braunton wie der flauschige Teppichboden, mit dem alle Hotelzimmer und die Flure ausgelegt waren. In der Pension ihrer Mutter gab es bloß Linoleumboden und bunte, nachgemachte Perserbrücken. Anstelle biederer Nachtkonsölchen aus Eichenholz standen im Hahnenkamp Rauchglastische mit blanken Messinggestellen neben den Betten, darauf Lampen mit Kristallfuß und braunen Veloursschirmen. Jedes Kopfkissen zierte ein Petit Four aus der Küche, um dem Gast als Betthupferl den Eintritt in den Schlaf zu versüßen. Und dann die Bäder! Jedes einzelne war ein Traum in marmorierten Cremetönen, mit blanken Armaturen sowie mit flauschigen braunen Handtüchern, die mit dem goldenen Logo des Hauses bestickt waren. Man sollte schließlich nicht vergessen, wo man verwöhnt wurde. Die bestickten Handtücher gehörten zu den am häufigsten geklauten Artikeln des Hotels.

Wenn Romy die Zimmer sauber machte, entging ihr kein Detail, und manchmal stellte sie sich vor, auch so feudal übernachten zu dürfen. Sie bewunderte die eleganten Stöckelschuhe der Damen, drapierte ihre duftigen Seidennachthemden auf dem Bett, wischte die Parfümflakons im Bad ab und roch heimlich daran. Chloé, Miss Dior, Lou Lou von Cacharel, Chanel Nº 5, Rive Gauche von Yves Saint Laurent. Das waren ganz andere Düfte als Tosca und Uralt Lavendel, die ihre Oma immer benutzt hatte, oder der Geruch ihrer Mutter nach Creme 21 aus dem orangefarbenen Plastiktiegel. So geht Leben auch, dachte Romy und wünschte sich, mal sehr erfolgreich zu werden, viel Geld zu verdienen und sich auch so schöne Dinge leisten zu können.

Inzwischen war sie im dritten Lehrjahr und wurde nur noch selten auf der Etage eingesetzt. Sie arbeitete im Service oder an der Rezeption, und auch das liebte sie.

Vom Personalhaus bis zum Hotel waren es nur wenige Schritte.

Thomas war schon da. Wie immer zupfte er zuerst an seiner Fliege, dann wischte er einen nicht vorhandenen Fussel vom Ärmel seines schwarzen Anzugs, plusterte sich auf und moserte: »Soll ich mich etwa allein ums Mise en Place kümmern? Moltons und Tischdecken sind hier, aber wo sind die Mitteldecken?«

»Ich hole sie.« Romy drehte auf dem Absatz um.

»Dafür hätte eigentlich der Frühdienst sorgen müssen«, rief er ihr hinterher. Romy blieb einen Moment stehen, atmete tief durch und ging dann wortlos weiter. Thomas war jetzt Commis de Rang und führte sich gegenüber den Lehrmädchen auf wie der Chef persönlich, dabei bedeutete seine Berufsbezeichnung bloß, dass er ausgelernt hatte und nun als Jungkellner arbeitete. Noch ein weiteres Lehrjahr, dann war Romy auch so weit, hatte ihr Zeugnis als Hotel- und Gaststättengehilfin in der Tasche und die ganze Welt würde ihr offenstehen. Und dann würde sie sich in einem Luxushotel bewerben, im Hilton oder im Maritim, auf einem Kreuzfahrtschiff oder als Stewardess bei der Lufthansa.

Die erste große Entscheidung hatte sie erst kürzlich getroffen: Sie hatte zu Hause ihre Sachen gepackt und war ausgezogen. Mit siebzehn, jawohl. Die Eltern waren stinksauer gewesen, aber sie hatten nichts dagegen tun können, wenige Tage später war sie volljährig geworden. Seitdem sah sie ihre Familie nur noch selten, aber sie vermisste sie nicht.

Romy Lindemann war mit einsfünfundsiebzig ziemlich groß, schlank, hübsch, volljährig, optimistisch, diszipliniert und fleißig. Ihre Zukunft würde großartig werden. Ihre Oma hatte immer mit ihr angegeben: »Meine Enkeltochter geht auf die Höhere Schule, als Erste in der Familie. Mittlere Reife macht sie, aus ihr wird mal was werden, sie wird es besser haben als unsereins.«

Es sah so aus, als würde Omi recht behalten.

Romy holte einen Stapel Mitteldecken aus dem Wäscheschrank und begann, die Tafel für die Beerdigungsgesellschaft einzudecken. Als sie fertig war und den Raum kontrollierte, zeigten alle Bügelfalten der...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2023
Reihe/Serie Mütter-Trilogie
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1980er • 1990er • 2000er Jahre • 2023 • Die Wunderfrauen • eBooks • Familie • Familienroman • Familiensaga • Familienschicksal • Frauenromane • Freundschaft • Historische Romane • Liebe • Liebesromane • Minden • Mutter-Tochter-Roman • Neuerscheinung • Ruhrpottsaga
ISBN-10 3-641-28666-2 / 3641286662
ISBN-13 978-3-641-28666-8 / 9783641286668
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