Frühlingsgefühle (eBook)

Geschichten von der Liebe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61262-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frühlingsgefühle -  Anton Cechov
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»Am liebsten erinnern sich die Frauen an die Männer, mit denen sie lachen konnten.« So Anton Cechov, der die Frauen und die Liebe kannte wie kein anderer. Voller Witz und ohne Illusionen verewigt er eines der facettenreichsten Gefühle. Rendezvous, Seufzeralleen und Küssereien sind ebenso vertreten wie leise Sehnsucht, verflogener Zauber, vertagte Geständnisse und gute Partien.

Anton Cechov wurde 1860 in Taganrog, Südrussland, geboren, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und studierte dank eines Stipendiums in Moskau Medizin. Den Arztberuf übte Cechov nur kurze Zeit aus. Der Erfolg seiner Theaterstücke und Erzählungen machte ihn finanziell unabhängig. Seine Lungentuberkulose jedoch erzwang immer häufigere Aufenthalte in südlichem Klima, so dass Cechov auf die Krim übersiedelte. 1901 heiratete er die Schauspielerin Olga Knipper. Er starb 1904 in Badenweiler.

Anton Cechov wurde 1860 in Taganrog, Südrussland, geboren, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und studierte dank eines Stipendiums in Moskau Medizin. Den Arztberuf übte Cechov nur kurze Zeit aus. Der Erfolg seiner Theaterstücke und Erzählungen machte ihn finanziell unabhängig. Seine Lungentuberkulose jedoch erzwang immer häufigere Aufenthalte in südlichem Klima, so dass Cechov auf die Krim übersiedelte. 1901 heiratete er die Schauspielerin Olga Knipper. Er starb 1904 in Badenweiler.

Kleiner Roman

Am Ufer des Schwarzen Meeres, an einem Fleckchen, das in meinem Tagebuch und in den Tagebüchern meiner Helden und Heldinnen »Zelënaja Kosa« heißt, steht eine wunderschöne Villa. Aus der Sicht des Architekten, der Liebhaber alles Strengen, Gesetzmäßigen, Stilvollen mag diese Villa nirgendwohin passen, aus der Sicht des Poeten, des Künstlers dagegen ist sie einfach wunderschön. Sie gefällt mir in ihrer bescheidenen Schönheit, darin, daß sie weder die Kälte von Marmor verströmt noch die Gewichtigkeit von Säulen. Sie blickt einladend, warm, romantisch drein … Hinter schlanken Silberpappeln blickt sie mit ihren Türmchen, Spitzen, Zacken, Säulchen irgendwie mittelalterlich hervor. Wenn ich sie anschaue, denke ich an sentimentale deutsche Romane mit ihren Rittern, Schlössern, Doctores der Philosophie, geheimnisvollen Gräfinnen … Diese Villa steht auf einem Berg; rings um die Villa ist ein dichter-dichter Garten mit Alleen, kleinen Springbrunnen, Orangerien, und unten, unterhalb des Berges – das rauhe blaue Meer … Eine Luft, in der beständig ein leichter, feuchter, koketter Wind weht, alle möglichen Vogelstimmen, der ewig klare Himmel, das durchsichtige Wasser – ein wunderschönes Fleckchen!

Die Besitzerin der Villa, Marja Egorovna Mikšadze, ist die Ehefrau eines kleinen georgischen oder tscherkessischen Fürsten, eine Dame um die 50, groß, füllig, und war zu ihrer Zeit zweifelsohne als Schönheit berühmt. Sie ist eine gutherzige, liebe, gastfreundliche, aber etwas zu strenge Dame. Übrigens nicht streng, sondern launisch … Sie gab uns ausgezeichnet zu essen, vorzüglich zu trinken, lieh uns aus vollen Händen Geld und quälte uns gleichzeitig furchtbar. Die Etikette ist ihr Steckenpferd. Daß sie Ehefrau eines Fürsten ist – ist ihr anderes Steckenpferd. Auf diesen beiden Steckenpferden reitend, übertreibt sie ewig und furchtbar. Sie lächelt zum Beispiel nie, wahrscheinlich deshalb, weil sie das für sich und überhaupt für grandes-dames für unschicklich hält. Wer auch nur um ein Jahr jünger ist als sie, ist ein Milchbart. Angesehen zu sein ist ihrer Meinung nach eine Tugend, der gegenüber alles übrige der unsinnigste Blödsinn ist. Sie ist eine Feindin von Unbesonnenheit und Leichtsinn, liebt das Schweigen usw. usw. Manchmal konnten wir diese Herrin kaum er‌tragen. Wäre ihre Tochter nicht gewesen, so würden wir heute die Erinnerungen an Zelënaja Kosa kaum genießen. Die gute Frau ist in unseren Erinnerungen der graueste Fleck. Die Zierde von Zelënaja Kosa ist – Marja Egorovnas Tochter, Olja. Olja ist ein kleines, schlankes, hübsches Blondinchen von 19 Jahren. Sie ist lebhaft und nicht dumm. Sie zeichnet schön, befaßt sich mit Botanik, spricht ausgezeichnet Französisch, schlecht Deutsch, liest viel und tanzt wie Terpsichore persönlich. Musik hat sie am Konservatorium studiert und spielt nicht übel. Wir Männer liebten dieses blauäugige Mädchen, wir waren nicht »verliebt«, sondern liebten es. Sie war für uns alle etwas Vertrautes, zu uns Gehörendes … Zelënaja Kosa ohne sie wäre für uns undenkbar. Ohne sie wäre die Poesie von Zelënaja Kosa unvollständig gewesen. Sie ist die hübsche weibliche Gestalt in wunderschöner Landschaft, und ich mag keine Bilder ohne menschliche Gestalten. Das Plätschern des Meeres und das Flüstern der Bäume sind an und für sich schön, aber wenn sich damit, zur Begleitung unserer Bässe, Tenöre und des Flügels, noch Oljas Sopran vereinigt, dann werden Meer und Garten zum Paradies auf Erden … Wir liebten die Prinzessin; anders konnte es gar nicht sein. Wir nannten sie die Tochter unseres Regiments. Und Olja liebte uns. Es zog sie zu unserer Männergesellschaft hin, und nur unter uns fühlte sie sich in ihrem Element. Wenn wir nicht in ihrer Nähe waren, magerte sie ab und hörte auf zu singen. Unsere Gesellschaft besteht aus Gästen, sommerlichen Bewohnern von Zelënaja Kosa und Nachbarn. Zu ersteren gehören: Doktor Jakovnin, der Odessaer Zeitungsmann Muchin, der Magister der Physik Fivejskij (inzwischen Dozent), drei Studenten, der Maler Čechov, ein Baron und Jurist aus Charkov und ich, Oljas ehemaliger Repetitor (der ihr beigebracht hat, schlecht Deutsch zu sprechen und Stieglitzküken zu fangen). Wir trafen uns jedes Jahr im Mai in Zelënaja Kosa und belegten für den ganzen Sommer die überzähligen Räume des mittelalterlichen Schlosses und alle Nebengebäude. Jeden März luden uns nach Zelënaja Kosa zwei Briefe ein: ein bedeutungsvoller, strenger, voller Ermahnungen – von der Fürstin, ein anderer sehr langer, heiterer, voll mit allen möglichen Plänen – von der sich nach uns sehnenden Prinzessin. Wir kamen und blieben bis September zu Gast. Die Nachbarn, die täglich zu uns kamen, waren der verabschiedete Leutnant der Artillerie Egorov, ein junger Mann, der zweimal das Examen zur Akademie abgelegt hatte und zweimal durchgefallen war, ein sehr gebildeter, belesener Mensch; der Medizinstudent Korobov mit seiner Ehefrau Ekaterina Ivanovna, der Gutsbesitzer Aleutov und eine Unmenge von Gutsbesitzern, Verabschiedeten, Nichtverabschiedeten, Lustigen und Langweiligen, Faulenzern und Herumtreibern … Die ganze Bande aß, trank, spielte, sang, brannte Feuerwerk ab, riß Witze ohne Ende, Tag und Nacht, den ganzen Sommer hindurch … Olja liebte diese Bande besinnungslos. Lauter als alle schrie sie, wirbelte umher und lärmte. Sie war die Seele der Kompanie.

Jeden Abend versammelte uns die Fürstin im Salon und warf uns mit purpurrotem Gesicht »gewissenloses« Benehmen vor, beschämte uns und schwor, dank unseren Bemühungen Kopfschmerzen zu haben. Sie liebte es, uns zu ermahnen; sie tat dies aufrichtig und war zutiefst davon überzeugt, daß uns ihre Ermahnungen zum Nutzen gereichten. Am meisten bekam Olja von ihr ab. Ihrer Meinung nach war an allem Olja schuld. Olja füchtete die Mutter. Sie vergötterte sie und lauschte ihren Ermahnungen stehend, schweigend, errötet. Die Fürstin hielt Olja für ein kleines Kind. Sie stellte sie in die Ecke, ließ sie ohne Frühstück, ohne Mittagessen stehen. Olja in Schutz zu nehmen bedeutete, Öl ins Feuer zu gießen. Wäre es ihr möglich gewesen, sie hätte auch uns in die Ecke gestellt. Sie schickte uns zur Abendmesse, befahl uns, die »Leben der Heiligen« vorzulesen, kontrollierte unsere Wäsche, mischte sich in unsere Angelegenheiten … Immer wieder hatten wir ihre Schere verschleppt, vergessen, wo ihr Riechfläschchen stand, konnten ihren Fingerhut nicht finden.

– Schlafmütze! – rief sie immer wieder. – Hast es im Vorbeigehen runtergeworfen und hebst es nicht auf! Hebs auf! Heb es sofort auf! Gestraft hat mich der Herrgott mit euch … Laß mich in Frieden! Steh nicht im Durchzug!

Manchmal läßt sich einer von uns zum Spaß etwas zuschulden kommen und wird zum Rapport zu der Alten gerufen.

– Warst du das, der auf die Rabatte getreten ist? – beginnt die Gerichtsverhandlung. – Wie konntest du es wagen?

– Es war aus Versehen …

– Schweig! Wie konntest du es wagen, frage ich dich?

Die Gerichtsverhandlung endete immer mit Begnadigung, mit Handküssen und, nach Verlassen der Gerichtsstube, mit homerischem Gelächter. Liebevoll war die Fürstin zu uns nie. Liebevolle Worte sagt sie nur zu alten Frauen und kleinen Kindern.

Ich habe sie nicht ein einziges Mal lächeln sehen. Dem alten General, der an Sonntagen zu ihr gefahren kam, um Piquet zu spielen, versicherte sie flüsternd, daß wir, Doktoren, Magister, teilweise Barone, Maler, Schriftsteller, ohne ihren Verstand und Beistand verloren wären … Wir gaben uns auch keine Mühe, sie eines Besseren zu belehren … Lassen wir ihr doch ihren Spaß, dachten wir … Die Fürstin wäre erträglich gewesen, wenn sie nicht von uns verlangt hätte, spätestens um acht Uhr aufzustehen und spätestens um 12 schlafen zu gehen. Die arme Olja legte sich um 11 Uhr schlafen. An Widerspruch war nicht zu denken. Aber wir machten uns ja auch lustig über die Alte wegen dieses unrechtmäßigen Eingriffs in unsere Freiheit! In Scharen gingen wir zu ihr, um Vergebung zu erflehen, verfaßten für sie Glückwunschgedichte im Stile Lomonosovs, zeichneten den Stammbaum der Fürsten Mikšadze usw. Die Fürstin nahm alles für bare Münze, und wir lachten schallend. Die Fürstin liebte uns. Sie seufzte tief und sehr aufrichtig, wenn sie uns ihr Bedauern darüber ausdrückte, daß wir keine Fürsten seien. Sie war an uns gewöhnt wie an die eigenen Kinder.

Lediglich Leutnant Egorov liebte sie nicht. Sie haßte ihn mit ganzer Seele, hegte gegen ihn die unmöglichste Antipathie. Sie empfing ihn nur, weil sie in Geldangelegenheiten mit ihm zu tun hatte und die Etikette wahrte. Der Leutnant war einmal ihr Liebling gewesen. Er ist hübsch, macht gelungene Witze, schweigt viel und ist Militär (das schätzte die Fürstin sehr). Aber manchmal überkommt es Egorov … Er setzt sich hin, stützt den Kopf in die Fäuste und fängt an, furchtbar zu lästern. Er lästert über alles und jeden, verschont weder die Lebenden noch die Toten. Die Fürstin geriet jedesmal außer sich und scheuchte uns aus dem Zimmer, wenn er anfing, boshafte Dinge zu sagen.

Einmal beim Essen stützte Egorov den Kopf in die Faust und hielt, aus heiterem Himmel, eine Rede auf die kaukasischen Fürsten, dann zog er die »Strekoza« aus der Tasche und besaß die Frechheit, in Anwesenheit der Fürstin Mikšadze folgendes vorzulesen: »Tif‌lis ist eine hübsche...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2022
Übersetzer Peter Urban
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Erzählung • Erzählungen • Klassiker • Liebe • Liebesgeschichten • Peter Urban • Russland • Sammlung • Tschechow
ISBN-10 3-257-61262-1 / 3257612621
ISBN-13 978-3-257-61262-2 / 9783257612622
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